Die Puppenkiste ruft

Von Gerhard Richter · 14.08.2013
Figuren wie Jim Knopf oder Urmel haben die Augsburger Puppenkiste berühmt gemacht. Seit 60 Jahren gibt es das Familienunternehmen. Jürgen Marschall gehört zur dritten Generation. Er wollte von Puppenspielern und Puppenmachern zunächst nichts wissen - am Ende landete er aber doch bei den Holzköpfen.
In einem Gewölbekeller beugt sich Jürgen Marschall über eine Werkbank aus altem rissigen Holz und sägt am Kopf einer Marionette. In dem gut getrockneten Klotz aus Lindenholz verbirgt sich ein Charakter, ein Held, ein Diener oder ein Bösewicht. Am liebsten mag Jürgen Marschall aber Löwen, Ratten, Alligatoren.

"Also Tiere zu schnitzen ist für mich jedes Mal aufs Neue schön. Wo ich mich immer ein bissel schwer tu, sind schöne Menschen: Prinzen, Prinzessinnen, die also schöne Gesichter haben. Das macht nicht so Spaß wie Tiere oder wie Charakterköpfe."

Der 54-Jährige hat selbst ein gutmütiges Gesicht, das seinen Charakter durch einen rötlich grauen Kinnbart und eine schwarz-weiße Designerbrille bekommt. Dahinter blicken zwei verschmitzte Augen auf Stemmbeitel, Sägen und Schraubstock. Über der Werkbank hängt ein blaues Brett mit aufgemalten Figuren. Ein Teil seines Kinderbettes:

"Klar, meine Eltern hatten kein Geld und meine Eltern haben das dann halt selber g´macht. Und meine Mutter hat´s bemalt, mit Figuren aus der Puppenkiste. Da ist Jim Knopf, da ist Lukas der Lokomotivführer, da ist die Frau Holle. Da ist unser Augsburger Kasper´l drauf, das tapfere Schneiderlein. Das sind alles Puppen oder Szenen aus der Puppenkiste."

In diese Welt wachsen Jürgen Marschall und sein Bruder Klaus in den 60er-Jahren hinein. Ein Kosmos aus Figuren und Geschichten.

Als Kind fand er die Arbeit seiner Eltern nervig
Vor allem ein zeitraubender Familienbetrieb, den die Großeltern aufgebaut haben. Jürgens Vater macht Regie, seine Mutter die Puppen. Sie hat wenig Zeit für die beiden Buben.

"Für uns war´s als Jungs eher nervig. Weil: Egal, ob wir gesund waren, ob wir krank waren, ob Ferien waren, sie war immer in ihrer Werkstatt. Und uns hat das genervt, wir sind dann teilweise mit ins Theater gegangen, für uns war´s der Alltag. Für uns wars nix Besonderes. Es waren natürlich Highlights dabei, wenn man den Kater Mikesch mit in der Schule gehabt hat, und alle: 'Oh, Kater Mikesch! toll!' Aber ansonsten war´s Alltag."

Ein Alltag, in dem immer neue Marionetten an zwei Meter langen Fäden durch immer neue Abenteuer geführt werden.

Ausschnitt Puppenkiste: "Das Gehen macht mir Spaß. Großen Spaß. Heidenspaß. Aber was ist das? Die Pantöffelchen, sie laufen von alleine und ich muss mit, ich muss mit…die Pantöffelchen, sie laufen von alleine und ich muss mit, mit…"

Schon seit 1948 ist das Elternhaus eine Puppenkiste. Für Jürgen Marschall war auch schon eine Rolle im Familienstück reserviert:

"Ich war immer so eigentlich als Nachfolger gehandelt worden, von meinen Großvater, oder von meinen Großeltern her, bis ich gesagt hab: Nee."

Er macht eine Lehre als Maler und eröffnet eine Kneipe. Als Erlebnisgastronom veranstaltet er in Augsburg Motto-Parties, dekoriert ganze Räume neu und lässt die Puppen – also das Publikum - tanzen, während er als "DJ Jürgen" die Fäden in der Hand hält.

"Ja das war meine Sturm-und-Drang-Zeit, und meine Eltern haben mich auch gelassen, überhaupt kein Thema gewesen bei uns."

Genauso gelassen war die Rückkehr aus der Kneipe in die Puppenkiste. 1991 bewirbt sich Jürgen Marschall ganz offiziell, wird eingestellt und setzt sich neben seine Mutter an die Werkbank.

"Und so haben wir uns die Arbeit geteilt, und wir sind unheimlich gut miteinander aus´kommen."

Nach dem Tod seiner Mutter 2003 übernimmt Jürgen Marschall deren Arbeit. Zusammen mit einem Bruder Klaus ist er Inhaber der Puppenkiste. Die 400 Vorstellungen im Jahr sind fast alle ausgebucht. Von seinem Keller aus versorgt Jürgen Marschall die 15 festangestellten Puppenspieler mit neuen Marionetten. Für die Premieren des traditionellen Sylvester-Kabaretts schnitzt er die Köpfe von Promis und Politikern und schmirgelt ihre Stirn.

"Steinmeier, Merkel, die Roth, Grünen-Chefin, Arnold Schwarzenegger hab ich gemacht, den Jauch, Hans Eichel, Seehofer, ja da kommen nachher einige zusammen".

Auch das Fernsehen interessiert sich noch für die Puppenkiste. Nicht nur im Kinderprogramm, auch in der Late-Night-Show des Bayerischen Rundfunks witzeln und spötteln Puppen von Jürgen Marschall.

Als Marionette im Familienbetrieb hat er sich nie gefühlt
Mit einem Akkuschrauber bohrt er kleine Löcher in den Kopf, dort wo die Augen hin sollen. Er nimmt zwei kleine Polsternägel und hämmert sie sachte in die Pupillen. Ganz grade, nicht dass die Puppe schielt.

"Und schon hat er einen Blick. Obwohl er noch nicht angemalt ist. Aber er schaut."

Nachwuchs in der Puppenfamilie. Jürgen Marschall selbst hat keine Kinder, aber:

"Mein Bruder hat drei, und mein Neffe tut sich ein bissel dran am Schnitzen und er schnitzt eigentlich auch ganz gute Puppen. Die sind im Stil der Puppenkiste und die kann man ohne weiteres hernehmen."

Die Augsburger Puppenkiste bleibt also ein Familienstück.

"Wobei man nie das Gefühl hätt´, man wäre eine Marionette. Meine Mutter hat uns auch nie das Gefühl gegeben, eine Marionette in ihrem Theater zu sein. Wir waren immer unsere eigenständigen Persönlichkeiten."
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