Die Mozart-Vermarktungsmaschine
Wer wolle schon von den Göttern inspiriert sein, so merkte der französische Schriftsteller Paul Valéry ob der Verklärung Mozarts zu einem Wunder an, wenn dies nichts anderes zu bedeuten habe, als die Flöte zu sein, auf welcher die Götter blasen.
Wo von einem Wunder gesprochen wird, muss man nur noch bewundern, ohne weiter nachzudenken. Bessere Voraussetzungen für eine globale Kultur-Kirmes mit Mozart als Hauptdarsteller kann es nicht geben. Mal muss er die Rolle als himmlisches Kind spielen, mal als erster Komponist mit Pop-Star-Qualitäten – je nachdem wo er auf die Bühne gebeten wird: auf der Titelseite des SPIEGEL spielt er kulturfreundlich die erste Rolle, in der Titel-Story die andere.
Das Geschäftsjahr des Golbalunternehmens W. A. M – Wolfgang Amadeus Mozart GmbH und Co KG - hat hektisch begonnen. Den ganzen Mozart-Non-Stop aufzuzählen, würde länger dauern als die 365 Sendungen der ARD, in denen Klaus Maria Brandauer im Tagestakt einen von Mozarts Briefen liest. Ohne schamhafte Aussparung jener kapriziösen Koprolalien, die er an das Bäsle sandte - also jener Briefe, die von seiner Lust an der Vulgär- und Fäkalsprache zeugen, die den Magazin-Geschichten den Stoff zur Mär über den "schweinigelnden Zappelphilipp" liefert.
Wenn endlich die Marketender mit seinem Namen für Käse und Likör, Marzipan und Münzen, Reisen und Rummel werben, möchte manch einer wohl einen Revolver mit ein paar der jährlich produzierten 100 Millionen Mozart-Kugeln laden und um sich schießen.
Zur Kehrseite dieses Medientheaters gehören nicht die in Mozart'schem g-Moll, sondern in Weh-Moll intonierten Klagen, die sich in besorgte Fragen kleiden: Wird das "unverdiente Geschenk an die Menschheit", zu Wolfgang Hildesheimer den Komponisten moralisierend stilisierte, einfach nur verramscht? Soll er wirklich eine Projektions- und Identifikationsfigur sein für jene, die einen säkularisierten Heiland suchen? Und wird dieser Heiland auf dem Kreuzweg der Kultur zu Tode gefeiert? Diese Frage, heuer von Joachim Kaiser im Rotary-Magazin gestellt, diente dem SPIEGEL zur Feier des 200. Geburtstages als Feststellung: "Ein Genie wird totgefeiert."
Nur das Ende der Feier - das ist nicht in Sicht. Nach dem vermeintlichen Requiem vor fünfzehn Jahren wird Johannes Chrysostomus Wolfgangus Theophilus Mozart als Amadeus Superstar die Plage eines neuen Zeitalters erleben. Das ist nun einmal das Los der Unsterblichen.
364 Tage Krönungsmessen, 364 Nächte Höllenfahrt. Fromme Heucheleien über den holden Heros, freche Heucheleien über den gepuderten Austro-Beatle. Ein paar Regisseure werden wieder zu den Klängen der "wundervollen", der "unbegreiflichen", der "unsterblichen" Musik des "göttlichen Weltmeisters" die Exzesse der Welt auf die Bühne bringen - Provokationen im Namen von Aufklärung oder Protest. Schlagzeilen sind garantiert.
Es wird wieder ein paar Eiferer geben, die gegen solche Proteste protestieren – und wenn es Bürgermeister kultureller Wallfahrtsziele sind, so wird auch ihnen mit Schlagzeilen gedankt werden. Es wird wieder Dirigenten geben, die, wie Nikolaus Harnoncourt vor fünfzehn Jahren, die würdigste Feier eines Mozart-Jahres vorschlagen werden: ein Jahr ohne Mozart-Aufführungen. Doch können sie sich nicht der lukrativen Verpflichtung entziehen, an heiliger Stätte den "Figaro" zu dirigieren - ganz sicher in Salzburg, wo Mozart vom Haushofmeister des Fürstbischofs Colloredo durch einen "Tritt im Arsch" entlassen wurde.
