"Die Politiker sind sicher keine besseren Top-Manager"

Notker Wolf, Abtprimas der Benediktiner, im Gespräch mit Christel Blanke und Heidrun Wimmersberg · 25.10.2008
Der Abtprimas der Benediktiner, Notker Wolf, hat sich gegen eine Verstaatlichung der Finanzwirtschaft ausgesprochen. Es wäre schlimm, wenn die Regierung nun meinte, Unternehmen leiten zu können, sagte Abtprimas Notker Wolf. Gleichzeitig verteidigte er die Manager. Diese seien genauso wie andere Menschen und liefen Gefahr, gierig zu werden.
Deutschlandradio Kultur: Abtprimas Notker, Sie werden häufig als Manager eines Unternehmens bezeichnet, des Unternehmens Benediktinerorden mit mehr als 7000 Mönchen und 17.000 Nonnen als Angestellten. Hat Ihr Unternehmen eigentlich Geld in Wertpapieren angelegt?

Abtprimas Notker: Einzelne Klöster haben sicher Geld auch in Wertpapieren angelegt. Wir selber in St. Anselmo hier in Rom, wir konnten nichts anlegen, weil wir nichts haben.

Deutschlandradio Kultur: Womit verdient dann Ihr Unternehmen das Geld?

Abtprimas Notker: Wir werden unterstützt seitens des Benediktinerordens. Jedes Kloster muss pro Insasse 35 Euro pro Jahr zahlen, damit kommen wir also nicht sehr weit, das sind nicht mal 500.000 Euro im Jahr, muss aber damit eine Hochschule umtreiben und auch ein Wohnkolleg. Die müssen natürlich Pension zahlen, die 120 Leute, die bei uns wohnen. Und die Studenten müssen Studiengebühr zahlen. Das beläuft sich auf 1.000 bis 1.200 Euro. Also, wir haben ein Budget mit dem wir eine Universität von 450 Studenten umtreiben, für die Universität wie für das Kolleg zusammen 2,3 Millionen. Die Hochschule selber kostet uns eine Million Euro. Und ich muss dann eben losziehen, wir sind jetzt dabei St. Anselmo zu renovieren. Dafür haben wir keine Gelder. Was wir bekommen, das geht eben nur für die laufenden Kosten. Und ich bin halt jetzt immer auf der Suche nach Sponsoren. Nun ist das im Moment sicher alles andere als sehr leicht.

Deutschlandradio Kultur: Sind Sie daher indirekt auch von der Finanzkrise betroffen?

Abtprimas Notker: Also, von daher gesehen sicher, nicht zuletzt aber auch mitunter durch meine Kritik an manchen Managern. Ich kann nicht erwarten, wenn ich Kritik übe, dass dann der Betreffende sein Portemonnaie öffnet.

Deutschlandradio Kultur: Wir erleben ja immer wieder, dass - sei es in der Finanzmarktkrise oder in Schmiergeldaffären oder ähnlichem - Vorstände und Aufsichtsräte sagen, sie wussten von nichts. Sie, Abtprimas Notker, sind Unternehmensbeirat bei der Gothaer Versicherung. Sie sind also ein bisschen involviert, wie das so läuft in so einer Spitze eines Konzerns. Können Sie sich das tatsächlich vorstellen, dass jemand in solcher Position nichts mitbekommt?

Abtprimas Notker: Wenn sie sagen, sie wussten nichts, dann hätten sie eigentlich schon längst abgesetzt werden müssen. Denn an einer solchen Position gehört nun auch einmal das Know-how dazu. Aber es ist erstaunlich, wenn so eine Immobilienblase hochgeht, wie dann alle auf einmal in dieselbe Richtung laufen, wie die Lemminge - Topmanager und auch die anderen Manager sind und bleiben Menschen. Die können sich genauso täuschen wie die anderen und sind auch genauso schwach, laufen dem Geld genauso nach. Die Leute, die ja jetzt alle kritisieren, ich tue das natürlich auch, aber die das kritisieren, viele an der Basis, ich glaube, wenn sie oben wären und die Gelegenheit hätten zuzugreifen, würden sie es genauso tun. Das ist nun mal der Mensch.

