Die Mühen alternativen Denkens
Die Diskussion um die Wirkungen der Globalisierung ist allgegenwärtig und manchmal gelangt dabei auch der "Kapitalismus" ins Visier. Kapitalismuskritik jedoch weckt alte Erinnerungen an alternative Gesellschaftsentwürfe.
"Seht! Ich zeige euch den letzten Menschen. "
"Wirtschaft und Börse kompakt. "
""Was ist Liebe? Was ist Schöpfung? Was ist Sehnsucht? Was ist Stern" - so fragt der letzte Mensch. "
"Wirtschaft und Börse kompakt. "
"Die Erde ist dann klein geworden, und auf ihr hüpft der letzte Mensch ... "
""Wir haben das Glück erfunden" - sagen die letzten Menschen und blinzeln."
Erhard Eppler: "Was bedeutet die Ökonomisierung des Bewusstseins für eine Demokratie? Bleibt da noch genügend übrig für die Gestaltung der Gesellschaft, für das Miteinander in der Gesellschaft und da habe ich meine großen Zweifel. "
Prof. Dr. Fritz Vilmar: "Man hat erkannt, dass dieses besitzindividualistische Leben für sich, diese Atomisierung psychisch aber auch materiell den Menschen nicht gut tut, dass man kooperativ handeln und leben muss - das haben Minderheiten erkannt. "
Prof. Dr. Jörg Hufschmidt: "Der Neoliberalismus will also nicht, dass die Menschen entscheiden über die Wirtschaft, sondern Demokratie raushalten. Wo findet dann Demokratie statt? Wo hat denn die Demokratie dann noch etwas zu suchen. Demokratie ist dann sozusagen auf das Kreuzchenmachen reduziert. "
Prof. Dr. Oskar Negt: "Achtung der Menschheit, Achtung der Menschheit in der eigenen Person, überhaupt der Begriff der Achtung, des Unwiederholbaren, des Nichtverwechselbaren, des Nichtaustauschbaren, gegen den Warenverkehr, ist eine Form des rigorosen Freiheitsdenkens, das mit allen Vermittlungsebenen dieses Wirtschaftsliberalismus im Streit liegt. "
Stimmen Sie diesen Thesen zu?
... das ließ das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" Infratest im August 2005 fragen:
"Der Sozialismus ist eine gute Idee, die bislang nur schlecht ausgeführt worden ist. "
56 Prozent aus Deutschland-West stimmten eher zu, 66 Prozent aus Deutschland-Ost stimmten eher zu.
"Die Kritik von Karl Marx am Kapitalismus hat noch heute ihren Sinn. "
Stimme eher zu: Deutschland-West 50 Prozent, Deutschland-Ost 73 Prozent.
Hufschmidt: "Manche Analysen von Karl Marx sind heute sehr viel offensichtlicher richtig als das etwa in den 60er Jahren in den Hochzeiten der linken Theoriebildung der Fall gewesen ist. "
Jörg Hufschmidt gehört zu den 50 Prozent in Deutschland West, die von der Marx’schen Kapitalismuskritik noch immer eine Menge halten. Er ist Professor für Wirtschaftswissenschaften und lehrt in Bremen:
Hufschmidt: "Also beispielsweise eben doch die These von der dramatisch zunehmenden Polarisierung mit Tendenzen nicht nur relativer sondern auch absoluter Verelendung großer Teile der Welt. Die These von der dramatischen Zunahme der Kapitalkonzentration und -zentralisation und der Widersprüche, die sich daraus ergeben. Das sind, denke ich, Momente der Marx’schen Kritik, die sich sehr gut auf heutige Verhältnisse anwenden lassen. Natürlich auch die These, die schon im Kommunistischen Manifest war ... "
"Die Bourgeoisie hat durch ihre Exploitation des Weltmarktes die Produktion und Konsumtion aller Länder kosmopolitisch gestaltet. "
Hufschmidt: "... die These, die schon im Kommunistischen Manifest war, dass nämlich das Kapital eine Tendenz zur Internationalisierung hat, was man dann heute unter der Globalisierung unübersehbar feststellt. Ich würde ein viertes Element auch sehen ... "
"Der Imperialismus als höchste Form des Kapitalismus! "
Hufschmidt: "... was nicht so sehr der Marx’schen, aber in der marxistischen Tradition dann entwickelt worden ist, das ist die Imperialismustheorie ... "
Lenin definierte im Jahre 1916 Imperialismus als ...
"... Kolonialpolitik der monopolistischen Beherrschung des Territoriums der restlos aufgeteilten Erde ... "
... aufgeteilt vom Finanzkapital, das sich mit den "monopolistischen Industriellenverbänden" verschmolzen hat und sich gegebenenfalls staatlicher Militärmacht bedient.
"Aktuelles Stichwort: Irak. "
Hufschmidt: "Damit komme ich zu dm Punkt, wo ich denke, wo die Kapitalismuskritik von Marx vielleicht nahegelegt hat, nicht unbedingt erzwungen hat, aber nahegelegt hat, dann eine Geschichtsinterpretation, die darauf hinauslief, dass der Kapitalismus also notwendigerweise, gesetzmäßigerweise zusammenbrechen und in den Sozialismus übergehen würde ... "
"... Sklavenhaltergesellschaft, Feudalismus, Kapitalismus, Sozialismus ... "
"Die kapitalistische Produktion erzeugt mit der Notwendigkeit eines Naturprozesses ihre eigene Negation. "
Hufschmidt: "... was ja auch schon eine ein bisschen widersprüchliche These ist, dann brauchte man ja eigentlich nichts zu tun. "
... Feudalismus, Kapitalismus, Sozialismus - Kommunismus ...
"... die Gesellschaft der Freien und Gleichen! "
"... heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe ... "
"Man ist klug und weiß alles, was geschehn ist: so hat man kein Ende zu spotten. "
".... die "freie Assoziation freier Menschen" ... "
... so bezeichnete der junge Marx sein Gesellschaftsideal ...
"... die "freie Assoziation freier Menschen" kann nichts anderes werden als ein Feierabendclub oder ein Traditionsverein, in welchem man gemeinsam das Kommunistische Manifest liest, um sich dem Aufwachen zu entziehen ... "
Günter Kunert.
"Es ist ein Alltag angebrochen, der ohne Propheten auskommt ... "
Hans Magnus Enzensberger.
"... die Utopie verlangt ihrem Wesen nach stets eine totale Gesellschaft ... "
Joachim Fest.
"... die Vertreter der Utopie sind zur Anwendung einer letzten und äußersten Gewalt entschlossen ... "
Nach dem Zerfall des totalitären Staatssozialismus der ehemaligen Ostblockländer wollten einige Hüter des Bestehenden ein für alle Mal alternative Gesellschaftsentwürfe erledigen. Utopien, Sozialismusvorstellungen, politische Ideale – das sei alles gefährlicher Unsinn. Die bestmögliche Gesellschaft hätten wir bereits und sie werde es demnächst global geben - überall: Rechtsstaat, Marktwirtschaft, Kapitalismus. Das wird so sein, daran ändert die schönste Kritik nichts.
"Man hat sein Lüstchen für den Tag und sein Lüstchen für die Nacht: aber man ehrt die Gesundheit. "
Vilmar: "Im Wesentlichen hat die sozialistische Theorie und Praxis sich selber kaputt gemacht zu einem erheblichen Teil, insofern sie sich im Laufe des 20. Jahrhunderts immer mehr in zwei Richtungen aufgespalten hat, eine revolutionäre Richtung ... "
... gewaltsame Eroberung der Staatsmacht, Diktatur des Proletariats. Dieser Weg ist gescheitert. Fritz Vilmar ist Professor für Politikwissenschaften an der Freien Universität Berlin und war immer ein entschiedener Vertreter der zweiten Richtung ...
