Die Nichte des Teufels an der Gitarre aus Nichts

Von Gerhard Richter |
Letztes Jahr hat Aline Westphal, eine Studentin aus Hildesheim, überraschend die alljährliche Luftgitarren-Weltmeisterschaft im finnischen Oulu gewonnen. Sie hat den Weltmeistertitel nach Deutschland geholt, in ein Land, das noch nicht bereit scheint für einen derart harmlosen Spaß.
„Man kann nur sagen, entweder man mag Luftgitarre oder man mag es gar nicht.“

Gitarrespielen ohne Gitarre spaltet die Deutschen. Die einen finden es toll. Die andern finden daran gar nichts.

„Und es gibt sehr, sehr viele negative Stimmen, wirklich böse Stimmen. Und es gibt dann auch wieder wirklich viele positive Stimmen. Auch von Leuten, von denen ich gar nicht denke, dass sie das gut finden.“

Der Titelgewinn vor einem Jahr hat Aline Westphal aus ihrem beschaulichen Studienort Hildesheim in eine Welt hineinkatapultiert, in der man eine gute Luftgitarre zu schätzen weiß, oder wenigstens neugierig darauf ist. Unvermutete Orte.

„Fritzlar/Bad Hersfeld in Hessen – hat sich jetzt nicht so gelohnt, aber man ist mal rumgekommen. Man hat was gesehen von Deutschland. Und viele Leute kennengelernt und viel ungewöhnliche Auftrittsorte gehabt und das macht dann so Spaß, so.“

Auf Knastpartys hat die rothaarige Kulturexotin Luftgitarre gespielt, bei Firmenjubiläen, in Comedy-Clubs, bei Fernsehshows. Sie hat Günther Jauch kennengelernt und die Mitarbeiter des Frankfurter Ordnungsamts. Die haben ihren Auftritt in der Fußgängerzone untersagt. Wegen der Musik, zu der Aline die weltbeste Luftgitarre spielt: Energiegeladen, sexy, explosiv und sehr exaltiert.

„Es darf einem nicht peinlich sein, also wenn man Hemmungen hat, dann ist man verloren.“

Aline Westphal kam spät zur Luftgitarre. Als Teenager stand sie lieber auf der Bühne der Theater AG, am Gymnasium im niedersächsischen Großburgwedel, wo sie auch geboren ist. Die Mutter Kindergärtnerin, der Vater Dachdecker. Aline ist Maria Stuart, Shakespeares Julia oder der Knopfgießer in Peer Gynt.

Beim Studium der szenischen Künste in Hildesheim dreht sie Kurzfilme und belegt den Kurs „Medienästhetische Überlegungen zur Luftgitarre“. Inklusive praktischer Übungen. Und sie fällt auf.

„Wohl schon in der allerersten Stunde, meinte Mathias Mertens mein Dozent irgendwann mal ... Wir hatten – daran kann ich mich auch gut erinnern – die allererste Luftgitarrenübung gemacht. ( ... ) Und er meinte dann später zu mir: Ich hab da in diesem Kreis viele spielen sehen, aber nur eine hat Luftgitarre gespielt und das war ich.
Ich wusste nicht, dass dieses Talent da in mir schlummerte, das war ... irgendwie ... dann einen Bereich da gefunden – cool – das kann ich.“

Wenn sie über die Bühne tobt, ist sie nicht sie selbst, sondern „The Devil's Nice“, die Nichte des Teufels. Ihre selbst erfundene Bühnenfigur: Rote schulterlange Haare, rotes Tiger-Shirt, schwarze Shorts und schwarze Glitzerweste, dazu Nietengürtel und Schnürstiefel.

Ganz überraschend gewinnt sie die deutsche Meisterschaft und fährt zur Weltmeisterschaft in die abgelegene finnische Kleinstadt Oulu. Die besten Luftgitarristen der Welt treffen sich dort – zu Radtouren, trinken und schwatzen bei Grillabenden und schwitzen gemeinsam in der Sauna. Ein Hauch von Weltfrieden.

„Also es ist nicht so wie: Wir sind hier um Meisterschaft zu machen, sondern es ist wie so ein Erasmus-Jahr nur in einer Woche. Man lernt ganz viele Leute kennen, ganz viele verrückte Leute, ganz viele nette Leute. Also sehr verrückte Zeit und man hat wirklich Freunde gefunden.“

Beim Wettbewerb bekommt Aline Westphal, alias the Devils Nice von der Jury Bestnoten. Sie wird Weltmeisterin. Der Preis: eine echte Gitarre. Durchsichtig.

„Ne E-Gitarre. Also richtig schick. Und auf dem Griffbrett steht Oulu – 2011. So ein Ding hab nur ich. Ja.“

Die Luftgitarre ist seitdem Lebensthema. Die 28-Jährige schreibt ihre Diplomarbeit über die Kulturgeschichte des imaginären Instruments. Mit ihrem Hildesheimer Seminarleiter und drei Kommilitonen inszeniert sie eine einstündige Luft-Rockoper – aber noch gibt es in Deutschland keinen Bedarf an hauptberuflichen Luftgitarristen.

„Wir alle fünf würden das liebend gerne machen, aber da sind wir momentan auch noch realistisch und müssen sagen, das reicht einfach noch nicht. Man braucht da wahrscheinlich einen Manager und eine Person, die einem den Weg da bereitet und sagt: Das was ihr macht ist großartig, ich nehm euch an die Hand und hoch geht's.“

Bislang lässt sich ihr Titel kaum vermarkten. Aline Westphal, die frisch diplomierte Kulturwissenschaftlerin, schreibt also Bewerbungen. Musikmanagement würde ihr gefallen. Ihren Titel würde sie trotzdem gern verteidigen – bei der diesjährigen Luftgitarren-WM im finnischen Oulu.

„Es ist nicht so, dass ich verbissen sage, es muss unbedingt der Sieg sein. Es wird dieses Jahr schwieriger für mich. Aber ich freue mich einfach, Leute wiederzusehen, die ich letztes Jahr getroffen habe und auf ‚ner großen Bühne zu stehen ... "

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