Meine Kritik kommt immer von dieser generellen Warte aus, wer der Mensch eigentlich ist, wie er sich verhält, wie er sich benimmt. Und da sind eigentlich die Topmanager nicht anders als alle anderen Leute. Nur meinen wir immer, das seien die Götter, so wie wir früher auch gemeint haben, die Chefärzte seien die Götter in Weiß. Immer wieder suchen wir natürlich auch nach Vorbildern und sind natürlich umso betroffener, wenn es daneben geht.

Deutschlandradio Kultur: Sie haben jetzt die ganze Zeit schon immer von der Kritik an den Managern geredet. Aber was konkret werfen Sie den Topp-Managern vor?

Abtprimas Notker: Wenn nur mehr auf Geld geschaut wird, auf maximalen Gewinn und natürlich vor allem auch an die eigene Tasche. Die sind zum Teil, das ergibt sich fast automatisch, so weit von der Wirklichkeit weg, dass ein Topp-Manager sich gar nicht mehr vorstellen kann, was es bedeutet für einen Arbeiter, seinen Arbeitsplatz zu verlieren und plötzlich auf der Straße zu stehen mit seiner Familie. Das ist fast systembedingt. Und wenn dann noch Topp-Manager meinen, sie müssten eigentlich noch mehr verdienen und dann in die USA gucken, dann - würde ich sagen - sollen sie ruhig losziehen. Wir haben genügend Junge in den Startlöchern und so großartig waren sie in den letzten Jahren auch nicht immer. Vielleicht waren sie es früher auch nicht so, nur ist nicht so vieles aufgekommen bzw. die ganzen Dimensionen sind einfach so groß geworden.

Welche Summen von Geldern heute hin- und hergeschoben werden rund um den Globus, da braucht es einfach Rahmenbedingungen. Da reichen die nationalen nicht mehr.

Deutschlandradio Kultur: Viele erwarten jetzt von Finanzmanagern Reue und Demut. Ist das gerechtfertig? Haben viele doch letztendlich im guten Glauben gehandelt?

Abtprimas Notker: Also, davon bin ich überzeugt, dass sie sich dessen gar nicht bewusst waren, was sie eigentlich getan haben. Aber der kleine Shareholder, der kleine Aktienbesitzer, möchte der nicht auch den größtmöglichen Gewinn haben? Deshalb geht es ja auch vielen jetzt so schlecht. Sie haben ein Angebot bekommen von irgendeinem Vermittler für 25 Prozent Rendite, diese Hypothekenaktien und dergleichen mehr. Ja, da wurde zugegriffen, weil wir alle größtmögliche Rendite wollen.

Ich glaube, nicht nur die Manager sollten sich an der Nase packen, wir alle sollten es.

Deutschlandradio Kultur: Reue und Demut, darüber haben gerade gesprochen, das sind auch religiöse Werte. Die Anglikanische Kirche hat ein Gebet für die Finanzkrise ins Internet gestellt, das ungeheuer oft runter geladen worden ist. Zeigt das eigentlich, dass es eine Rückbesinnung auf christliche, religiöse Werte gibt? Oder ist das jetzt nur ein Strohfeuer wegen der Krise?

Abtprimas Notker: Ich bin noch nicht ganz so überzeugt von der Rückbesinnung auf christliche Werte. Die kommen natürlich in solchen Fällen dann wieder stärker hoch, auch wenn es gegen Korruption geht, was da ja auch vor einem halben Jahr alles in Deutschland gelaufen ist. Es gibt Leute, und zwar eine ganze Reihe, die ernsthaft darum besorgt sind und sich ernsthaft Gedanken machen. Ich kenne also etliche Unternehmer. Ich glaube aber nicht immer, dass die dann alle so ethisch hinterher handeln, die ganzen Leute, die jetzt Werte wollen. Denn Werte zu verwirklichen, bedeutet nicht selten auch einen Verzicht üben. Und wer ist schon dazu bereit?

Deutschlandradio Kultur: Zählt also ein Wert wie Moral oder Ethik nicht mehr in einer globalisierten Welt?

