Die Protestanten des Islams

Von Thilo Guschas |
Die Stellung der Frau im Islam ist ein scheinbar unerschöpfliches Medienthema. Mehr oder weniger differenzierte Berichte zum Thema loten aus, ob und wie stark der Islam die Frau unterdrückt. Ein Aspekt bleibt in den meisten Darstellungen ungenannt: die bestehenden islamischen Reformansätze. Unter ihnen ist eine feministische Bewegung, die sich um eine Neuauslegung der islamischen Quellen bemüht.
Louise Becker:
"Wir haben das häufig von christlichen Theologinnen oder auch christlichen Freunden gesagt bekommen: ’Ihr seid die Protestanten des Islams’."

Rabeya Müller:
"In bester protestantischer Manier, dieses sola scriptura, dass die Schrift das ist, was zählt, das eigentlich auch jeder Mensch das Recht hat, sich mit dieser Schrift zu beschäftigen."

Halima Krausen:
"Ich erlebe auch, dass Männer aus islamischen Ländern meine Tätigkeit ein wenig ungewohnt finden, weil ich mit Männern auch arbeite. Es kommt dann auf meine fachlichen Beiträge an, dass sie es dann auch sehr schnell schätzen."

Indre Andrea Monjezi-Brown:
"Feministische Theologie im Islam ist eigentlich relativ ähnlich zu den feministischen Theologien im Judentum und Christentum, wo es darum geht, zu gucken, was in den Schriften wirklich drinsteht, und die dementsprechend zu interpretieren, das heißt, die patriarchale Form der Interpretation noch mal zu durchleuchten, zu hinterfragen."

Die Hamburger Imam-Ali-Moschee, ein repräsentatives Gebäude mit einer farbenfrohen Schmuckkuppel, in unmittelbarer Nähe der Alster. Halima Krausen, eine Frau mit Kopftuch und einer Brille mit Goldrand, führt durch die Moschee.

"Also das ist der Punkt mit dem großen Echo." Guschas: "Er gefällt Ihnen?" "Er gefällt vor allen Dingen Kindern. Wenn Schulklassen herkommen, probieren die das immer aus mit verschiedenen Geräuschen. Aber zum Sprechen ist es besser hier am Rand."

Halima Krausen ist Imamin. Eine der wenigen Frauen, die dieses Gelehrtenamt innehaben.

"Also ein Beispiel, mit dem ich oft zu tun habe, ist Scheidung auf Initiative der Frau. Das ist ja in vielen islamischen Ländern kaum noch möglich. Da würde ich dann im Koran einen Beleg finden. Und da ist ein Beleg, der besagt, dass die Frau gegen eine Kompensation sich aus der Ehe lösen kann. Da gibt es dann Beispiele aus der Hadith-Literatur, wo das dann tatsächlich auch vorgekommen ist, wo eine Frau zum Propheten gekommen ist, und wo gesagt wurde: ’Der Mann hat ihr nichts getan, aber sie kann mit ihm nicht mehr leben, weil sie befürchtet, dass sie gar nicht mit ihm zufriedenstellend leben kann.’ Da hat er gefragt: ’Bist du bereit, ihm den Garten zurückzugeben, den er dir als Brautgabe gegeben hat?’ Und da hat sie gesagt: ’Ja’."

Krausen setzt sich an ihren Schreibtisch, auf dem ein Koran liegt. Das Buch sieht zerlesen aus und ist gespickt mit Merkzetteln. Gezielt schlägt sie eine Seite auf.

"Dann, so heißt es hier im Text, geht es darum, die Frauen entweder zu behalten oder endgültig zu entlassen: ’Fürchtet ihr aber, dass sie Gottes Schranken nicht einhalten können, dann soll für sie beide kein Vergehen darin liegen, in dem, was sie als Kompensation gibt. Das sind Gottes Schranken, also übertretet sie nicht’. Dieser zweite Satz, das, was sie von sich aus gibt als Kompensation, ist, wenn sie von sich aus die Scheidung bewirken will."

