Die Natur an Schönheit übertreffen
Die Geschichte des Stilllebens schien eigentlich schon erzählt. Das Frankfurter Städel-Museum rollt sie mit hundert hochkarätigen Gemälden noch einmal auf und verzaubert mit der grandiosen Schau "Die Magie der Dinge. Stilllebenmalerei 1500-1800".
Es war wohl zu Beginn des 16. Jahrhunderts, als die Malerei zum Stillstand kam. Hans Holbein der Jüngere zum Beispiel legte zwei Totenschädel in eine Fensternische und pinselte die fahlen Knochen ab, und der Flame Goossen van der Weyden garnierte ein Madonnenbild mit einer aufgeschnittenen Zitrone, einem Messerchen und ein paar Kirschen. Natürlich verband sich mit den reglosen Dingen damals noch die Botschaft religiöser Symbolik wie Reinheit, Schmerz oder Vergänglichkeit, und doch hatte die spätmittelalterliche Kunst dem Stillleben das Vorspiel geliefert.
In den Vitrinen liegen deshalb Musterbücher und fromme Breviere oder graphische Blätter, denen die Maler die Vorlagen für ihre Kompositionen entnahmen. Und in gleichem Maße, wie die Malerei sich dem Glauben entfremdete, eroberten sich die Gegenstände ihren Platz auf Holztafeln und Leinwänden: Insekten, die an einer Steinplatte emporkrabbeln, als wären sie dort festgepinnt, wunderliche Souvenirs aus fernen Ländern, und natürlich Blumen, immer wieder.
Gerade die Vielfalt der Blüten schärft den Blick auf die Welt im Kleinen und ist mitunter auch von derart ausgesuchter Künstlichkeit, dass uns der Kurator Jochen Sander vor einem Blumenstrauß des Malers Peter Binoit gleich die erste Lektion erteilt:
" Wenn man die Blumen, die dort im Bild dargestellt sind, so augentäuschend genau sie gemalt sind, wenn man sie genau anschaut, sieht man sehr schnell: Sie blühen zu ganz unterschiedlichen Zeiten im Jahr, und das bedeutet natürlich zu der Zeit im 16. Jahrhundert – kein Treibhaus, keine Flugimporte – , der Künstler malt nicht etwa einen wirklichen, vor ihm stehenden Blumenstrauß, sondern er gestaltet im Grunde genommen nach Vorlagen, nach lauter Einzelvorlagen, die er im Bild zusammenführt. "
Dass die ganze Blütenpracht unmöglich in die viel zu kleine Vase passt, ist eine andere Frage. Doch da werden wir schon fortgerissen von Bild zu Bild in dieser Schau, die ihre Schätze nach Gattungen sortiert. Das schafft zumindest Übersicht. Da wird ein sterbender Geizhals inmitten seiner Reichtümer vom Teufel geholt – wir sind in der Abteilung "Vanitas". Wir bestaunen bei den Jagdstillleben Felle und Gefieder des erlegten Wilds, lassen uns von der floralen Zier augentäuschend gemalter Blumenkartuschen verzücken und geraten ins Schwärmen angesichts der üppigen Küchenstücke oder Fischstillleben mit ihren schillernden Schuppen, so glitschig und feucht gemalt, als wären sie eben aus dem Wasser gezogen.
Andererseits: was war schon dran an einem Fisch? Aus akademischer Sicht galten Stillleben als eine ausgesprochen niedere Gattung. Doch der Kundschaft war das egal, vor allem die Niederländer gaben dafür ein Vermögen aus.
" Jemand, der beispielsweise als Gewürzhändler, als Händler mit exotischen Importgütern, die unglaubliche Gewinnspannen versprachen, mit Gewürzen oder mit chinesischem Porzellan gehandelt hat, der wird natürlich einen Spaß daran gehabt haben, in seinem Stadtpalais, in seinen Repräsentationsräumen auch Bilder zu haben, die genau seine Handelgüter widerspiegelten. "
Entsprechend gepfeffert waren die Preise. Jan Brueghel stellte einem Kunden einmal frech die Frage, ob nicht die gemalten Blumen Gold und Edelsteine überträfen. Doch die Fülle ist trügerisch. Zwar florierte in den Niederlanden der Handel, doch beim einfachen Landvolk kam der Aufschwung nicht an, genauso wenig wie in deutschen Landen, wo ein Maler wie Georg Flegel den Markt beherrschte und es zu unerreichter Meisterschaft brachte. Das glitzernd kandierte Zuckerwerk auf seinen verlockend angerichteten Tischen war als Luxusartikel ohnehin dem Adel vorbehalten.