Mozart 2006 - das ist ein globales "Event" wie die Fußballweltmeisterschaft. Wahrscheinlich mit ebenso vielen Zuhörern wie Zuschauern, wenn nicht mit mehr; und kommerziell ähnlich ergiebig. Der Einspruch gegen diese Ausbeutung wird längst nicht mehr für bare Münze genommen. Er ist ja Bestandteil des kulturindustriellen Rummels.
Wo bleibt, so höre ich die Hörer dieses Feuilletons fragen, das Positive? Die Frage ist nur mit einer Frage zu beantworten. Wo bleibt die Politik, die bei Musik nicht nur den Standortfaktor im Blick hat, sondern sich an den Schulen um die musische Erziehung kümmert? Die bei Musiktheatern, Orchestern und Chören nicht der Quote die Macht eines Scharfrichters einräumt? Wo bleiben die Programmchefs der Sender, die Mozarts Werke nicht nur als angenehmes Begleitgeräusch für den fröhlichen Alltag ansehen?
Und wie wäre es mit der kühnen Idee von Yehudi Menuhin wie von Mauricio Kagel: Sie schlugen vor, von den Vermarktungsgewinnen mit Mozart einen Solidaritätszuschlag einzubehalten, der in die Musikerziehung fließen solle. Bei Star-Interpreten und anderen Mozart-Gewinnlern sollte er so hoch sein wie die künftige Mehrwertsteuer. Das wäre eine Investition in die Zukunft Mozarts und in die künftiger Hörer - und damit in die eigene.
Jürgen Kesting, einer der renommiertesten deutschen Musik-Kenner und -Autoren, wurde 1940 in Duisburg geboren. Nach dem Studium der Germanistik, Anglistik und Philosophie arbeitete er zunächst für Schallplattenfirmen, wechselte dann aber in den Journalismus. Er schreibt unter anderem für den "STERN" und die "FAZ". Außerdem publiziert er regelmäßig in Fachblättern wie "OPERNWELT" und "MUSIK UND THEATER". Zu seinen wichtigsten Büchern zählt das dreibändige Standard-Werk "Die großen Sänger". Viel Beachtung fanden auch seine Biographie/Monographie über Maria Callas und sein Essay über Luciano Pavarotti.
Das Geschäftsjahr des Golbalunternehmens W. A. M – Wolfgang Amadeus Mozart GmbH und Co KG - hat hektisch begonnen. Den ganzen Mozart-Non-Stop aufzuzählen, würde länger dauern als die 365 Sendungen der ARD, in denen Klaus Maria Brandauer im Tagestakt einen von Mozarts Briefen liest. Ohne schamhafte Aussparung jener kapriziösen Koprolalien, die er an das Bäsle sandte - also jener Briefe, die von seiner Lust an der Vulgär- und Fäkalsprache zeugen, die den Magazin-Geschichten den Stoff zur Mär über den "schweinigelnden Zappelphilipp" liefert.
Wenn endlich die Marketender mit seinem Namen für Käse und Likör, Marzipan und Münzen, Reisen und Rummel werben, möchte manch einer wohl einen Revolver mit ein paar der jährlich produzierten 100 Millionen Mozart-Kugeln laden und um sich schießen.
Zur Kehrseite dieses Medientheaters gehören nicht die in Mozart'schem g-Moll, sondern in Weh-Moll intonierten Klagen, die sich in besorgte Fragen kleiden: Wird das "unverdiente Geschenk an die Menschheit", zu Wolfgang Hildesheimer den Komponisten moralisierend stilisierte, einfach nur verramscht? Soll er wirklich eine Projektions- und Identifikationsfigur sein für jene, die einen säkularisierten Heiland suchen? Und wird dieser Heiland auf dem Kreuzweg der Kultur zu Tode gefeiert? Diese Frage, heuer von Joachim Kaiser im Rotary-Magazin gestellt, diente dem SPIEGEL zur Feier des 200. Geburtstages als Feststellung: "Ein Genie wird totgefeiert."
