Die Politik verabschiedet sich in den Wahlkampf

Von Dieter Putz |
Das Aufmacherfoto dieser Woche zeigt Angie, verhalten strahlend, angenehm gestylt, aprikosenfarben der Blazer, sommerhimmelblau der Hintergrund. Die Botschaft der Woche verkündete ausgerechnet der Verlierer von 2002, Edmund Stoiber: Angela Merkel ist die Kanzlerkandidatin der Union und damit die erste Bewerberin ums höchste Regierungsamt überhaupt. Noch nicht lange her ist es, dass er sie als Leichtmatrosin verspottete.
Ja, diese Woche erlebte in Deutschland erstaunliche Höhepunkte und dramatische Talfahrten.

Zu Aprikose und Himmelblau servierten die Demoskopen die Umfragezahl der Woche: Die Herausforderin hat den Kanzler in der Volkesgunst deutlich überholt. Und was ist das Gefühl der Woche? Irgendwie das der Befreiung. Neuwahl, Hoffnung, Raus aus der blockierten Republik. Rot und Grün können es einfach nicht, Schwarz und Gelb vielleicht. 72 Prozent der Wahlbürger befürworten den Regierungswechsel.

Am anderen Ende der Skala, bei den Flops der Woche, finden wir die brandigen Signale des Niedergangs: Der Kanzler wählte die Flucht in die Neuwahl nicht wegen einer kraftstrotzenden Union, sondern weil ihm die eigenen Linken die Palastrevolution androhten, Feuer unterm SPD-Dach. Dass Lafontaine nun endlich sein Parteibuch abgegeben hat, erleichtert die SPD nicht wirklich, es macht den Rächer beweglicher. Dass Wirtschaftsminister Clement gegen den Steuerstreit in der SPD mit seinem Rücktritt drohte, dokumentiert die Erschütterungen im Machtzentrum. Dass sich die Grünen intern unter Fischers Fuchtel heillos verkrachen, ist deren Antwort auf die faktische Kündigung der Koalition durch den Neuwahl-Coup. Von dem erfuhr der Bundespräsident, wie wir nun wissen, erst nach Münteferings öffentlicher Bekanntgabe. Mit solchen Stillosigkeiten begann Schröders Ära, und sie endet damit. Es ist offenbar schon wurscht.

Was uns erwartet, erfuhren wir beispielhaft am Donnerstag, als die Koalitionsmehrheit im Visa-Untersuchungsausschuss die weitere Arbeit und insbesondere die Befragung des Innenministers abwürgte. Ihre Begründungselogen waren so lausig wie die Empörung der Opposition schrill. Beides war der Erfahrung geschuldet – und wir erinnern uns an die für Kohl verheerende Wirkung des Spendenskandals und seiner Untersuchung -, dass sich solche Erregungs-Themen bestens im Wahlkampf verwerten lassen.

Uns steht Wahlkampf ins Haus, eine zeitlich kurze, hochkonzentrierte Hauerei zwischen wild entschlossenen Kontrahenten. Es wird laut werden, stillos, würdelos, rücksichtslos. Wir Wahlbürger werden das nur mit sommerlicher Gelassenheit und der Einsicht ertragen, dass so was eben dazugehört, wie die laufende Nase zur Erkältung.

Wir haben noch nicht über die Superzahl der Woche gesprochen: 50 Prozent von uns Wahlbürgern würden am kommenden Sonntag der CDU und CSU die Stimme geben. Die absolute Unions-Mehrheit scheint greifbar nahe. Zwei Rechnungen des Führungsduos Müntefering/Schröder sind nicht aufgegangen, haben sich sogar ins Gegenteil verkehrt: Die Heuschrecken-Kampagne entfachte keine bundesweite Solidarität, sondern überzeugte vielmehr das Wahlvolk von der Ratlosigkeit der Regierenden. Und der Neuwahl-Coup ließ gerade nicht in der Union den Streit über die K-Frage wieder aufbrechen, sondern verhalf Merkel zum Sieg über Stoiber und Co.

Eine absolute CDU/CSU-Mehrheit wird es garantiert nicht geben. Die Deutschen tendieren derzeit eher zur Großen Koalition. Doch ganz offenkundig tragen die Hoffnungen der Deutschen die Opposition in den Himmel. Der ist hierzulande weiß Gott kein Paradies und fordert zu allererst Verantwortung ein - die Verantwortung der Kanzlerkandidatin dafür, ob und wie sie diese Hoffnungen zu erfüllen gedenkt. Bislang haben die C-Parteien dazu mehr Unklarheit und Widersprüchliches abgeliefert als Gewissheiten. Die Gefühlslage der Nation tendiert zwar zu ihnen, für die praktischen Fragen aber bieten weder Merkel noch ihre Bundestagsfraktion, noch die mächtigen Ministerpräsidenten Antworten, die sich als die Programm-Alternative zu Rot-Grün bezeichnen ließen. Floskeln wie "Mut zu Ehrlichkeit" und "erst mal ein Kassensturz" schmecken verdächtig nach vorauseilenden Ausreden.
Und davon hat das Land die Nase voll.
Man möchte schon genauer wissen, wofür Angela Merkel die Macht haben will.