Die Multitude schlägt zurück
Willkommen in der totalen Überwachung! Der amerikanische Schriftsteller John Twelve Hawks beschreibt in seinem Science-Fiction-Roman "Traveler" das Leben in einer perfekt kontrollierten Gesellschaft. Jeder Schritt wird erfasst und aufgezeichnet. Und er erzählt von einer kleinen Gruppe Einzelkämpfer, die dem Überwachungsstaat den Kampf angesagt hat.
Willkommen im Raster. Sobald man das Haus verlässt, erfassen Scanner die eigenen biometrischen Daten. Jeder Schritt wird von einer Kamera aufgezeichnet, und mit Hilfe der Angaben auf der Kundenkarte des Supermarktes lassen sich Rückschlüsse auf die politische Orientierung ziehen: Die "totale Überwachung", darum geht es in John Twelve Hawks Science-Fiction-Debüt "Traveler".
Die Brisanz besteht natürlich darin, dass die Idee einer "perfekt kontrollierten Gesellschaft" der Realität ziemlich nahe kommt. Der Autor selbst sieht sich diesbezüglich als Widerstandskämpfer. Im Vorfeld der Veröffentlichung streute der Verlag zielsicher die Information, John Twelve Hawks lebe "off the grid", also außerhalb des Rasters. Es gebe keine näheren Angaben über seine Person oder seinen Aufenthaltsort, mit seinem Agenten kommuniziere er nur über ein Satellitentelefon. Etwas Legendenbildung macht sich immer gut, und wenn man darüber hinaus noch erfährt, dass bei Doubleday ausgerechnet Jason Kaufman als Lektor zuständig war, der Mann also, der Dan Browns Megaseller "Sakrileg" den letzten Schliff gegeben hat, wirkt "Traveler" zunächst einmal wie ein kalkulierter Bestseller.
Es beginnt rasant. Schnell geschnittene Verfolgsjagden wechseln sich ab mit "martial-arts"-Szenen, oft denkt man an die computeranimierten Kinobilder von "Matrix". Auch der Konflikt zwischen der durch den Einsatz von Maschinen verblendeten Gesellschaft und einer aufklärerischen Gegenbewegung erinnert an den Film der Brüder Wachowski: Es tobt ein Kampf zwischen einer High-Tech-Bruderschaft, die das Raster beherrscht, und einer kleinen Gruppe von Einzelkämpfern, die ihnen mit japanischen Kampfschwertern den Kampf angesagt hat. Maya, die schlagkräftige Heldin, arbeitet sich so in einer Reihe von reichlich blutigen Auseinandersetzungen von Prag über Los Angeles nach New York bis ins Zentrum der Macht vor, um einen so genannten Traveler zu retten – einen Menschen, der aufgrund seiner übersinnlichen Kräfte eine Gefahr für das streng rationale Raster darstellt.
Interessant ist allerdings weniger der hoch beschleunigte Plot als das recht anspruchsvolle Netz von Verweisen. Hawks hat sich von dem französischen Philosophen Michel Foucault inspirieren lassen und zieht eine Linie von Jeremy Benthams berüchtigtem "Panoptikum" bis zum ausdifferenzierten Überwachungsstaat der Gegenwart bzw. näheren Zukunft. Es gibt eine Menge von solchen intellektuellen Hyperlinks, und auch die Organisation der Systemgegner ist nicht ganz zufällig gewählt. Wenn Maya in "Traveler" von den "Stämmen" schwärmt, die sich "auf verschiedenen Untergrundebenen" gebildet haben und alternative Lebensstile erproben, entspricht das ziemlich genau dem Bild der "Multitude", der widerständigen und heterogenen Masse, die Antonio Negri und Michael Hardt vor einigen Jahren in ihrem linken Bestseller "Empire" gezeichnet haben.
Bei Hawks sieht das konkret so aus, dass ehemalige Software-Entwickler am Rand der kalifornischen Wüste ihren Ausstieg aus dem Raster mit selbst angebautem Merlot feiern. Sicher, das klingt ein bisschen kitschig, aber John Twelve Hawks steht mit solchen Szenarien in einer guten Tradition von pathetischen Verweigerungsszenarien, die in der amerikanischen Literatur von Thoreaus "Walden Pond" über Melvilles "Bartleby" bis hin zu Neal S. Stephenson großem Hacker-Roman "Cryptonomicon" reicht. "Ich möchte lieber nicht... Teil des Systems zu sein": Hawks hat jetzt das aktuelle Update dieses trotzigen Bekenntnisses in Form eines diskursiv aufwendig verlinkten und gleichzeitig actiongeladenen Science-Fiction-Romans geliefert.
