"Die Mönche repräsentieren die Bevölkerung"

Moderation: Gabi Wuttke · 26.09.2007
Nach Ansicht von Hans Bernd Zöllner sind die Proteste der Mönche in Birma Ausdruck der tiefen Unzufriedenheit der Bevölkerung mit den erbärmlichen Lebensbedingungen im Land. Ein Großteil der Mönche entstamme der verarmten Landbevölkerung, sagte der Asienexperte vom Asien-Afrika-Institut der Uni Hamburg. Beide Seiten, Militärs wie Mönche, kämften um gegenseitige Anerkennung.
Gabi Wuttke: Seit 1962 herrscht das Militär in Birma, das sie in Myanmar umbenannt haben und in dem 45 Millionen Buddhisten leben. Einst ein reiches Land, gehört es heute zu den 20 ärmsten der Welt. Während die politische Führung in Saus und Braus lebt, wirtschaftet Birma immer weiter ab - das muss ein Ende haben, fordern seit acht Tagen buddhistische Bettelmönche. Die Bevölkerung schließt sich den stillen Protestmärschen mehr und mehr an, trotz des inzwischen verhängten Versammlungsverbots. Welche Macht und welches Widerstandspotential haben die Mönche, die seit Jahrzehnten verängstigte Menschen jetzt mobilisieren können? Um uns diese und andere Fragen zu beantworten, sind wir jetzt mit Doktor Hans Bernd Zöllner verbunden, er hat einige Jahre in Birma gelebt, heute arbeitet er am Asien-Afrika-Institut der Universität Hamburg. Einen schönen guten Morgen, Herr Zöllner.

Hans-Bernd Zöllner: Schönen guten Morgen, Frau Wuttke.

Wuttke: Einige Klöster sind von Soldaten umstellt, Warnschüsse wurden abgegeben, Mönche sollen von Soldaten verprügelt worden sein, ein Mönch in Ragun wird in einer Meldung zitiert, man sei auch bereit, zu sterben. Wie beurteilen Sie die Situation heute Morgen?

Zöllner: Also, das klingt alles überhaupt nicht gut, ich wäre noch mal vorsichtig, ob es auch wirklich stimmt, weil es leider Leute gibt, die auch ein Interesse an solchen Meldungen haben, die den eh schon schwierigen Konflikt noch weiter anheizen. Aber wie gesagt - es klingt nicht gut, und es ist auch durchaus möglich.

Wuttke: Was ist möglich?

Zöllner: Dass das passiert ist, was Sie gerade zitiert haben.

Wuttke: Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie daraus? Es gibt - auch das ist eine ungesicherte Zahl, denn die Militärdiktatur hat eine sehr, sehr scharfe Zensur, das heißt, wir wissen seit vielen Jahren eigentlich nichts genaues über Birma -, wir schätzen, dass es zwischen 400.000 und 500.000 buddhistische Mönche in Birma gibt. Was man auf jeden Fall wirklich sehen kann, denn es gibt Bilder: Das sind vor allem junge Mönche, die jetzt auf den Straßen protestieren. Welche Erklärung gibt es dafür?

Zöllner: Also, zuerst einmal, die Zahl der Mönche ist kein Thema für Zensur. Es gibt eine ganze Reihe von Vorurteilen, und bei Ihrer Anmoderation haben sich da auch, fürchte ich, einige eingeschlichen. Die Militärjunta lebt nicht in Saus und Braus, das ist so ein beliebtes Vorurteil.

Wuttke: Es hieß zumindest, dass Mönche dagegen protestiert haben, dass ein General eine prächtige Hochzeit seiner Tochter feiern ließ.

Zöllner: Ja. Das machen alle reichen Leute und das würden die Mönche, wenn sie etwas mehr Geld hätten und aus dem Kloster raus sind, auch machen, wenn sie es sich leisten könnten. Nein, Sie haben vollkommen recht, wir wissen relativ wenig, und das ist eines der Probleme, mit denen wir uns hier herumzuschlagen haben.

Zurück zu den Mönchen. Wir können uns das so vorstellen, dass die meisten dieser, sagen wir mal, 400.000 Mönche Söhne armer Bauern, kleiner Handwerker und so weiter vom Land sind, dass sie allesamt noch nicht in die höheren Weihen der buddhistischen Weisheit eingedrungen sind, und dass sie das Klosterleben auch, aber nicht nur, als einen Teil eines Versuches, Karriere zu machen, betrachten. Das ist traditionell in Birma, in Thailand und anderen Ländern eine der Funktionen des Klosters, hier einen Rückzugsraum zu haben, aus dem man dann für eine Zeit - oder auch auf Dauer, wenn man sich dazu berufen fühlt - Mönch ist, um dann möglicherweise später wieder ins bürgerliche Leben zurückzukehren.

Die Mönche repräsentieren also die Bevölkerung. Und was sie ausdrücken, ist der tiefe Unmut, die zum Teil Verzweiflung gegenüber den erbärmlichen Lebensbedingungen im Lande, die sich in den letzten Jahren trotz eines in den Statistiken wirtschaftlichen Aufschwungs in diesem Land abgespielt haben, wobei dieser wirtschaftliche Aufschwung so ist wie in vielen anderen Entwicklungsländern auch, dass die Neureichen davon profitieren, während die Bevölkerung da zu kurz kommt. Das ist der Hintergrund, würde ich sagen.

Wuttke: Das heißt, man muss eigentlich durchaus von einer gewissen Unschärfe ausgehen, wenn man von den Mönchen und der Bevölkerung spricht, zwar beide buddhistischen Glaubens, aber trotzdem sind das in diesem Fall nicht Mönche, die sich ein Leben lang dem Orden verpflichtet haben, sondern davor sind, in eine durchaus zivile Existenz aufzubrechen?