"Wenn Sie jetzt noch Töne brauchen - Ist Ali da? Nein, der Ali ist nicht da. Sag' mal, der Ali ist Koranrezitator." Am Telefon: "Salam aleikum." Krausen: "Wo bist du? Hinten? Ich hab einen Besuch, der hat ein Mikrofon. Könnte ich bei dir vorbeikommen? Kannst du vielleicht Sura Fatiha oder irgendwas lesen? Ja, komm ich vorbei. Bis gleich, Salam."

Wir durchqueren einige Flure, um zum Büro von Ali Hassani zu gelangen, dem Koranrezitator der Moschee. Auf unserem Weg beantwortet die Imamin Fragen. Lassen sich islamische und christliche Theologie eigentlich miteinander vergleichen? Nunja, meint Krausen.

"Da ist ja die Problematik eine ganz andere als bei uns. Die theologische Problematik mit Vater und Sohn, das sind ja schon männliche Assoziationen, während in der islamischen Theologie, da spricht man von Gott ja nicht in solch anthropromorphen Begriffen. Aber im Islam hat es schon Theologie und Recht aus Frauenperspektive. Da gibt es im Koran grundsätzliche Aussagen, über die ontologische Stellung von Mann und Frau. Mann und Frau sind vor Gott gleichgestellt. Für die gelten die selben ethischen Werten und die selben religiösen Pflichten. So müsste dann unterm Strich dann auch eine gleichgewichtige Rechtslage herauskommen. Und da ist ja schon einiges an Rechtsfragen aufzuarbeiten in der islamischen Welt, sei es, dass da irgendwas verallgemeinert worden ist, was im Koran kontextbezogen gesagt ist. Oder das in der späteren Rechtsentwicklung etwas so gelaufen ist, dass Frauen benachteiligt werden, in vielen Ländern der islamischen Welt und auch in der Vorstellung von vielen Muslimen hier."

Wir erreichen das Büro des Koranrezitators.

Krausen: "”Al-rigalu qawwamuna 'ala l-nisa'. Wir hatten darüber gesprochen. Es ist über feministische...""
Ali Hassani: "...Theologie."
Krausen: "Genau."
Ali Hassani: "Vers..."
Krausen: "...34."

Ali Hassani trägt die Sure "Die Frauen" vor. Für viele islamische Frauenrechtlerinnen ist diese Sure eine Schlüsselstelle im Koran. Sie handelt davon, wie sich Mann und Frau im Falle einer Ehekrise verhalten sollen.

Guschas: "Wir hatten ja schon darüber gesprochen." Krausen: "Das was die Kölnerinnen da verhackstückt haben, Surat al-Nisa."

"Die Kölnerinnen", das ist das "Zentrum für Frauenforschung und Frauenförderung" in Köln. Als ich für ein Interview das Zentrum aufsuchen will, verirre ich mich zunächst. Unter der angegebenen Adresse ist nur Wohnhaus - für das Zentrum gibt es keine Türklingel. Dann winkt mich durch einen Seiteneingang eine Frau herein. Sie begrüßt mich und gibt mir eine Führung.

"Also, das ist hier unser Hauptraum, in dem wir Tagungen miteinander haben und in dem wir den hermeneutischen Arbeitskreis abhalten, in dem auch häufig genug die Beratungen stattfinden."
Guschas: "Ich war ja so ein bisschen unsicher, wo ich Sie jetzt finden soll, weil gar kein Schild an der Tür ist!" Müller: "Das ist richtig. Das hat fast denselben Grund, warum Frauenhäuser nicht unbedingt an ihrer Tür ein Schild hängen haben. Denn trotz aller Vorsicht, mit der wir vorgehen, ist es so, dass wir nicht nur von wütenden Ehemännern gewisse Bedrohungen kriegen, sondern auch in Zeiten, wo der Islam allgemein wieder unter Beschuss steht, wir hier auch unter Beschuss stehen. " Guschas: "Ich hatte mal aufgeschnappt, dass hier gar keine Männer hereindürfen in Wirklichkeit!" Becker: "Ach was, nein! Das ist ein anderes Zentrum, das sind nicht wir! Wir haben eigentlich keine Berührungsängste."