John Twelve Hawks: Traveler
Deutsch von Claus Varrelmann und Eva Bonné.
Page & Turner, München 2006.
541 Seiten, 19,95 Euro
Die Brisanz besteht natürlich darin, dass die Idee einer "perfekt kontrollierten Gesellschaft" der Realität ziemlich nahe kommt. Der Autor selbst sieht sich diesbezüglich als Widerstandskämpfer. Im Vorfeld der Veröffentlichung streute der Verlag zielsicher die Information, John Twelve Hawks lebe "off the grid", also außerhalb des Rasters. Es gebe keine näheren Angaben über seine Person oder seinen Aufenthaltsort, mit seinem Agenten kommuniziere er nur über ein Satellitentelefon. Etwas Legendenbildung macht sich immer gut, und wenn man darüber hinaus noch erfährt, dass bei Doubleday ausgerechnet Jason Kaufman als Lektor zuständig war, der Mann also, der Dan Browns Megaseller "Sakrileg" den letzten Schliff gegeben hat, wirkt "Traveler" zunächst einmal wie ein kalkulierter Bestseller.
Es beginnt rasant. Schnell geschnittene Verfolgsjagden wechseln sich ab mit "martial-arts"-Szenen, oft denkt man an die computeranimierten Kinobilder von "Matrix". Auch der Konflikt zwischen der durch den Einsatz von Maschinen verblendeten Gesellschaft und einer aufklärerischen Gegenbewegung erinnert an den Film der Brüder Wachowski: Es tobt ein Kampf zwischen einer High-Tech-Bruderschaft, die das Raster beherrscht, und einer kleinen Gruppe von Einzelkämpfern, die ihnen mit japanischen Kampfschwertern den Kampf angesagt hat. Maya, die schlagkräftige Heldin, arbeitet sich so in einer Reihe von reichlich blutigen Auseinandersetzungen von Prag über Los Angeles nach New York bis ins Zentrum der Macht vor, um einen so genannten Traveler zu retten – einen Menschen, der aufgrund seiner übersinnlichen Kräfte eine Gefahr für das streng rationale Raster darstellt.
Interessant ist allerdings weniger der hoch beschleunigte Plot als das recht anspruchsvolle Netz von Verweisen. Hawks hat sich von dem französischen Philosophen Michel Foucault inspirieren lassen und zieht eine Linie von Jeremy Benthams berüchtigtem "Panoptikum" bis zum ausdifferenzierten Überwachungsstaat der Gegenwart bzw. näheren Zukunft. Es gibt eine Menge von solchen intellektuellen Hyperlinks, und auch die Organisation der Systemgegner ist nicht ganz zufällig gewählt. Wenn Maya in "Traveler" von den "Stämmen" schwärmt, die sich "auf verschiedenen Untergrundebenen" gebildet haben und alternative Lebensstile erproben, entspricht das ziemlich genau dem Bild der "Multitude", der widerständigen und heterogenen Masse, die Antonio Negri und Michael Hardt vor einigen Jahren in ihrem linken Bestseller "Empire" gezeichnet haben.
Bei Hawks sieht das konkret so aus, dass ehemalige Software-Entwickler am Rand der kalifornischen Wüste ihren Ausstieg aus dem Raster mit selbst angebautem Merlot feiern. Sicher, das klingt ein bisschen kitschig, aber John Twelve Hawks steht mit solchen Szenarien in einer guten Tradition von pathetischen Verweigerungsszenarien, die in der amerikanischen Literatur von Thoreaus "Walden Pond" über Melvilles "Bartleby" bis hin zu Neal S. Stephenson großem Hacker-Roman "Cryptonomicon" reicht. "Ich möchte lieber nicht... Teil des Systems zu sein": Hawks hat jetzt das aktuelle Update dieses trotzigen Bekenntnisses in Form eines diskursiv aufwendig verlinkten und gleichzeitig actiongeladenen Science-Fiction-Romans geliefert.
John Twelve Hawks: Traveler
Deutsch von Claus Varrelmann und Eva Bonné.
Page & Turner, München 2006.
541 Seiten, 19,95 Euro