Die Organismen der Pipilotti Rist
Unter dem Titel "Elixir. Der Video-Organismus von Pipilotti Rist" zeigt das Rotterdamer Boymans van Beuningen Museum eine neue und acht ältere Arbeiten der international bekannten Schweizer Videokünstlerin. Der ausgeklügelte Aufbau macht diese Retrospektive zu einem spannenden Gesamtkunstwerk. In den nächsten Wochen wird Pipilotti Rist zudem ein Treppenhaus des Museums neu gestalten und einen Workshop für Nachwuchstalente leiten.
Als "Video-Organismus" umschreibt Pipilotti Rist ihre Ausstellung in Rotterdam. Mit einer doppelten Reihe transparenter Vorhänge, die sich durch den gigantischen Raum schlängeln, hat sie ein versponnenes, luftiges Labyrinth geschaffen. Gleich Inseln tauchen die Bereiche mit den Video-Installationen auf, die Licht und Farbe verströmen und Schatten werfen. Dieser Aufbau soll den Körper versinnbildlichen, mit Herz und Hirn, Lunge und Darm, Blutgefäßen oder Schleimhäuten. Das passt zu den Themen der Videos: Der Natur, dem Verhältnis von Natur, Mensch und Technik und dem, was die Künstlerin "die innerlichen Farben" des Menschen nennt.
Nicht zufällig steht in der Mitte des Labyrinths "Apple Tree Innocent", die einzige Plastik. An einem kahlen Ast baumeln durchsichtige Kunststoffverpackungen von Kuchen, Fleisch, Obst. Sie funkeln im hellen Lichtstrahl und werfen subtile, gräuliche Schatten. Pipilotti Rist begreift das Werk als Statement:
"Der Baum in seiner feinen Komplexität, der uns auch wieder erinnert an unsere Lunge, die Verästelung des Lungenflügels, oder der Blutadern oder der Nerven. In sich ist ja auch jeder Mensch, der da durchgeht, selber das komplexeste Werk. Dieser Baum hat für mich mehrere Bedeutungen: Dieser Sammelplatz, der melancholische Baum, das Plastik, das man wegwirft, das aber je nach Licht zu einem Diamanten wird, auch die Widersprüche unseres heutigen Lebens, dass wir so viel Plastik brauchen, um hygienisch zu leben, und gleichzeitig mit dieser Aktion die Welt verschmutzen."
Angenehme, psychedelische Klänge, Geräusche aus der Natur, eine weiche Stimme locken, hier und da laden Schaumstoffrollen, Kissen oder Betten zum Verweilen ein.
Monumentale Installationen wie "Homo sapiens sapiens", "A la belle étoile", "A Liberty Statue for Löndön" und dann das neueste Werk "Lungenflügel" bieten dem Betrachter eine einzigartige sinnliche Erfahrung. Auf Strümpfen oder barfuss geht man als erstmal über einen dicken Teppich. Er legt sich, um das bunte Schauspiel von Blättern, Wasser, Körperteilen an der Decke herabprasseln zu lassen. Er tritt ins Bild ein, in einen Kosmos von Sternen und Strahlen, nackte Haut schmiegt sich an ihn an, ein wollüstig gerundeter, blutroter Mund verschlingt seinen harten Schatten und eckigen Bewegungen. Er sieht alles doppelt in einem gigantischen Spiegel und dreht im gigantischen, U-förmigen Lungenflügel den Kopf, um geradezu süchtig die Bilder rechts, links und auf dem mittleren Bildschirm in sich aufzunehmen. Das Wildschwein und die Eva, die durch eine saftig grüne Wiese pirschen und Äpfel schmausen, Füße, die einen Paarungstanz in der Luft vollführen, eine Zunge, die Zehen leckt.