Das "Zentrum für Frauenforschung" bietet Beratung für muslimische Frauen, in schwierigen Alltagssituationen und Lebenskrisen. Doch das ist nur der eine Bereich ihrer Tätigkeit, wie Rabeya Müller erklärt.

"Der andere Bereich ist die hermeneutische Arbeit, die wir machen. Eine Art Forschungsarbeit, um eine geschlechtergerechte Sichtweise auf den Koran miteinander zu entwickeln. Das kostet uns manchmal viel Zeit und Kraft. Da kann Ihnen Frau Becker mehr sagen, sie ist die Leiterin unseres hermeneutischen Arbeitskreises, der es in der Hauptsache macht."

"Wenn Gelehrte hingehen und Generalisierendes über den Islam beiseite schieben, um bereits vorgefasste, patriachale Meinungen in diese Texte mit hinein zu lesen. Darum ging es eigentlich."

Darum ging es eigentlich, als das Zentrum eine Broschüre mit dem Titel "Ein einziges Wort und seine große Wirkung" herausgegeben hat. Luise Becker sitzt an einem Glastisch, vor sich aufgeschlagen das daumendicke Heft. Das Thema ist die Sure "Die Frauen", die das Zentrum neu übersetzt hat. Die Broschüre dröselt auf, worin sich die bisherigen Übersetzungen von der Neufassung unterscheiden.

"Unser erst, oder das andere? Das andere: ’Die Männer stehen über den Frauen, weil Allah die einen vor den anderen ausgezeichnet hat. ’Und jene, deren Widerspenstigkeit ihr befürchtet, ermahnt sie, meidet sie im Ehebett und schlagt sie. Wenn sie euch dann gehorchen, so sucht gegen sie keine Ausrede. Wahrlich, Allah ist erhaben und groß.’ Das ist so eine dieser gängigen Übersetzungen. Und eine Übersetzung, die eine dem Koran gerechte, adäquate Übersetzung sein könnte, würde heißen: ’Die Männer stehen ein für die Frauen wegen dem, womit Allah die jeweils einen vor den jeweils anderen ausgezeichnet hat. ’Und wenn ihr annehmt, dass Frauen einen Vertrauensbruch begehen, besprecht euch mit ihnen, und falls keine Änderung eintritt, zieht euch zunächst aus dem Privatbereich zurück, meidet Intimitäten, und als letztes trennt euch von ihnen."

Müller:
"Der koranische Text in seiner arabischen Urfassung gibt so viele Deutungsmöglichkeiten her, dass ich denke, wir sollten endlich den Mut fassen, die auch auszuschöpfen, um für unsere Zeit etwas darauszuziehen."

Becker:
"Zum Beispiel aus ’qawwamuna 'ala’, aus dieser Zusammensetzung ein ’darüber stehen’ zu konstruieren, ist im Zusammenhang dieses Verses falsch. Zum Beispiel ergibt sich aus Versen davor und aus Versen danach, dass man diese Dinge nicht isoliert sehen kann, ohne die anderen Sichtweisen auf das Thema miteinzubeziehen. Also, wenn ich berücksichtige, in welcher Zeit wir damals lebten, und dann sage ’die Männer stehen für die Frauen ein oder die Männer stehen den Frauen in Verantwortung vor’, dann ist damit etwas anderes gemeint, als wenn ich sage ’die Männer stehen über den Frauen’."

Müller:
Ja, wenn man das Wort daraba betrachtet, das natürlich durchaus schlagen heißen kann, interessanterweise aber durchaus im Koran mehrfach vorkommt und nur an dieser Stelle mit schlagen übersetzt wird.

