Die Pflicht, den Staat zu dulden

Von Adolf Stock · 20.04.2013
In der Hauptstadt treffen sich regelmäßig etwa 300 Christen. Sie sind Mitglieder der "Chinesischen Christlichen Gemeinde Berlin", einer evangelikal geprägten Vereinigung. Auch für sie ist die schwierige Lage der Christen in China immer präsent.
Christian Gries steht wie fast jeden Sonntag vor dem Portal der Kirche am Hohenzollernplatz. Als Kirchenvorstand begrüßt er Freunde und Gemeindemitglieder, die zum Gottesdienst kommen.

Immer mehr Kinder, Männer und Frauen betreten das geräumige Kirchenschiff. Zum Schluss sind es über 200 chinesische Christen. Manche von ihnen haben einen deutschen Ehepartner. Auch Christian Gries ist mit einer Chinesin verheiratet. Als junger Mann hat er in Hamburg Sinologie studiert.

"Und dann ging ich auf dem Umweg über Singapur nach Taiwan, wo ich vier Jahre lebte, und lernte dort meine Frau kennen, und war jetzt natürlich erst einmal im großen Wettbewerbsvorteil, dass ich also auch als Langnase auf Chinesisch baggern konnte. Wir haben dann dort geheiratet und unseren ersten Sohn gekriegt, kamen mit dem zusammen nach Deutschland."

Jetzt steht Christian Gries in dem großen, hellblau gestrichenen Kirchenschiff.

Die Liturgie und die Lieder haben ihren Ursprung in der Neuen Welt. Zu Beginn des Gottesdienstes werden mehrere Anbetungslieder stehend und mit Klavierbegleitung gesungen.

Während die Gemeinde singt, erhebt der Pfarrer beide Hände, um den Herrn zu preisen und zu loben. Es ist ein fröhlicher Gottesdienst, beseelt vom Glauben an Jesus Christus. Das Abendmahl ist der spirituelle Mittelpunkt.

"Und dann geht der Pastor her und bricht vor den Mikrofonen dieses Brot und sagt, und so ist dann der Leib Jesu geprügelt und gepeitscht worden, zerbrochen. Wir verstehen uns als evangelikale Christen, also solche, die uns in jedem Augenblick bewusst sind, dass wir nur durch die Gnade Gottes und den Tod von Jesus Christus überhaupt in der Lage sind, sinnvoll weiterzuleben."

Einmal im Monat ist der Gottesdienst zweisprachig, dann wird die auf Deutsch gehaltene Predigt ins Chinesische übersetzt.

"Gott nimmt jeden Menschen ganz ernst, auch Dich. Auch Dich."

Heute spricht Schwester Rosemarie, Diakonisse aus dem Berliner Stadtteil Neukölln.

"Das ist, dass früher die chinesische Gemeinde in unseren Räumen eingemietet war, und ich bin so eine Erbschaft geblieben. Sie haben mich dann zum Predigen weiter hierher geholt."

Nach dem Gottesdienst treffen sich die Gemeindemitglieder zu Tee und Kuchen im Gemeindesaal. Christian Gries erzählt, dass im 16. Jahrhundert christliche Missionare nach China kamen. Schon zuvor gab es einzelne Christen im Land, aber jetzt kamen jesuitische Missionare, die während der Ming-Dynastie den Kontakt zur Oberschicht suchten.

Christian Gries: "Die gingen top down. Die gingen nicht zum Volk, zum Bauern, die hatten damals überhaupt nichts zu melden, die gingen an den Kaiserhof und versuchten dort, die Elite von der Attraktivität des Christentums zu überzeugen. Die also jetzt faktisch zwölf-, dreizehnhundert Jahre nach dem ersten Eindringen des Buddhismus in China versuchten, dasselbe für das Christentum zu tun."

Die friedliche Koexistenz währte nicht lange. Schon 1742 wurde die im Volk übliche Ahnenverehrung von Papst Benedikt XIV. als Götzendienst geächtet, daraufhin verbot der chinesische Kaiser die Missionsarbeit. Bis heute haben die Christen in China einen schweren Stand. Nur in wenigen Provinzen wird ihr Glaube von den Behörden respektiert.

Christian Gries: "Früher hieß es in China: Die Berge sind hoch und der Kaiser ist weit. Es gibt da zum Beispiel, um mal eine ganz bestimmte positive Region zu nennen, die um Qingtian, das ist eine Gegend, in der die Christen wirklich freie Hand haben. Die Christen sind eigentlich durch ihren Glauben verpflichtet, den Staat sehr weitgehend zu dulden, auch wenn er scheinbar ungerecht ist, und manche chinesische Regierungsvertreter, Provinz-Gouverneure, merken einfach: die Christen sind gute Bürger, wir haben keinen Grund, uns vor denen zu fürchten, lassen wir ihnen doch eine relativ lange Leine."

Die ersten Berliner Chinesen waren Geschäftsleute und Restaurant-Besitzer. Erst mit den Boat People, Chinesen, die in den 1970er-Jahren in Vietnam verfolgt wurden und auf Booten über das Meer flüchten mussten, kamen Chinesen nach Deutschland, die für die Botschaft des Christentum empfänglich waren. Später kamen auch viele Studenten hinzu. Damals wurde der "Freundeskreis der Mission unter Chinesen in Deutschland" gegründet, um zu missionieren. Dazu dient auch die größte chinesische Leihbibliothek außerhalb Chinas, die der Freundeskreis in Hannover unterhält. Seitdem treffen sich die chinesischen Christen regelmäßig in kleinen "Bibelhauskreisen", um gemeinsam die Heilige Schrift zu studieren.

Die sonntägliche Zusammenkunft geht zu Ende. In der Küche neben dem Gemeindesaal spülen drei Frauen kleine Gläser. Im Gespräch hilft Christian Gries bei der Übersetzung.

"Weil wir an jedem ersten Sonntag jeden Monat Abendmahl haben mit Brot und Wein, sprich Traubensaft, werden in diesem Augenblick nach dem Gottesdienst die Traubensaftgläser gewaschen, und diese Schwestern machen diesen Dienst hier gerade fröhlich zu dritt."

Herr Wei Xiaobin ist so um die 30 und steht auch in der Küche. Er ist vor 13 Jahren aus China nach Berlin gekommen und wurde Christ.

Wei Xiaobin: "Ich habe solange gesucht, ich habe in China überall gesucht, in Kultur, in Religion, auch in Tempeln überall – ich habe nichts gefunden. Und hier nach eineinhalb Monaten habe ich mich dann entschlossen, dass ich an Gott glaube. Meine Eltern sind durch mich christlich geworden, und meine beiden Schwestern, die sind noch nicht, aber ich arbeite daran."


Mehr Infos:
Chinesische Gemeinde Berlin