Die Präsidentenwahl im Spiegel des Unbewussten

Von Astrid von Friesen · 15.03.2012
Die Nominierungen von Joachim Gauck und Beate Klarsfeld für das Amt des Bundespräsidenten ist kein Zufall, sondern voll unbewusster Notwendigkeit. In diesem historischen Moment trifft die Aufarbeitung des Faschismus mit der Aufarbeitung der DDR-Diktatur zusammen, meint Astrid von Friesen.
Im Leben jedes Individuums ebenso wie im Leben jeder Nation gibt es schmerzhafte Themen, die im Unbewussten schlummern und die niemand gerne berührt. Es bedarf entweder der Zeit, veränderter historischer Umstände oder ausdrucksstarker Persönlichkeiten, um den Prozess der Öffnung und der Konfrontation mit den verdrängten Tabus voranzutreiben.

Ein Beispiel: Es brauchte quasi die moralische Erlaubnis durch die Fußballweltmeisterschaft 2006, damit auch in Deutschland der normale Stolz jeder Nation gelebt werden durfte, als plötzlich die schwarz-rot-goldenen Fahnen voll Begeisterung geschwungen wurden.

So sind die Nominierungen von Joachim Gauck und Beate Klarsfeld kein Zufall, sondern voll sozialer Bedeutungsschwere und unbewusster Notwendigkeit. In diesem historischen Moment ihrer Kandidatur trifft die Aufarbeitung des Faschismus, der sich Beate Klarsfeld und ihr jüdischer Mann so heftig gewidmet haben, mit der Aufarbeitung der DDR-Diktatur, für die Joachim Gauck steht, zusammen. Personifiziert durch diese beiden Kandidaten für das höchste Staatsamt.

Beate Klarsfeld stößt eine erneute Auseinandersetzung mit dem Faschismus und dessen Folgen für die Politik nach 1945 an. Dass sie gerade von der Linken nominiert wurde, erscheint auf den ersten Blick paradox. Denn die Linke ist nicht nur überidentifiziert mit den Opfern, sondern übersieht und negiert weitgehend die Täter in den eigenen Reihen - so wie viele Ostdeutsche, die deswegen Gauck ablehnen und außerdem ignorieren, dass es in der DDR sehr wohl Faschisten gab, auch in der Nomenklatura.

Denn dass angeblich alle Faschisten in den bösen Westen entschwunden gewesen seien, beruht auf einem Mythos, woraus sich der Gründungsmythos der DDR speiste. Er bedarf einer positiven Grundannahme, einer Selbstvergewisserung, zu den "Guten" zu gehören, weswegen das "Böse" wunderbar - und im Fall der DDR sogar offiziell - abgespalten werden konnte. So wie der Kalte Krieg geprägt war von diesen Spaltungsphänomenen in "Gut" und "Böse" auf allen Seiten.

Deswegen kann man sagen: Die Linke hat unbewusst eine Frau zu ihrer Kandidatin gekürt, die jetzt diese Auseinandersetzung innerhalb und mit der Linken vorantreiben wird. Frei nach dem Motto: Jeder wählt sich das aus, was er verdient!

Beate Klarsfeld kämpfte - im engeren Sinn - stellvertretend den Kampf ihres jüdischen Mannes und aller empörten Deutschen nach Beendigung des Faschismus. Und das mit körperlichem Einsatz und Gefängnisaufenthalten. Joachim Gauck kämpfte dagegen in der DDR den Kampf der eigenen Generation und personifiziert damit eine kleine Minderheit, die sich wehrte und schlussendlich das gesamte Staatsgebilde zum Einsturz brachte.

Einerseits erinnert er damit an das Faktum, dass die Deutschen Hitler und das Böse nicht selbst besiegt haben. Andererseits befreit und entlastet er damit stellvertretend gerade die Älteren in West und Ost von der Scham und der Schande, dies nicht vollbracht zu haben.

Und damit hat er, wie kein Bundespräsident vor ihm, die einmalige Chance, Opfer und Täter, Diktaturträger, Mitläufer und Leidende, West- und Ostdeutsche zu versöhnen - wenn er allen Gruppierungen, jenseits des moralischen Zeigefingers, wie ein guter, jedoch nicht notwendigerweise perfekter Vater, Gehör schenkt und sie wahrnimmt.

Die Klugheit des "sozialen Unbewussten" ist, dass diese beiden Figuren die Deutschen zwingen, sich zum wiederholten Mal, aber auf einer neuen Ebene damit auseinanderzusetzen, dass es nur ein Deutschland gibt und die Nation unter zwei Diktaturen gelitten hat.

Astrid von Friesen, Jahrgang 1953, ist Journalistin, Erziehungswissenschaftlerin, sowie Gestalt- und Trauma-Therapeutin. Sie unterrichtet an den Universitäten in Dresden und Freiberg, macht Lehrerfortbildung und Supervision. Im MDR-Hörfunkprogramm "Figaro" hat sie eine Erziehungs-Ratgebersendung. Außerdem schreibt sie Bücher, zuletzt: "Schuld sind immer die anderen! Die Nachwehen des Feminismus: frustrierte Frauen und schweigende Männer" (Ellert & Richter Verlag Hamburg).
Astrid von Friesen
Astrid von Friesen© privat
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