"Die neue Anklage ist völlig sinnlos"

Moderation: Liane von Billerbeck · 22.02.2007
Juri Schmidt, einer der Verteidiger des einstigen Yukos-Chefs, Michail Chodorkowski, hat der russischen Führung vorgeworfen, seinen Mandanten erneut in einem politischen Prozess abzustrafen. Die neue Anklage behaupte, er habe das gesamte Öl, das seine Firma gefördert habe, "geraubt" und im Nachhinein durch Geldwäsche legalisiert.
Von Billerbeck: Seit über zwei Jahren bemüht sich Juri Schmidt gemeinsam mit anderen Anwälten Michail Chodorkowski, einst Vorstandsvorsitzender des inzwischen für bankrott erklärten Konzerns Yukos, juristisch beizustehen. Juri Schmidt ist jetzt im Radiofeuilleton von Deutschlandradio Kultur zu Gast. Willkommen, Sdrastwuitje! Warum verteidigt der berühmteste Menschenrechtsanwalt Russlands, warum verteidigt Juri Schmidt den ehemaligen Yukos-Chef Michail Chodorkowskij?

Schmidt: Die Antwort ist sehr einfach. Ich bin überzeugt, dass dies ein politischer Prozess ist, dass dieser Mensch der Möglichkeit beraubt wurde, einen unabhängigen, fairen Gerichtsprozess zu bekommen, und als ein Anwalt, der sich vor allen Dingen um die politischen Prozesse kümmert und um Prozesse, die eine gesellschaftliche Bedeutung haben, bin ich sehr froh, dass ich Herrn Chodorkowski jetzt vertreten kann.

Von Billerbeck: Was wird Ihrem Mandanten vorgeworfen?

Schmidt: Die neue Anklage, die jetzt erhoben wurde, ist völlig sinnlos. Es wird ihm vorgeworfen, dass er praktisch das gesamte Öl, das die Firma, die er geleitet hat, in den letzten sechsJahren gefördert hat, dass er dieses Öl geraubt hat und dass die Einnahmen von ihm legalisiert wurden, also dass er Geldwäsche betrieben hat.

Von Billerbeck: Den Vorwurf der Geldwäsche hätte man sicher auch anderen Oligarchen machen können. Was ist aus Ihrer Sicht der eigentliche Grund für das Verfahren?

Schmidt: Der Grund liegt darin, dass Herr Chodorkowski der Einzige war, der sich nicht dem Kreml beugen und unterwerfen wollte. In Russland gibt es eine Tradition, dass man jemanden als Beispiel abstraft, damit die Übrigen Gehorsam üben und zeigen können. Chodorkowski passte am besten in diese Rolle, und so war er es dann, mit dem zum ersten Mal abgerechnet wurde im ersten Prozess und jetzt auch in dem zweiten Verfahren abgerechnet werden soll.

Von Billerbeck: Ende 2006 wurde Ihr Mandant aus seinem bisherigen Straflager in das Untersuchungsgefängnis der ostsibirischen Stadt Tschita verbracht. Das ist nahe an der mongolischen Grenze. Wie müssen wir uns eine Verteidigung eines Mandanten vorstellen, der 6500 Kilometer von Ihnen entfernt ist?

Schmidt: Herr Chodorkowski hat mehrere Anwälte, und wir wechseln uns in der Betreuung unseres Mandanten ab. Ich bin allein in den letzten anderthalb Monaten drei Mal in diese entfernte Stadt gefahren. Die Tatsache, dass unsere Arbeit so erschwert wird, bedeutet, dass die Rechte des Mandanten stark beeinträchtigt werden. Diese Reise ist schon für junge und gesunde Menschen ein Beschwernis und umso mehr für jemanden in meinem Alter.

Von Billerbeck: Wie lebt Ihr Mandant dort in Tschita, wie sieht seine Zelle aus?

