Die Neuerfindung der deutschen Außenpolitik
Was wäre wenn…? Wenn der Bundespräsident einen Ausweg aus der Verfassungskrise findet, wenn am 18. September gewählt wird, und wenn die von den Meinungsforschern festgestellte Mehrheit für Schwarz-Gelb tatsächlich zu einer Mehrheit der Mandate im Deutschen Bundestag wird. Drei große Wenns, und dazu eine Menge kleine. Trotzdem wird in Berlin überall die Frage gestellt, ob und wie weit sich die Außenpolitik einer Union-FDP-Regierung in Berlin von der der Schröder-Fischer Regierung unterscheiden wird.
Die kurze Antwort lautet: In nahezu allem. Die lange Antwort beginnt mit den Symbolen. Angela Merkels erste Reise, gewissermaßen ihr Antrittsbesuch, wird sie nach Washington führen müssen, auf der Rückreise ein Besuch in Brüssel und ein Stopover in Paris. Danach kann alles Übrige folgen, auch Moskau, aber ohne Putin zu duzen. Sie sollte, ähnlich wie Helmut Kohl, zwei oder drei der kleinen Hauptstädte nicht auslassen, um zu signalisieren, dass die Zeiten des deutsch-französischen Direktoriums vorbei sind.
Eine wohlberatene Angela Merkel wird deshalb nach Washington gehen müssen, weil die Pax Americana das einzige Sicherheitssystem ist, welches Europa und Deutschland haben, weil die Wirtschaft, die Energiepolitik und die Währungsfragen aufs engste miteinander verknotet sind und weil sich Europa gegen Amerika nur blockieren, nicht aber erneuern und zusammenführen lässt. Ob das Chaos im Irak oder die Nuklearrüstung des Iran: Die Interessen der USA sind heute nicht wesentlich anders als die der Europäer. Fischer sieht das längst, theoretisch jedenfalls, nicht anders. Schröder dagegen hat eine Schneise der Verwüstung gezogen. Deshalb muss die Nachfolgerin - wenn sie es denn wird - in Washington anfangen.
Sie wird allerdings auch in Washington erklären müssen, wo die Wege auseinander gehen. Der EU-Beitritt der Türkei ist erst einmal auf die lange Bank geschoben. Dann werden die Amerikaner fragen, wie es denn mit Europa nach dem Scheitern der Verfassung steht, und eine Traueranzeige wird nicht genug sein. Auch auf die Frage, ob die Europäer es mit ihrer Sicherheits- und Verteidigungspolitik ernst meinen, wird Frau Merkel eine positive, das heißt auch kostspielige Antwort finden müssen. Wer mit den USA auf Augenhöhe reden will, muss mehr bringen als ein Stühlchen zum Draufspringen. Was das EU-Waffenembargo gegen China betrifft, so wird Frau Merkel daran festhalten: Ohnehin, so hört man in Berlin, ist es die One-Man-Vision Schröders. Dass der Sitz im UN-Sicherheitsrat Frau Merkel ein Hauptanliegen sein soll - wer Helmut Kohls Meinung dazu kennt, mag das eher bezweifeln.
Dann aber Brüssel, Paris, London und andere Hauptstädte: Da türmen sich die Aufgaben und Fragen. Zuerst, wie die brauchbaren Reste der Verfassung, der Präsident und die Außenvertretung, zu retten sind, aber auch die Verstärkung parlamentarischer Kontrolle gegenüber den Regierungen und der Kommission. Dann die dringende Agrarreform, weil der bisherige Zustand unbezahlbar ist. Der Haushalt der EU muss umverteilt werden in Richtung Osten: Das kostet Streit und Tränen, und dafür muss sich Frau Merkel nach Verbündeten umsehen. Deutschland ist nicht mehr reich genug, den Zahlmeister zu spielen.
Zuletzt und vor allem? Europa als Gemeinschaft mit beschränkter Haftung, aber zugleich mit immer mehr Appetit auf die Rechte der Staaten und die Identität der Völker - dieses Europa hat sich nicht bewährt. Wo liegen Europa Grenzen - keine Frage ist wichtiger als diese. Nicht nur die Grenzen nach Osten und Süden, das ist schwierig genug. Sondern auch die Grenzen der Zuständigkeiten, der Kontrolle, der Macht. Die Völker wollen sich wieder erkennen - was nichts mit Nationalismus zu tun hat, sondern mit der Suche nach Stabilität und Vergewisserung, während die Geschichte der Gegenwart über Katarakte getrieben wird, ins Unbekannte. "Mönchlein Mönchlein", so möchte man wie Luther auf dem Reichstag zu Worms Angela Merkel zurufen, während sie das Reisegepäck zusammenlegt, "Du tust einen schweren Gang". Der Wittenberger Mönch blieb unerschüttert, vertrat seine Sache vor Kaiser und Reich und schloss: "Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir, Amen".
