Die "Radiofamilie"

    Von Günter Kaindlstorfer · 03.03.2013
    Was den Ostdeutschen "Neumann, zweimal klingeln" oder den Westdeutschen "Pension Spreewitz", das war in den 50er-Jahren für die Österreicher die "Radiofamilie" – Österreichs erste wöchentliche Radio-Soap. Erst vor zwei Jahren wurden Texte der Lyrikerin Ingeborg Bachmann bekannt, die sie für diese Serie geschrieben hat.
    "Hier ist Rot-Weiß-Rot Wien:
    Pling-Pleng-Plang-Plong."

    Der amerikanische Besatzungssender "Rot-Weiß-Rot" hatte viele Fans im Österreich der Nachkriegszeit, mehr jedenfalls als der sowjetisch dominierte Sender "Ravag". 1951 konzipierten die Journalisten Peter Weiser und Jörg Mauthe sowie die junge Dichterin Ingeborg Bachmann für "Rot-Weiß-Rot" Österreichs erste Seifenoper.

    "Rot-Weiß-Rot bringt: Unsere Radiofamilie."

    "Guten Abend, meine sehr verehrten Damen und Herren. Einen recht schön und guten Abend in der Taubengasse Nummer 18, da, wo der Herr Oberlandesgerichtsrat Dr. Hans Floriani, eine der markantesten Persönlichkeiten des achten Wiener Gemeindebezirks, unbeschadet der Tatsache, dass heute Samstag ist, in der Küche steht und Geschirr abtrocknet."

    Allwöchentlich am Samstagabend versammelten sich Millionen Hörerinnen und Hörer in Österreich vor den Radioapparaten und lauschten den betulichen Abenteuern der Familie Floriani. Der Herr Oberlandesgerichtsrat Hans Floriani – gespielt von Hans Thimig – und seine Gattin Vilma, dargestellt von Vilma Degischer, sollten die Österreicher zu besseren Demokraten erziehen, ohne dass die das so recht merken sollten, wie der amerikanische Journalist Joseph McVeigh erklärt. McVeigh hat Ingeborg Bachmanns Sendungs-Manuskripte vor einiger Zeit entdeckt:

    "Die Radiofamilie wurde zuerst konzipiert als Propagandasendung. Die Amerikaner haben sehr viele Umfragen gemacht unter Radiohörern in Wien, schon ab 1948, und die wussten: Es muss humorvoll sein. Auf jeden Fall. Die Politik sollte man nicht sofort erkennen."

    Man erkannte sie aber doch – zumindest ein bisserl. Denn "Onkel Guido", Mitglied der "Radiofamilie", war dem Sendungsskript zufolge einst – horribile dictu – ein lupenreiner Nazi. Die Florianis als bildungsbürgerliche Modellfamilie mit peinlichem braunem Fleck, diese prototypischen Florianis sollten dem Willen der Sendungsmacher nach die politische Umorientierung Österreichs veranschaulichen. Aus heutiger Perspektive wirkt die "Radiofamilie" aber vor allem eins: bieder.

    VILMA: "Das hast du von deiner Mutter. Die hat auch ihren Teller nie leer gegessen. Sie hat immer gesagt: Das ist nicht fein."

    HANS: "Andererseits ist es auch nicht sehr fein, wenn man womöglich mit einem Stück Brot den letzten Saucenrest auftunkt."

    VILMA: "Lieber Hans. Wir zwei haben zu viele Hungerjahre miteinander mitgemacht, als dass du mir mit irgendeinem Argument weismachen könntest, dass es fein sein kann, etwas Essbares stehen zu lassen und in die Abwasch zu geben."