Abtprimas Notker: Das Problem ist immer wieder, was ich für richtig erkannt habe, auch durchzuführen, wenn einfach die Gier im Menschen zu stark wird, das Verlangen nach mehr Lust und dergleichen, was wir ja auch vom Tierreich mitbekommen haben. Den Menschen macht es eigentlich aus, sich selber in der Hand zu haben, Selbstdisziplin zu üben und damit gute Werte verwirklichen zu können.

Deutschlandradio Kultur: Sie sprachen gerade vom Verzicht, der geübt werden muss. Aber was raten Sie einem Unternehmer oder einem Manager? Wo soll der anfangen mit Verzicht? Bei seinem eigenen Gehalt?

Abtprimas Notker: Natürlich beim eigenen Gehalt. Ich würde sagen, er soll seines bekommen, das, was er braucht, auch was ihm vielleicht aufgrund seiner Fähigkeiten zuerkannt wird. Boni sind nicht unbedingt das Schlechteste. Es sind ja Anreize. Wir haben früher als Kinder in der Schule Fleißbillettchen bekommen, wenn wir mehr getan haben oder dann auch etwas gebracht haben. Es geht mir um das rechte Maß.

Der Heilige Benedikt spricht in seiner Rede davon: "Der Abt möge in allem, was er anordnet und was er tut, immer das rechte Maß bewahren. Das rechte Maß sei die Mutter aller Tugenden." Denn wir sind ja auch oft unmäßig in den Erwartungen. Ich kann ja jetzt auch nicht erwarten, dass die Topp-Manager lauter Heilige sind, aber wir wollen es fast so, als müssten die total distanziert zu Geld, zu Macht, zu Anerkennung oder Position sein. Das geht nicht. Da überfordere ich jemand. Das sind keine geborenen Heiligen. Das müssen sie erst werden. Das geht über Stolpersteine.

Deutschlandradio Kultur: Sie haben einmal gesagt: "Wenn Sie nach Deutschland blicken, dann sehen Sie eine Gesellschaft von Ängstlichen und Verzagten." Da müssen Sie ja jetzt ziemlich überrascht gewesen sein, in welcher Geschwindigkeit die Politiker aller Couleur hierzulande ein Rettungspaket geschnürt haben.

Abtprimas Notker: Ja, das war ich auch. Und ich muss da Frau Merkel und Herrn Steinbrück meine Anerkennung zollen Wir hoffen, dass es damit klappt. Erstaunlicherweise hört man in dieser ganzen Zeit so wenig von den üblichen Kritikern, nämlich von der Linken. Aber da sitzt ja der Chef im Aufsichtsrat der KfW. Und die KfW hat ja auch über 300 Millionen hineingebuttert in die Lehman & Brothers.

Ich glaube, wir müssen uns alle an der Nase packen, uns fragen: Wozu brauche ich einen Gewinn von 25 Prozent? Reicht es nicht auch mit weniger? Das rechte Maß einzuhalten, das wäre es. Aber dass jetzt rasch gehandelt wurde von Seiten der Bundesregierung, finde ich gut. Schlimm empfände ich es, wenn nun die Regierung meint, Unternehmen leiten zu können und alles bewirtschaften zu können. Die Politiker sind sicher keine besseren Topp-Manager als die Leute, die eben jetzt oben dran sind.

Deutschlandradio Kultur: Sie kritisieren ja auch immer wieder das Bedürfnis vieler Deutscher nach gesetzlichen Regeln und fordern ja auch das Gegenteil, nämlich weniger Staat und mehr Eigenverantwortung. Zeigt aber nicht gerade so eine Finanzmarktkrise, wie wir sie gerade erleben, dass es ohne Gesetze und Kontrolle nicht geht?

