Die neue Niere heißt Max

Von Almuth Knigge |
In Mecklenburg-Vorpommern kamen 2005 auf eine Millionen Einwohner statistisch 25,7 Organspender, während es im Bundesdurchschnitt 14,7 sind. Das lässt sich auf Strukturen im Land zurückführen, aber auch auf die Aufklärungsarbeit, die geleistet wird. Seit Jahren tingeln die Ärzte der Uniklinik Rostock zum Beispiel durch Schulen, um schon dort das Bewusstsein für die Organspende zu schärfen.
Auf solchen Veranstaltungen ist auch oft ein Betroffener, der nach sieben Jahren Dialyse eine neue Niere bekommen hat. Er hat sie Max genannt. Gemeinsam mit Max hat er sein neues Leben der Aufklärungsarbeit gewidmet.

"Ich habe acht Jahre gewartet - also acht Jahre drei Monate und 22 Tage habe ich gewartet auf dieses Organ."

Horst Schröder – 63 - lebt seit fast drei Jahren mit einer Spenderniere. Max hat er sie genannt.

"Wenn man ohne Dialyse leben kann, ist ein herrliches Gefühl - ah ist das schön - das müsste man noch mal haben. Ich bin das zweite Mal auf der Liste, aber diesmal wird die Wartezeit wohl länger dauern. So fünf bis sechs Jahre."

Jochen Mirow - 53 - wartet – zum zweiten Mal, nachdem die erste Spenderniere nach ein paar Jahren abgestoßen wurde.

"Und es ging ihm ja auch total schlecht und das kann man ja auch nicht mit angucken, und da hab ich gesagt, Mensch ich hab zwei und wenn das passt, dann geb ich ihm eine ab."

Seine Frau Christel will ihm ihre Niere spenden. Wenn alles gut geht dieses Jahr noch - im Transplantationszentrum in Rostock.

"Und dann ist eben ungenügend aufgeklärt worden ist, was da eigentlich passiert, dass das kein Ausnehmen eines Verstorbenen ist, sondern dass das im Tod noch der letzte Dienst ist, den man noch tun kann, für andere."

In Rostock leitet Prof. Hans Jörg Seiter das Transplantationszentrum – und arbeitet seit Jahren für mehr Aufklärung in Sachen Organspende.

"Es muss viel, viel mehr gemacht werden, der Umgang mit den Angehörigen, dass ihnen auch Respekt gezollt wird, das ist was, wo man noch gut was investieren kann, um auch die Akzeptanz in der Bevölkerung zu erhöhen."

Der chronische Mangel an Spenderorganen könnte durch relativ einfache Mittel behoben werden, meint Dr. Frank Peter Nitzschke, Koordinator bei der deutschen Stiftung Organtransplantation für die Region Nordost.

Hörsaal der Inneren Medizin der Uni Rostock – im April letzten Jahres. Das Nierentransplantationszentrum hat eine Aufklärungsveranstaltung organisiert. Hunderte Dialysepatienten mit ihren Angehörigen sind da aus Mecklenburg. Aus Brandenburg, selbst aus Schleswig-Holstein.

Hier erzählt Horst Schröder seine Geschichte. Wie er jahrelang auf eine Niere gewartet hat, zwischendurch einfach nicht mehr wollte. Weil eine Mitpatientin neben ihm an der Dialyse gestorben ist - und wie ihm dann doch ein neues Leben geschenkt wurde - von einem 45-jährigen Motorradfahrer - der - durch Zufall muss man sagen – einen Organspendeausweis bei sich hatte.

"Ich bin dankbar, dass ich noch lebe,"

sagt der kleine Mann. Die Augen strahlen. Ein paar Tränen sieht man auch. Es fällt ihm immer noch schwer, darüber zu reden. Jahrelange Dialyse, Hoffen, Bangen, Warten, hinterlassen Spuren.

