Die Mühen der Ebene

Von Peter Robejsek · 15.07.2011
Es ist verständlich, aber sicher nicht klug, sich schockiert von Bewegungen abzuwenden, die in den Medien und der öffentlichen Debatte als populistisch gelten.
Die Ziele und die Exponenten der populistischen Bewegungen brauchen wir nicht zu mögen, aber wir sollten ihre Existenz als ein Alarmzeichen registrieren und nach Ursachen fragen.

Denn mit ihrer Hinwendung zu solchen Bewegungen weisen Menschen auf Defizite hin, die es aus ihrer Sicht gibt. Vielleicht zeugt der Aufwind für extrem argumentierende Politiker davon, dass in Teilen der Gesellschaft der Eindruck wächst, in einer extremen Lage zu sein.

Demokratisch gewählte Regierungen beanspruchen zu recht Definitionshoheit hinsichtlich der Festlegung der politischen Agenda. Das heisst aber nicht, dass sie sich nicht irren könnten. Darüber hinaus kommen sie häufig vor lauter Diskutieren gar nicht zum Handeln, sind vielfach vom gelebten Alltag ihrer Wähler abgeschnitten und nicht immer gegen modische Meinungstrends immun.

Die Regierungen können sich keine andere Bevölkerung wählen; die Prozedur findet bekanntlich in umgekehrter Richtung statt. Deshalb müssten die politischen Eliten mehr tun, als Themen durch das Etikett ‚populistisch’ zu verdammen. Dies ist kein Plädoyer für Stammtisch-Politik. Aber es wäre auf lange Sicht brandgefährlich, bestimmte Themen nur deshalb zu negieren, weil sie einem unappetitlich vorkommen oder mit dem eigenem Weltbild nicht harmonieren.

Wenn die politische Klasse entstehende Probleme rechtzeitig diagnostiziert, ergebnisoffen nach Lösungsalternativen sucht und diese zeitnah umsetzt, bleibt der Populist nur eine einsam gestikulierende Gestalt im virtuellen Hyde Park der Informationsgesellschaft. Wenn es aber die etablierten Parteien versäumen, auf die steigende gesellschaftliche Nachfrage nach bestimmten politischen Themen zu reagieren, wird sie von anderen befriedigt. Bereits jetzt haben die etablierten politischen Eliten einen Teil ihrer Meinungsführerschaft eingebüßt.

Dabei ist es durchaus möglich, sogenannte populistische Themen konstruktiv zu verarbeiten. Ein Beispiel: Der gemeinsame Nenner europäischer populistischer Bewegungen ist ihre nationale Orientierung. Die Versuchung ist groß, sie deshalb reflexartig als nationalistisch abzustempeln. Dieser rhetorische Kunstgriff schafft sie aber nicht aus der Welt, und er trifft nicht den Kern.

Das Drängen der Bevölkerung nach national orientierter Politik mag durchaus Ausdruck dessen sein, dass die Wähler die Möglichkeiten des Regierens in der postmodernen Welt realistischer einschätzen als die an ihren überzogenen Ambitionen häufig scheiternden Eliten. Denken wir nur an die durchwachsene Bilanz der übernationalen Lösungsansätze: etwa die taumelnde Eurozone, die von G-20 beschlossene und vergessene Bankenregulierung oder die aus dem Tritt geratene weltweite Klima-Agenda. Die national fokussierte Politik verspricht zwar keine sofortigen globalen Fortschritte, dafür aber schnelle und handfeste Ergebnisse, wie z. B. den deutschen Atom-Ausstieg.

Verdammen, verurteilen oder verschweigen ist nicht der richtige Weg. Vernünftig und produktiv wäre es, sich auf eine sachliche Auseinandersetzung mit allen politischen Strömungen einzulassen.

Dr. habil. Peter Robejsek, Strategieberater und Dozent, geb. 1948, studierte in Prag und Hamburg Soziologie und Volkswirtschaft. Er beschäftigt sich mit fächerübergreifenden Analysen und Prognosen wirtschaftlicher sowie politischer Entwicklungen. Bücher: "Abschied von der Utopie" 1989, "Plädoyer für eine ‚sanfte’ NATO-Osterweiterung" 1999. Zahlreiche Zeitungs- und Zeitschriftenveröffentlichungen zu wirtschaftlichen, politischen und sicherheitspolitischen Fragen.
Peter Robejsek
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