Die neue Macht des KGB

Das russische Staats-und Wirtschaftssystem ist noch längst nicht gefestigt, unterschiedliche Interessengruppen kämpfen um Sicherung ihres Einflusses. Jüngstes Opfer dieser Machtkämpfe ist der Ex-Agent Alexander Litwineko, der im vergangenen Jahr in London den Folgen einer Vergiftung erlag. Das Buch "Tod eines Dissidenten" von Marina Litwinenko und Alex Goldfarb zeichnet Litwinenkos Werdegang nach.
Das russische Staats-und Wirtschaftssystem ist - mehr als fünfzehn Jahre nach Auflösung der Sowjetunion - noch längst nicht gefestigt. Die Armee des Landes befindet sich in einem langjährigen, zermürbenden Krieg mit der Teilrepublik Tschetschenien. Kritik an der Regierung ist mitunter lebensgefährlich. Der Streit konkurrierender Machteliten im postsowjetischen Russland wird in Formen ausgetragen, die jeden demokratisch sozialisierten Bürger zutiefst irritieren müssen. Mithilfe von Manipulationen, Erpressungen und Mord kämpfen unterschiedliche Interessengruppen um Erweiterung oder Sicherung ihres Einflusses.

Jüngstes Opfer dieser Machtkämpfe ist Alexander Litwineko. Der mit Frau und Kind seit 1995 im britischen Exil lebende ehemalige Angehörige des russischen Inlandsgeheimdienstes (FSB) erlag im November des vergangenen Jahres in einer Londoner Klinik den Folgen einer Vergiftung. Schon ein Hundertstel der Litwinenko verabreichten Dosis hochradioaktiven Poloniums wäre tödlich gewesen. Noch vom Krankenhausbett aus machte der Sterbende den russischen Präsidenten Wladimir Putin für seinen Tod verantwortlich.

In sechzehn Sprachen übersetzt, zeichnet das Buch von Marina Litwinenko und Alex Goldfarb "Tod eines Dissidenten - Warum Alexander Litwinenko sterben musste" Litwinenkos Werdegang nach. Und erhellt die politischen Hintergründe, die nach Meinung der Autoren zu seiner Ermordung führten.

Im amerikanischen Original lautet der Untertitel: "The Poisoning of Alexander Litwinenko and the Return of the KGB". Tatsächlich beschäftigt die Autoren des über vierhundert Seiten starken Werkes vor allem, was der Untertitel ankündigt, auf dessen Erwähnung bei der Übersetzung ins Deutsche aber offensichtlich verzichtet wurde: Die neue Macht der KGB-Nachfolgeorganisationen, ihre Vernetzung mit der Politik. Die Autoren schildern ausführlich nachweisliche und mutmaßliche Aktivitäten russischer Geheimdienste seit den Tagen der Präsidentschaft Boris Jelzins bis heute. Alexander Litwinenko wird dabei manchmal fast zur Nebenfigur.

Besondere Beachtung findet Boris Beresowski. Geschäftsmann, Politiker - und Arbeitgeber des Buchautors Goldfarb. Der mittlerweile ebenfalls im Exil lebende Beresowski wird als Strippenzieher im meist schmutzigen Kampf um die Macht in Russland ausführlich gewürdigt. Für Beresowski arbeitete auch Litwinenko.

Er hatte Beresowski vor einem Anschlag durch den Geheimdienst gewarnt und sich öffentlich als Kritiker der "kontora" (Firma) in Szene gesetzt. Da Litwinenko damals selbst noch für den Geheimdienst arbeitete, wurde ihm sein Auftreten dort als Verrat ausgelegt.

Alex Goldfarb, eigentlich Hauptautor des Buches, stellt Litwinenko als treuen Familienvater dar, als selbstlosen Verbrechensaufklärer und verantwortungsbewussten Patrioten. Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen sei Litwinenko nicht korrupt, nicht an Macht oder materiellem Reichtum interessiert gewesen. Ihm sei es, ebenso wie Beresowski, um ein demokratisches, "sauberes" Russland und Frieden in Tschetschenien gegangen.

Immerhin, Alex Goldfarb, russischer Dissident der 70er Jahre und seit langem amerikanischer Staatsbürger, bekennt, parteiisch zu sein. "Ich bin sicher kein neutraler, objektiver Beobachter", gibt der Autor zu. Das Buch sei "eine sehr persönliche Erzählung", "die historischen Ereignisse sind hier und dort auch anders dargestellt worden."

Die Verwicklungen von Akteuren aus Politik, Wirtschaft und Geheimdienst sind spannend beschrieben, durch regelmäßige, informative Einschübe auch immer wieder kurzgeschlossen mit den Ereignissen rund um den Tschetschenienkrieg. Vielfach zitierte wörtliche Reden allerdings erscheinen problematisch.

Doch deutlich wird: Phantasievolle Spionage- und Agententhriller, so übertrieben sie einem im Einzelfall vorkommen, scheinen der Realität in Russland in nichts nachzustehen. Das Buch von Marina Litwinenko und Alex Goldfarb erinnert in den Beschreibungen von Machtstrukturen an Schillers Wallenstein, hinsichtlich der Anzahl von Toten an Shakespeares Königsdramen. Doch weiß der Leser immer: Das hier ist kein Theater. Zwar durchlebt er bei der Lektüre Furcht und Schrecken, doch die Katharsis bleibt aus.


Rezensiert von Carsten Hueck


Alex Goldfarb / Marina Litwinenko: Tod eines Dissidenten. Warum Alexander Litwinenko sterben musste
Aus dem Amerikanischen von Violeta Topalova.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2007, 427 Seiten, 19,95 Euro