"Ich bin auch der Familie sehr dankbar, aber ich sach ja ich weiß es nicht, ob ich das wissen möchte - aber wenn das jemand hört - der weiß halt, stopp ich bin an dem und dem Tag operiert worden in Rostock, dem Sterbetag des Sohnes - ich bin wahnsinnig dankbar und ich gehe mit dem Organ auch so um .... - wie soll ich sagen, dass sie zufrieden sind, wie ich damit umgehe."

Max heißt seine neue Niere – und zusammen mit Max feiert Horst Schröder jetzt seinen neuen Geburtstag. Max, nach seinem kleinen Neffen, der ihm in der Zeit des Wartens immer wieder Lebensmut gegeben hat. Diesen Mut will der ehemalige Kellner weitergeben. Will allen erzählen, wie die Organspende sein Leben verändert hat. Wie Organspende leben retten kann.

"Es war erst mal schon ein Erlebnis, wie ich von der OP nach Hause kam, wie mich alles anschauten und sagten, dass kann nicht sein, nach so kurzer Zeit diese Verwandlung - nicht mehr grau, sondern Farbe im Gesicht, die Fingernägel hatten Farbe. Also man strahlte – man sah vollkommen anders aus, was ein Organ so ausmachte - das hörte man von allen Seiten ... Mensch gut ne."

"Die erste Woche hab ich mit ihm geschimpft, weil er mir so viel Schmerzen bereitet hat durch den Katheter und den ganzen Mist. da hab ich wirklich mit ihm geschimpft. die Oberschwester hat gesagt, du sollst mit ihm reden da hab ich gesagt, mach ich auch ich rede ich war sauer ... aber jetzt - das ist nichts Fremdes in mir. da ist gar nichts fremd."

"Viele fragen mich, ob es wirklich so ist, dass es mir gut geht. ob ich daran denke, dass jemand sterben musste, damit ich weiterleben, und ich sag dann immer, der musste nicht sterben, der ist gestorben - er hatte einen Unfall, und ist daran gestorben, nicht, damit ich eine Niere bekomme. Das begreifen viele nicht. Die denken, da muss jemand sterben, damit der andere weiterlebt - weil es falsch erklärt wird."

Horst Schröder stößt an seine Grenzen. Jetzt, ein Jahr später – ist Ernüchterung der ersten Euphorie gewichen.

"Die Türen sind dafür zu … ich hab's versucht. Ich bin zu Zeitungen gegangen, hab gefragt wegen Artikeln - vor allem zum Tag der Organspende. Ich war beim Gesundheitsamt, ich habe mich angeboten - ich bin bereit darüber zu reden … wenn sie vor Schulklassen Veranstaltungen machen, ich bin gerne bereit darüber zu reden und die Leute aufzuklären, dass nicht alles so ist, wie es in den Medien dargestellt wird, aber es hat sich niemand mehr bei mir gemeldet - sie haben gesagt, dass ist schön, dass sie das wollen, aber dann verlief das alles im Sande - und alleine kann ich nicht gegen Windmühlen ankämpfen ganz alleine schaff ich's nicht, ein bisschen Rückenhalt brauch ich schon."

Rund 12.000 Menschen warten derzeit in Deutschland darauf, dass die Niere, die Lunge oder das Herz eines anderen Menschen ihnen das Leben rettet. Doch auch wenn 70 Prozent der Bundesbürger bereit wären, das Organ eines anderen anzunehmen – nur knapp 15 Prozent sind auch bereit, eines zu geben. Die Tendenz ist leicht steigend, aber trotzdem hinkt Deutschland weit hinter Ländern wie Österreich, Belgien und Spanien hinterher. Das liegt auch daran, dass in Spanien und auch in Österreich das Widerspruchsrecht gilt – das heißt, nur wenn man sich ausdrücklich dagegen ausspricht, werden die Organe nicht entnommen.

"Deutschland ist ein Nehmerland – das trifft nicht für MV zu - das kann sich vergleichen mit Spanien … wo viele Organe gespendet werden."