Vilmar: "... der demokratische Weg, der Weg, den wir mal den reformsozialistischen nennen wollen im Unterschied zum revolutionären, hat überraschender Weise auch nach Einführung des allgemeinen Wahlrechts zu keinen eindeutigen Mehrheiten geführt. "
Frühe Reformsozialisten wollten den Staat nutzen, um eine sozialistische Gesellschaft zu etablieren.
"Der Staat ist es, welcher die Funktion hat, die Entwicklung des Menschengeschlechts zur Freiheit zu vollbringen. "
Die Staatsfixierung der Sozialdemokraten – das vorangegangene Zitat stammt übrigens von Ferdinand Lassalle, einem der Begründer der deutschen Arbeiterbewegung – diese Staatsfixierung, dieser Etatismus und die Hoffnung darauf, soziale Gerechtigkeit und Freiheit ließen sich "von oben" anordnen, haben viele Sozialdemokraten bis heute noch nicht aufgegeben.
"Selbst wenn der Staat das Gute befiehlt, beschmutzt er es! "
Nicht nur Liberale, sondern vor allem Anarchisten – wie hier Michail Bakunin - kritisierten diese Perspektive, mit gewaltsamen und herrschaftlichen Mitteln eine herrschaftsfreie Gesellschaft aufzubauen.
"Eroberst du den Staat, so hast du ihn und du bist gewesen. "
Anarchistische Sozialisten sahen in einer verstaatlichten Gesellschaft die Rechte des Einzelnen in Gefahr und erstrebten eine ...
"... Entstaatlichung der Gesellschaft ... "
... und eine ...
"... Vergesellschaftung des Staates ... "
Konkret hieße das: Basisdemokratie, gesellschaftliche Selbstverwaltung und weitestgehende Selbst- und Mitbestimmung – vor allem auch in der Wirtschaft.
Vorsichtig sympathisierten Sozialdemokraten mit diesen gesellschaftspolitischen Alternativen:
"... mehr Demokratie wagen ... "
... forderte Willy Brandt – und demokratische Sozialisten wie Fritz Vilmar vertraten diese Ideen in der Grundwertekommission der SPD.
Vilmar: "Es gab einen Prozess der immer größeren Anpassung auch seitens der Sozialdemokratie. In den 90er Jahren kam es zu einem Prozess der Selbstaufgabe, wie ich das genannt habe. Die Ideen der Mitbestimmung, die Ideen einer wirtschaftlichen Regulierung, die Ideen einer Demokratisierung von Schule, Betrieb, Parteien und dergleichen, die sind mehr und mehr verfallen. Das noch einmal Zurückkehren zur Macht der Sozialdemokratie gemeinsam mit den Grünen stand im Zeichen einer hochgradigen Absage an sozialdemokratische Ideen und Politiken, eine hochgradige Anpassung an die Wünsche des Kapitals. "
Eppler: "Also die staatsgläubige Demokratie, die gibt es eigentlich schon lange nicht mehr. ... "
Betont Erhard Eppler. Er schrieb ein Buch mit dem rhetorisch fragenden Titel: "Auslaufmodell Staat?". Eppler, ehemaliger Entwicklungshilfeminister und ehemaliger Vorsitzender der Grundwertekommission der SPD sieht den Staat als gesellschaftliche Ordnungs- und Steuerungsinstanz in Frage gestellt ...
"... das staatliche Gewaltmonopol werde aufgeweicht durch eine Privatisierung der Sicherheitsdienste; der Sozialstaat werde abgebaut zugunsten einer sozialen Sicherung über den Markt; staatliche Kultur- und Bildungspolitik werde ausgehöhlt durch Mittelstreichungen und die private Konkurrenz; staatliche Wirtschaftspolitik beschränke sich mit der Sicherstellung des Marktes und verzichte auf die Herstellung von Rahmenbedingungen. "
Eppler: "Der global agierende Kapitalismus ist – jedenfalls dem Nationalstaat – haushoch überlegen. Er kann die Nationalstaaten gegeneinander ausspielen. Er kann sie zu Standorten degradieren, er kann sie in einen Wettbewerb zwingen um die besten Bedingungen zur Investition. "
Eppler: "Dieses ökonomische Bewusstsein walzt alles nieder.
Es walzt die Frage nach der Demokratie nieder. Es walzt jedes ökologische Bewusstsein nieder ... "
... und auch das soziale.
Eppler: "Was Europa angeht, so bin ich überzeugt, dass der demokratische Rechtsstaat, den wir ja alle wollen, den auch die Neoliberalen wollen, das dieser demokratische Rechtsstaat nicht lebensfähig ist ohne eine soziale Komponente. Das heißt, wenn die Menschen das Gefühl haben, dieser Staat lässt uns im Stich, wenn es uns schlecht geht, dann fehlt die Loyalität ... "
... und dann ist auch Demokratie und Rechtsstaat in Gefahr, meint Erhard Eppler.
"Im Dezember 2004 meldete die Deutsche Bank 18 Prozent Kapitalrendite. 2000 Arbeitsplätze werden abgebaut, um demnächst 25 Prozent zu schaffen. "
... und wenn dann der Vorstandsvorsitzende soviel verdient wie 350 seiner Angestellten und 2000 Entlassungen ankündigt ...
"... dann wird es Zeit, dass die Steuern gesenkt werden. Das schafft Arbeitsplätze. "
Eppler: "Wir haben ja in der Grundwertekommission der SPD Gerechtigkeit als gleiche Freiheit, gleiche realisierbare Freiheit definiert und das bedeutet eben, dass man mit seiner Freiheit nur etwas anfangen kann, wenn man die nötigen Mittel zu leben hat. "
Der Deutsche Paritätische Wohlfahrsverband stellte fest:
"Ende 2004 lebten 965000 Kinder unter 15 Jahren auf Sozialhilfeniveau. Mitte 2005 waren es 1,5 Millionen. "
Der Hauptgrund der Verarmung von Kindern: Die Einführung des Arbeitslosengeldes II.
"Die Zeiten großzügig gestreuter staatlicher Sozialleistungen ist vorbei! Steuern und Lohnnebenkosten müssen gesenkt werden. Der globale Markt reduziert die Sozialtransfers. "
""Wir haben das Glück erfunden" - sagen die letzten Menschen und blinzeln. "
""Was ist Liebe? Was ist Schöpfung? Was ist Sehnsucht? Was ist Stern" - so fragt der letzte Mensch. "
... die letzten Menschen sind selbstgenügsam, satt und zufrieden. Friedrich Nietzsche zeigt sich geradezu angeekelt von ihnen.
"Wir haben das Glück erfunden ... "
Eppler: "Dieses ökonomische Bewusstsein walzt alles nieder. "
"... ohne Input kein Output ... "
"... ohne Leistung keine Gegenleistung ... "
"... Leistung muss sich wieder lohnen ... "
Eppler: "Das hat der Markt entschieden und wenn das der Markt entschieden hat, dann ist das richtig. "
"... nichts gibt es umsonst ... "
"... Konkurrenz belebt das Geschäft ... "
Eppler: "Ich habe festgestellt, dass es Politiker und Politikerinnen gibt, die inzwischen alles für ideologisch erklären, was nicht direkt vom Markt kommt. "
"... was sich auf dem Markt nicht behauptet, taugt nichts ... "
Negt: "Die Würde des Menschen als etwas, was nicht käuflich und verkäuflich ist. "
"... wer sich auf dem Markt nicht behauptet, taugt nichts ... "
Eppler: "Das heißt, jede Politik, die versucht, den Markt im Sinne des Gemeinwohls zu steuern, ist dann schon Ideologie. In Wirklichkeit ist natürlich genau das die Ideologie. "
Ideologie ist – Marx und Engels zu Folge – falsches Bewusstsein. Falsch deshalb, weil es "falsches" gesellschaftliches Sein widerspiegelt, falsch organisierte Produktionsverhältnisse.