Trotz Bild- und Klangorgie fällt Rists Entwicklung im letzten Jahrzehnt auf. Die Inszenierung des eigenen Körpers ist in den Hintergrund getreten. Über amöbenhaft gerundete Bildflächen ist sie zu komplexen Flächen in einer Fläche übergegangen. "Lungenflügel" besteht aus drei Flächen, auf denen regelmäßig eine scharfe Trennungslinie auftaucht, die die Formen spiegelbildlich verdoppelt. Und in der Rotterdamer Total-Installation schwappen Projektionen auf die transparenten Vorhangreihen über und durchdringen sie verschwommen. Dabei sind die Konturen schärfer, die Farben härter geworden:
"Genau. Es sind verschiedene Phasen. Lange Zeit hat mich interessiert, diesem Viereck zu entkommen, dem wir uns im täglichen Leben zu stark unterwerfen, finde ich, das Glotzen auf diese beschränkte Fläche. Jetzt bin ich in den letzten zwei Jahren zu einer höheren Auflösung übergegangen, was wiederum einen Einfluss darauf hat, wie die Arbeit wirkt. Und ich möchte auch in meiner Arbeit, dass die Leute auf das Material zurückgeworfen werden zwischendrin. Dass man nicht nur abtaucht und einer Geschichte oder einem Gedicht folgt, sondern dass man sich richtig vergewissert, dass es um Pixel, Oberfläche, Licht geht. So wie man einen Bewusstseinsflash erlebt."
Das blüht gewiss den Benutzern eines Parkhauses. Auf zwei schmuddeligen Betonwänden ist ein weiteres Werk der Retrospektive zu sehen, "Cinquante-cinquante": Ein nackter Mann läuft auf der Notspur einer Autobahn, gefangen zwischen Leitplanke und Verkehr, Angst und Hoffnung:
"Mich interessiert stark dieser Widerspruch von unserem zarten Körper, der eigentlich psychisch viel aushält, aber ein kleiner Schlag von einer Blechbüchse ist schon zuviel. Dieser Widerspruch interessiert mich, und der Umstand, dass wir uns über unsere Kapazitäten in Geschwindigkeiten bringen, wie Geschosse, die wir aufeinander loslassen. All diese Fragen haben mich interessiert."
In den drei Wochen intensiver Arbeit an dem Rotterdamer Gesamtkunstwerk hat Pipilotti Rist auch über sich selbst nachgedacht:
"Ob ich will oder nicht wird das eine Zäsur. Zehn Jahre - so lange ist es her, dass ich eine einjährige Schaffenspause gemacht habe. Es wäre eigentlich an der Zeit für eine neue Pause (lacht). Muss ich mir jetzt überlegen."
Der Zeitpunkt ist günstig. Im September wird nämlich der erste Spielfilm, "Pepperminta", in die Kinos kommen, an dem die Künstlerin vier Jahre lang gearbeitet hat. Das könnte der Beginn einer neuen Schaffensphase werden.
Nicht zufällig steht in der Mitte des Labyrinths "Apple Tree Innocent", die einzige Plastik. An einem kahlen Ast baumeln durchsichtige Kunststoffverpackungen von Kuchen, Fleisch, Obst. Sie funkeln im hellen Lichtstrahl und werfen subtile, gräuliche Schatten. Pipilotti Rist begreift das Werk als Statement:
"Der Baum in seiner feinen Komplexität, der uns auch wieder erinnert an unsere Lunge, die Verästelung des Lungenflügels, oder der Blutadern oder der Nerven. In sich ist ja auch jeder Mensch, der da durchgeht, selber das komplexeste Werk. Dieser Baum hat für mich mehrere Bedeutungen: Dieser Sammelplatz, der melancholische Baum, das Plastik, das man wegwirft, das aber je nach Licht zu einem Diamanten wird, auch die Widersprüche unseres heutigen Lebens, dass wir so viel Plastik brauchen, um hygienisch zu leben, und gleichzeitig mit dieser Aktion die Welt verschmutzen."
Angenehme, psychedelische Klänge, Geräusche aus der Natur, eine weiche Stimme locken, hier und da laden Schaumstoffrollen, Kissen oder Betten zum Verweilen ein.