Abtprimas Notker: Ja, ich bin sehr für Kontrolle, und zwar bei diesen ganzen Finanztransaktionen, die heute eben global laufen. Dafür haben wir noch keine Gesetze. Da fehlt die Kontrolle, auf dem internationalen Markt. Jetzt ist ja alles global geworden. Da bräuchte es dann auch eine Abstimmung, wie es früher zum Teil schon mal der Fall war. Wir bräuchten neue Regelungen, die einfach es hier nicht mehr ermöglichen, dass einige dieser Investmentfondleute oder andere hier so viel Geld machen können. Sondern es muss ein Riegel vorgezogen werden und auch eine Kontrolle muss kommen. Nur glauben wir ja nicht, dass mit Kontrolle schon alles erledigt sei. Es bedarf auch noch des ethischen Selbstbewusstseins eines jeden Einzelnen. Wenn die Menschen nur deshalb 120 auf der Straße fahren, weil eine Geschwindigkeitsbeschränkung vorgegeben ist oder weil die Polizei dort steht, ich glaube, das ist nicht das Eigentliche. Wir brauchen die Rahmenbedingungen. Wir brauchen aber auch den inneren Impuls, auch selber gut zu handeln.

Deutschlandradio Kultur: Aber hätten Sie denn wirklich das Vertrauen, dass die Menschen nicht 120 fahren würden, wenn sie es dürften, also wenn es keine entsprechenden Gesetze gäbe?

Abtprimas Notker: Ja, ich meine, die würden natürlich mehr fahren. Aber die Frage ist jetzt, wenn es auf 120 begrenzt ist, ob es eingehalten wird, falls nicht geblitzt wird?

Deutschlandradio Kultur: Also Kontrolle, Freiheit, aber Kontrolle.

Abtprimas Notker: Ja, genau. Und dass Rahmenbedingungen wie im Verkehr auch gesetzt werden müssen, keine Frage, wenn es zum Wohl des Ganzen geht.

Deutschlandradio Kultur: Aber es ist ja schon schwer, eine gewisse innere Überzeugung hinzubekommen, das, was Sie ja gerne hätten, dass man freiwillig vielleicht jetzt - nehmen wir das Beispiel mit dem Autofahren - 120 fährt, weil man weiß, damit schade ich mir selbst nicht, das ist ökologisch und soweiter.

Abtprimas Notker: Sicher, es wird immer so sein. Welches Menschenbild habe ich eigentlich? Ich kann sagen, ich muss alles kontrollieren. Und der Mensch wird immer wieder durch flutschen, gar keine Frage. Aber wenn ich meine, mit Gesetzen und Regelungen alles super regulieren zu können und damit den guten Menschen hervorzubringen, dann - würde ich sagen - ist das ein Misstrauen gegen den normalen Menschen und ein Irrglaube, wir könnten durch Gesetze alles regeln.

Deutschlandradio Kultur: Wenn es nach Ihnen ginge, würden auch die Bezüge für Hartz-IV-Empfänger gekürzt. Also, auch dort würde nicht so viel geregelt werden, weil Sie glauben, dass die Menschen sich dann schneller wieder selber Arbeit suchen würden. Wie erklären Sie das einer alleinerziehenden Mutter mit zwei Kindern, die keinen Job bekommt, weil sie auf ihre Kinder aufpassen muss?

Abtprimas Notker: Es kommt auf die Fälle an. Und es wurde damals nie weiter kolportiert, was ich eigentlich gesagt habe. Wenn jemand zu faul ist, nun wirklich eine Arbeit zu übernehmen - und ich kenne genügend Fälle, wo die Leute sagen, Mensch, dieser Job bringt mir nicht mehr, als wenn ich Hartz IV bekomme, und dann kriege ich ja noch soundso viele Beihilfen, dann geht's mir ja eigentlich schlechter, wenn ich arbeite -, diese Dinge sollten vermieden werden.

Was anderes ist es, wenn jemand echte Hilfe braucht. Der soll sie bekommen. Da besteht die Mitverantwortung der besitzenden Gesellschaft, keine Frage.

Deutschlandradio Kultur: Sie kritisieren ja auch die Familienpolitik der CDU, die die Krippenplätze ausbauen will, damit Frauen wieder arbeiten gehen können. Sie wollen ja auch, dass die Menschen die Freiheit haben, eigenverantwortlich zu handeln und zu arbeiten. Das ist gerade in Ihrem Orden ein hohes Gut. Wir fragen uns, warum es diese Wahlfreiheit für Frauen nicht gibt.

