Die neue Unbefangenheit
Lange Zeit wurde alles, was erzählerische Ansätze in sich trug, aus der Wahrnehmung der aktuellen Kunst ausgeblendet. Die Ausstellung "gegenwärtig: Geschichtenerzähler" in der Hamburger Galerie der Gegenwart tritt den Gegenbeweis an. Zugkräftig in dieser Gemeinschaftsaustellung junger Künstler sind die Bilder des Leipziger Malers Neo Rauch.
Der See ist spiegelglatt, im Hintergrund ragt ein Hochhaus über das flache Ufer, zwei junge Männer sitzen im Boot. "Fright Freight", "Fracht der Furcht", hat Till Gerhardt sein Gemälde genannt, und allein dieser Titel lenkt den Blick des Betrachters: Die schemenhafte weiße Gestalt im Bug, das ausgekratzte, blinde Gesicht neben dem stakenden Fährmann – all das deutet auf eine Fahrt über den Styx, eine Reise in die Unterwelt. Henning Kles dagegen enttäuscht mit seinem Bild "Ludergrube" alle Erwartungen. Nicht die Details einer Verwesung hat der Hamburger gemalt, sondern einen Jungen, der mit düster verträumtem Gesicht zwischen Pilzen am Rande einer Moorlache steht, die in morbide-changierendem Dunkelblau schillert:
Henning Kles: "Die "Ludergrube" geht auf eine fotografische Abbildung zurück. Die Idee ist natürlich, das Foto möglichst weit in den Hintergrund zu drängen und aufzulösen. Sonst könnte man gleich das Foto ausstellen. Interessant wird es natürlich erst in dem Moment, wo ich dieses historische Ereignis, was da stattgefunden hat, zurückdränge und eine ganze eigene Welt da rein baue."
Aus einem fremden Kosmos stammen auch die Skulpturen von Pia Stadtbäumer, Kinder mit puttenhaftem Körper und durchtrieben-listigem Blick, die irritierende Symbole wie eine Zielscheibe, Hahn und Lamm oder einen Wanderstock zur Schau tragen. Und selbst die aufwendig inszenierten Farbfotos von Gregory Crewdson mit ihrem malerischen Licht à la Edward Hopper dementieren in ihrem Hyperrealismus jeden Bezug zur Wirklichkeit. Denn hier passiert Unglaubliches, wächst etwa ein entwurzelter Baum mitten durch eine Mansardenwohnung. Vor allem mit Mitteln der Malerei werden Bruchstücke der Medienwelt neu zusammengesetzt, und darin sieht Uwe Schneede, scheidender Direktor der Hamburger Kunsthalle, einen Trend junger Künstler:
" Ich finde den Begriff der Unbefangenheit sehr zutreffend dafür. Es ist ein couragierter Neuanfang in der abendländisch belasteten Malerei. Und wer hat denn vor zehn Jahren, als alle vor allem an Videos und Installationen gedacht haben, sich vorstellen können, dass es mal wieder eine junge Generation von sehr aktiven und ungeheuer erfinderischen Malern geben wird."
Einigen dieser Bilderfinder fehlt es allerdings noch an erzählerischer Ökonomie. Christian Hahn etwa kredenzt eine überschäumende Melange einschlägiger Action-Motive wie Gotcha-Spieler oder Feuerwehrmänner, die er vor dekorativen Hintergründen aus computergenerierten Ornamenten als extreme Nah-Aufnahme in Szene setzt. Da herrscht jene Ästhetik von Videospiel und Bildschirmschoner, die Foto und Film, Bühne und Buch genreübergreifend dominiert – und die Maler wie Jonas Burgert gerne überwinden möchten:
" Ein Bild muss immer für sich stehen. Und eine Geschichte hat oft das Prinzip, dass es ein linearer Fluss ist – und insofern endet eine Geschichte in einem Bild zu erzählen meistens als Illustration."
Insbesondere Burgert verfügt allerdings über einen schier unermesslichen Fundus geradezu opernhafter Motive. Aber er platziert diese Figuren – Affen und Skelette oder das Selbstporträt mit Hirschgeweih vor einem ganz besonderen, weil seltsam grauen Hintergrund.