Monumentale Installationen wie "Homo sapiens sapiens", "A la belle étoile", "A Liberty Statue for Löndön" und dann das neueste Werk "Lungenflügel" bieten dem Betrachter eine einzigartige sinnliche Erfahrung. Auf Strümpfen oder barfuss geht man als erstmal über einen dicken Teppich. Er legt sich, um das bunte Schauspiel von Blättern, Wasser, Körperteilen an der Decke herabprasseln zu lassen. Er tritt ins Bild ein, in einen Kosmos von Sternen und Strahlen, nackte Haut schmiegt sich an ihn an, ein wollüstig gerundeter, blutroter Mund verschlingt seinen harten Schatten und eckigen Bewegungen. Er sieht alles doppelt in einem gigantischen Spiegel und dreht im gigantischen, U-förmigen Lungenflügel den Kopf, um geradezu süchtig die Bilder rechts, links und auf dem mittleren Bildschirm in sich aufzunehmen. Das Wildschwein und die Eva, die durch eine saftig grüne Wiese pirschen und Äpfel schmausen, Füße, die einen Paarungstanz in der Luft vollführen, eine Zunge, die Zehen leckt.
Trotz Bild- und Klangorgie fällt Rists Entwicklung im letzten Jahrzehnt auf. Die Inszenierung des eigenen Körpers ist in den Hintergrund getreten. Über amöbenhaft gerundete Bildflächen ist sie zu komplexen Flächen in einer Fläche übergegangen. "Lungenflügel" besteht aus drei Flächen, auf denen regelmäßig eine scharfe Trennungslinie auftaucht, die die Formen spiegelbildlich verdoppelt. Und in der Rotterdamer Total-Installation schwappen Projektionen auf die transparenten Vorhangreihen über und durchdringen sie verschwommen. Dabei sind die Konturen schärfer, die Farben härter geworden:
"Genau. Es sind verschiedene Phasen. Lange Zeit hat mich interessiert, diesem Viereck zu entkommen, dem wir uns im täglichen Leben zu stark unterwerfen, finde ich, das Glotzen auf diese beschränkte Fläche. Jetzt bin ich in den letzten zwei Jahren zu einer höheren Auflösung übergegangen, was wiederum einen Einfluss darauf hat, wie die Arbeit wirkt. Und ich möchte auch in meiner Arbeit, dass die Leute auf das Material zurückgeworfen werden zwischendrin. Dass man nicht nur abtaucht und einer Geschichte oder einem Gedicht folgt, sondern dass man sich richtig vergewissert, dass es um Pixel, Oberfläche, Licht geht. So wie man einen Bewusstseinsflash erlebt."
Das blüht gewiss den Benutzern eines Parkhauses. Auf zwei schmuddeligen Betonwänden ist ein weiteres Werk der Retrospektive zu sehen, "Cinquante-cinquante": Ein nackter Mann läuft auf der Notspur einer Autobahn, gefangen zwischen Leitplanke und Verkehr, Angst und Hoffnung:
"Mich interessiert stark dieser Widerspruch von unserem zarten Körper, der eigentlich psychisch viel aushält, aber ein kleiner Schlag von einer Blechbüchse ist schon zuviel. Dieser Widerspruch interessiert mich, und der Umstand, dass wir uns über unsere Kapazitäten in Geschwindigkeiten bringen, wie Geschosse, die wir aufeinander loslassen. All diese Fragen haben mich interessiert."
In den drei Wochen intensiver Arbeit an dem Rotterdamer Gesamtkunstwerk hat Pipilotti Rist auch über sich selbst nachgedacht:
"Ob ich will oder nicht wird das eine Zäsur. Zehn Jahre - so lange ist es her, dass ich eine einjährige Schaffenspause gemacht habe. Es wäre eigentlich an der Zeit für eine neue Pause (lacht). Muss ich mir jetzt überlegen."
Der Zeitpunkt ist günstig. Im September wird nämlich der erste Spielfilm, "Pepperminta", in die Kinos kommen, an dem die Künstlerin vier Jahre lang gearbeitet hat. Das könnte der Beginn einer neuen Schaffensphase werden.