Die Pandemie im Museum

Mehr als die Erinnerung an Klopapier

05:37 Minuten
Leere, weiße Regalbretter, auf denen zwei ebenfalls weiße Toilettenpapierrollen liegen.
Toilettenpapier war Mangelware im Frühjahr 2020. Vielleicht wird es einmal Exponat in einer Ausstellung, die an die Pandemie erinnert. © picture alliance / Zoonar.com / Oleksandr Shcherban
Paul Spies im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 01.10.2021
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An was werden wir uns erinnern, wenn die Pandemie vorbei ist? Und was würden wir aus dieser Zeit ins Museum stellen? Toilettenpapier? Paul Spies, Leiter des Berliner Stadtmuseums, ermuntert alle Bürger, sich mit Vorschlägen zu beteiligen.
Was bleibt von der Pandemie, wenn sie irgendwann einmal überstanden und Vergangenheit sein wird? Paul Spies beschäftigt sich als Leiter des Berliner Stadtmuseums naturgemäß mit der Vergangenheit und ihren Zeugnissen. Zu den Exponaten des Museums gehört auch eine lederne Schutzkluft, die Ärzte im Mittelalter gegen die Pest trugen.
Als Erinnerung an Corona nur Schutzanzüge und Mund-Nasen-Masken auszustellen, wäre vielleicht ein bisschen fantasielos, auch wenn zumindest die Maske, ob aus Stoff, medizinisch oder als FFP2, der prägende Gegenstand unseres Corona-Alltags ist.
Vielleicht gehören Nudeln, Toilettenpapier oder Mehl ebenfalls zwingend in eine Alltagsausstellung, die an die Pandemie erinnert? Denn schließlich waren diese Dinge während des ersten Lockdowns Mangelware. Andere wiederum haben vielleicht das Ticket für den ersten, heiß ersehnten Theaterbesuch nach dem Lockdown aufgehoben oder das Flugticket in den Süden, als Urlaubsreisen wieder möglich waren.

Alle Bürger dürfen beitragen

Oder ein Erinnerungsfoto an die Oma, die im Pflegeheim an Covid-19 verstorben ist – als liebevolles Gedenken ebenso wie als Mahnung, dass wir die Anfälligsten in unserer Gesellschaft schützen müssen.
Spies und seine Kolleginnen und Kollegen fordern Interessierte unter dem Projektnamen "Berlin jetzt" auf, solche Gegenstände vorzuschlagen und Fotos davon zu schicken. "Und dann werden wir später gemeinsam festlegen, was wir davon wirklich in die Ausstellung aufnehmen wollen", sagt Spies.
"Wir nennen es bewusst nicht 'Berlin Corona', sondern 'Berlin jetzt', denn die Leute sollen weitermachen, das Projekt soll nicht vorbei sein. Und dann hoffen wir, dass die Menschen verstanden haben: Jedes Zeitalter ist historisch, und wir müssen immer aufpassen, dass wir bewahren, was uns wichtig erscheint. Und wenn wir es nicht rechtzeitig machen, ist es weg."

Die Geschichten hinter den Gegenständen

Erste Vorschläge gibt es schon. Dazu gehört Skurriles wie Werbung für Dildos, die in der ganzen Stadt plakatiert war, aber auch Schönes wie die Idee einer Künstlerin, die Masken angefertigt hat. Als Stoffmasken in der Öffentlichkeit durch FFP2-Masken ersetzt werden mussten, hat die Künstlerin aus den Stoffmasken ein Abendkleid kreiert.
Paul Spies trägt einen dunklen Pullover und einen Bart — er steht vor einer Klinkerfassade und schaut freundlich in die Kamera.
"Bewahren, was wir noch haben" - Museumschef Paul Spies fordert Berlinerinnen und Berliner auf, Erinnerungsgegenstände aus der Pandemie für das Berliner Stadtmuseum vorzuschlagen.© Michael Setzpfandt
"Wir möchten gerne, dass die Bewohnerinnen und Bewohner dieser Stadt mit uns arbeiten – und nicht nur wir für sie", sagt Spies.
Wie gut dies funktioniere, lasse sich auch in der Dauerausstellung "Berlin global" im neu eröffneten Humboldt Forum nachvollziehen: Menschen aus aller Welt hätten zu den verschiedenen inhaltlichen Kapiteln der Schau Gegenstände zur Verfügung gestellt: "Es sind ganz normale Objekte. Aber mit der Geschichte dazu wird es auf einmal total interessant. Ein Paar Schuhe hat dadurch plötzlich eine persönliche Riesengeschichte, die dann als Teil der Gesamtgeschichte ganz illustrativ ist."
(mkn)

Der Niederländer Paul Spies leitet seit 2016 das Berliner Stadtmuseum. Zusätzlich fungiert er als Chef-Kurator des Landes Berlin im Humboldt Forum. Spies studierte an der Universität Amsterdam Kunstgeschichte und Klassische Archäologie. 1987 gründete er mit D’ARTS ein auf Beratung und Projektmanagement im Bereich Kunstgeschichte spezialisiertes Unternehmen, in dem er mehr als 20 Jahre tätig war. Anschließend war Spies Direktor der Amsterdam Museum Foundation und ab 2014 für die "Amsterdamse Culturele Instellingenoverleg" (ACI) tätig.

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