"Es ist das gesellschaftliche Sein der Menschen, das ihr Bewusstsein bestimmt. "
Eppler: "Dieses ökonomische Bewusstsein walzt alles nieder. "
... doch es bestimmt nicht nur das Bewusstsein, es verstimmt es auch – sorry, wegen des in die Jahre gekommenen Kalauers – und ein verstimmtes Bewusstsein, wird sich seiner selbst bewusst durch Kritik:
Negt: "Kritik der politischen Ökonomie, Kritik der reinen Vernunft, Kritik der praktischen Vernunft, Kritik der Urteilskraft – also der kritische Weg verbindet beide ... "
... gemeint sind Marx und Kant.
Negt: "... und ich glaube auch, dass die Friedensfähigkeit einer Gesellschaft davon abhängt, dass dieses Medium von Kritik und Öffentlichkeit, beides, auch Kritik, auch Öffentlichkeit, spielt bei Marx eine zentrale Rolle, Kritik und Öffentlichkeit ermöglichen erstarrte Herrschaftsstrukturen gleich welcher Art aufzubrechen und sind eigentlich als solche selbstreflexiven Medien unabdingbar für eine nach modernen Produktionsmechanismen produzierende und lebende Gesellschaft. "
Der Philosoph und Soziologe Oskar Negt versucht eine Synthese der kritischen Philosophie Kant und der Kapitalismuskritik von Karl Marx.
"Der Mensch darf nicht nur als Mittel benutzt werden. Der Mensch ist selbst Zweck. Das macht seine Würde aus ... "
Negt: "Das heißt, er protestiert mit diesem Würdebegriff auch gegen die zunehmende Warenproduktion, in der in der Tat so etwas wie ein Tauschverhältnis auch in den Persönlichkeitsstrukturen mit gesetzt ist, eine Verkäuflichkeit des Menschen ... "
"Der Mensch ist Zweck an sich selbst ... "
... das heißt nicht nur ein Mittel zum Zweck, keine Ware auf dem Weltmarkt.
Negt: "Viele dissidente Varianten des Sozialismus, der Anarchosyndikalismus in Spanien, die Kämpfer in Barcelona, in Katalonien, .. nehmen eben diese Frage, was der Mensch ist und welche Zwecke er verfolgt, und dass er nicht als Mittel außerhalb seiner liegende Zwecke benutzt werden darf - die Anarchisten nehmen vieles von dem auf, was in den Orthodoxien, in den sozialdemokratischen Orthodoxien und in den leninistischen Orthodoxien verloren gegangen ist ... "
... das Erbe des Liberalismus, der bürgerlichen Aufklärung – auch des Denkens von Immanuel Kant, der "Weltbürgertum" und eine weltweite Konföderation nicht auf der Basis der Ökonomie versteht - und Oskar Negt folgt ihm:
Negt: "Kant hätte nie dran gedacht, den bloßen wirtschaftlichen Austausch als Fundament einer Menschheit zu begreifen, die ein Weltbürgertum begründet. Das ist der erste Punkt. Der zweite Punkt ist, wie wir ja sehen, diese Globalisierung nicht nur zur Einbeziehung bestimmter Regionen in den Weltmarkt führt, sondern auch zu Abkopplungen. Das heißt, also die Theorie produktiver Kostenvorteile durch Freihandel hat sich nicht als Weltgesellschaft-konstituierend erwiesen, sondern führt auch zur Reduktion und Verarmung und Verödung von Regionen. "
Keine Rohstoffe, keine disziplinierbare Bevölkerung, keine intakte Staatsmacht – kein Interesse. Millionen verelenden, verhungern, verrecken.
"Man zankt sich noch, aber man versöhnt sich bald – sonst verdirbt es den Magen. "
Hufschmidt: "Ich betrachte neoliberale Globalisierung als ein Projekt, das sich zum Programm gemacht hat, die nach dem Zweiten Weltkrieg erreichten Fortschritte bei der Zähmung sowohl des internationalen wie auch des nationalen Kapitalismus auf breiter Front wieder zurückzudrehen. Das ist eine Rollback-Strategie. Das Rollback richtete sich eben gegen bestimmte Fortschritte, die unter dem Einfluss von Weltwirtschaftskrise, Weltkrieg, Erstarken der Arbeiterbewegung, auch unter dem Einfluss eines alternativen gesellschaftlichen Systems erreicht wurden. "
Breiter Konsens bestand darin, dass der Staat international kooperieren muss, um Weltwirtschaftskrisen zu verhindern ...
"... unter anderem durch ein System fester Wechselkurse, durch die Regulation von Kapitalflüssen. "
Breiter Konsens bestand auch darin, dass Politik der Wirtschaft einen Rahmen zu geben hat, um bestimmte Ziele zu erreichen ....
"... Vollbeschäftigung, angemessene Beteiligung an erwirtschafteten Gewinnen ... "
Selbst das Ahlener Programm der CDU von 1947 war sozialistischer als die Programme heutiger Sozialisten ...
Hufschmidt: "Mitte der 70er Jahre kam der Aufschwung ins Stocken, da gibt es eine Reihe ökonomischer Gründe dafür, und da setzte eigentlich wieder die eminent politische Frage ein, will man nun dieses Reformbündel, will man das retten, aufrechterhalten und stärken, dann muss man weiter reformieren, möglicherweise noch einen Schritt weiter gehen oder fühlt man sich da nicht stark genug und will Schritte zurück gehen und das ist eingetreten. "
Mit der einsetzenden Deregulierung des Finanzverkehrs gewinnen multinationale Finanzkonzerne und Großinvestoren an Bedeutung.
Eppler: "Der global agierende Kapitalismus ist – jedenfalls dem Nationalstaat – haushoch überlegen. Er kann die Nationalstaaten gegeneinander ausspielen. Er kann sie zu Standorten degradieren, er kann sie in einen Wettbewerb zwingen um die besten Bedingungen zur Investition. Dazu gehören dann die niedrigsten Unternehmenssteuern ... "
... der Abbau des Sozialstaats, längere Arbeitszeiten, geringere ökologische Standards, Reduzierung der Lohnnebenkosten – das meint der "sozialdemokratische Vordenker" – so nennt man meist wirkungslose kritische Politiker wie Erhard Eppler ...
Eppler: "Das ist alles seit über einem Jahrzehnt im Gang und hat natürlich auch fatale Folgen. "
Hufschmidt: "Solche großen Finanzinvestoren können dann Unternehmen veranlassen, nicht mehr eine langfristige Strategie, die auf Produktivitätsentwicklung, langfristige Produktentwicklung, Modernisierung ausgerichtet ist zu betreiben, sondern ausgerichtet ist, den Aktienkurs des Unternehmens möglichst schnell möglichst hoch zu treiben, weil das im Interesse der Aktionäre liegt. Und wenn er dann ganz hoch ist, sie verkaufen können und wieder weg sind. Wenn das Unternehmen dann zusammen bricht, ist das den Aktionären egal. "
" Das ist das Heuschreckenbeispiel, nicht, die fressen, fressen die Bäume kahl und die Sträucher kahl, dass die Sträucher dann kaputt gehen, dass keine langfristige Strategie entsteht, ist den Heuschrecken egal, wenn sie dann sozusagen im nächsten Landstrich schon sind. "
Was tun?