Becker:
"Das Wort wird in den meisten Konnotationen mit prägen übersetzt, mit prägen kommt es in sehr, sehr vielen Versen des Korans vor. Sehr häufig wird es auch im Zusammenhang mit ausziehen, auf einen anderen Weg ausziehen, auf Gottes Weg ausziehen. Auch das wird mit dem Wort daraba konnotiert. Außer ausziehen haben wir noch versiegeln, abwenden, vorenthalten."

Müller:
"Wenn man sich jetzt den Kontext anguckt, wie es im Koran drinsteht - wenn es irgendwelche Zwistigkeiten gibt, dann sprecht erst miteinander, trennt euch zeitweilig, und dann empfindet man es als absolut unlogisch, wenn dann kommt ’dann schlagt sie’, wie um Gottes willen soll ein solcher Schlag eine Ehe retten?"

Monjezi-Brown:
"Es geht gar nicht so sehr um Frauen. Es geht da um Männer. Weil Männer den Koran und die Sunna dazu benutzen, um Frauen zu unterdrücken. Das ist aber niemals Sinn der Sache gewesen. Das ist aber genau das, was passiert."

Die Kulturwissenschaftlerin Indre Andrea Monjezi-Brown.

"Jede Frau, die von Theologie keine Ahnung hat, und ihr Mann sagt ’Ja, ich darf dich schlagen, weil es ja so im Koran steht’, und sie keine Ahnung von der Auslegung hat - die Frau kann sich ja nicht wehren. Wenn sie aber sagen kann: Ich weiß aber, es ist soundso, ich bin aber Expertin meiner Religion, kann sie auch was gegen setzen. Denn es werden halt oft koranisch ausgeprägte Interpretationen von Männern benutzt, auch von Theologen, um Frauen zu unterdrücken. Mir fällt da ein Beispiel ein von Ahmed Tubrak, der ja über Männer geforscht hat zum Thema Zwangsheirat. Er fragt dann auch die Männer: ’Womit begründet ihr das?’ ’Ja, das steht so im Koran!’ Dann fragt er nach: ’Wo steht es denn genau?’ Dann können sie das nicht sagen. Was da geschieht ist die Demontage eines Menschens."

Monjezi-Brown treffe ich im sogenannten "Philosophenturm", einem Seminargebäude der Uni. Einer der wenigen Elfenbeintürme, die auch Praktiker betreten können, witzelt Monjezi-Brown.

"Ich würde sagen, das, was Halima Krausen macht und das ’Zentrum für islamische Frauenforschung’, das ist Theologie, und mein Ansatz ist eher Aktivismus. Zum Beispiel, mit drei Freundinnen zusammen machen wir einmal die Woche in Dulsberg ein Frauenfrühstück. Da geht es dann darum, migrantische muslimische Frauen der ersten und zweiten Generation so ganz kleine Hilfen zu vermitteln. Vor ein zwei Wochen war zum Beispiel eine Frau da, die hat einen Erste-Hilfe-Kurs für Säuglinge angeboten. Die war türkischsprachig und hat den Frauen gezeigt, was man tun muss, wenn ein Kind am Ersticken ist. Das ist überhaupt eine Form von Feminismus. Islamischer Feminismus heißt in dem Fall, überhaupt etwas zu machen."

Krausen:
"Das geht ja bis in die Prophetenzeit zurück. Da waren ja in der Prophetenfamilie, seine Ehefrau und seine Tochter Fatima, seine Enkeltochter, die in der Gesellschaft eine große Stellung hatten als Lehrerinnen, als theologische und rechtliche Gutachterinnen zum Teil auch. Die haben auch mit Männern zusammengearbeitet und haben auch Männer unterrichtet damals. Wenn man Gelehrtenbiografien liest, dass die wichtigsten Gelehrten - man gibt ja an, bei wem man studiert hat - da kommen Männer und Frauen vor, ganz selbstverständlich. Bis ins 13., 14. Jahrhundert rein ist es auch noch belegt, dass der Weltreisende Ibn Batuta, der hat da verschiedene Studienzentren besucht, und da durchaus bei den Gelehrten dort studiert - bei Männern und Frauen, und die hat er dort dann namentlich aufgeführt."

