Die Natur der Idee

Die "Zeitschrift für Ideengeschichte" ist eine der seltenen Neugründungen in einem ansonsten eher rückläufigen Bereich der Zeitschriftenbranche. In den jährlich vier Heften geht es um die veränderliche Natur von Ideen, seien sie philosophischer, religiöser, politischer oder literarischer Art.
Zu den Freuden des ökonomischen Booms darf sich die Freude über einen zarten, aber deutlich spürbaren Aufschwung im Zeitschriften- und Zeitungsgeschäft gesellen: Cicero, noch während der Rezession gegründet, inzwischen wohl etabliert und jetzt auch noch verfassungsrichterlich gestärkt, Park Avenue, Vanity Fair, die Rückkehr der Edelbeilage "Bilder und Zeiten" der FAZ – sind die Zeilenhonorare für die Mitarbeiter auch vorerst noch auf Krisenniveau festgestellt, so kann man, was die Neugründungen anbelangt, doch von einer insgesamt mutig-optimistischen Grundstimmung im Publikationswesen sprechen.

Zielen die neuen Hochglanzmagazine aufs unbeschwert Populäre und hat auch die FAZ ihre ehemalige Tiefdruckbeilage kräftig auf Sonntagszeitung getrimmt – auch in den luftigeren Höhen der Intellektuellenbreviere tut sich einiges, besonders mit der Premiere der nun vierteljährlich erscheinenden "Zeitschrift für Ideengeschichte", getragen von den ehrwürdigen Kraftzentren der literarischen Bundesrepublik Marbach, Weimar und Wolfenbüttel und publiziert im Münchner Beck Verlag.

So frisch, so lesbar, gleichzeitig so subtil in die Geschichte austreibend, so wohl komponiert und nicht zuletzt so ansehnlich gestaltet ist wohl lange nicht ein Periodikum aus der Taufe gehoben worden. Im Konzept, wie es die Herausgeber im Vorwort beschreiben, verschränkt sich Bescheidenheit wie Unbescheidenheit aufs Produktivste: Vorbild ist das berühmte US-amerikanische, seit 1940 unterbrechungslos erscheinende "Journal of the History of Ideas".

Ideen sind nach dem Gründer der Zeitschrift, dem Philosophen Arthur O. Lovejoy, auch die Alltagsideen, die Ideen, "die man eben so hat", und ihre Verflechtung mit den Netzwerken der Ideengefüge aus Geschichte und Gegenwart. In der Titelwahl – auch des deutschen, in jeder Hinsicht eigenständigen Pendants – drückt sich eine angelsächsisch-pragmatistische Skepsis gegenüber Begriffen wie Kultur- oder Geistesgeschichte aus; ersterer hängt den Menschen gleichsam zu niedrig, letzterer bindet ihn an die heilsgeschichtlich oder hegelisch gedachte Kategorie des Geistes an – beides versteht die Redaktion der amerikanischen Zeitschrift (und explizit auch der deutschen) als "Vorurteil".

Diesen Ansatz verlebendigt nun die deutsche Publikation: Jost Philipp Klenner zeichnet die Veröffentlichungsgeschichte und die Ikonologie eines ebenso symbolisch aufgeladenen wie unfreiwillig komischen Fotos von Benito Mussolini nach: Der Duce in seiner Edelkarosse samt juveniler echter Löwin, vom Führer lakonisch "Italia" getauft. Der große Ikonologe Aby Warburg analysierte das Bild in der Tradition der Herrscherdarstellungen und fokussierte mit frappierender Tiefenschärfe die heidnischen Ursprünge dieser Selbstdarstellung.

Auch der Direktor des Marbacher Literaturarchivs, Ulrich Raulff, gleichzeitig einer der Herausgeber der Zeitschrift, widmet sich dem großen jüdischen Geisteswissenschaftler Aby Warburg und lotet den Resonanzraum eines wahrhaft tiefen Warburgschen Aperçus aus: "Wir [Juden] sind zweitausend Jahre länger Patienten der Weltgeschichte gewesen." Wie Freud spricht Warbug – aber früher – von der "Vergeistigung des Monotheismus" durch die Faktizität der Geschichte. Hier wird ein überaus heißes Eisen mit einer vorbildlichen philologischen Sorgfalt und dabei schreiberischer Nonchalance angefasst, die schlichtweg fesselt. Überhaupt, alle Artikel der Zeitschrift werfen scharf konturierte, aber nie blendende Lichtkegel auf sensorische Punkte der Geistesgeschichte.

In jedem Heft werden ausführliche Aufsätze zu drei "Ideen" gebracht: Im Premierenheft sind das "Entfremdung", "Coolness" und "Untergrund". Martin Bauers Entfremdungsartikel ist mit Abstand der dichteste des Heftes, immer von theoretischer Präzision geleitet. Fast heiter aber klingt das Resultat: Wenn vom "guten Leben" Rede ist, und davon, dass "Freiheit auch Glück sein soll", dann klingt das schon fast nach Peter Sloterdijks Projekt der Überwindung von "Weltfremdheit".

Helmut Lethen erkundet den "Untergrund" von den Seelenkellern der Psychoanalyse bis zu den tödlichen Neo-Romatizismen der RAF. Und Andreas Urs Sommer spürt sehr inspirierend den Verhaltenslehren der "Coolness" nach.

In jeder Ausgabe wird ein "Fundstück" aus den drei Kardinal-Archiven Marbach, Weimar und Wolfenbüttel präsentiert und kommentiert; diesmal ist es eine bislang unveröffentlichte Miszelle des Philosophen Hans-Georg Gadamer mit dem schlichten Titel "Schönheit" und der These, dass die "nicht mehr schönen Künste" (Odo Marquard) langfristig wieder verschönerungsfähig sind. Odo Marquard, der ehrwürdige Sokrates der Neu-Bürgerlichkeit ist es auch, der den Gadamer-Text ebenso freundlich wie kritisch kommentiert.

Abgerundet wird das Heft durch einen sorgfältig redigierten Rezensionsteil, der ideengeschichtlich relevante Publikationen bespricht, wie etwa das in Deutschland noch kaum rezipierte, in Frankreich edierte "Europäische Wörterbuch der Philosophien", das "Vocabulaire europeén des philosophies".

Ausdrücklich wendet sich die "Zeitschrift für Ideengeschichte" an das gebildete Publikum und nicht nur an die Fachwelt. Diesem Anspruch wird man auch gerecht – härteren Tobak wie den Essay von Martin Bauer wird jeder genießen können, wenn er etwas langsamer kaut, und die leichtfüßige Populärphilosophie eines Odo Marquard ist wie immer etwas für wirklich alle (und keinen).

Diesem Zeitschriftenprojekt muss man für seine gewiss wohlwollende Zukunft fast überflüssiger Weise nur das Beste wünschen: Ideen sind nicht jedermanns Sache, bisweilen wurden sie in der Geschichte (und werden auch in der Gegenwart) zu hässlichen Sprengkörpern. Aber in Form dieser Zeitschrift ist es ein Hochgenuss lesend und bestens unterhalten darauf zu warten, dass einem über der Geschichte der Ideen das eine oder andere Licht aufgeht.

Rezensiert von Marius Meller

Zeitschrift für Ideengeschichte. Heft 1
Herausgegeben von Ulrich Raulff und Stephan Schlak

Verlag C.H. Beck, München 2007
128 Seiten, 12 Euro
Erscheint vierteljährlich