Die Nibelungen als Splatter-Theater

Von Bernhard Doppler · 18.01.2013
Der Weimarer Nibelungenabend in der Inszenierung von Michael von zur Mühlen (drei Stunden lang und ohne Pause) ist sicherlich eine Zumutung, zumal wenn man eine Aufführung von Friedrich Hebbels in Weimar 1861 uraufgeführten Nibelungendrama erwartet.
Zwar ziehen alle zehn Schauspieler, die in Kampfausrüstung mit Sturmgewehr auftreten, nach einer einleitenden Rede eines Kameraden über deutsche Integrationsbemühungen und deutsches Geschichtsbewusstsein brav gelbe Reclamhefte mit Hebbels Trauerspiel aus ihren Tarnanzügen heraus und lesen sich belustigt einige wenige altertümelnde Verse vor - doch Hebbels Dramentext macht nur einen geringen Bruchteil des Abends aus. Auch sind den Schauspielern gar keine bestimmte Rollen des Trauerspiels (Gunther, Hagen, Volker, Siegfried) zugeteilt, sondern alle sind "Nibelungen"-Soldaten und sondern politische Reden und Theorien von Angela Merkel bis zur RAF von Adorno bis Beaudrillard ab.

"Wir. Dienen. Deutschland": Der Schriftzug dieses Bundeswehrslogans bestimmt das Bühnenbild von Christoph Ernst. "Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt", sagte der ehemalige Verteidigungsminister Peter Struck. Aber welche Werte verteidigt Deutschland dort eigentlich? Gibt es noch politische Ideale, Utopien? Hat Engagement heute noch Sinn? Gibt es noch Auflehnung gegen den Pragmatismus des Alltags?

Kampf um die Selbstbehauptung
Lässt man sich auf von zur Mühlens Soldatenspektakel ein - und das fällt trotz der lustvoll agierenden, aber bisweilen unverständlichen Schauspieler an dem langen Abend gar nicht leicht, - kommt die Aufführung dann überraschenderweise doch dem Nibelungenmythos, diesem so oft missbrauchten deutschen Nationalmythos, sehr nahe. Auch Hebbels "Nibelungen" mit Männertreue und Männerverrat und dem Gang in die Katastrophe sind ja eine Zumutung. Gezeigt wird von Michael von zur Mühlen eine militarisierte Gesellschaft, weniger als Kritik am Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr, sondern als soziale Haltung, als Kampf um Selbstbehauptung. Die Nibelungen als Ego-Shooter!

Vergleichbar der Zweitteilung von Hebbels Drama in "Siegfrieds Tod" und "Kriemhilds Rache" gibt auf der Bühne im Weimarer E-Werk zwei Spielorte. Einen mit weißen Matratzen ausgelegten und dadurch federnden Boden für die Soldaten und dahinter erhöht einen langen Tisch mit drei Stangen, auf dem sich die Protagonisten immer wieder beim Table Dance räkeln und strippen. Erobern im ersten Teil die Soldaten die beiden Frauen, die emanzipierte Brunhilde (die Serbin Ana Stefanovic Bilic) und die auf traditionelle Werte bestehende Kriemhild (Jeanne Devos), so werden sie im zweiten Teil zu sich prostituierenden, sich zu Markt tragenden Frauen, die schließlich gnadenlos - das Ende der Nibelungen! - von zwei Killerfrauen niedergemetzelt werden.

Der Untergang der Nibelungen - ein Splatter-Film oder ein Shooting-Game; Etzels Hof ein Bordell, in dem man sich verkaufen muss. Eingefügt hat von zur Mühlen - ein überzeugender Einfall - unter die Soldaten einen sektiererischen Guru, der eine neue Welt schaffen will, das Bordell, die Welt, das Publikum, das Theater reinigen will. Das Shooting-Game der Nibelungen als Katharsis. Die Publikumsreaktionen gespalten: Ratlos, aber teils auch durchaus fasziniert, mitgenommen.

Informationen des DNT Weimar zu "Die Nibelungen"