Die Planung des Angriffskrieges

Von Bernd Ulrich · 05.11.2012
Das sogenannte "Hoßbach-Protokoll" hält eine Geheimrede Adolf Hitlers vor einem ausgesuchten Kreis am 5. November 1937 fest. Das Protokoll zeigt Hitlers Pläne, möglichst bald per Angriffskrieg das deutsche Gebiet zu vergrößern und lässt die zunehmende Radikalisierung der NS-Innen- und Außenpolitik erkennen.
In einem wie immer ausufernden Eintrag vom 6. November 1937 findet sich im Tagebuch des Reichsministers für Volksaufklärung und Propaganda, Joseph Goebbels, auch dieser Satz:

"Der Führer hat Generalstabsbesprechungen."

Der knappe Vermerk betraf ein Ereignis vom Vortag, Freitag, den 5. November 1937. Wie oft in jenen Tagen, hatten Goebbels und Hitler gemeinsam Mittag gegessen, bevor Hitler zu seinem Termin aufgebrochen war, den er als Generalstabsbesprechungen angekündigt hatte.

Tatsächlich handelte es sich um eine geheime Sitzung, in deren Verlauf aber nur am Rande etwas besprochen wurde. Im Mittelpunkt stand vielmehr eine Rede Hitlers, der an diesem Tag nicht zum ersten Mal, aber zum ersten Mal in dieser Eindeutigkeit einen seiner unabänderlichen Entschlüsse zum geplanten Krieg bekannt gab. Es ginge darum, wie es eine Mitschrift verzeichnet,
" … spätestens 1943/45 die deutsche Raumfrage zu lösen. Zur Lösung könne es nur den Weg der Gewalt geben, dieser niemals risikolos sein. Es bleibe noch die Beantwortung der Frage ´wann` und ´wie`. "

Zu hören bekamen das in einem über zwei Stunden dauernden Monolog die Oberbefehlshaber der drei Teilstreitkräfte – die Generaloberste Werner von Fritsch und Hermann Göring sowie der Generaladmiral Erich Raeder -, der Reichskriegsminister, Generalfeldmarschall Werner von Blomberg und der Reichsaußenminister Konstantin von Neurath. Ihr Erscheinen in der neuen Reichskanzlei verdankte sich ursprünglich einer Initiative von Blombergs, der Hitler zu dieser Sitzung gedrängt hatte. Sie sollte Klärung bringen in der für die Aufrüstung der Marine und der Luftwaffe umstrittenen Aufteilung des schon knapper werdenden Stahls.

Wir wissen von dieser Änderung der Tagesordnung, weil der ebenfalls anwesende Heeresadjutant Hitlers, Oberst Friedrich Hoßbach, fünf Tage später eine Mitschrift anfertigte über, wie er notierte, Hitlers

" … grundlegende Gedanken über die Entwicklungsmöglichkeiten und Notwendigkeiten unserer außenpolitischen Lage, wobei er im Interesse einer auf weite Sicht eingestellten deutschen Politik seine Ausführungen als seine testamentarische Hinterlassenschaft für den Fall seines Ablebens anzusehen bitte."

Hermann Göring sollte während des Nürnberger Prozesses, in dessen Verlauf ihm das Hoßbach-Protokoll als zentrales Dokument der Anklage präsentiert wurde, eben diesen letzten Passus in Abrede stellen. Von einem Testament, so Göring, ist keine Rede gewesen. Vielmehr hätte ihn der "Führer" zuvor informiert, dass er diese Sitzung mache.

" … um vor allen Dingen dem Generalobersten von Fritsch – wie er sich ausdrückte – Dampf zu machen, weil er mit der Aufrüstung des Heeres in keiner Weise zufrieden sei. Und es könne auch nicht schaden, wenn Herr von Blomberg dabei auch einen gewissen Nachdruck dann auf Fritsch geben würde."

Görings Versuch, das Hoßbach-Protokoll in seiner Bedeutung als Dokument des früh geplanten Angriffskriegs abzuwerten, ist leicht durchschaubar. Doch es stimmte schon, - und Raeder fasste es ähnlich auf -, dass Hitler mit seinen Ausführungen insbesondere das Heer zu einem schnelleren Tempo in der Aufrüstung antreiben wollte. Zugleich galt ihm seine Rede aber auch als eine Art Test, wie die Generalität auf das Programm eines Angriffskriegs reagieren würde.

Sie reagierte - und zwar zum Ärger des "Führers" teils bestürzt, teils beunruhigt. Nicht etwa prinzipiell wegen der Eroberungsabsichten Hitlers. Seit den nationalimperialistischen Übersteigerungen während des Ersten Weltkriegs blieb die deutsche Militärstrategie auf die Vorherrschaft in Mittel- und Südosteuropa fixiert. Auch die, wie Hitler am 5. November bekräftigte, bevorstehende Einverleibung Österreichs und die Vernichtung der Tschechoslowakei galten in der Wehrmacht selbst bei kritischen Geistern als ausgemacht. Der britische Historiker Ian Kershaw:

"Was die Generalität schockierte, war vielmehr die Aussicht auf einen baldigen Einsatz von Gewalt und damit die ernste Gefahr, dass Deutschland in einen Krieg mit Großbritannien und Frankreich gestürzt werden würde. Hitler, so meinten sie, sei zu tollkühnen Risiken bereit. Dagegen erhoben sie Einwände."

Doch die zunehmende Radikalisierung war nicht mehr aufzuhalten. Immer noch vorhandene kritische Einwände des Militärs, ja, sogar vorhandene Pläne für einen Militärputsch, verloren jede Grundlage, nachdem die Westmächte durch das Münchener Abkommen vom 30. September 1938 Hitler freie Hand gegen die von allen verlassene Tschechoslowakei gegeben hatten.