Abtprimas Notker: Die Frauen sollen ruhig arbeiten dürfen. Und ich bin auch nicht grundsätzlich gegen Kindertagesstätten. Ich habe aber ein bisschen ein anderes Familienbild. Wir müssen die Realität nehmen, und da brauchen wir das. Aber ich denke zurück, und das wäre immer noch im Hintergrund ein Ideal, was wir sehen sollten, eben nicht die Kleinfamilie oder die Patchworkfamilie. Da brauche ich dann diese Dinge oder gerade durch unsere moderne Arbeitssituation. In früheren Zeiten war es mal die Großfamilie. Da war ein Kind automatisch aufgehoben. Da konnte die Mutter auch weggehen zum Arbeiten, der Vater genauso, weil die Großeltern noch dabei waren. Wir haben heute eine Prothesengesellschaft. Und ich sehe ein, dass die Prothesen notwendig sind, aber die sind aufgrund unserer modernen Gesellschaft, die Verschiedenes nicht mehr akzeptieren möchte, was eigentlich zum Grundmenschlichen gehört.

Deutschlandradio Kultur: Für Sie ist aber der Sozialstaat "ein Käfig der Bequemlichkeit". Was würden Sie also ändern?

Abtprimas Notker: Ich würde einfach, wie bei Hartz IV, zum Beispiel Dinge beschränken. Wie gesagt, ich bin nicht für die Absenkung des Hartz-IV-Betrages, sondern es geht um die Einzelfälle. Und ich würde auch sagen, die Grundhaltung der Bevölkerung müsste wieder die sein, ich muss mir selber helfen. Und das geht schon dann wieder los, wenn Nachhilfeunterricht gebraucht wird. Warum kann das nicht innerhalb der Nachbarschaft passieren, auch innerhalb der Schülerschaft? Dazu brauche ich nicht schon wieder ein ganzes System aufbauen. Das wird dann so teuer.

Deutschlandradio Kultur: Wenn sich ein Kirchenvertreter politisch engagiert, würde man ja eigentlich denken, er tut das für die CDU. Bei allem, was Sie vertreten, fällt einem eher die FDP ein. Ist das so Ihre Partei?

Abtprimas Notker: Nee. Auch die CDU nicht. Ich bin nicht parteiabhängig und parteigebunden. Ich kann es mir auch gar nicht leisten. Ich muss hier frei sein. Im Moment ist es halt so, dass vieles, was ich an Freiheit vertrete, mehr dem Programm der FDP näher steht, als anderen Parteien. Das mag sein. aber ich bin deshalb keineswegs ein Mann der FDP.

Deutschlandradio Kultur: Sie engagieren sich aber im Zukunftsforum der FDP, also quasi in deren Programmkommission.

Abtprimas Notker: Ich habe mich auch in anderen Foren von anderen Parteien schon engagiert. Ich gehe davon aus: Die Botschaft Jesus ist eine befreiende Botschaft und die muss überall eingebracht werden. Und wenn ich eingeladen werde von Links oder Rechts, ich gehe überall hin.

Deutschlandradio Kultur: Wir haben eben schon über FDP und Union gesprochen. Die Unionsparteien, vor allem die CSU, stellen sich ja auch gerne mal dar als Vertreter der kleinen Leute. Sie haben eben schon gesagt, Sie würden weder zu der einen, noch zu der anderen Seite schwenken. Welche Kritik haben Sie an der Union?

Abtprimas Notker: Ach, ich habe die Union doch auch mehrfach unterstützt. Ich war in Berlin oben im Höffner-Kreis. Ich habe für die CSU in Bayern schon Etliches getan. Ich war beispielsweise in Wildbad Kreuth zum Kamingespräch. Die Farbe spielt bei mir keine Rolle.

Deutschlandradio Kultur: Aber der Politiker an sich schon. Mich würde interessieren: Wir reden ja manchmal auch davon, in der CDU oder CSU ist ja das Wort "christlich" auch enthalten. Wie definieren Sie denn einen christlichen Politiker?

Abtprimas Notker: Christlicher Politiker ist für mich einer, der sich aufgrund seiner christlichen Überzeugung nun in der Gesellschaft einsetzt nach bestem Gewissen. Christentum bringt ein bestimmtes Bild vom Menschen mit, zum Beispiel eben auch die Herausforderung, zunächst einmal sich selbst zu helfen, bevor ich die Hand ausstrecke. Aber gleichzeitig gehört die Mitverantwortung voll und ganz dazu.

