Die österreichische Seele zwischen Foul und Tor

Die Seele des Österreichers liegt im Fußball, könnte man nach der Lektüre dieses Bandes glauben. Elf Autoren geben elf Geschichten über das runde Leder wieder. Dabei geht es auch um die Begeisterung für die österreichische Nationalmannschaft, an der sich der eigenwillige Patriotismus festmacht, aber auch um den Fußball als Begleiter der Mann-Werdung.
In Österreich und der Schweiz geht es im Augenblick so zu wie in Deutschland vor zwei Jahren: Fähnchen flattern von Autos und Balkons, Fanmeilen quellen über vor Begeisterung, auf der Straße und im Radio gibt es nur mehr ein Thema, und auch die Werbung hat sich auf Plakatwänden in allen Farben des Fußballs bemächtigt. Da konnte es nicht ausbleiben, dass auch der Buchmarkt sich der diesjährigen Fußball-EM bemächtigte.

"Als ich einmal Harreither in der Dusche interviewte" nennt sich der Band und auch eine der - natürlich - elf Geschichten zum österreichischen Fußball. Sie illustrieren Freude und Leiden des Österreichers an seiner nach dem alpinen Skifahren liebsten Sportart. Zwischen dem Sieg über Deutschland bei der Weltmeisterschaft 1978 in Cordoba und der Niederlage gegen die Faröerinseln spannen sich Genialität und Dilettantismus einer Mannschaft, an der Österreich seinen eigenwilligen Patriotismus festmacht.

Die elf Geschichten sind auch elf verschiedene Herangehensweisen an das Thema Fußball - von elf höchst unterschiedlichen Persönlichkeiten. Der Schriftsteller Gustav Ernst zieht schonungslos über die österreichischen Fußballer her. In seinem Text sieht er ein Spiel im Fernsehen und streitet mit seiner Frau darüber, ob sich die rot-weiß-roten Sportler nun bewegen oder doch nicht. Das Leben eines Legionärs, das des für Nagoya spielenden Kroaten Ivica Vastic, zeichnet der in Japan lehrende Übersetzer Leopold Federmair nach.

1978, das Jahr des letzten österreichischen Triumphs auf dem grünen Rasen, ist für den Autor Gerhard Jaschke ein Wendepunkt. Sentimental erinnert er sich an berühmte Namen wie Hannappi, Happl, Krankl, Fiala - Legenden des österreichischen Fußballsports. Auch der Schriftsteller Erich Hackl schreibt über Österreicher 1978 in Argentinien, allerdings nicht über die Fußballer bei der WM, die ist nur Hintergrund, sondern über jene beiden, die dort lebten und die von der Militärjunta gefoltert und beseitigt wurden.

Eine Erzählung von Erwin Riess bietet einen weiteren Aspekt dieser facettenreichen Sportart: Die Erinnerung an die eigene Jugend im Fußball: In den Clubs, die die Gesellschaft, aus der sie kommen, abbilden, den Proletariervereinen und den feinen Mannschaften. Es war die Zeit ehrlicher Begeisterung und auf dem Rasen ausgetragener Rivalitäten, das Hineinwachsen in eine kleine Welt, die Spiegel der großen ist.

Der Mitherausgeber des Buchs, der Wiener Literaturprofessor Wendelin Schmidt-Dengler, zeigt die enge Verbundenheit heimischer Schriftsteller mit dem Fußball auf, sei es im Gespräch mit dem Autor Gerhard Roth oder in diversen Literaturzitaten bis Peter Handkes "Angst des Tormanns vor dem Elfmeter". Meist ist der Fußball Begleiter der Mannwerdung, wenngleich auch Mädchen den Fußball in der Pubertät entdecken, wie Margit Schreiner, die erzählt, wie sie einem heute unbekannten Torwart nach dem Spiel unter der Dusche ein Interview für eine Schülerzeitung entlockte.

Der Sport-Journalist Johann Skocek, dessen Zeitungskolumnen stets ein Stück Literatur sind, steuert einen allerdings trocken-journalistischen Beitrag über Intrigen und dürftige Finanzierung des österreichischen Fußballs bei - und mit einem Mal weiß man, warum es diesem so schlecht geht. Mit Alfred Tatar kommt auch ein Spieler, derzeit Trainer von LOK Moskau, zu Wort. Andreas Weber schließt mit einem Fußballer-Porträt.

Das Buch ist nicht nur für Fans geschrieben, auch der Fußballferne erfährt ohne notwendiges Vorwissen viel über eine ihm sonst vielleicht verschlossene Sportart, lässt sich ein wenig von ihrem Zauber anwehen, den jeder Autor anzusprechen weiß. Und nebenbei lässt sich die österreichische Seele erfahren. Wo, wenn nicht im Fußball.


Rezensiert von Stefan May

Wendelin Schmidt-Dengler, Andreas Weber (Hg.): "Als ich einmal Harreither unter der Dusche interviewte - 11 Texte zum österreichischen Fußball"
Otto Müller Verlag, Salzburg-Wien-Leipzig, 2008
156 Seiten, 19,00 Euro