Die NATO, Frankreich und ein Jubiläum

Von Jochen Thies, Deutschlandradio Kultur |
Ein wichtiger Tag für das westliche Verteidigungsbündnis: Frankreich kehrt in die Kommandostrukturen der NATO nach über 40-jähriger Unterbrechung zurück. Und: Vor zehn Jahren traten die ehemaligen Warschauer Pakt-Staaten Polen, Ungarn und Tschechien der NATO bei.
Die jahrzehntelange Spaltung des Kontinents war beendet. Aus diesem Anlass fand daher heute eine Jubiläumsveranstaltung des Bündnisses in Budapest statt, bei der der demnächst scheidende holländische Generalsekretär trotzig verkündete, dass „die Türe künftigen Mitgliedern immer offen stehen werde“. Genau dies ist jedoch innerhalb der NATO umstritten, mag gerade noch für die Beitrittskandidaten Kroatien und Albanien gelten, nicht jedoch für Georgien oder die Ukraine.

So gesehen, gibt es in der NATO eine unsichtbare Spaltung zwischen West und Ost. Ginge es nach den Neumitgliedern, kann Russland gar nicht weit genug nach Osten abgedrängt werden. Geht es nach den Vorstellungen der Bundesrepublik, sind die Interessen Russlands zu berücksichtigen, auch wenn dies so öffentlich nicht gesagt wird. Spannend wird nun, wie sich die USA am Ende verhalten werden, die in den letzten Tagen der Bush-Administration große Anstrengungen unternahmen, die NATO weiter nach Osten auszudehnen. Dann kam der Georgien-Krieg im letzten Sommer und eine beiderseitige Denkpause.

Vergleichsweise wenig Zeit wird die Bundesrepublik dagegen haben, um sich auf die Folgen des NATO-Beitritts von Frankreich einzustellen. So erfreulich dies einerseits ist, um die europäische Verteidigungspolitik zu stärken, so setzt es andererseits Berlin gehörig unter Druck. Denn die Franzosen werden aller Wahrscheinlichkeit nach amerikanischen Wünschen in Afghanistan stärker entgegenkommen als das bislang der Fall war. Und aus Liebe zu Europa, zu Deutschland und zu Angela Merkel passiert es auch nicht. Paris strebt nicht weniger als eine Sonderbeziehung zu Obamas Amerika an. Präsident Sarkozy drückt aufs Tempo, nachdem er direkt nach seiner Wahl vor zwei Jahren vom antiamerikanischen Kurs seines Vorgängers abgerückt war. Sichtbarer Ausdruck: eine Reise nach Bagdad und der Besuch einer Reihe von Staaten auf der Arabischen Halbinsel, wo sich die Franzosen demnächst auch militärisch mit der Errichtung eines Stützpunktes in Abu Dhabi engagieren werden. Berlin hat somit mit Überraschungen Frankreichs bis zum NATO-Gipfel in Straßburg und Kehl Anfang April und auch in den Wochen danach zu rechnen. Denn die Phase der deutsch-französischen ‚entente cordiale’ in Zeiten des Irak-Kriegs ist vorbei. Die USA positionieren sich neu, und sie erwarten dies auch von ihren europäischen Verbündeten. Der Druck auf die Bundesregierung wird zunehmen. Symbolpolitik wird nicht mehr reichen. Afghanistan ist weit davon entfernt, ein herrliches Land zu sein, wie der Bundesverteidigungsminister bei seinem Besuch gerade meinte.