"Die Museumsleute selber können das besser"

Moderation: Ulrike Timm · 21.06.2013
"Bronzezeit - Europa ohne Grenzen" heißt die neue Ausstellung in St. Petersburg. Darin: viele Beutekunststücke. Zur Eröffnung sollte Angela Merkel reden, doch dann gab es Streit. Für Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, sind die Vorbehalte der Politik zweitrangig.
Ulrike Timm: Am Telefon - und gerade in St. Petersburg gelandet - ist Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, und diese Stiftung hatte eben für die Ausstellung in St. Petersburg über Jahre mit den Museumsleuten der Eremitage zusammengearbeitet. Schönen guten Tag, Herr Parzinger!

Hermann Parzinger: Guten Tag!

Timm: Herr Parzinger, den Platz zwischen Baum und Borke, zwischen Politik und Kultur, den kennen Sie ja gut. Aber im Moment ist der wohl doch etwas doof. Wann haben Sie denn von der jetzigen Entwicklung erfahren?

Parzinger: Nun, ich habe heute Früh davon erfahren und natürlich bedauern wir das, das ist ganz klar, aber dennoch: Die Ausstellung ist großartig. Sie bringt Dinge zusammen, die über 70 Jahre getrennt waren. Wir arbeiten mit unseren russischen Kollegen, Museumswissenschaftlern, anderen Kuratoren sehr effektiv und erfolgreich zusammen. Wir übernehmen natürlich oder wir zeigen durch diese Kooperation und die Zusammenarbeit auch Verantwortung für unsere Bestände, die hier noch in Russland sind. Und unter diesem Gesichtspunkt, muss ich sagen, freuen wir uns jetzt trotzdem auf die Ausstellung, auch wenn natürlich die Anwesenheit der beiden Regierungschefs schön gewesen wäre.

Timm: Aber Ihre Rede, die Sie heute Abend halten möchten, müssen Sie wahrscheinlich schon ein bisschen umschreiben, oder?

Parzinger: Nein, die werde ich nicht umschreiben, denn, wissen Sie, es ist ja klar, dass eine Bundeskanzlerin auch zu den unterschiedlichen Rechtspositionen Stellung nehmen muss und die deutsche Rechtsposition auch noch einmal klar zum Ausdruck bringen muss, und das ist für die russische Seite ja kein Geheimnis. Und das werde ich in meiner Rede natürlich ganz genauso tun. Und das hat uns auch mit den russischen Kollegen hier an den Museen nie gehindert, effektiv und erfolgreich zusammenzuarbeiten. Also an der Rede werde ich nicht rumschreiben, und ich meine, die Dinge, die zwischen den Regierungschefs geschehen sind - das steht mir auch nicht zu, das zu kommentieren.

Timm: Nun ist die Uneinigkeit in der politischen Sache ja bekannt: Die deutsche Seite besteht auf Rückgabe, zum Beispiel auf Rückgabe des sensationellen Goldschatzes von Eberswalde - sie weiß sich auch im Einklang mit der Haager Konvention; die russische Seite befindet, die Beutekunst sei, so heißt es immer, mit dem Blut der russischen Soldaten bezahlt; und keiner rückt auch nur einen "µ" zur Seite. Das hat sich seit Jahren festgefahren. Sie haben es uns geschildert: Die Museumsleute selber können das besser, sonst gäbe es die Ausstellung nicht. Aber das ist doch mehr als ein Wermutstropfen, wenn man sich auf eine Eröffnung freut, und plötzlich sagt jemand: Nee, machen wir nicht?

Parzinger: Na ja, gut, die Ausstellung machen wir ja für die Menschen, für die Besucher. Im russischen Katalog wird auch die deutsche Rechtsposition dargestellt. Es ist jedes einzelne Objekt - und es sind immerhin 600 Stück, die aus ehemaligen Beutekunstbeständen stammen, also ehemals in Berlin waren -, ... sind gekennzeichnet mit der Beschriftung: "bis 45 Staatliche Museen zu Berlin, kriegsbedingt verlagert". Also die Russen haben da wirklich ganz exakt unsere Abmachungen eingehalten, und damit wird auch gegenüber ihren Leuten deutlich, dass das Dinge sind, die die sowjetische Trophäenkommission damals mitgenommen haben. Es ist so: Man muss halt den Gesamtkontext immer sehen. Ich meine, die ersten, die diesen Kulturbruch des Kulturraubes vollzogen haben - neben den unfassbaren anderen Zerstörungen - war Nazideutschland. Nazideutschland hat in der Sowjetunion eben systematisch auch Kulturgüter geplündert und zerstört. Das sitzt natürlich - und im einleitenden Text haben Sie es gesagt - noch immer, und jetzt wird diese glorreiche Vergangenheit wieder etwas stärker hervorgehoben. Das sitzt natürlich sehr tief, und das muss man immer mit berücksichtigen. Dennoch haben die Russen sich mit dem Duma-Gesetz, indem sie diese Dinge zu ihrem Eigentum erklärt haben, haben sie sich ihr eigenes Gesetz geschaffen, was internationalem Recht widerspricht, und darauf müssen wir immer wieder hinweisen. Und natürlich wünschen wir uns, dass es eines Tages 'mal zu einer wie auch immer gearteten Lösung der beiden Länder kommt und diese letzte Hypothek des Zweiten Weltkriegs auch eine Lösung bekommt.