Monjezi-Brown:
Man sagt, die erste feministische Bewegung begann in Ägypten Anfang des 20. Jahrhunderts, Ende des 19. Jahrhunderts, wo sich Frauen zusammengetan haben und für ihre Bürgerrechte gekämpft haben. Und für Ägypten ist die Fachfrau Margot Badran, die darüber sehr viel geforscht hat.

"Im frühen 20. Jahrhundert schrieben Feministinnen Bücher und Artikel, die in den gängigen Magazinen veröffentlicht wurden, die sowohl von Frauen als auch von Männern gelesen wurden."

Die amerikanische Historikerin Margot Badran in ihrem Buch "Feministinnen, Islam und Nation", das Standardwerk über die Anfänge des islamischen Feminismus in Ägypten.

"[Diese Feministinnen] traten dafür ein, dass die Geschlechterrollen ein soziales Konstrukt sind, das nicht natürlich vorgegeben oder göttlich bestimmt ist. Nabawiyah Musa [war eine von denen], die verlangten, dass auch Frauen eine Chance auf Bildung und Arbeit bekommen. Nabawiyah Musa [sagte]: ’Die Männer schreiben so viel über die Unterschiede zwischen den Geschlechtern, dass man meinen könnte, sie reden von zwei unterschiedlichen Spezies. Man scheint dabei zu vergessen, dass geistige Gaben gefördert werden müssen. Es ist nicht fair, einen gebildeten Mann mit seiner Frau zu vergleichen. Wie lässt sich der Geist des Mannes, der Zugang zu Bildung und Welterfahrung hat, mit dem einer Frau vergleichen, die seit der frühen Kindheit vernachlässigt wurde? Ihre Potenziale wurden unterdrückt, sie wurde von allen Erfahrungen ferngehalten, bevor sich ihr Geist entfalten konnte’."

Die Wurzeln der modernen, islamischen Frauenrechtsbewegung reichen mehr als hundert Jahre zurück. Das ist nicht wenig, doch darauf ausruhen können sich die heutigen Frauenrechtlerinnen nicht.

Monjezi-Brown:
"Die Frauen müssen weiter kämpfen, sie haben ja keine Wahl - sie müssen hier ja leben. Ein großes Problem, was ich gerade in Deutschland sehe: Wenn muslimische Frauen eingeladen werden, auf ein Podium zum Beispiel, dann geht es nur darum, dass sie reagieren. Sie werden vorgeführt und nicht wirklich ernstgenommen. Es ist ganz selten, dass jemand sagt ’erzähl mir doch mal was zum Thema XY’."

Krausen:
"Kopftuch, Zwangsheirat, Ehrenmorde, dann kommt hier diese Katastrophe. Gerade in Deutschland kommt es mir immer wieder so vor, wenn ich bei Vorträgen schon mal Fragen gestellt kriege - oft ist es doch, dass in der Frage noch ein Vorwurf steckt. Da muss man erstmal reagieren. Da bleibt nicht viel Energie, konstruktiver zu arbeiten."

Müller:
"Einerseits wird immer beklagt, dass die Muslime immer in einem sehr konservativen Kontext leben, der Vorwurf der Parallelgesellschaften kommt da auf, und in dem Moment, wo es tatsächlich etwas ’protestantisches’, protestantische, revoluzzerische und/oder liberale Ideen gibt, werden die in vielerlei Hinsicht durchaus auch ignoriert."

Monjezi-Brown:
"Das sagen alle Frauen, dass sie im Prinzip mit jedem einzelnen Menschen reden müssten, um klarzustellen, dass eine Frau mit Kopftuch nicht gleich eine Terroristin ist, dass Frauen ohne Kopftuch nicht automatisch keine Muslime sind und so weiter und so fort. Und das ist extrem mühsam, dieser Prozess, und er ist in Deutschland gerade sehr verhärtet und wird weiter angeheizt."

