Die neue Lust an der Gartenarbeit

04.04.2012
Sie bauen sich aus Holzresten Kisten und bepflanzen sie, sie schaffen Beete zwischen Parkstreifen und Bürgersteig. Das wild wuchernde Treiben hat viele Namen: Urban Gardening, City Farming, Gemeinschaftsgärten, urbane Subsistenz. Der Autor Martin Rasper nennt es einfach: "Gärtnern in der Stadt".
Niemand hat sie eingeladen und doch werden sie mehr oder weniger stillschweigend von der kommunalen Politik toleriert: die wilden Stadtgärtner, die Pflanzanarchisten, Brachlandokkupanten. Allerorten haben betonmüde Stadtbewohner, junge wie alte, öffentliches Land in Besitz genommen, Gärten und Beete angelegt, Gemüse und Blumen gezüchtet. Eine neue Bewegung hat die Städte erobert: die Stadtgärtner.

Entstanden aus der Lust auf Natur und dem Frust am Asphalt haben sich, wie der Journalist Martin Rasper an vielen konkreten Beispielen vorführt, überall in Deutschland kleine Initiativen gegründet, die Gärten angelegt haben, wo immer sich leere Flächen anboten. Dazu gehören vernachlässigten Parkanlagen ebenso wie städtische Baulücken, aufgegebene Industriegelände, Hinterhöfe, Verkehrsinseln. In Berlin haben sich die Stadtgärtner sogar ein Stück vom stillgelegten Flughafen Tempelhof angeeignet. Weil aber keiner weiß, welche Schadstoffe die Böden belasten, zimmern sich die neuen Gärtner aus Sperrmüll, alten Plastiksäcken, Folienreste, Plastiktonnen Gemüsekästen und Hochbeete. Gepflanzt wird je nach Laune des Gärtners: Malven und Ringelblumen gehören ebenso dazu wie Tomaten, Salate, Zucchini und natürlich Küchenkräuter. Neben Beerensträuchern und Obstbäumen wachsen Kartoffeln und Kürbisse.

Selbst Kommunen denken inzwischen um. Fasziniert berichtet der Autor von der Stadt Andernach, die auf ihren Grünflächen statt Blumenrabatten Gemüse anbaut, das die Bewohner der Stadt frei pflücken dürfen. Zudem entstehen am Rand der Städte neue Formen der Landwirtschaft. Stadtbewohner können vorbepflanzte Beete pachten, gegen eine Fixsumme so viel Obst und Gemüse bekommen, wie sie brauchen, Anteilsscheine an Hofumbauten erwerben.

Der Autor beschreibt sehr anschaulich, wie die verschiedenen Projekte funktionieren, welche Unterschiede es gibt und welche Möglichkeiten, selbst aktiv zu werden. Er gibt Praxistipps für die Anlage von Hochbeeten, erklärt, wie man Saatgut und Kompost gewinnt, Mischkulturen anlegt, Bienen hält.

Es ist aber nicht nur um die Freunde an der Natur, die da in die Stadt zurückgeholt wird. Es geht, erklärt der Autor, auch um ein Stück Unabhängigkeit durch Selbstversorgung, um die Bewahrung alter Sorten, die in der industrialisierten Landschaft keine Chance haben zu überleben. Hier werden neue Geschmäcker entdeckt. Fröhliche Dilettanten probieren, was wie wo wächst und was eingeht. Die Lust am Experiment ist groß und die Freude am Gelingen nicht minder. Alle Anwohner, Deutsche wie Migranten, werden zum Mitmachen eingeladen. Kinder lernen wieder, wie das aussieht und gedeiht, was sie später zu Mittag essen. Vandalismus ist kaum zu beklagen. Die ganze Nachbarschaft fühlt sich verantwortlich.

Martin Rasper hält diese Art des städtischen Gärtners denn auch zu Recht für durchaus politisch, denn hier entstehen Gemeinschaftsgefühl, geteilte Verantwortlichkeit und Mitbestimmung. Die Menschen nehmen ein Stück weit ihr Leben wieder in die eigene Hand. Ein Buch, das Lust macht, mitzugärtnern.

Besprochen von Johannes Kaiser

Martin Rasper: Vom Gärtnern in der Stadt
Die neue Landlust zwischen Beton und Asphalt

oekom Verlag, 2012
206 Seiten, 18 Euro
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