Die Norm des schlanken Körpers
Viele Frauen und Männer in Deutschland sind übergewichtig. Die heutige Gesellschaft ist deshalb ausgiebig mit ihrem Körper und auch mit dem Thema Schlankheitskult beschäftigt. Sabine Merta stellt in ihrem Buch fest, wie eng der Umgang mit dem Körper mit gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen verknüpft ist.
Beefsteak, Austern, Braten, Eier, Suppe, Wein - so opulent ließ sich vor 150 Jahren fasten. Wer sich der "neuen Banting-Cur" des deutschen Arztes Josef Wiel anvertraute, durfte mit viel Verständnis für exquisite Vorlieben rechnen: Hasel- und Schneehuhn standen ebenso auf dem Speisezettel wie Froschschenkel, Kalbsbriesle, Gratenkresse und Endivien. In ihrem Buch "Schlank! Ein Körperkult der Moderne" rollt die Historikerin und Biologin Sabine Merta die Kampfstrategien gegen den fetten Körper von ihren Anfängen im 19. Jahrhundert her auf.
Damals griff eine naturheilkundliche Bewegung um sich, die sich - im Rückgriff auf die Antike und den Genfer Philosophen Jean-Jaques Rousseau - als ganzheitlich verstand und alle Krankheiten durch die dem Menschen innewohnende "Lebenskraft" zu überwinden suchte. Hydrotherapeuten empfahlen Wasserkuren aller Art, Vegetarismusvereine forderten Läuterung, Lebensgemeinschaften kehrten der Zivilisation den Rücken und suchten ihr Heil in der Abgeschiedenheit gesunder Luft und reglementierter Nahrungsaufnahme.
Hier entspringt sie: die Vorstellung, dass das Glück des Menschen sich über seine Essensgewohnheiten verwirklichen lasse. Ein durch und durch bürgerliches Projekt, wie die Autorin zu Recht betont: Die Arbeiterfamilie des 19. Jahrhunderts kämpfte währenddessen mit dem Kalorienmangel.
Vier Phasen des modernen Schlankheitskults kann die Autorin in ihrem historischen Abriss unterscheiden - sie zeigen, wie eng der Umgang mit dem Körper verzahnt ist mit gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen: Bis ins 17. Jahrhundert galt Leibesfülle als Statussymbol für Macht und Reichtum und blieb - in einer Mangelgesellschaft - ein Privileg der Oberschicht. Die Aufklärung thematisierte dann erstmals die Fettleibigkeit als Gesundheitsproblem. Nun wurde, so erklärt Sabine Merta, die edle Schlankheit zum Schönheitsideal der Gutbetuchten.
Das ausgehende 18. Jahrhundert verschränkte Schlankheit mit positiv bewerteten, bürgerlichen Tugenden: Mäßigkeit, Bescheidenheit, Einfachheit. Hundert Jahre später fusionierte das Schlankheitsideal dann schließlich mit dem Sonnen-, Jugend-, Körper- und Fitnesskult: Athletisch, schlank und sonnengebräunt - so wollen wir seitdem durch die Leistungs- und Wohlstandsgesellschaft joggen.
Anspruchsvoll ist das Buch geschrieben, entstammt es doch einer Promotionsarbeit, die für das breitere Publikum nun zwar überarbeitet wurde - die akademische Herkunft ist dennoch unübersehbar. Akribisch leuchtet die Autorin auch noch die entlegensten Winkel historischer Körperbewegungen auf, was bisweilen etwas dröge gerät. Umso interessanter die philosophisch grundierten Teile des Buches, in denen es um die Geschichte des Körperbewusstseins geht und um die Frage, wie sich die Norm des schlanken Körpers eigentlich deuten lässt.
Zu kurz greife die feministische Kritik, argumentiert die Autorin: Schließlich quälen sich heute auch Männer mit Selbstzweifeln ob des eigenen Erscheinungsbildes, einem Übermaß an gymnastischen Übungen und strengen Ernährungsvorschriften. Rationalisierung, Disziplinierung und Normierung des Körpers gingen, resümiert Merta, mit dem "Prozess der Zivilisation" einher, den der deutsche Soziologe Norbert Elias in seinem epochemachenden Werk beschrieb: In einer Welt der immer perfekter werdenden Technik soll auch die leibliche Hülle des Menschen nicht mehr dem schnöden Zufall überlassen bleiben. Und wo der perfektionssüchtige Mensch an die Grenze des biologisch Optimierbaren gerät, müssen Silikonimplantate und Schönheitsspritzen helfen. So hat sich, was mit den ganzheitlichen Gesundheitsbewegungen des 19. Jahrhunderts begann, vom Gesundheitsideal inzwischen weit entfernt.