Jonas Burgert: " Der graue Fond ist so oft überarbeitet. Das ist immer die große Schwierigkeit, denn die große Helle trägt das Bild, egal wie viel Dominanten darauf sind. Dieses Grau dauert die längste Zeit und fordert am meisten Aufmerksamkeit, weil es malerisch einfach das Schwierigste ist, weil es sich sehr still zurückzieht und trotzdem den gesamten Träger spielt."
Dagegen dient der graue Grund bei dem frühen Peter Doig – heute ein Star der Neuen Malerei – nur als Kulisse für einen extrem fotografischen Ausschnitt: Ein Skispringer zappelt am oberen Bildrand nur mit den Beinen in der Luft, während darunter am Rande der Leere einige Touristen des Weges ziehen. Ganz neu, und noch feucht, direkt aus dem Atelier an die Hamburger Museumswand kommt auf grobem Rupfen Doigs braune Ton-in-Ton Komposition vom menschenleeren Palmenstrand. Direkt daneben zeigt Kurator Christoph Heinrich Arbeiten von Ena Swansea, die mit einer besonderen Technik exotische Sujets wie einen roten Teufel im Startblock regelrecht verflüssigt, die Fragmente der Medienwelt mit breitem Pinselstrich zum Verschwimmen bringt:
Christoph Heinrich: " Sie löst Graphit in Urethan auf, und dann ergibt sich so eine Mischung aus Farbe und Kunststoff, diese sehr schimmernde Oberfläche. Und das wird in 50 Schichten aufgetragen auf die Leinwand. Und auf diesem Fond arbeitet sie dann mit einem ganz geschmeidigen, fast wässrigen Pinsel."
Das Zurückfließen kollektiver Klischees einer schon sehr fernen DDR-Vergangenheit in höchst individuell verfremdete Bilder zelebriert Neo Rauch, der Star der Neuen Leipziger Schule. Zweifellos ein Zugpferd in dieser überwiegend von Hamburger Künstlern bestrittenen Schau, aber für Kurator Christoph Heinrich durchaus keine Ausnahmeposition:
Christoph Heinrich: " Was die Künstler bewegt, ist das Entscheidende, und was den Markt bewegt – was weiß ich, etwa im Fall von Neo Rauch – da hat man einen Superstar. Ich finde aber, dass die Sachen sich absolut halten, eben auch mit Künstlern, die noch nicht so bekannt sind, oder die an der Hochschule sind oder gerade der Hochschule irgendwie entkommen."
Wer genau hinschaut, der mag riesige grüne Bleistifte, die in Neo Rauchs "Waldbahn" als Teil eines Montagegerüsts auftauchen, als Wink des Senkrechtstarters an die folgende Generation verstehen. Die Zeichnung nämlich scheint den eben erst ausgerufenen Triumph der Malerei in Frage zu stellen. Etwa bei Dennis Scholl, der sich in pointierte Situationen auf leerem weißen Grund geradezu zwingt, alle Aufmerksamkeit auf Ausdruck und Mimik der Figuren zu konzentrieren. Dasha Shiskin dagegen zeichnet organisch wuchernde Strukturen, in die Scharen von Menschen verwoben sind.
Christoph Heinrich: " Die Zeichnung war ja lange Jahre eher eine Sache der Planung und des Entwurfs, nicht der hundertprozentigen Eigenständigkeit. Aber jetzt merkt man, es gibt eine ganze Reihe von hervorragenden Zeichnern. "
Insbesondere das in Hamburg propagierte "Erzählen" braucht seinen besonderen Rhythmus und ein weltabgewandtes, für rein ästhetische Probleme geschärftes Interesse. Also jene Gelassenheit, die ein Zeichner in der künstlerischen Verschmelzung von Hand und Hirn findet, wenn er den produktiven Widerspruch deutlich macht zwischen dem was und wie etwas erzählt wird. Aber diese Allerweltsweisheit kann gegenwärtig schon als besonders neue, avantgardistische Erkenntnis gelten gegenüber einer Malerei, die etwa für Henning Kles so gar nichts Besonderes mehr an sich hat:
Henning Kles: " Ganz im Gegenteil. Ich hab gerade das Gefühl, nach dem, was in den letzten zehn Jahren passiert ist, ist das ja geradezu marktkonform und wenig umstürzlerisch. Wenn ich etwas umstoßen wollte, müsste ich etwas ganz anderes machen."