Nur das Ende der Feier - das ist nicht in Sicht. Nach dem vermeintlichen Requiem vor fünfzehn Jahren wird Johannes Chrysostomus Wolfgangus Theophilus Mozart als Amadeus Superstar die Plage eines neuen Zeitalters erleben. Das ist nun einmal das Los der Unsterblichen.
364 Tage Krönungsmessen, 364 Nächte Höllenfahrt. Fromme Heucheleien über den holden Heros, freche Heucheleien über den gepuderten Austro-Beatle. Ein paar Regisseure werden wieder zu den Klängen der "wundervollen", der "unbegreiflichen", der "unsterblichen" Musik des "göttlichen Weltmeisters" die Exzesse der Welt auf die Bühne bringen - Provokationen im Namen von Aufklärung oder Protest. Schlagzeilen sind garantiert.
Es wird wieder ein paar Eiferer geben, die gegen solche Proteste protestieren – und wenn es Bürgermeister kultureller Wallfahrtsziele sind, so wird auch ihnen mit Schlagzeilen gedankt werden. Es wird wieder Dirigenten geben, die, wie Nikolaus Harnoncourt vor fünfzehn Jahren, die würdigste Feier eines Mozart-Jahres vorschlagen werden: ein Jahr ohne Mozart-Aufführungen. Doch können sie sich nicht der lukrativen Verpflichtung entziehen, an heiliger Stätte den "Figaro" zu dirigieren - ganz sicher in Salzburg, wo Mozart vom Haushofmeister des Fürstbischofs Colloredo durch einen "Tritt im Arsch" entlassen wurde.
Mozart 2006 - das ist ein globales "Event" wie die Fußballweltmeisterschaft. Wahrscheinlich mit ebenso vielen Zuhörern wie Zuschauern, wenn nicht mit mehr; und kommerziell ähnlich ergiebig. Der Einspruch gegen diese Ausbeutung wird längst nicht mehr für bare Münze genommen. Er ist ja Bestandteil des kulturindustriellen Rummels.
Wo bleibt, so höre ich die Hörer dieses Feuilletons fragen, das Positive? Die Frage ist nur mit einer Frage zu beantworten. Wo bleibt die Politik, die bei Musik nicht nur den Standortfaktor im Blick hat, sondern sich an den Schulen um die musische Erziehung kümmert? Die bei Musiktheatern, Orchestern und Chören nicht der Quote die Macht eines Scharfrichters einräumt? Wo bleiben die Programmchefs der Sender, die Mozarts Werke nicht nur als angenehmes Begleitgeräusch für den fröhlichen Alltag ansehen?
Und wie wäre es mit der kühnen Idee von Yehudi Menuhin wie von Mauricio Kagel: Sie schlugen vor, von den Vermarktungsgewinnen mit Mozart einen Solidaritätszuschlag einzubehalten, der in die Musikerziehung fließen solle. Bei Star-Interpreten und anderen Mozart-Gewinnlern sollte er so hoch sein wie die künftige Mehrwertsteuer. Das wäre eine Investition in die Zukunft Mozarts und in die künftiger Hörer - und damit in die eigene.
Jürgen Kesting, einer der renommiertesten deutschen Musik-Kenner und -Autoren, wurde 1940 in Duisburg geboren. Nach dem Studium der Germanistik, Anglistik und Philosophie arbeitete er zunächst für Schallplattenfirmen, wechselte dann aber in den Journalismus. Er schreibt unter anderem für den "STERN" und die "FAZ". Außerdem publiziert er regelmäßig in Fachblättern wie "OPERNWELT" und "MUSIK UND THEATER". Zu seinen wichtigsten Büchern zählt das dreibändige Standard-Werk "Die großen Sänger". Viel Beachtung fanden auch seine Biographie/Monographie über Maria Callas und sein Essay über Luciano Pavarotti.