Deutschlandradio Kultur: Finden Sie denn die christlichen Werte, die Sie jetzt eben beschrieben haben, in der deutschen Politik hin und wieder wieder?

Abtprimas Notker: Ja, zum Teil schon. Dass wir ein Sozialstaat sind, dass wir soziale Marktwirtschaft haben, nicht den reinen Kapitalismus, soziale Marktwirtschaft ist für mich natürlich schon ein Stück Christentum, das heißt eben, die Mitverantwortung auch für die gesamte Gesellschaft.

Deutschlandradio Kultur: Ich möchte noch mal auf einen Punkt im Zusammenhang mit der Finanzmarktkrise zurückkommen. Und zwar befürchten viele jetzt, dass angesichts dieser Krise die Mittel für Entwicklungshilfe gekürzt werden. Das müssten Sie eigentlich ganz gut finden. Sie sagen: "Entwicklungshilfe verhindert Eigeninitiative."

Abtprimas Notker: Da gebe ich Ihnen nicht ganz unrecht. Ich möchte niemandem das Geld missgönnen. Wir haben jedenfalls bisher noch keinen richtigen Weg der Entwicklungshilfe. Es werden Gelder hineingebuttert. Wir wissen aber auch alle, wo die hin laufen. Das sind dann auch schöne Großprojekte, an denen mitunter noch unsere Firmen verdienen. Es sind die Waffen, mit denen auch noch die Bürgerkriege geschürt werden. Und es sind ebenso die Privatleute, ich würde sagen, gerade die Regierungsleute, die möglichst viel absahnen. Man nennt das ja bei uns dann auch Provision, weil er was für sein Land erobert hat.

In Wirklichkeit müssten eigentlich die Politiker von dort auf uns zugehen, das geschieht vielleicht auch in den Botschaften oder über die Botschaften: Kommt mal und helft uns, aber wir wollen zunächst einmal uns zusammensetzen. Und auch wir müssten uns mit denen zusammensetzen und sagen: Was bringt ihr selbst? Wozu seid ihr bereit?
Wir haben ja den großen Werbeslogan: "Entwicklungshilfe muss Hilfe zur Selbsthilfe sein." Aber wir fragen den anderen ja gar nicht. Wir fragen den anderen gar nicht, ob er es kann und was er eigentlich will. Sie können natürlich dann die schönsten Laptops hinstellen. Und wenn die kaputt sind, na ja, stehen sie halt rum.

Deutschlandradio Kultur: Aber ist Entwicklungshilfe nicht auch ein Hebel oder wäre ein Hebel, um eben die Länder unter Druck zu setzen und zu sagen, ihr bekommt das nur, wenn ihr eben nicht Geld in die eigenen Taschen steckt?

Abtprimas Notker: Ich habe den Ausdruck "unter Druck setzen" sehr ungern. Ich möchte niemanden je unter Druck setzen. Das ist Machtausübung. Aber ich kann durchaus sagen, gute Leute, wir würden euch auch Gelder geben, aber so nicht. Die Konditionen, wozu unser erarbeitetes Geld gegeben wird, da wollen wir ein Wörtchen mitreden. Also, das muss in jedem Fall drin sein.

Deutschlandradio Kultur: Ihr Orden engagiert sich auch in Afrika. Welche Linie befolgen Sie da? Machen Sie das? Versuchen Sie das umzusetzen, was Sie uns gerade erklärt haben?

Abtprimas Notker: Wir streiten sehr viel mit unseren eigenen Benediktinern auch diesbezüglich. Und ich habe den Eindruck, da, wo wir sie herausfordern, nicht arrogant, sondern einfach sagen, liebe Leute, das müsst ihr selber besser wissen als wir und wir haben auch nicht mehr die Gelder, da werden die viel findiger als vorher. Es ist einfach. Wenn ich gewohnt bin, wenn ich was brauche schreie ich nach der Mutti und die gibt mir alles, na das kann es aber nicht sein. Damit bringen wir Afrika nicht hoch.