Monjezi-Brown ist bescheiden. Fragt man sie nach ihrem Engagement, dann erzählt sie von dem Frauenfrühstück, das sie organisiert. Dabei sie setzt sich auch international für die islamische Frauenbewegung ein. Aus einem Rucksack holt sie Flyer heraus, die sie aus Kanada und Malaysia mitgebracht hat, wo sie an internationale Tagungen zum islamischen Feminismus teilgenommen hat.

"Es gibt in jedem Land auch Beratungsstellen. Ich habe auch noch einen Flyer mitgebracht aus New York, das ist die gleiche Beratungsstelle wie die in Köln, die machen halt soziale Beratung für Frauen. Zum Beispiel, ich habe noch ein anderes Projekt. Das ist aus Kanada. Da gibt es das Canadian Council of Muslim Women. Die sind auf die Idee gekommen, dass sie die islamischen Grundlagen nochmal nachgelegt haben, und dann Faltblätter entwickelt haben zu dem Thema Erben, Heirat, Eheverträge, Familienbesitz, Scheidung und so weiter. Der weltweite Diskurs richtet sich in erster Linie auf theologische Diskurse. Also ich denke, so richtig groß aufgelegt gibt es das erst seit zehn Jahren. Es liegt auch einfach daran, dass sich die technischen Möglichkeiten verändert haben. Zum Beispiel ist es jetzt möglich, für Frauen in Saudi-Arabien im Internet unter gewissen Umständen jetzt mitzumachen. Das heißt, das Internet spielt bei diesen Diskursen eine extreme Rolle. Weil man nicht unbedingt das Haus verlassen muss, um mitzumachen."

Islamische Frauenrechtlerinnen sind weltweit vernetzt. Seit einigen Jahren gibt es auch länderübergreifende Vereinigungen. Eine von ihnen ist WISE. Dort will man die theologische Ausbildung von Frauen vorantreiben, und zwar in so vielen Ländern wie möglich - in der Auseinandersetzung mit männlichen Theologen zählt nicht nur, wie viele Argumente man hat, sondern auch, wie viele Mitstreiter es gibt. Doch die globale Zusammenarbeit hat ihre Grenzen. Vielfach kämpft man gar nicht an denselben Fronten.

"Pakistanische Frauen haben sehr hart mit Clanstrukturen zu kämpfen. Das ist gar nicht auf Religion bezogen. In Deutschland ist das so, muslimisch zu sein ist gar nicht das Problem, sondern das Problem besteht, wenn man einen Hijab tragen möchte. Also die Kopftuchdebatte ist in Deutschland ein extremer Hemmschuh. Und in den USA ist extrem schwierig, den Leuten klarzumachen, dass die Ereignisse vom 11. September, dass das nicht der Islam ist. Das ist das Problem der Amerikaner. Und wenn ich in westafrikanische Länder gucke, wo es um Frauenbeschneidung und solche Sachen geht, die dann nicht unbedingt religiös begründbar sind, aber wo gerade Frauen aus muslimischen Communities aktiv gegen kämpfen, dann sind es wieder ganz andere Probleme."

Etwas, das alle Länder vereint, ist die Frage nach der Deutungshoheit. Wer darf bestimmen, was der Koran bedeutet? Einige muslimische Gelehrte behaupten: Eine feministische Lesart des Korans brauche man nicht ernst zu nehmen. Sie sei nicht "echt" - sondern bloß Importware aus dem Westen, besonders, wenn die Feministinnen selber gar nicht aus dem Orient stammen.

Müller:
"Es gibt keine Option auf den Islam, was die Nation und die Region angeht und ich denke, das ist eine Möglichkeit, sich nicht mit den Inhalten auseinandersetzen und nicht mit den Thesen - nennen wir es ruhig einmal Thesen - abzuqualifizieren, um sich nicht mit ihnen auseinander setzen zu müssen. Das halte ich für eine etwas polemische Art und Weise, die ich für meine Begriffe nicht sehr ernstnehmen kann, weil ich glaube, dass diese Leute sich auf diese Weise selber diskretieren."