Rezensiert von Susanne Billig
Sabine Merta: Schlank! Ein Körperkult der Moderne,
Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2008,
423 Seiten, 29,50 Euro
Damals griff eine naturheilkundliche Bewegung um sich, die sich - im Rückgriff auf die Antike und den Genfer Philosophen Jean-Jaques Rousseau - als ganzheitlich verstand und alle Krankheiten durch die dem Menschen innewohnende "Lebenskraft" zu überwinden suchte. Hydrotherapeuten empfahlen Wasserkuren aller Art, Vegetarismusvereine forderten Läuterung, Lebensgemeinschaften kehrten der Zivilisation den Rücken und suchten ihr Heil in der Abgeschiedenheit gesunder Luft und reglementierter Nahrungsaufnahme.
Hier entspringt sie: die Vorstellung, dass das Glück des Menschen sich über seine Essensgewohnheiten verwirklichen lasse. Ein durch und durch bürgerliches Projekt, wie die Autorin zu Recht betont: Die Arbeiterfamilie des 19. Jahrhunderts kämpfte währenddessen mit dem Kalorienmangel.
Vier Phasen des modernen Schlankheitskults kann die Autorin in ihrem historischen Abriss unterscheiden - sie zeigen, wie eng der Umgang mit dem Körper verzahnt ist mit gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen: Bis ins 17. Jahrhundert galt Leibesfülle als Statussymbol für Macht und Reichtum und blieb - in einer Mangelgesellschaft - ein Privileg der Oberschicht. Die Aufklärung thematisierte dann erstmals die Fettleibigkeit als Gesundheitsproblem. Nun wurde, so erklärt Sabine Merta, die edle Schlankheit zum Schönheitsideal der Gutbetuchten.
Das ausgehende 18. Jahrhundert verschränkte Schlankheit mit positiv bewerteten, bürgerlichen Tugenden: Mäßigkeit, Bescheidenheit, Einfachheit. Hundert Jahre später fusionierte das Schlankheitsideal dann schließlich mit dem Sonnen-, Jugend-, Körper- und Fitnesskult: Athletisch, schlank und sonnengebräunt - so wollen wir seitdem durch die Leistungs- und Wohlstandsgesellschaft joggen.
Anspruchsvoll ist das Buch geschrieben, entstammt es doch einer Promotionsarbeit, die für das breitere Publikum nun zwar überarbeitet wurde - die akademische Herkunft ist dennoch unübersehbar. Akribisch leuchtet die Autorin auch noch die entlegensten Winkel historischer Körperbewegungen auf, was bisweilen etwas dröge gerät. Umso interessanter die philosophisch grundierten Teile des Buches, in denen es um die Geschichte des Körperbewusstseins geht und um die Frage, wie sich die Norm des schlanken Körpers eigentlich deuten lässt.
Zu kurz greife die feministische Kritik, argumentiert die Autorin: Schließlich quälen sich heute auch Männer mit Selbstzweifeln ob des eigenen Erscheinungsbildes, einem Übermaß an gymnastischen Übungen und strengen Ernährungsvorschriften. Rationalisierung, Disziplinierung und Normierung des Körpers gingen, resümiert Merta, mit dem "Prozess der Zivilisation" einher, den der deutsche Soziologe Norbert Elias in seinem epochemachenden Werk beschrieb: In einer Welt der immer perfekter werdenden Technik soll auch die leibliche Hülle des Menschen nicht mehr dem schnöden Zufall überlassen bleiben. Und wo der perfektionssüchtige Mensch an die Grenze des biologisch Optimierbaren gerät, müssen Silikonimplantate und Schönheitsspritzen helfen. So hat sich, was mit den ganzheitlichen Gesundheitsbewegungen des 19. Jahrhunderts begann, vom Gesundheitsideal inzwischen weit entfernt.
Rezensiert von Susanne Billig
Sabine Merta: Schlank! Ein Körperkult der Moderne,
Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2008,
423 Seiten, 29,50 Euro