Service:
Die Ausstellung "gegenwärtig: Geschichtenerzähler" ist in der Hamburger Galerie der Gegenwart vom 10. April bis 21. August 2005 zu sehen.
Links:
Hamburger Kunsthalle: Ausstellungen
Henning Kles: "Die "Ludergrube" geht auf eine fotografische Abbildung zurück. Die Idee ist natürlich, das Foto möglichst weit in den Hintergrund zu drängen und aufzulösen. Sonst könnte man gleich das Foto ausstellen. Interessant wird es natürlich erst in dem Moment, wo ich dieses historische Ereignis, was da stattgefunden hat, zurückdränge und eine ganze eigene Welt da rein baue."
Aus einem fremden Kosmos stammen auch die Skulpturen von Pia Stadtbäumer, Kinder mit puttenhaftem Körper und durchtrieben-listigem Blick, die irritierende Symbole wie eine Zielscheibe, Hahn und Lamm oder einen Wanderstock zur Schau tragen. Und selbst die aufwendig inszenierten Farbfotos von Gregory Crewdson mit ihrem malerischen Licht à la Edward Hopper dementieren in ihrem Hyperrealismus jeden Bezug zur Wirklichkeit. Denn hier passiert Unglaubliches, wächst etwa ein entwurzelter Baum mitten durch eine Mansardenwohnung. Vor allem mit Mitteln der Malerei werden Bruchstücke der Medienwelt neu zusammengesetzt, und darin sieht Uwe Schneede, scheidender Direktor der Hamburger Kunsthalle, einen Trend junger Künstler:
" Ich finde den Begriff der Unbefangenheit sehr zutreffend dafür. Es ist ein couragierter Neuanfang in der abendländisch belasteten Malerei. Und wer hat denn vor zehn Jahren, als alle vor allem an Videos und Installationen gedacht haben, sich vorstellen können, dass es mal wieder eine junge Generation von sehr aktiven und ungeheuer erfinderischen Malern geben wird."
Einigen dieser Bilderfinder fehlt es allerdings noch an erzählerischer Ökonomie. Christian Hahn etwa kredenzt eine überschäumende Melange einschlägiger Action-Motive wie Gotcha-Spieler oder Feuerwehrmänner, die er vor dekorativen Hintergründen aus computergenerierten Ornamenten als extreme Nah-Aufnahme in Szene setzt. Da herrscht jene Ästhetik von Videospiel und Bildschirmschoner, die Foto und Film, Bühne und Buch genreübergreifend dominiert – und die Maler wie Jonas Burgert gerne überwinden möchten:
" Ein Bild muss immer für sich stehen. Und eine Geschichte hat oft das Prinzip, dass es ein linearer Fluss ist – und insofern endet eine Geschichte in einem Bild zu erzählen meistens als Illustration."
Insbesondere Burgert verfügt allerdings über einen schier unermesslichen Fundus geradezu opernhafter Motive. Aber er platziert diese Figuren – Affen und Skelette oder das Selbstporträt mit Hirschgeweih vor einem ganz besonderen, weil seltsam grauen Hintergrund.
Jonas Burgert: " Der graue Fond ist so oft überarbeitet. Das ist immer die große Schwierigkeit, denn die große Helle trägt das Bild, egal wie viel Dominanten darauf sind. Dieses Grau dauert die längste Zeit und fordert am meisten Aufmerksamkeit, weil es malerisch einfach das Schwierigste ist, weil es sich sehr still zurückzieht und trotzdem den gesamten Träger spielt."