Schmidt: Ich kann nicht sagen, wie seine Zelle aussieht, weil ich in der Zelle noch nicht gewesen bin, aber ich kann sagen, dass ich ein Gefängnis dieser Art noch nicht gesehen habe in meiner beruflichen Laufbahn. Es gibt dort eine Bewachung, die eher dazu geeignet wäre, Herrn Bin Laden zu bewachen oder irgendwelche anderen international gesuchten Terroristen, und diese Umstände, die dort herrschen, sind natürlich dazu angetan, sehr stark auf die Psyche des Mandanten zu wirken.

Von Billerbeck: Sie haben über Ihren Mandanten Chodorkowski mal gesagt, dass er sich an das Credo Alexander Solschenizyns halte, das da lautet: Glaube nicht, fürchte dich nicht, bitte um nichts. Wie schwer ist das in einem sowjetischen Straflager oder Untersuchungsgefängnis, in einem russischen, das war jetzt ein Freudscher Versprecher?

Schmidt: Dieser Versprecher passt eigentlich sehr gut, denn die Lage im Strafvollzugswesen ist eigentlich schlechter, als es zumindestens zu Ende der sowjetischen Zeit war. Und allgemein ist das Regime härter geworden, schärfer geworden, härter geworden im Vergleich zu dem, wie es, sagen wir, Ende der achtziger Jahre noch gewesen war.

Von Billerbeck: Vom Prozess gegen Chodorkowski 2005 ist vielen das Bild des in einen Käfig gesperrten Angeklagten in Erinnerung, aber auch die wochenlange Verschleppung der Urteilsverkündung, um die Öffentlichkeit zu ermüden. Warum ist die russische Justiz mit ihrer erneuten Anklage 2007 plötzlich so schnell?

Schmidt: Wie Sie wissen, finden Ende dieses Jahres im Dezember Duma-Wahlen statt, und im März 2008 wird ein neuer Präsident gewählt. Es kommt hinzu, dass in diesem Jahr Chodorkowski und Lebedev die Möglichkeit hätten, vorzeitig aus dem Strafvollzug entlassen zu werden. Dieses Zusammentreffen angesichts des Wunsches der Führung des Landes, Chodorkowski nicht freizulassen, führt dazu, dass dieses Verfahren mit dieser Geschwindigkeit vorangetrieben wird.

Von Billerbeck: Was sagt das Verfahren gegen den einstigen Yukos-Chef Chodorkowski nun über Freiheit und Demokratie in Russland?

Schmidt: Man kann sagen, dass, beginnend mit dem Jahre 2003, wir in einem anderen Land leben. Und man kann sagen, dass der Prozess gegen Chodorkowski eine Art Wasserscheide darstellt, die unser Leben in der Zeit nach dem Zerfall der Sowjetunion trennt. Es gab die ersten Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion, in denen sich das Land langsam in eine Richtung bewegte und die Prinzipien einer freien Gesellschaft versuchte umzusetzen. Nach 2003 gibt es einen erst langsamen, aber dann immer merklicheren Rückschritt, weg von den Prinzipien einer freien und demokratischen Gesellschaft. Sie wissen wahrscheinlich, dass das Parlament, die Staatsduma, vollständig unter der Kontrolle des Kreml steht. Ebenso wird Ihnen bekannt sein, dass das Fernsehen nahezu vollständig unter der Kontrolle des Staates steht. Die wenigen Elemente eines unabhängigen Gerichtswesens, die es gegeben hatte, sind praktisch beseitigt worden. Und so ist nach dem Prozess gegen Chodorkowski der letzte Hort eines realen Widerstandes gegen dieses Regime beseitigt worden. Ich könnte diese Aufzählung noch lange fortsetzen. Ich möchte aber vor allem hinzufügen, dass es in der vergangenen Zeit auch einen verstärkten Angriff gegen den dritten Sektor, gegen die Nichtregierungsorganisationen, gegen die gesellschaftlichen Organisationen gegeben hat, insbesondere gegen jene, die sich aus Mitteln von westlichen Stiftungen finanzieren. Dies alles schafft eine Situation, in der sich die Führung des Landes, die aufs Äußerste korrupt ist, keiner Kontrolle aussetzt, und sie kann somit tun und lassen, was sie möchte.