Gleichwohl, die Frankfurter Schau zielt voll aufs Auge, sie bietet Schönheit im Überfluss und bedient die Sinne aufs Beste. Die moralischen Botschaften der Bilder verlieren sich ohnehin, und beim Franzosen Chardin, dem schon ein simples Wasserglas für seinen optischen Genuss genügt, spielen sie ohnehin keine Rolle mehr.
" Jemand, der beispielsweise als Gewürzhändler, als Händler mit exotischen Importgütern, die unglaubliche Gewinnspannen versprachen, mit Gewürzen oder mit chinesischem Porzellan gehandelt hat, der wird natürlich einen Spaß daran gehabt haben, in seinem Stadtpalais, in seinen Repräsentationsräumen auch Bilder zu haben, die genau seine Handelgüter widerspiegelten. "
Auf diese Weise, nämlich im Versuch der Kunst, die Natur an Schönheit zu übertreffen, entfalten die Gegenstände ihren stillen Zauber, die "Magie der Dinge" eben.
Eine Spezialität für sich ist das so genannte "Waldbodenstück". Es wuchert und wuselt zwischen Beeren, Pilzen, Kräutern und Kastanien, es kreucht und fleucht von Reptilien, Käfern und anderem Kleingetier, und doch herrscht nicht die leiseste Bewegung in diesem dunklen Biotop, die Natur scheint zum Stillstand gebracht.
Und hier, wo sich Kunst und Naturwissenschaft aufs Innigste verschwistern, sind wir auch schon am Schluss der schönen Schau. Auf einem Kleinformat setzt 1765 der Maler Justus Juncker nichts als eine pralle Birne auf einen Sockel lässt eine Fliege darüber krabbeln. Und wir halten die Luft an, damit wir das zarte Insekt nicht verscheuchen. Es ist ein Bild voll leiser Ironie und stiller Größe: ein Denkmal für die Fliege.
Service:
"Die Magie der Dinge. Stilllebenmalerei 1500 bis 1800" ist im Frankfurter Städel-Museum bis zum 17. August 2008 zu sehen. Danach ab 5. September 2008 im Kunstmuseum Basel.
In den Vitrinen liegen deshalb Musterbücher und fromme Breviere oder graphische Blätter, denen die Maler die Vorlagen für ihre Kompositionen entnahmen. Und in gleichem Maße, wie die Malerei sich dem Glauben entfremdete, eroberten sich die Gegenstände ihren Platz auf Holztafeln und Leinwänden: Insekten, die an einer Steinplatte emporkrabbeln, als wären sie dort festgepinnt, wunderliche Souvenirs aus fernen Ländern, und natürlich Blumen, immer wieder.
Gerade die Vielfalt der Blüten schärft den Blick auf die Welt im Kleinen und ist mitunter auch von derart ausgesuchter Künstlichkeit, dass uns der Kurator Jochen Sander vor einem Blumenstrauß des Malers Peter Binoit gleich die erste Lektion erteilt:
" Wenn man die Blumen, die dort im Bild dargestellt sind, so augentäuschend genau sie gemalt sind, wenn man sie genau anschaut, sieht man sehr schnell: Sie blühen zu ganz unterschiedlichen Zeiten im Jahr, und das bedeutet natürlich zu der Zeit im 16. Jahrhundert – kein Treibhaus, keine Flugimporte – , der Künstler malt nicht etwa einen wirklichen, vor ihm stehenden Blumenstrauß, sondern er gestaltet im Grunde genommen nach Vorlagen, nach lauter Einzelvorlagen, die er im Bild zusammenführt. "
Dass die ganze Blütenpracht unmöglich in die viel zu kleine Vase passt, ist eine andere Frage. Doch da werden wir schon fortgerissen von Bild zu Bild in dieser Schau, die ihre Schätze nach Gattungen sortiert. Das schafft zumindest Übersicht. Da wird ein sterbender Geizhals inmitten seiner Reichtümer vom Teufel geholt – wir sind in der Abteilung "Vanitas". Wir bestaunen bei den Jagdstillleben Felle und Gefieder des erlegten Wilds, lassen uns von der floralen Zier augentäuschend gemalter Blumenkartuschen verzücken und geraten ins Schwärmen angesichts der üppigen Küchenstücke oder Fischstillleben mit ihren schillernden Schuppen, so glitschig und feucht gemalt, als wären sie eben aus dem Wasser gezogen.