Prof. Hans-Jörg Seiter, leitet das Nierentransplantationszentrums der Uni Rostock. Die erste Niere wurde vor 30 Jahren transplantiert – am14. Oktober 1976 – das hat nicht nur in der ehemaligen DDR Schlagzeilen gemacht. Seitdem bekamen mehr als 1200 Menschen in Rostock ein neues Organ. Die Technik hat sich nicht geändert – durch begleitende Forschung an der Universität und durch moderne Medikamente konnten die Rostocker Mediziner erreichen, dass immer weniger Organe abgestoßen wurden. Im Jahr 2005 betrug die Organspendequote im Bundesdurchschnitt 15 je Million Einwohner – wobei Mecklenburg-Vorpommern im Jahr 2005 mit 32 an der Spitze liegt und Nordrhein-Westfalen mit 13 ganz am Ende.

"Der Solidargedanke ist nach wie vor groß – und wenn die Leute sehen … nur um dialysiert zu werden … und wenn sie dann wieder ein ganz normales Leben leben können ... dann sagen in dem Dorf 80 Prozent, wenn mit mir mal was ist, dann möchte ich meine Organe spenden."

Schön wär's – aber ganz so ist es nicht. Zwischen 40 und 60 Prozent der Angehörigen lehnen eine Organspende ab. Weil sie nicht wissen, so Nitschke, wie sich der Verstorbene zu Lebzeiten entschieden hat.

"Wenn wir mit Angehörigen sprechen, dann ist die erste schwierige Frage, hat sich der verstorbene mit dem Thema auseinandergesetzt und gibt es eine Entscheidung, von der die Familie weiß - in 70 bis 80 Prozent der Fälle hat man sich nie unterhalten darüber - und dann stellt sich die Frage ... dass wir sagen okay - nach dem Gesetz müsst ihr den mutmaßlichen Willen eures Angehörigen hier jetzt kundtun, und ne Hilfestellung kann sein, wir wissen, ihr seid in einer ganz schwierigen Situation - und kann es für euch eine Hilfe sein in dem Trauerprozess, wenn von dem Verstorbenen etwas weiterlebt - und das ist etwas, was von vielen Menschen sehr dankbar angenommen wird.

Wir haben immer wieder Briefe von Betroffenen, die fragen, was ist aus den Organen geworden und wir beantworten jeden Brief - wenn wir dann sagen können, es hat ein Kind das Herz gekriegt, einer die Nieren, die Bauchspeicheldrüse und so weiter. Aber es gibt auch Betroffene, die uns schreiben, weil sie nicht zur Ruhe kommen, weil sie sich gegen die Organspende entschieden haben und das ist ein ganz wichtiges Problem - wir müssen und das wird zur Zeit vorbereitet - frühzeitig auf die Menschen zugehen und zwar in den Schulen schon."

Nach dem Transplantationsgesetz sind dafür die Krankenkassen zuständig – aber über das Budget, das sie dafür bereitstellen, gibt kaum eine Auskunft. Viel ist es in jedem Fall nicht.

"Man muss die Älteren, das heißt die 16-18-Jährigen, aufklären und mit ihnen sprechen. Wir wollen niemanden überreden, das ist ne völlig freiwillige Sache, aber wir wollen, dass man darüber spricht - sich auch in der Familie damit auseinandersetzt."

Dass Mecklenburg-Vorpommern so eine gute Quote aufweist, liegt zwar nicht an der hohen Zahl der Verkehrstoten, wie immer gefrotzelt wird. Die Struktur, die Vernetzung, die Zusammenarbeit der Krankenhäuser funktioniert im Nordosten überdurchschnittlich gut. Das heißt, die Krankenhäuser mit Intensivmedizinischen Abteilungen müssen einen Transplantationsbeauftragten haben, die die Verstorbenen, die als Spender in Frage kommen, an die zuständigen Stellen melden. Seit 2002 gibt es in Mecklenburg-Vorpommern ein Landes-Transplantationsgesetz, das diese Strukturen möglich gemacht hat. Wenn das noch verbessert werden könnte, meint Nitzschke, könnte man die Zahl der Organspenden verdoppeln.