Von Billerbeck: Herr Schmidt, es gab den mehrfachen Versuch, Sie aus der Anwaltskammer auszuschließen, also mit Berufsverbot zu belegen. Bisher ist das nicht gelungen. Was befürchten Sie noch im Laufe des Verfahrens?

Schmidt: Ich erwarte alles Mögliche von den Behörden und dem Staat in diesem Zusammenhang. Sie haben wahrscheinlich davon gehört, dass vor zwei Wochen das Anwaltsteam von Chodorkowski und Lebedev auf dem Moskauer Flughafen Domodedowo für zwei Stunden festgenommen wurde. Eine davon befanden wir uns eingesperrt, und es wurde versucht, eine rechtswidrige Durchsuchung durchzuführen, und nur der Einmischung von Journalisten ist es zu verdanken gewesen, dass diese rechtswidrigen Ziele nicht durchgesetzt werden konnten. Wir lassen uns durch derartige Vorfälle nicht einschüchtern. Wir werden unsere Arbeit fortsetzen, aber diese Festnahme hat doch einige Folgen gezeigt, denn wir brauchen noch zwei bis drei zusätzliche Anwälte, die unser Team verstärken können. Und wenn es noch im ersten Verfahren so war, dass wir nur ein Wort zu verlieren brauchten und sofort waren fähige und gute Anwälte bereit, uns zu helfen, und sie standen sofort Schlange, um an unserer Arbeit teilzunehmen, so gibt es jetzt kaum Anwälte, die dieses Risiko eingehen wollen. Wir sind uns auch völlig darüber im Klaren, dass wir, wenn es ein Verfahren in Tschita geben wird, dass wir es nicht schaffen werden, dort ausreichend Zeugen und Experten für diesen Prozess beizubringen, denn die Leute werden sich bewusst sein, wenn man schon mit den Anwälten so umspringen kann, dann wird es für potenzielle Zeugen und Experten umso höhere innere Barrieren geben, an diesem Prozess teilzunehmen.

Von Billerbeck: Der einstige Männerfreund von Wladimir Putin, Exbundeskanzler Gerhard Schröder, hat den Prozess ja bekanntlich rechtsstaatlich genannt. Das wundert sicher nicht, er hat ja Putin auch einen lupenreinen Demokraten genannt. Sie haben damals von einer Kanzlerin Angela Merkel sehr viel erhofft, auch für die Menschenrechte in Russland. Wurden diese Hoffnungen erfüllt?

Schmidt: Die ersten Schritte, die von Frau Merkel wahrzunehmen waren, haben doch eine gewisse Hoffnung gemacht, und ich habe den Eindruck gewonnen, dass sie mit Besorgnis erfüllt ist, nicht nur in Bezug auf den Fall Chodorkowski. Gleichzeitig verstehe ich, dass auf ihr eine große Verantwortung lastet, natürlich zunächst für die Geschicke ihres Landes, dann aber auch im Rahmen der EU. Wenn sich Russland zu einer totalitären, zu einer geschlossenen Gesellschaft wandelt, wenn die Situation der Menschenrechte sich derart verschlechtert, stellt das eine große Bedrohung für den Westen und für die Welt dar. Ich hoffe, dass nicht nur Frau Merkel, sondern auch ihre Partner in der EU und möglicherweise eine neue Regierung in den USA dies beherzigen und entsprechend darauf reagieren werden. Was Herrn Schröder anbetrifft, wenn ich das richtig verstehe, hat er eine gute Position bei Gasprom bekommen, und ich verstehe, dass er diese Position und auch das Gehalt dort behalten möchte. Aber ich würde mich sehr freuen über eine Gelegenheit, mich persönlich mit ihm zu treffen, gern in Anwesenheit von Journalisten, und ich würde gern sehen, wie er, nachdem er sich mit unseren Menschenrechtlern unterhalten hat und nachdem er gehört hat, wie sie die Lage in Russland einschätzen, wie er dann noch diese Phrase, dass Putin ein Demokrat ist, guten Gewissens wiederholen kann.