"Die NPD ist verbotsfähig"

Hajo Funke im Gespräch mit Ulrike Timm · 16.11.2011
Ein neues Verfahren für ein NPD-Verbot könnte Aussicht auf Erfolg haben, wenn man alle V-Leute abziehen würde, meint der Politikwissenschaftler Hajo Funke. Nach den aktuellen Erfahrungen mit der Nazi-Terrorgruppe halte er den Einsatz von V-Leuten in der rechten Szene für "kläglich gescheitert".
Ulrike Timm: Zehn Menschen soll das rechtsextremistische Trio aus Zwickau umgebracht haben und die drei mutmaßlichen Täter waren dem Verfassungsschutz bestens bekannt: 24 Aktenordner hatte man beim Landesamt in Thüringen angelegt, die drei Rechtsextremisten wurden von V-Leuten observiert und verschwanden 1998 doch spurlos, verschwanden spurlos unter den Augen des Verfassungsschutzes. Wie kann das sein? Fragen über Fragen an den Geheimdienst, der mittels V-Leuten Erkenntnisse über Rechtsextreme gewinnen soll, und doch in entscheidenden Situationen offenbar nichts mitkriegt und vielleicht sogar nichts mitkriegen will.

Hajo Funke ist Politikwissenschaftler der FU Berlin, und er gehört zu den profiliertesten Rechtsextremismus-Experten in Deutschland. Guten Morgen, Herr Funke!

Hajo Funke: Guten Morgen!

Timm: Für wie wahrscheinlich halten Sie das, dass nicht nur unter den Augen, sondern womöglich sogar mithilfe von V-Leuten solche Taten möglich geworden sind?

Funke: Wir wissen es nicht, aber ganz unwahrscheinlich ist das nicht, zumal wenn man weiß, dass Ende der 90er-Jahre der Verfassungsschutz Thüringen unter der Leitung von Helmut Roewer war und es jede Menge Kämpfe durch Stechereien, Krisen, Kriege innerhalb dieses Verfassungsschutzes gab, und andererseits Tino Brandt, der Chefstratege der Neonazis, im Thüringer "Heimatschutz" als V-Mann gehalten wurde.

Timm: Welche Rolle hätten dann die V-Leute gespielt?

Funke: Also es geht um die V-Leute als Informationsbeschaffer aus der rechtsextremen Szene einerseits und den Verfassungsschutz. Was also diesen V-Mann anlangt, so ist zu 99 Prozent klar, dass dieser Neonazi natürlich den engen freundschaftlichen Kontakt nicht abgebrochen hat. Er brauchte es ja auch nicht, er ist ja nur als V-Mann eingesetzt, als Informationsbeschaffer, gerade in dem Maße, in dem er in der rechtsextremen neonazistischen Szene bleibt. Aber er hat nicht informiert.

Timm: Das hieße ja, dass die V-Leute, auf die man ja bisher politisch meinte, nicht verzichten zu können, in Einzelfällen nicht nur dem Rechtsstaat nicht nützlich gewesen sind, sondern dass sie ihn aktiv behindert hätten. Wie bewerten Sie denn das rechtsstaatlich?

Funke: Also definitiv ist der Rechtsstaat und der Verfassungsschutz in seiner Funktion, wie es dem Gesetze zufolge sein soll, behindert worden, ja, man kann sogar noch eins weitergehen: Wenn es einen Sinn gab für den Verfassungsschutz, V-Leute zu halten, dann ist der Sinn unendlich monströs verkehrt worden.

Es ging ja gerade um ... die schwierigen und die gefährlichen Prozesse zu wissen durch V-Leute, und hier haben wir den Fall, dass der allergefährlichste Prozess und die Organisationsbildung, die es in der Bundesrepublik neben einigen wenigen anderen Dingen gegeben hat, systematisch nicht informiert worden ist. Das heißt: Die V-Leute sind an diesem Beispiel und wahrscheinlich sehr vielen anderen gänzlich gescheitert.

Timm: Was im Moment ja auch sehr in der Diskussion steht, Herr Funke: Jeder Verfassungsschutz, jeder Landesverfassungsschutz rekrutiert seine V-Leute selbstständig, eigenverantwortlich, ohne Austausch über Ländergrenzen hinweg. Dass das in diesem Fall höchst schädlich war, ist glaube ich unbestritten, aber wie nützlich oder wie schädlich ist das generell?

Funke: V-Leute einzusetzen ist eines der – wenn es funktionieren soll – kompliziertesten Sachen. Es bedarf der hohen sozialen Kompetenz und Professionalität der Verfassungsschutzleitungen selbst, derjenigen, die V-Leute führen, und eine jeweilige Abschätzung der Funktion dieser V-Leute, und darüber hinaus eine Kontrolle, dass sie nicht gegen das Gesetz verstoßen im Namen der Informationsbeschaffung. All das ist kläglich misslungen, jedenfalls in diesem Fall.