Timm: Herr Parzinger, die Sicht der Dinge, die Sie uns eben geschildert haben, die kennt Angela Merkel natürlich auch, aber dass sie diese Ausstellung besucht und dazu kein Wort sagen kann, ist schon eine Situation, die ist mehr als schräg, oder?

Parzinger: Ich verstehe das vollkommen. Also das geht wirklich nicht. Ich meine, das ist wichtig, denn wenn man sich vorstellt: Sie läuft durch die Ausstellung, sagt gar nichts, Herr Putin zeigt ihr die Objekte, könnte man es ja so interpretieren, als ob man das von deutscher Seite hinnähme, dass das jetzt so ist. Und insofern muss man schon ganz klar sagen, und da habe ich volles Verständnis. Ich sage noch einmal: Ich bedauere es natürlich, aber ich verstehe vollkommen, dass sie, wenn sie dort auftritt, auch die deutsche Position darstellen muss.

Timm: Ich bin noch einmal mehr über den Titel gestolpert, der jetzt natürlich einen zusätzlichen Klang, einen besonderen Geschmack erhält, der Titel: "Bronzezeit - Europa ohne Grenzen". Offenbar war man in der Bronzezeit in manchem doch weiter.

Parzinger: Ja, offenbar schon. Aber, nein, schauen Sie: Es geht uns ja darum neben dieser Beutekunstproblematik, die ja auch im Katalog und bei den Beschriftungen ausgeführt wird für die Besucher, aber wir wollen mit diesen herausragenden Funden - und es kommt ja noch vieles dazu, was keine Beutekunst ist, aus russischen Museen, aus deutschen Museen -, wir wollen wirklich die Bronzezeit, also die Zeit vom 4. bis zum frühen 1. Jahrtausend vor Christus, wo sich ganz viele kulturelle, technische, wirtschaftliche, soziale Entwicklungen herausgebildet haben, die ganz Europa eigentlich erfasst haben, das wollen wir damit eigentlich deutlich machen. Also wir erzählen im Grunde zwei Geschichten. Wir erzählen die Geschichte der Bronzezeit, und meines Wissens - ich bin selbst Prähistoriker - gab es noch nie eine so umfassende Ausstellung zur Kultur der Bronzezeit. Und gleichzeitig erzählen wir natürlich wieder aus Anlass unseres Themas ein Stück jüngere deutsche Geschichte mit, eben, dem Zweiten Weltkrieg und der ganzen Beutekunstproblematik.

Timm: Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit Hermann Parzinger, dem Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Herr Parzinger, Sie haben uns eben die Ausstellung ein bisschen geschildert, die doch ein Drittel an Werken erhält, die der Beutekunst zugerechnet werden, also doch einen sehr großen Anteil, und diese Ausstellung wird auch nur in St. Petersburg zu sehen sein, nicht hier in Berlin, weil - das ist, glaube ich, sogar ganz offiziell die Begründung - man Angst hat in St. Petersburg: Das wird dann nicht zurückgegeben. Dass die Ausstellung dann doch nur in St. Petersburg zu sehen ist, das muss Sie als Museumsmann eigentlich schwer ärgern.

Parzinger: Natürlich ist es schade, ärgern nicht, es ist schade. Sie wird also in Petersburg gezeigt, sie wird dann noch einmal in Moskau gezeigt, Mitte Oktober wird sie im Historischen Museum in Moskau noch einmal eröffnet, und nach Deutschland können diese Dinge nicht gegeben werden, weil: Deutschland würde es natürlich dann diese auch beschlagnahmen. Das ist eben die Situation, dass das Dumagesetz internationalem Recht widerspricht. Insofern kann Russland diese Objekte auch nicht in irgendeinem anderen Land zeigen, weil natürlich Deutschland sofort die Beschlagnahmung beantragen würde. Und insofern, glaube ich, müsste es auch für die russische Seite ein Ziel sein, mit Deutschland zu einer Lösung zu kommen, das diese Dinge halt auch nach internationalem Recht irgendwie einer für beide Seiten akzeptablen Lösung zuführt.

