Die "nordische Minerva"

Rezensiert von Richard Schroetter |
Zehn Jahre lang herrschte Königin Christina (gestorben 1689) über Schweden. Doch nur selten tat sie das, was ihr die Rolle als Regentin abverlangte. Eine neue Biografie von Veronica Buckley zeigt die Monarchin als eine moderne und leidenschaftliche Frau, die sich für die Naturwissenschaften ebenso wie für die schönen Künste begeistern konnte.
Für die Historiker ist sie wohl eher ein bizarrer Zwischenfall, die exzentrische Protestantin aus dem kalten Norden, die es in den Süden zog, genauer, in das erzkatholische "feindliche" päpstliche Lager in Rom. Die Königin Christina, die "nordische Minerva", die zehn Jahre Schweden regierte, war eine leidenschaftliche, moderne, für das politische Geschäft eher zu impulsive Frau, die nur selten tat, was ihr die offizielle Rolle als Regentin abverlangte. Sie wollte Königin sein und zugleich sich selbst verwirklichen. Sie wollte alles verantworten und niemandem verantwortlich sein.

Sie widmete sich den klassischen Wissenschaften; verkehrte mit den bedeutendsten Gelehrten ihrer Epoche; sie zog Dichter, Musiker und Maler an ihren Hof und führte eine beeindruckende Korrespondenz. Die mathematischen Prinzipien eines René Descartes beeindruckten sie tief, doch die jesuitischen Schmeicheleien ihrer Berater zeigten noch eine größere Wirkung. "Sie liebte die Musik", so Veronica Buckley, ihre jüngste Biographin, sie "musizierte aber nicht, sie liebte den Tanz, war aber eine schlechte Tänzerin." Zwei Makel besaß sie leider in ihren Augen: Sie war kleinwüchsig und nicht besonders schön. Auf den Herzog von Guise, der sie in Paris kennen lernte, wirkte sie:

"Nicht groß, mit plumper Taille und breiten Hüften, hübschen Armen, einer weißen wohlgeformten, aber eher männlichen als weiblichen Hand. ... Das Gesicht ist breit, aber nicht außer Proportion ... mit Adlernase und einem ziemlich großen, aber nicht unangenehmen Mund ... Die Augen sind schön und feurig ... sie trägt einen seltsamen Kopfputz, ... eine dichte hohe Männerperücke ..., sie ist beschuht wie ein Mann und hat auch die Stimmlage und fast ganz das Benehmen eines Mannes ... sie spricht acht Sprachen, die französische so gut, als wäre sie in Paris geboren. … Eine wirklich außerordentliche Frau."

Obwohl ihr Lebensweg aufgrund Geburt und Stellung vorgezeichnet zu sein schien, fragte Christina sich immer wieder wie ihr Hausphilosoph Descartes, den sie 1650 in das eisigekalte Stockholm gelockt hatte und der dort starb: Welchen Lebensweg soll ich einschlagen?

Die einzige Tochter des berühmten Gustav Adolf hatte ein schweres Erbe angetreten. Sie ist erst sechs Jahre alt, da stirbt der "Retter der protestantischen Sache", ihr Vater. Sie wird von einem dutzend Vormündern erzogen, allen voran von dem mächtigen Kanzler Axel Baron Oxenstierna, dessen Autorität das als äußerst wild beschriebene Mädchen nur widerwillig akzeptiert. Christinas Leben ist eine ständige Revolte gegen das kalte Reglement der Männer- aber auch gegen das eigene Geschlecht. Sie wäre gern ein Mann gewesen und hatte zugleich gegenüber Männern tiefe Vorbehalte. Als umworbene Herrscherin und Repräsentantin wurde sie Spielball unzähliger Gerüchte. Man verdächtigte sie, lesbisch zu sein. Ihre Biographin Veronica Buckley nimmt das mit bewundernswerter Sachlichkeit zur Kenntnis.

" Die Aufmerksamkeit der Königin galt einer der jungen Ehrendamen ... Ihrer Liebreize wegen nannte Christina sie Belle ... Gewöhnlich schliefen Christina und Belle im selben Bett, was zur damaligen Zeit für unverheiratete Frauen nicht ungewöhnlich war, doch Christina hatte ihren Spaß an der Situation, weil sie ihr Gelegenheit zu provozierenden Bemerkungen bot ... Ihre Anspielungen wurden rasch als Tatsachen gehandelt, und es sollte nicht lange dauern, da glaubte alle Welt, die Königin sei lesbisch oder möglicherweise, wie man nachträglich mildernd hinzufügte, ein Hermaphrodit."

Christinas Sprunghaftigkeit, ihre einsamen kompromisslosen Entschlüsse, wie etwa ihre Weigerung aus "Widerwillen gegen den Beischlaf" zu heiraten, oder ihre Konversion zum Katholizismus, ihre bis zum Mord gehenden Rachegelüste, ihr provozierender Stolz, versetzten ihre Zeitgenossen in Erstaunen und Empörung.

Sie war eine Virago im alten Renaissance-Sinn, eine kriegerische Heldenjungfrau wie sie Ariost besungen hatte. Sie hat es allen schwer gemacht, vielleicht war das ihre Aufgabe, ein ewiger Störenfried, Sand im Getriebe der Mächtigen zu sein.

Bei all dem fühlte sie sich - und das ist eine unterschwellige Botschaft dieser einfühlsamen Biographie - immer ohnmächtig - auch als mächtige "nicht klein zukriegende" Frau. Wie sie selbst ist auch die Geschichte - unberechenbar - - verantwortungslos - zerstörerisch. Und überall lauert Verrat.

Kurz vor ihrem Tod muss sie erfahren, wie die schöne Angelica Quadrelli, ihre platonische Geliebte, von einem Mann aus ihrem Gefolge, einem Geistlichen "von nicht geringer Herkunft, aber schlechten Eigenschaften und trefflich eingebildet" in ihrem Palast vergewaltigt wird. Sie beauftragt einen treuen Soldaten, den Mann zu töten, und "ihr den Kopf des Aptes zu bringen". Doch selbst ihre besten Getreuen erweisen sich als bestechlich.

"Er nahm Geld von einigen Freunden des Abts und hielt still, bis sich sein Opfer in Neapel abgesetzt hatte. Als er zur Königin zurückkehrte, bekam sie einen Wutanfall, sie sprang ihm "ins Gesicht und versetzte ihm wohl zwanzig Streich(e) mit der Faust, ihn auf seine Untreue verweisend. Ja sie hätte ihn sogar erwürgt, wäre sie stark genug gewesen, so voller Eifer war sie"."

Veronica Buckley: Christina - Königin von Schweden. Das rastlose Leben einer europäischen Exzentrikerin
Übersetzt von Xenia Osthelder
Eichborn 2005
551 Seiten