"Was tun? "
Was tun?
Vilmar: "Was tun? Also ich denke, zunächst einmal ... "
Was tun? – Fritz Vilmar:
Vilmar: "Was tun? Also ich denke, zunächst einmal muss die Linke eine grundlegende Einsicht verarbeiten: Der Sozialismus wird mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr kommen und nicht mehr anzupeilen sein als eine große Massenbewegung – sei es revolutionär, sei es, indem die Arbeiter die Wahlen gewinnen. "
Was also tun? – Erhard Eppler:
Eppler: "Die EU hat ja mit ihrer Kommission eine Menge Kompetenzen. Aber diese Kompetenzen beziehen sich immer auf die Abschaffung von Wettbewerbshindernissen in dem gemeinsamen Markt. Worauf sie sich nicht beziehen, das ist das, was dem Kapital wieder einen gemeinsamen Rahmen schaffen würde, etwa eine gemeinsame Steuerpolitik, dafür ist die Kommission nicht zuständig, dafür ist der Rat zuständig und der kann nur einstimmig beschließen, also beschließt er nicht. Worauf es jetzt ankommt, ist ein Europa zu schaffen, das eben bestimmte Funktionen auch wirklich übernehmen kann, soweit sie dem Nationalstaat abhanden gekommen sind. "
"... gemeinsame Unternehmenssteuersätze, gemeinsame Sozialstandards, gemeinsame Mindestlöhne ... "
Was tun?
"Kapitalverkehrskontrollen, Besteuerung von Gewinnen aus Währungsspekulationen ... "
Hufschmidt: "Das ist ein logisches Pendant eigentlich zur Wachstums- und Vollbeschäftigungspolitik, weil man kann nur dann eine konsistente Politik machen, wenn man die Möglichkeit hat, Kapitalflüsse, Kapitalflucht oder massiven Kapitalzufluss zu verhindern, der eine entweder expansive oder kontraktive Wirtschaftspolitik konterkariert. "
Der "heterodoxe" Ökonom Jörg Hufschmidt steht den Gewerkschaften und der globalisierungskritischen Attac-Bewegung nahe und bekennt sich zu einem linken Keynesianismus.
"Was tun? "
Drei Elemente müssen zusammen kommen:
Hufschmidt: "Das sind einmal, dass man die Verteilung von Löhnen und Gewinnen durch eine stärkere gesellschaftliche Lohnpolitik verändert, dass man die Arbeitszeit verkürzt und das flankiert staatlich durch bestimmte gesetzliche Rahmenbedingungen und dass man öffentlich interveniert, Sozialausgaben aber auch öffentliche Investitionen .. massiv ankurbelt. Das wäre im Prinzip wäre das auf dem Boden der Bundesrepublik wären das alles machbare Maßnahmen, wenn man das politische Kräfteverhältnis hinkriegt, was natürlich sehr schwierig ist. "
Und wer soll das alles ändern? Das Proletariat? –
"... gibt es nicht oder es ist längst verbürgerlicht ... "
... die ökonomische Dynamik, die Produktivkraftentwicklung?
" ... Feudalismus, Kapitalismus und so weiter ... "
... an deren Ende der große Kladeradatsch steht ...
"RRRRevolution! "
Wer soll das alles ändern?
Hufschmidt: "Es sind zu einem erheblichen Teil zunächst einmal die Protestbewegungen, die das Ganze anschieben. Man muss sich keine Illusionen machen. Das ist kein revolutionäres Potential. "
... und die Gewerkschaften, meint Jörg Hufschmidt. Revolutionär sind die auch nicht mehr, aber wenn sie "von Links" unter Druck geraten – wer weiß, vielleicht radikalisieren sie sich?
Vilmar: "Wenn das aber zunimmt, dass Menschen nicht mehr bereit sind, diesen Kampf ums goldene Kalb, dieses sich verdrängen, dieses mehr und besser und anders zu sein als andere, mitzuspielen, sondern in Lebens- und Arbeitsgemeinschaften eine materielle und geistige Basis zu schaffen, dann glaube ich, dass auf dieser Basis, dieser Erneuerung – und die Zahl dieser Kooperative, dieser kommunitären Gemeinschaften ist zunehmend ... "
... Fritz Vilmar ist übrigens Mitbegründer einer kibbuzartige, kommunitären Gemeinschaft ...
Vilmar: "... das auf dieser Basis eine wirkliche Erneuerung, eine wirkliche Wende im Blick auf ein nicht mehr durch Herrschaft und Knechtschaft charakterisiertes Leben zu hoffen. Aber das ist ein sehr langwieriger Weg. "
... doch so weit sind die alternativen Bewegungen der 70er und 80er Jahre auch nicht gekommen. Sie wollten das Gleiche. Das "System" hat sie zu großen Teilen wieder. Auch das ein Teil des großen Rollbacks.
"Kein Hirt und eine Herde! Jeder will das Gleiche: ... wer anders fühlt, geht freiwillig ins Irrenhaus. "
Eppler: "Das ist Teil einer Welle marktradikalen ökonomischen, man kann auch sagen neoliberalen Denkens, von der ich allerdings glaube, dass sie ihren Höhepunkt überschritten hat, dass sie sich bricht und dass der Widerstand dagegen weltweit stärker wird. "
... Erhard Eppler ist Christ und setzt seine Hoffnung in die Kirchen, die Gewerkschaften, auch auf demokratischen Widerstand. Und Jörg Hufschmidt setzt – wenig marxistisch – nicht auf die ökonomische Notwendigkeit, sondern auf die Einsicht:
Hufschmidt: "Das ist ja schon mal ganz gut, dass man davon wegkommt, dass man sagt, das ist Sachzwang alles, sondern wenn man klar sieht "Die wollen das", "die müssen das nicht tun, die wollen das und wir wollen das eigentlich nicht" dann kann allmählich – ich habe da keine Illusionen über die Länge der Zeit, die so etwas dauert und dass es zwingend so ist – aber da gibt es allmählich einen gewissen Boden dafür, dass Leute sich auch mal dafür interessieren, dass es auch anders geht. Und wenn man sie davon überzeugen kann, das geht eigentlich auch anders, dass sie dann sagen, ja, wenn es anders geht, kann man ja auch was dafür tun. "
Und wer soll das alles ändern?
"Was soll das ändern? "
Kritisches Denken, meint der Philosoph Oskar Negt – orientiert an Kant und Marx:
Negt: "Es gibt ja Ausprägungen dieser kantischen Variante des Sozialismus. Diese Kombination von Autonomie, Autonomiefähigkeit, Freiheit und Selbstgesetzgebung einer gewissen Moralität, die dahinter steht, ist, glaube ich eine Komponente, die im frühen Marx noch sehr kantisch geprägt ist. Wir haben ja Formulierungen in Briefen wie "der kategorische Imperativ muss umformuliert werden: Alle Verhältnisse umzustoßen, in denen der Mensch ein entwürdigtes, verlassenes, vereinsamtes Lebewesen ist. "
"Also sprach Zarathustra zum Volke: "
"Wehe! Es kommt die Zeit, wo der Mensch nicht mehr den Pfeil seiner Sehnsucht über den Menschen hinauswirft!