Andererseits: was war schon dran an einem Fisch? Aus akademischer Sicht galten Stillleben als eine ausgesprochen niedere Gattung. Doch der Kundschaft war das egal, vor allem die Niederländer gaben dafür ein Vermögen aus.
" Jemand, der beispielsweise als Gewürzhändler, als Händler mit exotischen Importgütern, die unglaubliche Gewinnspannen versprachen, mit Gewürzen oder mit chinesischem Porzellan gehandelt hat, der wird natürlich einen Spaß daran gehabt haben, in seinem Stadtpalais, in seinen Repräsentationsräumen auch Bilder zu haben, die genau seine Handelgüter widerspiegelten. "
Entsprechend gepfeffert waren die Preise. Jan Brueghel stellte einem Kunden einmal frech die Frage, ob nicht die gemalten Blumen Gold und Edelsteine überträfen. Doch die Fülle ist trügerisch. Zwar florierte in den Niederlanden der Handel, doch beim einfachen Landvolk kam der Aufschwung nicht an, genauso wenig wie in deutschen Landen, wo ein Maler wie Georg Flegel den Markt beherrschte und es zu unerreichter Meisterschaft brachte. Das glitzernd kandierte Zuckerwerk auf seinen verlockend angerichteten Tischen war als Luxusartikel ohnehin dem Adel vorbehalten.
Gleichwohl, die Frankfurter Schau zielt voll aufs Auge, sie bietet Schönheit im Überfluss und bedient die Sinne aufs Beste. Die moralischen Botschaften der Bilder verlieren sich ohnehin, und beim Franzosen Chardin, dem schon ein simples Wasserglas für seinen optischen Genuss genügt, spielen sie ohnehin keine Rolle mehr.
" Jemand, der beispielsweise als Gewürzhändler, als Händler mit exotischen Importgütern, die unglaubliche Gewinnspannen versprachen, mit Gewürzen oder mit chinesischem Porzellan gehandelt hat, der wird natürlich einen Spaß daran gehabt haben, in seinem Stadtpalais, in seinen Repräsentationsräumen auch Bilder zu haben, die genau seine Handelgüter widerspiegelten. "
Auf diese Weise, nämlich im Versuch der Kunst, die Natur an Schönheit zu übertreffen, entfalten die Gegenstände ihren stillen Zauber, die "Magie der Dinge" eben.
Eine Spezialität für sich ist das so genannte "Waldbodenstück". Es wuchert und wuselt zwischen Beeren, Pilzen, Kräutern und Kastanien, es kreucht und fleucht von Reptilien, Käfern und anderem Kleingetier, und doch herrscht nicht die leiseste Bewegung in diesem dunklen Biotop, die Natur scheint zum Stillstand gebracht.
Und hier, wo sich Kunst und Naturwissenschaft aufs Innigste verschwistern, sind wir auch schon am Schluss der schönen Schau. Auf einem Kleinformat setzt 1765 der Maler Justus Juncker nichts als eine pralle Birne auf einen Sockel lässt eine Fliege darüber krabbeln. Und wir halten die Luft an, damit wir das zarte Insekt nicht verscheuchen. Es ist ein Bild voll leiser Ironie und stiller Größe: ein Denkmal für die Fliege.
Service:
"Die Magie der Dinge. Stilllebenmalerei 1500 bis 1800" ist im Frankfurter Städel-Museum bis zum 17. August 2008 zu sehen. Danach ab 5. September 2008 im Kunstmuseum Basel.