Die ökologische Schuldenkrise

Von Christian Schwägerl |
Die Finanzkrise zeigt, wie schwer Schäden an komplexen Systemen zu reparieren sind. Doch beim Geld geht es letztlich nur um Papier. Klima und Ökosysteme zu regenerieren, ist ungleich schwieriger.
Was sich in diesen Tagen in der Weltpolitik abspielt, ist hochgefährlich. Das Finanzsystem schlittert nahe am Abgrund entlang. Europäische Regierungen bieten immer größere Milliardenbeträge auf, um Stabilität zurückzugewinnen. Amerika entgeht nur knapp der Zahlungsunfähigkeit. Millionen Menschen bangen um ihre wirtschaftliche Existenz.

Das alles ist schlimm genug. Doch könnte es sein, dass die Finanzkrise von heute nur ein Symptom einer viel größeren Krankheit ist? Es lässt sich eine beunruhigende Parallele von der akuten Schuldenkrise zur globalen Umweltkrise ziehen.

Begonnen hat die Finanzkrise damit, dass Millionen von Menschen vor allem in den USA in zu großen Häusern leben wollten, die sie sich nicht leisten konnten. Um daran zu verdienen, konstruierten Banken immer raffiniertere Faule Kredite. Mit diesen wälzten sie das Risiko ab, ihr Geld nicht wiederzubekommen. Die Rechnung bekommen nun Steuerzahler weltweit.

Soeben haben Wissenschaftler neue Berechnungen vorgelegt, wie sehr die Menschheit ihr globales Haus, den Planeten Erde, überstrapaziert und über ihre Verhältnisse leben will. Zwischen 1980 und 2002 wären dieser Analyse zufolge eigentlich 2,5 Planeten Erde nötig gewesen, um den Verbrauch zu decken. Die Menschheit hat zweieinhalb Mal mehr zum Beispiel an Wäldern, Böden, Fischvorkommen verschlissen als nachgewachsen ist. Ähnlich wie die amerikanischen Hausbesitzer leben die Weltbewohner ökologisch über ihre Verhältnisse. Es entstehen ökologische Schulden, die schwer zurückzahlbar sind.

Geht diese Entwicklung bis 2050 so weiter wie bisher, kommen die Wissenschaftler zu dem Ergebnis, dass 27 Planeten Erde nötig wären. Je mehr wir Menschen die Natur überstrapazieren, so deutlicher wird, dass diese Natur - und nicht die staatlichen Geldhäuser in Washington, London, Frankfurt - die eigentliche Zentralbank des Planeten ist.

Wir nehmen Kredite, wenn wir unsere Lebensmittel auf dünnen, verletzlichen Bodenschichten anbauen. Wir leihen uns ökologisches Kapital, wenn wir den Meeren Fische und Rohstoffe entnehmen. Und wir überziehen unser CO2-Budget, wenn wir so viel Treibhausgase in die Atmosphäre pumpen, dass das Weltklima aus den Fugen gerät.

Einen gesunden Kredit von der natürlichen Zentralbank zu nehmen hieße, Zinsen auf das entliehene ökologische Kapital zu bezahlen. Ein Beispiel wäre, die Fischerei so zu gestalten, dass sie die Meere nicht leert, den Holzverbrauch so zu begrenzen, dass die Waldfläche nicht schrumpft. Es bedeutete, nur soviel Kohlendioxid in die Atmosphäre zu pumpen, dass gefährliche Effekte ausbleiben und in neue Energietechnologien zu investieren.

Doch auch beim ökologischen Kapital sind faule Kredite derzeit die Regel. Wir verbrauchen mehr Energie, fahren größere Autos, verwenden mehr Rohstoffe als das Erdsystem verträgt. Zugleich geben wir mehr Geld für Kohlesubventionen als für Energieforschung aus. Noch versuchen wir, die Risiken zu verdecken oder sie an die nächsten Generationen weiterzugeben. Doch das gelingt immer schlechter.

Schon heute verursacht der Raubbau an der Natur ökonomische Kosten in Billionenhöhe. Dürren, schlechte Ernten, Erosion, Gesundheitsschäden sind nur einige der spürbaren Folgen. Gelingt kein Umsteuern, wird das aber erst der Anfang einer gewaltigen Rezession und Verarmung der natürlichen Umwelt sein.

Die aktuelle Finanzkrise zeigt, wie schwer Schäden an komplexen Systemen zu reparieren sind. Beim Geld geht es letztlich nur um Papier. Klima und Ökosysteme zu regenerieren, bei ihnen wieder für Stabilität zu sorgen, ist ungleich schwieriger. Ein Bail-out, ein Übernehmen der heutigen ökologischen Schulden, könnte künftige Generationen schlicht überfordern. Höchste Zeit also, aus der akuten Finanzkrise zu lernen: Wir dürfen nicht weiter in finanzieller und ökologischer Hinsicht heute über unsere Verhältnisse leben und dadurch den Menschen der Zukunft Freiheit und Wohlstand rauben.

Christian Schwägerl, Jahrgang 1968, hat Biologie studiert und ist Umwelt-, Politik- und Wissenschaftsjournalist beim SPIEGEL. Zuvor war er als Feuilletonkorrespondent der F.A.Z. in Berlin tätig. Für seine Leistungen hat er den "Georg-von-Holtzbrinck-Preis für Wissenschaftsjournalismus" und den "Econsense-Journalistenpreis" für Nachhaltigkeit erhalten. Er hat das Buch "Menschenzeit. Zerstören oder Gestalten, die entscheidende Epoche unseres Planeten" geschrieben, das 2010 im Riemann-Verlag erschienen ist.
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Christian Schwägerl© Matthias Lüdecke
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