Die passive Vernichtungskraft der Hedda Gabler

Von Sven Ricklefs · 26.10.2012
In der psychologisch genauen Inszenierung von Martin Kušej ist Hedda Gabler aufgefächert in die zynisch Abgeklärte, die aggressiv Gelangweilte, die an ihrer Feigheit fast Erstickende – und München feiert seine neue Diva Birgit Minichmayr.
Das ist im ersten Moment schon ein Schock, dass da einer wie Martin Kušej, einer der großen Regisseure der mittleren Generation, es wagt, ein bürgerlich-realistisches Drama aus dem vorletzten Jahrhundert einfach in historischen Kostümen zu spielen. Hedda Gabler, die Frau zwischen zwei Männern, die Frau zwischen der Sehnsucht und der bürgerlichen Sicherheit, diese Hedda Gabler mit Bauschärmeln und langem Glockenrock. Das muss man sich erst einmal trauen.

Doch zugleich setzt der Regisseur dagegen wieder einen seiner beeindruckenden wuchtigen Räume, diesmal von Anette Murschatz, die eine fast leere hohe düstere Unbehaustheit auf die Bühne gestellt hat, deren Wände und deren Decke aus schweren dunklen Platten bestehen. Der Raum ist fast leer, nur in eine Ecke ist eine weiße Wand mit einer ornamentierten Doppelglastür hineingestellt. Alles andere also als ein bürgerliches Ambiente, das ist Verlorenheit, das ist Einsamkeit, das ist ein Raum, der fast etwas Metaphysisches hat, da bekommt auch das historische Kostüm eine neue Dimension.
Zudem hat Martin Kušej psychologisch so genau bis in die feinste Nuance dieses Stückes gearbeitet, dass man beim Sehen das Gefühl bekommt, man verstehe vielleicht zum ersten Mal dieses Stück in seiner ganzen Trag und Spannweite.

Das ist natürlich zu einem ganz großen Teil Verdienst von Birgit Minichmayr, die ihre Hedda Gabler aufzufächern weiß – in die kalte souveräne, zynische Abgeklärte, in die aggressiv Gelangweilte und in die an sich selbst und an ihrer eigenen Feigheit fast Erstickende.

Die Contenance verliert diese Hedda nur in ganz wenigen Augenblicken, und selbst da fast immer doch noch beherrscht. Einmal etwa, als man sie auf die Gebärerin reduzieren will und dann etwa einmal wirklich am Schluss, wenn man ihr die Illusion nimmt, dass sie die Macht gehabt hätte über das Schicksal eines Menschen, wie sie gesagt hat. Schließlich bringt sie einen der Männer, die da um sie sind, Eilard Lövborg, dazu, sich umzubringen.
Allerdings war letztlich alles ganz anders, es gab keine schöne Tat, keinen schönen Schuss in die Schläfe, wie Hedda es wollte. Eilard Lövborg stirbt im Bordell an einer Kugel im Unterleib. Und da fällt die Hedda Gabler der Birgit Minichmayr dann mit einem Aufkreischen zu Boden, das Lächerliche und Niedrige, was sie anekelt, und wozu sie in ihrer Feigheit natürlich auch gehört. Das weiß sie, dieses Lächerliche und Niedrige ist in diesem Augenblick einfach zu viel für sie.

Es ist natürlich ein Abend der Birgit Minichmayr, und auch wenn der Schauspielerin selbst der Begriff überhaupt nicht gefällt, München wollte wieder eine Diva und hat sich die Minichmayr dazu erkoren. Aber Martin Kušej hat auch mit seinen Männern genau gearbeitet, wobei er fast in einer konträren Verwechslung besetzt hat. Der sonst eher harte virile Norman Hacker ist jetzt der kleinmütige Pantoffelheld Tessmann, der also, den Hedda Gabler geheiratet hat, weil sie sich müde getanzt hat und er ihr die größte Sicherheit bot. Und der fast zittrig sensible Sebastian Blomberg spielt Eilert Lövborg und damit denjenigen, der sonst fast immer als der durch alle erdenklichen Erfahrungen selbstbewusst gestählten Künstler und Intellektuellen interpretiert wird. Aber Kušej hat eben nicht nur eine große Hand für Frauenfiguren, sondern auch für Männer und vor allem auch für die Spannung zwischen den Geschlechtern.

Man hat Hedda Gabler immer wieder in verschiedenen Interpretationen gesehen: als die Vorreiterin der Emanzipation, als die erste freie Frau, als Depressive, als krankes Symptom ihrer Zeit. Und natürlich ist sie das alles, zugleich aber ist sie auch noch viel komplexer, ist noch mehr und hat damit auch in ihrer Schwärze und passiven Vernichtungskraft eine Größe, die jede Reduzierung auf eine Nuance verkleinert. Und genau diese Größe und dieses Geheimnis, sie sind es, was Birgit Minichmayr und Martin Kušej ihr im Münchner Residenztheater gelassen haben.

Informationen des Bayerischen Staatsschauspiels zur Inszenierung "Hedda Gabler"
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