Die Mönche vom Mont-Saint-Michel

Kloster im Touristentrubel

Touristen laufen auf einer Straße auf den Ort Mont-Saint-Michel mit der Abtei in der Normandie in Frankreich zu.
Touristen auf dem Mont-Saint-Michel in der Normandie in Frankreich © imago/imagebroker
Von Peter Kaiser · 10.12.2017
Drei Millionen Touristen besuchen jedes Jahr den Mont-Saint-Michel. Im Trubel gerät fast in Vergessenheit, dass auf dem Inselberg vor der Küste der Normandie tatsächlich ein Kloster steht. Die jungen Mönche und Schwestern, die dort leben, suchen bewusst auch den Trubel.
"Also hier sind wir in Mont-Saint-Michel am Fuß des Berges, an den Stadtmauern. Und oben sehen wir ein Stück der Abtei, mit der Turmspitze und der Statue des Erzengels Michael."
Drei Mal erschien der Legende nach im Jahr 708 der Erzengel Michael dem normannischen Bischof Aubert im Traum. Jedes Mal befahl er ihm, hier auf dem Granitfelsen, im atlantischen Gezeitenstrom und einen Kilometer von der Küste entfernt, eine Kapelle zu errichten. 250 Jahre später war aus der Kapelle ein Benediktiner-kloster mit einer Wehranlage geworden. Und weil der Granitfelsen nur 300 Meter breit ist, baute man in die Höhe. 155,5 Meter hoch über dem Ärmelkanal thront heute der vergoldete Erzengel Michael auf der Spitze des Kirchturms.
Der Weg vom Fuß des normannischen Klosterberges Mont-Saint-Michel bis hoch zur Spitze führt über 900 ausgetretene Treppenstufen. Oben angekommen dreht sich Cécile, die Fremdenführerin, um, und zeigt auf die Grand Rue unten, die Hauptstraße des Klosterberges. Die Grand Rue mit den Souvenirshops, Omelette-Restaurants und teuren Hotels rechts und links ist die einzige Straße hier, und…
"Das ist heute ziemlich ruhig. Es könnte viel schlimmer sein. Wir haben pro Jahr bis drei Millionen Touristen, und manchmal ist die Straße ganz voll. Jetzt können wir einfach laufen, Sie können Ihre Füße sehen, Sie können den Boden sehen, dann ist alles in Ordnung. Aber wir stehen jetzt an der Pfarrkirche."
Pater Fabian-Marie: "Unsere Gemeinschaft ist in Mont Saint-Michel im Juni 2001 angekommen. Wir haben die Nachfolge von einer Benediktinergemeinschaft aufgenommen, weil die zu alt und zu krank waren, um weiterzumachen."

"Unser Orden ist ein Stadtorden"

Jahrhundertlang predigten, meditierten und bauten Benediktiner am Mont Saint-Michel. Jetzt ist der Klosterberg die Heimat von vier Brüdern und fünf Schwestern der "Fraternité Monastique de Jérusalem", der "Monastischen Gemeinschaft zu Jerusalem". Abt Pater Fabian Marie, der sieben Jahre in Köln gelebt hat, weist darauf hin, dass es sich genau genommen um zwei Gemeinschaften handelt.
"Also, eine Brüdergemeinschaft und eine Schwestergemeinschaft, die nicht zusammen wohnen, sondern getrennt. Aber die zusammen die Liturgie feiern in einer Kirche, die offen ist und die einladend sein möchte, um die Städter willkommen zu heißen in einer Kirche."
Morgens, mittags und abends begehen die Mönche und Nonnen der monastischen Gemeinschaft ihre Messe hier. Man trifft sich zum Gebet, ansonsten sind die beiden Gemeinschaften voneinander unabhängig. Einige Ordensmitglieder arbeiten halbtags in weltlichen Berufen. Doch was hat die jungen Schwestern und Brüder bewogen, an einen Ort zu kommen, der lärmender und unruhiger und weltlicher kaum sein kann?
"Unser Orden ist ein Stadtorden, unser Charisma ist, in den großen Städten zu wohnen, um durch Liturgie und Arbeit Gott zu verkünden."
Und Schwester Natanel fügt an:
"Wir leben hier ein monastisches Leben - vor allem für die Leute, die Gott vergessen haben. Ich denke, dass wir hier sind, um den Leuten zu zeigen, dieser Platz wurde für Gott gebaut. Wir sind im 21. Jahrhundert, aber monastisches Leben ist nach wie vor möglich. Überall in der Welt. Und Mont Saint-Michel ist der Finger, der in den Himmel zeigt. Und wir sind hier, um die Leute einzuladen."

Wie umgehen mit dem Geist der Welt?

Doch welche Mission haben die Brüder und Schwestern der Monastischen Gemeinschaft hier bei der täglichen Menschenflut? Wenn sie bei ihrem Auftreten im Habit in der Grand Rue bestürmt werden?
Pater Fabian-Marie: "Es gibt viele verschiedene Reaktionen. Leute, die zuerst sich fragen: Ist das jetzt echt oder nur eine Show für das Dekor in der Abtei, dass man drei, vier Leute mit Ordenshabit ankleidet - nee, also es ist echt. Aber es kommen auch Leute, die fragen, ah, ich habe eine Bitte, könnten Sie für das oder das oder für diese Person beten, bitte? Es gibt schon viele Leute, die so kommen, und ihre Nöte und Sorgen uns anvertrauen."
Unter den Menschen zu sein, in den großen Städten, auf den Versammlungsplätzen, darum geht es der "Monastischen Gemeinschaft zu Jerusalem". Und im Gegensatz zu anderen Orden, die eher zurückgezogen leben, ist dieses monastische Leben - auch wenn es hinter dicken Mauern entlang der Grand Rue stattfindet - ein ganz anderes, sagt Pater Fabian Marie.
"Es gibt immer einen monastischen Aspekt von Verborgenheit. Dass man hier wohnt und betet und arbeitet, nicht, um sich zur Schau zu stellen, sondern um ein Leben in der Einfachheit, und ja, in der Trennung von der Welt zu leben. Sich jetzt nicht - und das ist besonders unser Charisma - sich nicht von den Leuten zu trennen, sondern sich vom Geist der Welt zu trennen."
Aber der Geist der Welt ist nirgendwo präsenter als hier?
"Genau. Aber auch in unserer eigenen Gemeinschaft. Durch Telefon, Internet ist die Welt da. Die Frage ist: Ist mein Herz ganz vor Gott, und wo bin ich selbst? Was habe ich mit meinem Leben zu machen? Was lebe ich, um wirklich für Gott und die Leute da zu sein, und um mich nicht selbst von der Welt, was in der Welt nicht gut ist, mitreißen zu lassen?"
Gegen Abend verebbt langsam der Touristenstrom, während am Granitgrund des Klosterbergs der Atlantik mit der Geschwindigkeit von einem Meter pro Sekunde heranbraust, und das Watt nun mit der See füllt. Der Klosterberg ist erleuchtet, auch in der Kirche sieht man Licht. Dort werden sie sitzen, in weiße lange Mänteln gekleidet, die jungen Männer und Frauen, und Gottes Lob singen.
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