Die Pop-Rabauken

Von Tarik Ahmia · 05.12.2005
Das hat es schon lange nicht mehr gegeben: Eine unbekannte Teenagerband steigt mit einer Ballade von Null auf Eins in die deutschen Charts ein. Anschließend räumt sie alle "Newcomer Preise des Jahres" ab, die das deutsche Show-Geschäft zu bieten hat. Die Rede ist von Tokio Hotel aus Magdeburg, auf die sich nun die Boulevardpresse stürzt.
" Achtung… Mädels… Bleibt ganz ruhig… Au Weia. Jetzt wird’s laut. Der Comet für den besten Newcomer 2005 geht an … Tokio Hotel… (Gekreische) "

Es war schon etwas unheimlich, wie 8000 hysterisch kreischende Teenies im Oktober die vier Jungs von Tokio Hotel feierten, die noch ein paar Monate zuvor ganz normale Teenager waren. Bill Kaulitz, der androgyn auftretende Frontjunge mit jeder Menge Haarlack, Kajal und schwarz lackierten Fingernägeln hatte dann auch so eine Vorahnung:

" Das macht uns langsam Angst. Ich glaube, damit hat keiner gerechnet. Unser Leben hat sich so schnell verändert. Es ging alles so schnell, und das alles nur wegen diesem einen Song. Wir sind da so dankbar für. "

Das war schon irgendwie niedlich. Der Comet sollte erste der Anfang für die vier Magdeburger sein. Im November bekamen sie die "Eins Live Krone" vom WDR als beste Newcomer und dann noch letzte Woche einen "BAMBI" in der gleichen Kategorie.

Doch die 16- bis 18-jährigen Idole der Zahnspangengeneration scheinen ihren rasend schnellen Erfolg nicht gut zu verkraften. Von ihrer Schule haben sich drei der vier Musiker bereits für ein Jahr abgemeldet. Zu nervig wurden die Nachstellungen der Fans. Neuerdings macht die Band Schlagzeilen mit Skandalen, die ein gefundenes Fressen für die Boulevard-Presse sind. Auch wenn sie nicht immer der Wahrheit entsprechen.

Insbesondere die "BILD"-Zeitung schoss sich auf die Jungstars ein: "Fummel Alarm bei Tokio Hotel" und "Suff Orgie! Jugendamt will Tokio Hotel trocken legen" titelte die "BILD"-Zeitung in den letzten Tagen für ihre elf Millionen Leser. Allerdings scheinen diese Skandale weniger dem exzessiven Lebenswandel der Band geschuldet, als dem Erfindungsreichtum der Zeitung.

Denn die von "Bild" veröffentlichten Knutschfotos der Musiker mit weiblichen Fans waren kein Beleg für "peinliche Knutsch- und Fummel Marathons", wie die Zeitung schrieb, sondern wurden anscheinend selbst von der "Bild"-Zeitung inszeniert. Eines der abgebildeten Mädchen berichtet in einem Zeitungsartikel sogar von der nachdrücklichen Forderung des "Bild"-Reporters: "Ich will Küsse sehen!"

Musik "Lass Uns Hier Raus":
"Wir sind ne Boygroup und gecastet sind wir auch.
Und nächsten Sommer lösen wir uns wieder auf.
Vier kleine Träume an Deiner Wand.
Am nächsten Morgen hast Du die Poster schon verbrannt
Und die nächsten in der Hand"

Auch zum jüngsten Einschreiten des Jugendamtes wäre es ohne die verzerrte "Bild"-Optik wohl nicht gekommen. Denn an der angeblichen "Suff Orgie", die das Jugendamt alarmierte, war nicht viel dran. Von den "Mengen hochprozentiger Cocktails mit Wodka" ist am Ende nur ein einziger "bunter Drink" übrig geblieben, so dass auch die "BILD"-Zeitung nur noch von einem "Alkohol Ausrutscher" schrieb.

Chorknaben sind Tokio Hotel aber dennoch nicht. Das Hausverbot für die Band in einem Berliner Luxushotel nach drei wilden Nächten ist verbürgt. Den Jungs von Tokio Hotel ist es aber kaum zu verdenken, dass sie bei dem Spiel um Schlagzeilen mitmachen. Denn ihr Ruhm könnte schon vorbei sein, bevor der erste Bartwuchs einsetzt.

Das Gespräch zum Thema mit Uscha Wegner vom Verlag Cultfish, in dem Zeitschriften wie "Go Girl" und "Top of the pops" erscheinen, können Sie bis zu sechs Wochen nach der Sendung in unserem Audio-On-Demand-Player hören.