Timm: Der ursprüngliche Wunsch oder die ursprüngliche Erwartung an solche Verbindungsleute in den rechtsextremen Untergrund ist ja, dass sie ausplaudern, Informationen beschaffen über mögliche anstehende Straftaten, über die Gesinnung, über die Gefährlichkeit rechtsextremer Leute, die man zu kennen glaubt oder noch finden möchte. Wenn nun da jeder Landesverfassungsschutz einsam vor sich hinbröselt, dann heißt das ja auch: Es könnten sich zwei V-Leute zweier Verfassungsschutzämter treffen und gemeinsam was aushecken. Dann wäre das ja eigentlich gar nicht mehr Science Fiction, sondern ein denkbares Szenario.

Funke: Es ist ein denkbares Szenario. Hier sehen wir die Kehrseite des Föderalismus, wenn Lobbygruppen, die den Verfassungsschutz stärker ausgestattet sehen wollen in dem einen Land, einfach tun, was sie wollen – natürlich im Rahmen des Gesetzes und nicht direkt, so, dass man erkennt, dass sie Unsinn machen oder nicht kompetent sind.

Wir haben eine unterschiedliche Vielfalt negativer und auch guter Erfahrungen in den einzelnen Landesverfassungsschutzämtern. Aber für die Frage einer überregional organisierten Terrorgruppe oder für die Frage eines überregionalen neonazistischen gewalttätigen Netzwerks ist das eine völlig inkompetente Konstruktion, denn Sie müssen ja länderübergreifend Informationen beschaffen, und dann, wenn Informationen in Richtung Straftaten gehen, unmittelbar die Polizei informieren und in all dem auch noch politisch kontrolliert werden. Alles das ist kläglich misslungen.

Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton" im Gespräch mit Hajo Funke über die Arbeitsweise des Verfassungsschutzes und den Einsatz von Verbindungsleuten im rechtsextremistischen Umfeld. Herr Funke, wer ist eigentlich ein typischer V-Mann, wer eignet sich für diesen Job?

Funke: Sie meinen jetzt meine Idealdefinition?

Timm: Ich meine, nach wem man sucht, wenn man so jemanden einsetzt.

Funke: Man sollte suchen nach jemand, der tatsächlich selbst undercover gegenüber der rechtsextremen Organisation die wichtigen Informationen dem politischen und administrativen Sicherungsorgan mitteilt, beschafft und mitteilt. Das ist die eigentliche Funktion. Das heißt, man erwartet dann, dass die zentralen Akteure des Rechtsextremismus nicht unbedingt V-Leute sind, aber dies ist geschehen, und zwar bewusst und strategisch, etwa im Thüringer Verfassungsschutz, über den wir gerade reden, aber auch in anderen Fällen.

Und diese Figur ist selten zu finden. Sie muss verdeckt operieren, auch das ist im Falle Thüringen nicht geschehen, der hat sich mit den vielen Geldern, wahrscheinlich 200.000 oder insgesamt über eine Million, im Grunde sein eigenes neonazistisches Netzwerk aufbauen können.

Timm: Sollten wir noch einfügen: Der Staat hat diese Taten möglicherweise auch noch mitbezahlt.

Funke: Ja, er hat sie mitbezahlt, also ob er diese Taten mitbezahlt hat, das weiß ich nicht, aber den Aufbau der gefährlichsten neonazistischen Gruppierung jener Zeit in Thüringen ja.

Timm: Wären Sie dafür, alle V-Leute abzuziehen?

Funke: Ich bin sogar dafür, dass man diese Konstruktion, die so kläglich misslungen ist, an der entscheidenden Stelle überprüft, also ob man die Kompetenzen der Bundesämter oder des BKA ganz anders stärkt und insofern die Rolle des Verfassungsschutzes weiter zurückfährt. Abziehen kann man die V-Leute nach diesen Erfahrungen allemal, die meisten Informationen, die man bekommen kann, kann man auch so bekommen. Ich glaube mich viel besser informiert durch meine, unsere Quellen, durch sozialwissenschaftlich ermittelte Quellen, in den Fällen, in denen ich mich wirklich analytisch, empirisch darum kümmere. Nein, also das hat versagt.

Timm: Ich frage natürlich vor allem auch deshalb, weil das schon einmal angestrebte NPD-Verbotsverfahren vor allem daran gescheitert ist, dass V-Leute eben bis in höchste Etagen der NPD eingeschleust waren, dass die Neonazis also mit einigem Recht behaupten konnten, sie seien ja sozusagen vom Verfassungsschutz unterwandert und könnten gar nichts dafür. Nun diskutiert man wieder über ein neues NPD-Verbotsverfahren. Stünde dieses neue anstrebte Verfahren vor dem gleichen Problem?

Funke: Ja, natürlich. Man muss ja – das hat der damalige Bundesinnenminister nicht getan – die Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts ernst nehmen und auch angemessen mit dem Gremium kommunizieren. Daran hat es gemangelt leider, das war hoch unprofessionell. So, und dann würde man gewusst haben, dass man die V-Leute-Frage klärt. Man hätte sie klären können, wahrscheinlich sogar innerhalb von Jahresfrist. Aber das hat man unterlassen, und damit ist es erst gar nicht zu einem vernünftigen Verfahren gekommen. Macht man es, ist das Verfahren meines Erachtens sehr von Erfolg gekrönt, denn die NPD ist verbotsfähig.

Timm: Meint der Politikwissenschaftler und Rechtsextremismus-Experte Hajo Funke. Herr Funke, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!

Funke: Bitte schön!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.