Ich sage euch: man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können. Ich aber sage euch: Ihr habt noch Chaos in euch. "
"Wirtschaft und Börse kompakt. "
""Was ist Liebe? Was ist Schöpfung? Was ist Sehnsucht? Was ist Stern" - so fragt der letzte Mensch. "
"Wirtschaft und Börse kompakt. "
"Die Erde ist dann klein geworden, und auf ihr hüpft der letzte Mensch ... "
""Wir haben das Glück erfunden" - sagen die letzten Menschen und blinzeln."
Erhard Eppler: "Was bedeutet die Ökonomisierung des Bewusstseins für eine Demokratie? Bleibt da noch genügend übrig für die Gestaltung der Gesellschaft, für das Miteinander in der Gesellschaft und da habe ich meine großen Zweifel. "
Prof. Dr. Fritz Vilmar: "Man hat erkannt, dass dieses besitzindividualistische Leben für sich, diese Atomisierung psychisch aber auch materiell den Menschen nicht gut tut, dass man kooperativ handeln und leben muss - das haben Minderheiten erkannt. "
Prof. Dr. Jörg Hufschmidt: "Der Neoliberalismus will also nicht, dass die Menschen entscheiden über die Wirtschaft, sondern Demokratie raushalten. Wo findet dann Demokratie statt? Wo hat denn die Demokratie dann noch etwas zu suchen. Demokratie ist dann sozusagen auf das Kreuzchenmachen reduziert. "
Prof. Dr. Oskar Negt: "Achtung der Menschheit, Achtung der Menschheit in der eigenen Person, überhaupt der Begriff der Achtung, des Unwiederholbaren, des Nichtverwechselbaren, des Nichtaustauschbaren, gegen den Warenverkehr, ist eine Form des rigorosen Freiheitsdenkens, das mit allen Vermittlungsebenen dieses Wirtschaftsliberalismus im Streit liegt. "
Stimmen Sie diesen Thesen zu?
... das ließ das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" Infratest im August 2005 fragen:
"Der Sozialismus ist eine gute Idee, die bislang nur schlecht ausgeführt worden ist. "
56 Prozent aus Deutschland-West stimmten eher zu, 66 Prozent aus Deutschland-Ost stimmten eher zu.
"Die Kritik von Karl Marx am Kapitalismus hat noch heute ihren Sinn. "
Stimme eher zu: Deutschland-West 50 Prozent, Deutschland-Ost 73 Prozent.
Hufschmidt: "Manche Analysen von Karl Marx sind heute sehr viel offensichtlicher richtig als das etwa in den 60er Jahren in den Hochzeiten der linken Theoriebildung der Fall gewesen ist. "
Jörg Hufschmidt gehört zu den 50 Prozent in Deutschland West, die von der Marx’schen Kapitalismuskritik noch immer eine Menge halten. Er ist Professor für Wirtschaftswissenschaften und lehrt in Bremen:
Hufschmidt: "Also beispielsweise eben doch die These von der dramatisch zunehmenden Polarisierung mit Tendenzen nicht nur relativer sondern auch absoluter Verelendung großer Teile der Welt. Die These von der dramatischen Zunahme der Kapitalkonzentration und -zentralisation und der Widersprüche, die sich daraus ergeben. Das sind, denke ich, Momente der Marx’schen Kritik, die sich sehr gut auf heutige Verhältnisse anwenden lassen. Natürlich auch die These, die schon im Kommunistischen Manifest war ... "
"Die Bourgeoisie hat durch ihre Exploitation des Weltmarktes die Produktion und Konsumtion aller Länder kosmopolitisch gestaltet. "
Hufschmidt: "... die These, die schon im Kommunistischen Manifest war, dass nämlich das Kapital eine Tendenz zur Internationalisierung hat, was man dann heute unter der Globalisierung unübersehbar feststellt. Ich würde ein viertes Element auch sehen ... "
"Der Imperialismus als höchste Form des Kapitalismus! "
Hufschmidt: "... was nicht so sehr der Marx’schen, aber in der marxistischen Tradition dann entwickelt worden ist, das ist die Imperialismustheorie ... "
Lenin definierte im Jahre 1916 Imperialismus als ...
"... Kolonialpolitik der monopolistischen Beherrschung des Territoriums der restlos aufgeteilten Erde ... "
... aufgeteilt vom Finanzkapital, das sich mit den "monopolistischen Industriellenverbänden" verschmolzen hat und sich gegebenenfalls staatlicher Militärmacht bedient.
"Aktuelles Stichwort: Irak. "
Hufschmidt: "Damit komme ich zu dm Punkt, wo ich denke, wo die Kapitalismuskritik von Marx vielleicht nahegelegt hat, nicht unbedingt erzwungen hat, aber nahegelegt hat, dann eine Geschichtsinterpretation, die darauf hinauslief, dass der Kapitalismus also notwendigerweise, gesetzmäßigerweise zusammenbrechen und in den Sozialismus übergehen würde ... "
"... Sklavenhaltergesellschaft, Feudalismus, Kapitalismus, Sozialismus ... "
"Die kapitalistische Produktion erzeugt mit der Notwendigkeit eines Naturprozesses ihre eigene Negation. "
Hufschmidt: "... was ja auch schon eine ein bisschen widersprüchliche These ist, dann brauchte man ja eigentlich nichts zu tun. "
... Feudalismus, Kapitalismus, Sozialismus - Kommunismus ...
"... die Gesellschaft der Freien und Gleichen! "
"... heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe ... "
"Man ist klug und weiß alles, was geschehn ist: so hat man kein Ende zu spotten. "
".... die "freie Assoziation freier Menschen" ... "
... so bezeichnete der junge Marx sein Gesellschaftsideal ...
"... die "freie Assoziation freier Menschen" kann nichts anderes werden als ein Feierabendclub oder ein Traditionsverein, in welchem man gemeinsam das Kommunistische Manifest liest, um sich dem Aufwachen zu entziehen ... "
Günter Kunert.
"Es ist ein Alltag angebrochen, der ohne Propheten auskommt ... "
Hans Magnus Enzensberger.
"... die Utopie verlangt ihrem Wesen nach stets eine totale Gesellschaft ... "
Joachim Fest.
"... die Vertreter der Utopie sind zur Anwendung einer letzten und äußersten Gewalt entschlossen ... "
Nach dem Zerfall des totalitären Staatssozialismus der ehemaligen Ostblockländer wollten einige Hüter des Bestehenden ein für alle Mal alternative Gesellschaftsentwürfe erledigen. Utopien, Sozialismusvorstellungen, politische Ideale – das sei alles gefährlicher Unsinn. Die bestmögliche Gesellschaft hätten wir bereits und sie werde es demnächst global geben - überall: Rechtsstaat, Marktwirtschaft, Kapitalismus. Das wird so sein, daran ändert die schönste Kritik nichts.
"Man hat sein Lüstchen für den Tag und sein Lüstchen für die Nacht: aber man ehrt die Gesundheit. "
Vilmar: "Im Wesentlichen hat die sozialistische Theorie und Praxis sich selber kaputt gemacht zu einem erheblichen Teil, insofern sie sich im Laufe des 20. Jahrhunderts immer mehr in zwei Richtungen aufgespalten hat, eine revolutionäre Richtung ... "
... gewaltsame Eroberung der Staatsmacht, Diktatur des Proletariats. Dieser Weg ist gescheitert. Fritz Vilmar ist Professor für Politikwissenschaften an der Freien Universität Berlin und war immer ein entschiedener Vertreter der zweiten Richtung ...