Der 1938 in Kassel geborene Michael Stürmer studierte in London, Berlin und Marburg, wo er 1965 promovierte. Nach seiner Habilitation wurde er 1973 ordentlicher Professor für Neuere und Neueste Geschichte, Sozial- und Verfassungsgeschichte; außerdem lehrte er u.a. an der Harvard University, in Princeton und der Pariser Sorbonne. 1984 wurde Stürmer in den Vorstand der Konrad-Adenauer-Stiftung berufen und zwei Jahre später zum Vorsitzenden des Forschungsbeirates des Center for European Studies in Brüssel. Zehn Jahre lang war er überdies Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik. Zu seinen Veröffentlichungen zählen: "Das ruhelose Reich", "Dissonanzen des Fortschritts", "Bismarck - die Grenzen der Politik" und zuletzt "Die Kunst des Gleichgewichts. Europa in einer Welt ohne Mitte". Im so genannten "Historikerstreit" entwickelte Stürmer die von Habermas und Broszat bestrittene These von der Identität stiftenden Funktion der Geschichte. Stürmer, lange Kolumnist für die Frankfurter Allgemeine Zeitung, schreibt jetzt für die Welt und die Welt am Sonntag.
Eine wohlberatene Angela Merkel wird deshalb nach Washington gehen müssen, weil die Pax Americana das einzige Sicherheitssystem ist, welches Europa und Deutschland haben, weil die Wirtschaft, die Energiepolitik und die Währungsfragen aufs engste miteinander verknotet sind und weil sich Europa gegen Amerika nur blockieren, nicht aber erneuern und zusammenführen lässt. Ob das Chaos im Irak oder die Nuklearrüstung des Iran: Die Interessen der USA sind heute nicht wesentlich anders als die der Europäer. Fischer sieht das längst, theoretisch jedenfalls, nicht anders. Schröder dagegen hat eine Schneise der Verwüstung gezogen. Deshalb muss die Nachfolgerin - wenn sie es denn wird - in Washington anfangen.
Sie wird allerdings auch in Washington erklären müssen, wo die Wege auseinander gehen. Der EU-Beitritt der Türkei ist erst einmal auf die lange Bank geschoben. Dann werden die Amerikaner fragen, wie es denn mit Europa nach dem Scheitern der Verfassung steht, und eine Traueranzeige wird nicht genug sein. Auch auf die Frage, ob die Europäer es mit ihrer Sicherheits- und Verteidigungspolitik ernst meinen, wird Frau Merkel eine positive, das heißt auch kostspielige Antwort finden müssen. Wer mit den USA auf Augenhöhe reden will, muss mehr bringen als ein Stühlchen zum Draufspringen. Was das EU-Waffenembargo gegen China betrifft, so wird Frau Merkel daran festhalten: Ohnehin, so hört man in Berlin, ist es die One-Man-Vision Schröders. Dass der Sitz im UN-Sicherheitsrat Frau Merkel ein Hauptanliegen sein soll - wer Helmut Kohls Meinung dazu kennt, mag das eher bezweifeln.
Dann aber Brüssel, Paris, London und andere Hauptstädte: Da türmen sich die Aufgaben und Fragen. Zuerst, wie die brauchbaren Reste der Verfassung, der Präsident und die Außenvertretung, zu retten sind, aber auch die Verstärkung parlamentarischer Kontrolle gegenüber den Regierungen und der Kommission. Dann die dringende Agrarreform, weil der bisherige Zustand unbezahlbar ist. Der Haushalt der EU muss umverteilt werden in Richtung Osten: Das kostet Streit und Tränen, und dafür muss sich Frau Merkel nach Verbündeten umsehen. Deutschland ist nicht mehr reich genug, den Zahlmeister zu spielen.
Zuletzt und vor allem? Europa als Gemeinschaft mit beschränkter Haftung, aber zugleich mit immer mehr Appetit auf die Rechte der Staaten und die Identität der Völker - dieses Europa hat sich nicht bewährt. Wo liegen Europa Grenzen - keine Frage ist wichtiger als diese. Nicht nur die Grenzen nach Osten und Süden, das ist schwierig genug. Sondern auch die Grenzen der Zuständigkeiten, der Kontrolle, der Macht. Die Völker wollen sich wieder erkennen - was nichts mit Nationalismus zu tun hat, sondern mit der Suche nach Stabilität und Vergewisserung, während die Geschichte der Gegenwart über Katarakte getrieben wird, ins Unbekannte. "Mönchlein Mönchlein", so möchte man wie Luther auf dem Reichstag zu Worms Angela Merkel zurufen, während sie das Reisegepäck zusammenlegt, "Du tust einen schweren Gang". Der Wittenberger Mönch blieb unerschüttert, vertrat seine Sache vor Kaiser und Reich und schloss: "Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir, Amen".
Der 1938 in Kassel geborene Michael Stürmer studierte in London, Berlin und Marburg, wo er 1965 promovierte. Nach seiner Habilitation wurde er 1973 ordentlicher Professor für Neuere und Neueste Geschichte, Sozial- und Verfassungsgeschichte; außerdem lehrte er u.a. an der Harvard University, in Princeton und der Pariser Sorbonne. 1984 wurde Stürmer in den Vorstand der Konrad-Adenauer-Stiftung berufen und zwei Jahre später zum Vorsitzenden des Forschungsbeirates des Center for European Studies in Brüssel. Zehn Jahre lang war er überdies Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik. Zu seinen Veröffentlichungen zählen: "Das ruhelose Reich", "Dissonanzen des Fortschritts", "Bismarck - die Grenzen der Politik" und zuletzt "Die Kunst des Gleichgewichts. Europa in einer Welt ohne Mitte". Im so genannten "Historikerstreit" entwickelte Stürmer die von Habermas und Broszat bestrittene These von der Identität stiftenden Funktion der Geschichte. Stürmer, lange Kolumnist für die Frankfurter Allgemeine Zeitung, schreibt jetzt für die Welt und die Welt am Sonntag.