"Es gibt sicher Modelle, wo die Gesellschaft und die Regierung mehr tut für die Menschen auf der Warteliste. Es gibt in den USA Krankenhäuser, die jedes Jahre kontrolliert werden und wo gefragt wird, was habt ihr eigentlich gemacht - da wird auch geguckt, wie viel Patienten habt ihr mit Hirnschädigung gehabt, und dann wird auch geguckt, sind die der DSO in den USA gemeldet worden. Und wenn dabei rauskommt, dass ich nicht gekümmert worden ist, dass nicht geprüft worden ist, ist das ein Organspender, dann werden den Krankenhäusern Subventionen abgeschnitten. Und das hat schon dazu geführt, dass Krankenhäuser schließen mussten."

Dialyse-Station des KFH in Wismar. Das KfH Kuratorium für Dialyse und Nierentransplantation e.V. ist ein gemeinnütziger eingetragener Verein - er kümmert sich bundesweit um die Behandlung chronisch nierenkranker Patienten. In drei Schichten werden die Patienten hier an das lebensrettende Gerät angeschlossen. Ein Jahr Dialyse kostet rund 50.000 Euro - genauso wie eine Transplantation. Ganz grob gerechnet ist - rein betriebswirtschaftlich gesehen - die Transplantation also wesentlich günstiger. Eine Rechnung, die man in der Öffentlichkeit aber ungern anstellt.

"Nur das ist etwas, was eine Gesellschaft sich überlegen muss, wie gehe ich mit meinen Bürgern um - sage ich hier, bist du jetzt zu teuer und entweder finanzierst du es selbst von deinem Ersparten oder die Gesellschaft lässt dich noch weiter leben und transplantiert dich. Genau das gleiche in der Herztransplantation."

Dreimal in der Woche kommt Jochen Mirow hierher zur Blutwäsche. Es ist ruhig hier, die meisten dösen während der fast fünfstündigen Behandlung, oder gucken fern. Jochen Mirow grübelt. Der linke Arm ist an das lebensrettende Gerät angeschlossen. Man kann mit einer Dialyse mittlerweile ewig leben – anders als bei Patienten, die auf ein Herz oder auf eine Lunge warten. Aber lebenswert - das ist was anderes.

"Ja so ist dat alles - dat ist schlecht zu erklären - wo dat dran liegt - Aufklärung aber wie den Leuten das beibringen ... tja."

Als die erste Spenderniere wieder entfernt werden musste vor gut einem Jahr, hat er geweint. Zum ersten Mal – seit 29 Jahren, erzählt seine Frau Christel. Sie ist wild entschlossen, ihrem Mann eine von Ihren Nieren zu geben.

"Ich mein früher hat mein Mann auch ganz anders gedacht und ich auch … was willst du mit den Organen, da hat man das noch nicht so gesehen. Aber seitdem er an der Dialyse ist, hat er gesagt, würde ich auch machen, auf jeden Fall. Spenderausweis und wenn jetzt irgendwas passiert mit dem Auto. Sind junge Leute, die können so vielen Menschen helfen."

Das Mantra derer, die sich für Organspende einsetzen, immer und immer wieder – jedes Jahr aufs neue - ein Akt der Nächstenliebe – denn am Anfang ist ein Mensch - und am Ende ist ein Mensch – dazwischen reist ein Organ von dem Körper des einen in das des anderen - ein hochtechnischer Akt – und doch viel mehr als das. Was das eigentlich bedeutet, das sieht man dann an Menschen wie Horst Schröder – und Max natürlich.

"Mir geht es so gut - jetzt halte ich am Leben fest - jetzt will ich leben. Ich hab jetzt gemerkt, wie schön das Leben ist."