Vilmar: "... der demokratische Weg, der Weg, den wir mal den reformsozialistischen nennen wollen im Unterschied zum revolutionären, hat überraschender Weise auch nach Einführung des allgemeinen Wahlrechts zu keinen eindeutigen Mehrheiten geführt. "
Frühe Reformsozialisten wollten den Staat nutzen, um eine sozialistische Gesellschaft zu etablieren.
"Der Staat ist es, welcher die Funktion hat, die Entwicklung des Menschengeschlechts zur Freiheit zu vollbringen. "
Die Staatsfixierung der Sozialdemokraten – das vorangegangene Zitat stammt übrigens von Ferdinand Lassalle, einem der Begründer der deutschen Arbeiterbewegung – diese Staatsfixierung, dieser Etatismus und die Hoffnung darauf, soziale Gerechtigkeit und Freiheit ließen sich "von oben" anordnen, haben viele Sozialdemokraten bis heute noch nicht aufgegeben.
"Selbst wenn der Staat das Gute befiehlt, beschmutzt er es! "
Nicht nur Liberale, sondern vor allem Anarchisten – wie hier Michail Bakunin - kritisierten diese Perspektive, mit gewaltsamen und herrschaftlichen Mitteln eine herrschaftsfreie Gesellschaft aufzubauen.
"Eroberst du den Staat, so hast du ihn und du bist gewesen. "
Anarchistische Sozialisten sahen in einer verstaatlichten Gesellschaft die Rechte des Einzelnen in Gefahr und erstrebten eine ...
"... Entstaatlichung der Gesellschaft ... "
... und eine ...
"... Vergesellschaftung des Staates ... "
Konkret hieße das: Basisdemokratie, gesellschaftliche Selbstverwaltung und weitestgehende Selbst- und Mitbestimmung – vor allem auch in der Wirtschaft.
Vorsichtig sympathisierten Sozialdemokraten mit diesen gesellschaftspolitischen Alternativen:
"... mehr Demokratie wagen ... "
... forderte Willy Brandt – und demokratische Sozialisten wie Fritz Vilmar vertraten diese Ideen in der Grundwertekommission der SPD.
Vilmar: "Es gab einen Prozess der immer größeren Anpassung auch seitens der Sozialdemokratie. In den 90er Jahren kam es zu einem Prozess der Selbstaufgabe, wie ich das genannt habe. Die Ideen der Mitbestimmung, die Ideen einer wirtschaftlichen Regulierung, die Ideen einer Demokratisierung von Schule, Betrieb, Parteien und dergleichen, die sind mehr und mehr verfallen. Das noch einmal Zurückkehren zur Macht der Sozialdemokratie gemeinsam mit den Grünen stand im Zeichen einer hochgradigen Absage an sozialdemokratische Ideen und Politiken, eine hochgradige Anpassung an die Wünsche des Kapitals. "
Eppler: "Also die staatsgläubige Demokratie, die gibt es eigentlich schon lange nicht mehr. ... "
Betont Erhard Eppler. Er schrieb ein Buch mit dem rhetorisch fragenden Titel: "Auslaufmodell Staat?". Eppler, ehemaliger Entwicklungshilfeminister und ehemaliger Vorsitzender der Grundwertekommission der SPD sieht den Staat als gesellschaftliche Ordnungs- und Steuerungsinstanz in Frage gestellt ...
"... das staatliche Gewaltmonopol werde aufgeweicht durch eine Privatisierung der Sicherheitsdienste; der Sozialstaat werde abgebaut zugunsten einer sozialen Sicherung über den Markt; staatliche Kultur- und Bildungspolitik werde ausgehöhlt durch Mittelstreichungen und die private Konkurrenz; staatliche Wirtschaftspolitik beschränke sich mit der Sicherstellung des Marktes und verzichte auf die Herstellung von Rahmenbedingungen. "
Eppler: "Der global agierende Kapitalismus ist – jedenfalls dem Nationalstaat – haushoch überlegen. Er kann die Nationalstaaten gegeneinander ausspielen. Er kann sie zu Standorten degradieren, er kann sie in einen Wettbewerb zwingen um die besten Bedingungen zur Investition. "
Eppler: "Dieses ökonomische Bewusstsein walzt alles nieder.
Es walzt die Frage nach der Demokratie nieder. Es walzt jedes ökologische Bewusstsein nieder ... "
... und auch das soziale.
Eppler: "Was Europa angeht, so bin ich überzeugt, dass der demokratische Rechtsstaat, den wir ja alle wollen, den auch die Neoliberalen wollen, das dieser demokratische Rechtsstaat nicht lebensfähig ist ohne eine soziale Komponente. Das heißt, wenn die Menschen das Gefühl haben, dieser Staat lässt uns im Stich, wenn es uns schlecht geht, dann fehlt die Loyalität ... "
... und dann ist auch Demokratie und Rechtsstaat in Gefahr, meint Erhard Eppler.
"Im Dezember 2004 meldete die Deutsche Bank 18 Prozent Kapitalrendite. 2000 Arbeitsplätze werden abgebaut, um demnächst 25 Prozent zu schaffen. "
... und wenn dann der Vorstandsvorsitzende soviel verdient wie 350 seiner Angestellten und 2000 Entlassungen ankündigt ...
"... dann wird es Zeit, dass die Steuern gesenkt werden. Das schafft Arbeitsplätze. "
Eppler: "Wir haben ja in der Grundwertekommission der SPD Gerechtigkeit als gleiche Freiheit, gleiche realisierbare Freiheit definiert und das bedeutet eben, dass man mit seiner Freiheit nur etwas anfangen kann, wenn man die nötigen Mittel zu leben hat. "
Der Deutsche Paritätische Wohlfahrsverband stellte fest:
"Ende 2004 lebten 965000 Kinder unter 15 Jahren auf Sozialhilfeniveau. Mitte 2005 waren es 1,5 Millionen. "
Der Hauptgrund der Verarmung von Kindern: Die Einführung des Arbeitslosengeldes II.
"Die Zeiten großzügig gestreuter staatlicher Sozialleistungen ist vorbei! Steuern und Lohnnebenkosten müssen gesenkt werden. Der globale Markt reduziert die Sozialtransfers. "
""Wir haben das Glück erfunden" - sagen die letzten Menschen und blinzeln. "
""Was ist Liebe? Was ist Schöpfung? Was ist Sehnsucht? Was ist Stern" - so fragt der letzte Mensch. "
... die letzten Menschen sind selbstgenügsam, satt und zufrieden. Friedrich Nietzsche zeigt sich geradezu angeekelt von ihnen.
"Wir haben das Glück erfunden ... "
Eppler: "Dieses ökonomische Bewusstsein walzt alles nieder. "
"... ohne Input kein Output ... "
"... ohne Leistung keine Gegenleistung ... "
"... Leistung muss sich wieder lohnen ... "
Eppler: "Das hat der Markt entschieden und wenn das der Markt entschieden hat, dann ist das richtig. "
"... nichts gibt es umsonst ... "
"... Konkurrenz belebt das Geschäft ... "
Eppler: "Ich habe festgestellt, dass es Politiker und Politikerinnen gibt, die inzwischen alles für ideologisch erklären, was nicht direkt vom Markt kommt. "
"... was sich auf dem Markt nicht behauptet, taugt nichts ... "
Negt: "Die Würde des Menschen als etwas, was nicht käuflich und verkäuflich ist. "
"... wer sich auf dem Markt nicht behauptet, taugt nichts ... "
Eppler: "Das heißt, jede Politik, die versucht, den Markt im Sinne des Gemeinwohls zu steuern, ist dann schon Ideologie. In Wirklichkeit ist natürlich genau das die Ideologie. "
Ideologie ist – Marx und Engels zu Folge – falsches Bewusstsein. Falsch deshalb, weil es "falsches" gesellschaftliches Sein widerspiegelt, falsch organisierte Produktionsverhältnisse.