Deutschlandradio Kultur: Entwicklungshilfepolitik gibt es seit Jahrzehnten, Auch diese "Hilfe zur Selbsthilfe" haben wir vor Jahrzehnten schon gehört. Warum läuft das dann immer in die gleiche Richtung und niemand hört auf diese Ratschläge?

Abtprimas Notker: Weil wir immer noch besser zu wissen meinen, was zu tun ist, damit diese Länder hochkommen. Das können wir nur mit den Ländern tun, am selben Tisch. Wir glauben, dass alles, was bei uns hier so und so funktioniert, müsste in Afrika auch funktionieren. Da ist ja zum Teil eine ganz andere Gesellschaftsstruktur da, eine ganz andere Denke, ganz andere Werte.

Um nur ein kleines Beispiel zu geben: Unsere Mitbrüder in den Klöstern tun sich äußerst schwer, sich von ihren Familien zu lösen. Mir sagte ein Afrikaner: Du kannst dir nicht vorstellen, wie unsere Verwandtschaftsbeziehungen, die natürlichen, in unseren Knochen sitzen. Notfalls bin ich eher noch bereit, für Verwandte irgendwo auch im Kloster was wegzunehmen. Das ist etwas ganz Natürliches. Erst wenn ich das weiß, kann ich so ein Problem auch angehen. Das ist aber ein Minimalproblem, es gibt ja viele andere.

Wir meinen immer, wir können für die Entwicklungsländer die Probleme lösen. Und genau das ist das Verkehrte. Die können wir nur miteinander lösen.

Deutschlandradio Kultur: Haben Sie denn eigentlich auch ein positives Beispiel, Sie beschäftigen sich ja viel damit, wo man auch mal sagen kann, da hat es ein stückweit geklappt, da funktioniert es?

Abtprimas Notker: Also, ich meine, was der Yunus, der Friedensnobelpreisträger von 2006, uns vormacht mit seinen Mikrokrediten, ist für mich ein sehr gutes Beispiel. Aber genau er nimmt ja auch die Kultur ernst. Er sagt: Ich kann den Männern nichts in die Hand drücken. Die verspielen alles und versaufen alles. Und da hat er halt Recht. Das war auch immer schon mein Gedanke. Die Frauen sorgen sich ganz anders um die Familie. Und deshalb gibt er den Mikrokredit vor allem den Frauen und dazu mit großem Erfolg.

Ich war jetzt in Sambia. Wir haben dort ein Kloster gegründet. Mitten im Busch finden Sie heute eine Oase mit Schule, mit Apotheke. Sie finden vor allen Dingen einen riesengroßen Garten, wo sich die Leute - nicht nur die Mönche - selber alles erwirtschaften, was sie brauchen, zumindest zum Essen brauchen, sondern sie haben auch für die Schule ein Internat und sie spannen die Schüler ein, weil die Schüler ja nicht bezahlen können. Inzwischen ist das so weit, dass diese Schüler zu Hause auch Gärten anlegen. Das ist minimal, könnte man sagen, das besagt gar nichts. Aber unser Abendland ist auf diese Weise auch gewachsen. Da haben auch die Klöster ihren Beitrag in dieser Art geleistet. Und das ging über Jahrhunderte. Wir meinen immer, wir könnten alles von heute auf morgen ändern und diese Probleme von heute auf morgen lösen. Das sind ja ganze Strukturen, Denkstrukturen, die erst einmal geändert werden müssen.

Deutschlandradio Kultur: Sie spielen E-Gitarre und Querflöte in einer Rockband. Nach allem, was wir jetzt von Ihnen gehört haben, würde ich denken, Sie würden bei einem Konzert für Afrika, wie es Bono oder Bob Geldof organisiert haben, mit ihrer Band nicht auftreten, oder?

Abtprimas Notker: Oh ja, warum nicht?

Deutschlandradio Kultur: Da sammelt man Geld für Afrika.

Abtprimas Notker: Ich meine, Geld braucht man in jedem Fall auch. Aber zu meinen, diese Entwicklungsprobleme könnten mit Geld allein gelöst werden, das ist verkehrt.