Die Musikalität von Gardinenpredigten

Von Michael Laages · 25.11.2010
In "Alpen glühen. Match, Maiandacht und magische Gesänge" grundieren drei zeitgenössische Komponisten der Neuen Musik kurze Texte aus Bernhard-Stücken mit rituell durchsetzten Sounds am Bayerischen Staatsschauspiel.
Kein neuer Text von Thomas Bernhard, kein Fundstück aus dem Nachlass ist hier zu entdecken – aber drei zeitgenössische Komponisten der Neuen Musik nehmen den stets unanpassbaren Einzelgänger des österreichischen Theaters auf sehr ungewöhnliche Weise ins Visier.

Immer wieder (und ganz zu Recht!) war ja von der großen inneren Musikalität in Bernhards immerwährenden Gardinenpredigten die Rede, vom quasi wie auf Notenblättern arrangierten Umgang des Schriftstellers mit der Sprache; alle nur erdenklichen Struktur-Modelle für Solo-Stimmen und Chöre waren Wort geworden in andauernd kreisender Wiederholsamkeit. Nicht umsonst entdeckten Regisseure immer wieder etwa Bernhards Verwandtschaft mit den Methoden der amerikanischen "Minimal Music". Helga Pogatschar, Bernhard Lang und Jan Müller-Wieland grundieren nun kurze Texte aus verschiedenen Bernhard-Stücken, vor allem aus der Szenenfolge "Der deutsche Mittagstisch", mit ähnlich rituell durchsetzten Sounds.

Georg Glasl ist der Ideenstifter dieser kleinen Produktion für den Marstall des Bayerischen Staatsschauspiels; Glasl selber spielt dabei Zither. Aber nicht bloß mit volksmusikalischer Anmutung, sondern in allerlei elektronischer Verkleidung; und Kollege Computer steuert das Seine bei. Die Sängerin Salome Kammer schwingt sich dazu in ebenso jodelnde Höhen wie gurgelnde Tiefen. Derweil spürt ein kleines Schauspiel-Quartett Bernhards ewigem Thema nach – wie sich nämlich aus der qualvollen Geistesenge beschränkter Klein- und Kleinstbürgerlichkeit heraus als Schreckensbild immer von neuem der latente Faschismus speziell deutschnational-österreichischer Prägung erhebt; Fremden- und Rassenhass als Sublimierung des eigentlichen Hasses auf sich selber.

Vier Frauen mit Blick auf die Berge in Pogatschars "Alpenglühn", mit einem beinahe sprach- und vor allem völlig verständnislosen Nicht-Text von Micaela von Marcard ausgestattet, ergänzen die Bernhard-Szenen, in denen zwei Nachbarinnen im Erinnern an den offenkundig selbst verschuldeten Unfalltod des Herrn Geißrathner ein Blutgericht über den angeblichen "Täter" heraufbeschwören; einen Ausländer, natürlich. Die zweite, ebenfalls über den ganzen kurzen Abend hin laufende Szene zeigt ein Paar am Abend, er vor Glotze und Fußballfachzeitschrift, sie bei der Hobby-Malarbeit an einem Alpenpanorama; und auch sie haben sich nichts zu sagen – die Frau aber setzt aus diesem Nichts heraus zur Hass-Attacke auf all das arbeitsscheue Studenten-Gesindel an. Im Finale, jetzt zusätzlich von Kammers furioser Stimme befeuert, geifern die finstren Bürgerseelen schon wieder vom "Vergasen".

Das ist kein Abend der großen Form, der stilbewussten Inszenierung; Cornel Franz ist denn auch nur für Textfassung und szenische Einrichtung verantwortlich. "Alpen glühen" will wohl auch vor allem das unerledigte Bernhard-Thema, die Echos des immerwährenden Hasses auf alles Fremde, messen an der Musik, die schon in Bernhards Texten steckt: und hier ein paar sehr interessante neue Stimmen bekommt; ganz anders, aber vertraut.