"Es ist das gesellschaftliche Sein der Menschen, das ihr Bewusstsein bestimmt. "
Eppler: "Dieses ökonomische Bewusstsein walzt alles nieder. "
... doch es bestimmt nicht nur das Bewusstsein, es verstimmt es auch – sorry, wegen des in die Jahre gekommenen Kalauers – und ein verstimmtes Bewusstsein, wird sich seiner selbst bewusst durch Kritik:
Negt: "Kritik der politischen Ökonomie, Kritik der reinen Vernunft, Kritik der praktischen Vernunft, Kritik der Urteilskraft – also der kritische Weg verbindet beide ... "
... gemeint sind Marx und Kant.
Negt: "... und ich glaube auch, dass die Friedensfähigkeit einer Gesellschaft davon abhängt, dass dieses Medium von Kritik und Öffentlichkeit, beides, auch Kritik, auch Öffentlichkeit, spielt bei Marx eine zentrale Rolle, Kritik und Öffentlichkeit ermöglichen erstarrte Herrschaftsstrukturen gleich welcher Art aufzubrechen und sind eigentlich als solche selbstreflexiven Medien unabdingbar für eine nach modernen Produktionsmechanismen produzierende und lebende Gesellschaft. "
Der Philosoph und Soziologe Oskar Negt versucht eine Synthese der kritischen Philosophie Kant und der Kapitalismuskritik von Karl Marx.
"Der Mensch darf nicht nur als Mittel benutzt werden. Der Mensch ist selbst Zweck. Das macht seine Würde aus ... "
Negt: "Das heißt, er protestiert mit diesem Würdebegriff auch gegen die zunehmende Warenproduktion, in der in der Tat so etwas wie ein Tauschverhältnis auch in den Persönlichkeitsstrukturen mit gesetzt ist, eine Verkäuflichkeit des Menschen ... "
"Der Mensch ist Zweck an sich selbst ... "
... das heißt nicht nur ein Mittel zum Zweck, keine Ware auf dem Weltmarkt.
Negt: "Viele dissidente Varianten des Sozialismus, der Anarchosyndikalismus in Spanien, die Kämpfer in Barcelona, in Katalonien, .. nehmen eben diese Frage, was der Mensch ist und welche Zwecke er verfolgt, und dass er nicht als Mittel außerhalb seiner liegende Zwecke benutzt werden darf - die Anarchisten nehmen vieles von dem auf, was in den Orthodoxien, in den sozialdemokratischen Orthodoxien und in den leninistischen Orthodoxien verloren gegangen ist ... "
... das Erbe des Liberalismus, der bürgerlichen Aufklärung – auch des Denkens von Immanuel Kant, der "Weltbürgertum" und eine weltweite Konföderation nicht auf der Basis der Ökonomie versteht - und Oskar Negt folgt ihm:
Negt: "Kant hätte nie dran gedacht, den bloßen wirtschaftlichen Austausch als Fundament einer Menschheit zu begreifen, die ein Weltbürgertum begründet. Das ist der erste Punkt. Der zweite Punkt ist, wie wir ja sehen, diese Globalisierung nicht nur zur Einbeziehung bestimmter Regionen in den Weltmarkt führt, sondern auch zu Abkopplungen. Das heißt, also die Theorie produktiver Kostenvorteile durch Freihandel hat sich nicht als Weltgesellschaft-konstituierend erwiesen, sondern führt auch zur Reduktion und Verarmung und Verödung von Regionen. "
Keine Rohstoffe, keine disziplinierbare Bevölkerung, keine intakte Staatsmacht – kein Interesse. Millionen verelenden, verhungern, verrecken.
"Man zankt sich noch, aber man versöhnt sich bald – sonst verdirbt es den Magen. "
Hufschmidt: "Ich betrachte neoliberale Globalisierung als ein Projekt, das sich zum Programm gemacht hat, die nach dem Zweiten Weltkrieg erreichten Fortschritte bei der Zähmung sowohl des internationalen wie auch des nationalen Kapitalismus auf breiter Front wieder zurückzudrehen. Das ist eine Rollback-Strategie. Das Rollback richtete sich eben gegen bestimmte Fortschritte, die unter dem Einfluss von Weltwirtschaftskrise, Weltkrieg, Erstarken der Arbeiterbewegung, auch unter dem Einfluss eines alternativen gesellschaftlichen Systems erreicht wurden. "
Breiter Konsens bestand darin, dass der Staat international kooperieren muss, um Weltwirtschaftskrisen zu verhindern ...
"... unter anderem durch ein System fester Wechselkurse, durch die Regulation von Kapitalflüssen. "
Breiter Konsens bestand auch darin, dass Politik der Wirtschaft einen Rahmen zu geben hat, um bestimmte Ziele zu erreichen ....
"... Vollbeschäftigung, angemessene Beteiligung an erwirtschafteten Gewinnen ... "
Selbst das Ahlener Programm der CDU von 1947 war sozialistischer als die Programme heutiger Sozialisten ...
Hufschmidt: "Mitte der 70er Jahre kam der Aufschwung ins Stocken, da gibt es eine Reihe ökonomischer Gründe dafür, und da setzte eigentlich wieder die eminent politische Frage ein, will man nun dieses Reformbündel, will man das retten, aufrechterhalten und stärken, dann muss man weiter reformieren, möglicherweise noch einen Schritt weiter gehen oder fühlt man sich da nicht stark genug und will Schritte zurück gehen und das ist eingetreten. "
Mit der einsetzenden Deregulierung des Finanzverkehrs gewinnen multinationale Finanzkonzerne und Großinvestoren an Bedeutung.
Eppler: "Der global agierende Kapitalismus ist – jedenfalls dem Nationalstaat – haushoch überlegen. Er kann die Nationalstaaten gegeneinander ausspielen. Er kann sie zu Standorten degradieren, er kann sie in einen Wettbewerb zwingen um die besten Bedingungen zur Investition. Dazu gehören dann die niedrigsten Unternehmenssteuern ... "
... der Abbau des Sozialstaats, längere Arbeitszeiten, geringere ökologische Standards, Reduzierung der Lohnnebenkosten – das meint der "sozialdemokratische Vordenker" – so nennt man meist wirkungslose kritische Politiker wie Erhard Eppler ...
Eppler: "Das ist alles seit über einem Jahrzehnt im Gang und hat natürlich auch fatale Folgen. "
Hufschmidt: "Solche großen Finanzinvestoren können dann Unternehmen veranlassen, nicht mehr eine langfristige Strategie, die auf Produktivitätsentwicklung, langfristige Produktentwicklung, Modernisierung ausgerichtet ist zu betreiben, sondern ausgerichtet ist, den Aktienkurs des Unternehmens möglichst schnell möglichst hoch zu treiben, weil das im Interesse der Aktionäre liegt. Und wenn er dann ganz hoch ist, sie verkaufen können und wieder weg sind. Wenn das Unternehmen dann zusammen bricht, ist das den Aktionären egal. "
" Das ist das Heuschreckenbeispiel, nicht, die fressen, fressen die Bäume kahl und die Sträucher kahl, dass die Sträucher dann kaputt gehen, dass keine langfristige Strategie entsteht, ist den Heuschrecken egal, wenn sie dann sozusagen im nächsten Landstrich schon sind. "
Was tun?