Timm: Auch in unserem Gespräch beschreiben Sie ja ständig die beiden Stränge, die parallel laufen und sich nicht berühren: Da ist die politische, die zunehmend vereist, also wo man irgendwie kein "µ" auch nur aufeinander zugeht, und die Museumsleute, die, mit Ausnahmen, muss man sagen, aber die doch für diese Ausstellung sehr einträchtig zusammengearbeitet haben und versuchen, eine gemeinsame Lösung zu finden. Was vermuten Sie denn, wie lange man da noch genau parallel surft, ohne sich zu berühren?

Parzinger: Tja, das ist schwer vorauszusagen, aber man muss dazusagen: Wir Wissenschaftler und Kulturleute, wir arbeiten eben auch unabhängig von der Politik und sollten uns von der Politik jetzt nicht die Rahmenbedingungen vorgeben lassen. Insofern: Wir haben auch heute schon direkt nach dieser Nachricht darüber gesprochen. Wir wollen auf jeden Fall weiter zusammenarbeiten, auch die russischen Kollegen. Es gibt viele weitere Ideen, nicht nur für Ausstellungen, auch für gemeinsame Kataloge von Beutekunstbeständen aus ganz anderen Kulturbereichen, die hier auch in Russland lagern. Es gibt viel zu tun. Wir wollen die Verantwortung für unsere Bestände mit unseren russischen Kollegen gemeinsam wahrnehmen. Und auf diesem Weg müssen wir auch weitergehen. Ich glaube, das ist auch der Wunsch der Politik, dass, wenn sie selber sieht, dass das Thema momentan etwas schwierig ist, dass wenigstens die Fachseite weiterhin den Kontakt pflegt. Und die politischen Entwicklungen - ich meine, die Großwetterlage, die ist halt mal so, mal so ... Wir, glaube ich, wünschen uns alle, dass sie eines Tages so sein wird, dass wirklich Russland und Deutschland dieses letzte schwierige Thema ihrer Vergangenheit beseitigen können.

Timm: Herr Parzinger, Sie haben uns das alles sehr beherrscht geschildert, müssen Sie auch - das liegt in der Natur Ihres Jobs. Aber wenn Sie heute Morgen im Flugzeug gesessen sind und hören, so viele Jahre Arbeit liegen hinter uns und Frau Merkel kommt nicht, es gibt einen Eklat, der das doch überschattet - das kann man ja nicht wegmoderieren. Erlauben Sie uns einen kleinen Einblick in Ihre Gefühlslage? Sind Sie in Sorge für den Abend, sind Sie traurig?

Parzinger: Also ich finde das jetzt gar nicht so schlimm. Ich meine, natürlich wäre es toll gewesen, wenn die Bundeskanzlerin und der russische Präsident da gewesen wären, das ist doch klar. Ich meine, wir sind doch einfach stolz, beide - auch die russischen Kollegen waren relativ niedergeschlagen -, wir sind doch beide stolz, dass wir einfach zeigen können, was wir geschaffen haben mit einem ganz, ganz schwierigen Thema. Aber ich glaube, dass Frau Merkel auch genau weiß, was wir hier geleistet haben und es auch anerkennt. Aber das sind halt andere Kontexte. Wie gesagt, wenn wir unsere Niedergeschlagenheit oder unseren Euphorismus davon abhängen lassen, wie die politischen Beziehungen sind, dann ist es schwierig. Wir sind Wissenschaftler, wir sind Kulturleute, wir müssen uns davon unabhängig halten, und gerade, wenn die Politik schwierig ist, dann sind wir noch mehr verpflichtet, wirklich noch besser, noch enger zusammenzuarbeiten. Und es wird sicher irgendwann wieder einen Anlass geben, wo vielleicht dann doch mal die höchste staatliche Ebene mit vertreten sein kann und man auch unterschiedliche Positionen äußern kann.

Timm: Hermann Parzinger, unverdrossen, optimistisch - Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, mit einer ersten Reaktion auf die Absage von Angela Merkel. Herr Parzinger, ich danke Ihnen für das Gespräch!

Parzinger: Ja, gerne!

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