Krausen:
"Ich habe es erlebt, dass ich von meinem Lehrer und anderen Gelehrten, bei denen ich studiert habe, sehr gefördert worden bin, was Frauenperspektiven angeht, auch ermutigt worden bin, eigene Frauenperspektiven zu einzubringen."

In ihrem Studium hatte sie nicht viele weibliche Mitstudentinnen, erzählt Halima Krausen. Doch das sei gar kein Problem gewesen. Für sie stand das Thema selbst im Vordergrund, weniger die äußeren Umstände.

"Bei wir war es so, als ich als studiert habe, Recht und Theologie, ich habe bei verschiedenen Gelehrten in Europa und der islamischen Welt studiert und bei meinem Vorgänger hier auch, der mir dann die Wege geebnet hat, seine Nachfolgerin zu werden, und dann habe ich hier meine Abschlüsse gemacht. Das war jetzt nicht unbedingt gleich so eingeplant, bei mir ist es so, wenn ich etwas wissen will, dann will ich es richtig wissen. Und ich bin ja in den 60ern zur Schule gegangen, da hab ich ja schon als Teenager gewusst, was auch immer ich damit anfangen kann, ich möchte es studieren - Theologie und Recht im Islam."

Müller:
"Hach! Das ist entstanden aus den heißen Diskussionen, wie soll ich das jetzt sagen, innerhalb unserer verschworenen Frauengrüppchen. Das gibt dann immer sowas Anrüchiges, was man da sagt. Wir haben natürlich untereinander diskutiert und festgestellt, dass wir ein ziemliches Potenzial an Einzelpersönlichkeiten haben, und dachten, es ist Zeit, das zu systematisieren. Ich bin ja beruflich sehr engagiert, wie Frau Becker, im ’Institut für Interreligiöse Pädagogik’, da haben wir viele Kurse gegeben, und dadurch auch viele junge Frauen kennengelernt, die immer mit der gleichen Art von Fragen an uns herangetreten sind. Da haben wir gesagt: Man muss den Leuten doch eine Plattform bieten, um mit ihnen zusammen Antworten zu finden."

Monjezi-Brown:
"Dann ist ein Problem, ob eine Frau, wenn sie ausgebildet ist, auch gehört wird."

Krausen:
"Mit den deutschen Muslimen - die bringen manchmal ihre Vorurteile mit. Da dauert es ein wenig länger, mit Männern und mit Frauen."

Müller:
"Ich weiß noch, das Schärfste, was mir mal passiert ist, war, es war ein katholischer, nein sogar evangelischer Theologieprofessor, und als ihm gesagt habe, wir würden uns bemühen, eine geschlechtergerechte Sichtweise auf den Koran zu entwickeln, war sein Kommentar: ’Jetzt fangen die auch noch an!’ Und dann habe ich gedacht: Oha, offensichtlich gibt es nicht nur Vorbehalte in Bezug auf unsere Arbeit, die gehen quer durch die Religionen."

Monjezi-Brown:
"Das klassische Argument ’nehmen Sie doch das Kopftuch ab’ ist auch kein Argument. Für Frauen aus einem orientalischen Land, wenn die ihr Kopftuch abnehmen, haben die immer noch einen Habitus, der dem Mainstream nicht entspricht. Wenn eine blonde Frau kein Kopftuch trägt, ist das schon eine Sache. Aber bei den anderen, um es mal ganz platt zu sagen, ein türkisch aussehendes Mädchen wird immer noch türkisch aussehen und wird immer noch diskriminiert. Wenn man sich mit türkischen Menschen unterhält, die säkular geprägt sind, auch die berichten von Rassismus. Es ist nicht auf den Islam zurückzuführen. Ich denke, Deutschland hat ein großes Rassismusproblem."