Dagegen dient der graue Grund bei dem frühen Peter Doig – heute ein Star der Neuen Malerei – nur als Kulisse für einen extrem fotografischen Ausschnitt: Ein Skispringer zappelt am oberen Bildrand nur mit den Beinen in der Luft, während darunter am Rande der Leere einige Touristen des Weges ziehen. Ganz neu, und noch feucht, direkt aus dem Atelier an die Hamburger Museumswand kommt auf grobem Rupfen Doigs braune Ton-in-Ton Komposition vom menschenleeren Palmenstrand. Direkt daneben zeigt Kurator Christoph Heinrich Arbeiten von Ena Swansea, die mit einer besonderen Technik exotische Sujets wie einen roten Teufel im Startblock regelrecht verflüssigt, die Fragmente der Medienwelt mit breitem Pinselstrich zum Verschwimmen bringt:
Christoph Heinrich: " Sie löst Graphit in Urethan auf, und dann ergibt sich so eine Mischung aus Farbe und Kunststoff, diese sehr schimmernde Oberfläche. Und das wird in 50 Schichten aufgetragen auf die Leinwand. Und auf diesem Fond arbeitet sie dann mit einem ganz geschmeidigen, fast wässrigen Pinsel."
Das Zurückfließen kollektiver Klischees einer schon sehr fernen DDR-Vergangenheit in höchst individuell verfremdete Bilder zelebriert Neo Rauch, der Star der Neuen Leipziger Schule. Zweifellos ein Zugpferd in dieser überwiegend von Hamburger Künstlern bestrittenen Schau, aber für Kurator Christoph Heinrich durchaus keine Ausnahmeposition:
Christoph Heinrich: " Was die Künstler bewegt, ist das Entscheidende, und was den Markt bewegt – was weiß ich, etwa im Fall von Neo Rauch – da hat man einen Superstar. Ich finde aber, dass die Sachen sich absolut halten, eben auch mit Künstlern, die noch nicht so bekannt sind, oder die an der Hochschule sind oder gerade der Hochschule irgendwie entkommen."
Wer genau hinschaut, der mag riesige grüne Bleistifte, die in Neo Rauchs "Waldbahn" als Teil eines Montagegerüsts auftauchen, als Wink des Senkrechtstarters an die folgende Generation verstehen. Die Zeichnung nämlich scheint den eben erst ausgerufenen Triumph der Malerei in Frage zu stellen. Etwa bei Dennis Scholl, der sich in pointierte Situationen auf leerem weißen Grund geradezu zwingt, alle Aufmerksamkeit auf Ausdruck und Mimik der Figuren zu konzentrieren. Dasha Shiskin dagegen zeichnet organisch wuchernde Strukturen, in die Scharen von Menschen verwoben sind.
Christoph Heinrich: " Die Zeichnung war ja lange Jahre eher eine Sache der Planung und des Entwurfs, nicht der hundertprozentigen Eigenständigkeit. Aber jetzt merkt man, es gibt eine ganze Reihe von hervorragenden Zeichnern. "
Insbesondere das in Hamburg propagierte "Erzählen" braucht seinen besonderen Rhythmus und ein weltabgewandtes, für rein ästhetische Probleme geschärftes Interesse. Also jene Gelassenheit, die ein Zeichner in der künstlerischen Verschmelzung von Hand und Hirn findet, wenn er den produktiven Widerspruch deutlich macht zwischen dem was und wie etwas erzählt wird. Aber diese Allerweltsweisheit kann gegenwärtig schon als besonders neue, avantgardistische Erkenntnis gelten gegenüber einer Malerei, die etwa für Henning Kles so gar nichts Besonderes mehr an sich hat:
Henning Kles: " Ganz im Gegenteil. Ich hab gerade das Gefühl, nach dem, was in den letzten zehn Jahren passiert ist, ist das ja geradezu marktkonform und wenig umstürzlerisch. Wenn ich etwas umstoßen wollte, müsste ich etwas ganz anderes machen."
Service:
Die Ausstellung "gegenwärtig: Geschichtenerzähler" ist in der Hamburger Galerie der Gegenwart vom 10. April bis 21. August 2005 zu sehen.
Links:
Hamburger Kunsthalle: Ausstellungen