"Was tun? "
Was tun?
Vilmar: "Was tun? Also ich denke, zunächst einmal ... "
Was tun? – Fritz Vilmar:
Vilmar: "Was tun? Also ich denke, zunächst einmal muss die Linke eine grundlegende Einsicht verarbeiten: Der Sozialismus wird mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr kommen und nicht mehr anzupeilen sein als eine große Massenbewegung – sei es revolutionär, sei es, indem die Arbeiter die Wahlen gewinnen. "
Was also tun? – Erhard Eppler:
Eppler: "Die EU hat ja mit ihrer Kommission eine Menge Kompetenzen. Aber diese Kompetenzen beziehen sich immer auf die Abschaffung von Wettbewerbshindernissen in dem gemeinsamen Markt. Worauf sie sich nicht beziehen, das ist das, was dem Kapital wieder einen gemeinsamen Rahmen schaffen würde, etwa eine gemeinsame Steuerpolitik, dafür ist die Kommission nicht zuständig, dafür ist der Rat zuständig und der kann nur einstimmig beschließen, also beschließt er nicht. Worauf es jetzt ankommt, ist ein Europa zu schaffen, das eben bestimmte Funktionen auch wirklich übernehmen kann, soweit sie dem Nationalstaat abhanden gekommen sind. "
"... gemeinsame Unternehmenssteuersätze, gemeinsame Sozialstandards, gemeinsame Mindestlöhne ... "
Was tun?
"Kapitalverkehrskontrollen, Besteuerung von Gewinnen aus Währungsspekulationen ... "
Hufschmidt: "Das ist ein logisches Pendant eigentlich zur Wachstums- und Vollbeschäftigungspolitik, weil man kann nur dann eine konsistente Politik machen, wenn man die Möglichkeit hat, Kapitalflüsse, Kapitalflucht oder massiven Kapitalzufluss zu verhindern, der eine entweder expansive oder kontraktive Wirtschaftspolitik konterkariert. "
Der "heterodoxe" Ökonom Jörg Hufschmidt steht den Gewerkschaften und der globalisierungskritischen Attac-Bewegung nahe und bekennt sich zu einem linken Keynesianismus.
"Was tun? "
Drei Elemente müssen zusammen kommen:
Hufschmidt: "Das sind einmal, dass man die Verteilung von Löhnen und Gewinnen durch eine stärkere gesellschaftliche Lohnpolitik verändert, dass man die Arbeitszeit verkürzt und das flankiert staatlich durch bestimmte gesetzliche Rahmenbedingungen und dass man öffentlich interveniert, Sozialausgaben aber auch öffentliche Investitionen .. massiv ankurbelt. Das wäre im Prinzip wäre das auf dem Boden der Bundesrepublik wären das alles machbare Maßnahmen, wenn man das politische Kräfteverhältnis hinkriegt, was natürlich sehr schwierig ist. "
Und wer soll das alles ändern? Das Proletariat? –
"... gibt es nicht oder es ist längst verbürgerlicht ... "
... die ökonomische Dynamik, die Produktivkraftentwicklung?
" ... Feudalismus, Kapitalismus und so weiter ... "
... an deren Ende der große Kladeradatsch steht ...
"RRRRevolution! "
Wer soll das alles ändern?
Hufschmidt: "Es sind zu einem erheblichen Teil zunächst einmal die Protestbewegungen, die das Ganze anschieben. Man muss sich keine Illusionen machen. Das ist kein revolutionäres Potential. "
... und die Gewerkschaften, meint Jörg Hufschmidt. Revolutionär sind die auch nicht mehr, aber wenn sie "von Links" unter Druck geraten – wer weiß, vielleicht radikalisieren sie sich?
Vilmar: "Wenn das aber zunimmt, dass Menschen nicht mehr bereit sind, diesen Kampf ums goldene Kalb, dieses sich verdrängen, dieses mehr und besser und anders zu sein als andere, mitzuspielen, sondern in Lebens- und Arbeitsgemeinschaften eine materielle und geistige Basis zu schaffen, dann glaube ich, dass auf dieser Basis, dieser Erneuerung – und die Zahl dieser Kooperative, dieser kommunitären Gemeinschaften ist zunehmend ... "
... Fritz Vilmar ist übrigens Mitbegründer einer kibbuzartige, kommunitären Gemeinschaft ...
Vilmar: "... das auf dieser Basis eine wirkliche Erneuerung, eine wirkliche Wende im Blick auf ein nicht mehr durch Herrschaft und Knechtschaft charakterisiertes Leben zu hoffen. Aber das ist ein sehr langwieriger Weg. "
... doch so weit sind die alternativen Bewegungen der 70er und 80er Jahre auch nicht gekommen. Sie wollten das Gleiche. Das "System" hat sie zu großen Teilen wieder. Auch das ein Teil des großen Rollbacks.
"Kein Hirt und eine Herde! Jeder will das Gleiche: ... wer anders fühlt, geht freiwillig ins Irrenhaus. "
Eppler: "Das ist Teil einer Welle marktradikalen ökonomischen, man kann auch sagen neoliberalen Denkens, von der ich allerdings glaube, dass sie ihren Höhepunkt überschritten hat, dass sie sich bricht und dass der Widerstand dagegen weltweit stärker wird. "
... Erhard Eppler ist Christ und setzt seine Hoffnung in die Kirchen, die Gewerkschaften, auch auf demokratischen Widerstand. Und Jörg Hufschmidt setzt – wenig marxistisch – nicht auf die ökonomische Notwendigkeit, sondern auf die Einsicht:
Hufschmidt: "Das ist ja schon mal ganz gut, dass man davon wegkommt, dass man sagt, das ist Sachzwang alles, sondern wenn man klar sieht "Die wollen das", "die müssen das nicht tun, die wollen das und wir wollen das eigentlich nicht" dann kann allmählich – ich habe da keine Illusionen über die Länge der Zeit, die so etwas dauert und dass es zwingend so ist – aber da gibt es allmählich einen gewissen Boden dafür, dass Leute sich auch mal dafür interessieren, dass es auch anders geht. Und wenn man sie davon überzeugen kann, das geht eigentlich auch anders, dass sie dann sagen, ja, wenn es anders geht, kann man ja auch was dafür tun. "
Und wer soll das alles ändern?
"Was soll das ändern? "
Kritisches Denken, meint der Philosoph Oskar Negt – orientiert an Kant und Marx:
Negt: "Es gibt ja Ausprägungen dieser kantischen Variante des Sozialismus. Diese Kombination von Autonomie, Autonomiefähigkeit, Freiheit und Selbstgesetzgebung einer gewissen Moralität, die dahinter steht, ist, glaube ich eine Komponente, die im frühen Marx noch sehr kantisch geprägt ist. Wir haben ja Formulierungen in Briefen wie "der kategorische Imperativ muss umformuliert werden: Alle Verhältnisse umzustoßen, in denen der Mensch ein entwürdigtes, verlassenes, vereinsamtes Lebewesen ist. "
"Also sprach Zarathustra zum Volke: "
"Wehe! Es kommt die Zeit, wo der Mensch nicht mehr den Pfeil seiner Sehnsucht über den Menschen hinauswirft!
Ich sage euch: man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können. Ich aber sage euch: Ihr habt noch Chaos in euch. "