Zöllner: Das ist die Regel. Wenn Sie die Bilder genau angeguckt haben im Fernsehen, dann haben Sie gestern gesehen, dass da eine Reihe von älteren Herren zusammen mit einem Generalsminister saß, und die haben alle freundlich genickt, als der Herr Minister gesagt hat, Leute, haltet eure jungen Freunde mal bitteschön zurück. Das sind die Lebenslänglichen, die jetzt die Hierarchie bilden. Das Problem ist, die sind alle ziemlich alt, weil das Senioritätsprinzip eine große Rolle spielt, und sie haben auf ihre jungen Heißsporne auch zum Teil überhaupt keinen Einfluss.

Was wir in Birma haben - wenn man ein Bild nehmen will - ist ein Knoten, ein birmanischer Knoten, und es besteht die Gefahr, dass der à la Alexander durchgeschlagen wird. Und zwar auf beiden Seiten besteht die Gefahr, dass das Militär oder einzelne Teile des Militärs die Würde der Mönche verletzen. Wenn von Verprügelungen, von Schüssen die Rede ist, dann geht das auf die erste Eskalation dieses Konfliktes zurück, wo in Oberbirma irgendwo Mönche sich schlecht behandelt fühlten vom Militär bei Demonstrationen und daraufhin eine Entschuldigung verlangt haben.

Umgekehrt besteht auf Seiten der Mönche und der Demonstranten die Gefahr, dass sie auch über die Stränge schlagen, was die Mönche, wenn man es streng nimmt, schon getan haben, weil zu den 227 Regeln, an die sich Mönche - ob jung oder alt - halten müssen, gehört es auch, Konflikte nicht durch Konfrontation zu lösen.

Also. Es ist vertrackt, und es ist ein Knoten, und man kann nur hoffen, dass er trotz der jetzigen Meldung geduldig aufgedröselt und nicht mit Gewalt zerschlagen wird, von beiden Seiten nicht.

Wuttke: Sie haben gerade das Stichwort Würde genannt, Herr Zöllner, es wird aber auch viel vom Ansehen der Mönche berichtet, und zwar nicht nur in der Bevölkerung, sondern eben auch gegenüber des Militärs. Worauf geht das geschichtlich zurück? Wie ist dieses Verhältnis zwischen Herrscher und Klerus zu erklären?

Zöllner: Die Würde der Mönche besteht darin, dass sie etwas haben, was der Laie nicht hat, nicht haben kann, nämlich Reinheit, Reinheit der Lehre, der Lehre des Buddha, und die daraus abgeleitete Reinheit des Lebens, die sich in diesen 227 Mönchsregeln konkretisiert. Der Laie, der muss mit Geld umgehen, er muss manchmal schmutzige Geschäfte machen. Der Herrscher muss Kriege führen - um das Land zu verteidigen - und dadurch Gebote übertreten, das Gebot nicht zu töten zum Beispiel. Alle großen Könige und auch die jetzigen Militärs haben als Gegenleistung dafür unglaublich viele Pagoden gebaut, um ein Gegengewicht gegen das zwangsläufige Böse, Schlechte zu errichten, das sie tun müssen. Das ist der Vorteil der Mönche, darauf beruht ihre Würde und darauf beruht die Achtung, die sie bekommen, weil sie verpflichtet sind, rein zu sein, und davon aber der Bevölkerung etwas abgeben, indem sie zum Beispiel die Gaben annehmen, die ihnen die kleinen und die großen Leute geben.

Wuttke: Diese Gaben, die sind lebenswichtig für die Mönche, Herr Zöllner, es sind Bettelmönche, und auch die Spenden des Militärs sprudelten - aus den Gründen, die Sie jetzt gerade eben erläutert haben - natürlich über all die Jahrzehnte besonders üppig von Seiten des Militärs, jetzt verweigern die Mönche, diese Spenden anzunehmen. Wie wichtig ist diese Tatsache im augenblicklichen Konflikt?

Zöllner: Also, das ist ... Wenn sie das tun im großen Stil, so wie es 1990 schon mal versucht worden ist in Mandalay, der ehemaligen Hauptstadt, und der letzten des unabhängigen Königreiches Birma, dann ist es eine heftige Eskalation, das ist so etwas wie eine Exkommunikation, in der die Mönche dann den Militärs und auch ihren Angehörigen sozusagen das Seelenheil - in unserer Sprache - verweigern. Das ist heftig und das kann sich das Militär wirklich nicht gefallen lassen, diese Art der Behandlung, und es widerspricht wie gesagt auch zumindest in einer heftigen Auslegung dem, was Aufgabe der Mönche ist, sie haben leidenschaftslos zu sein.

Wuttke: Das heißt aber, es geht auf der anderen Seite auch um die Gesichtswahrung des Militärs, um deren Würde, um die Würde der Militärjunta.

Zöllner: Ja. Der Konflikt, den wir jetzt haben, besteht - wenn man es auch von dieser Seite her betrachtet - darin, dass beide Seiten darauf bestehen, dass sie in ihrer Funktion, in ihrer Würde ernst genommen werden von der anderen Seite und dass die Umstände das offensichtlich so nicht zulassen. Die Militärs haben sich alle Mühe gegeben, die Mönche zufriedenzustellen, man könnte es auch so auslegen, dass sie die Mönche versucht haben zu bestechen. Das wiederum ist schlecht.

Aber die Mönche sind nicht nur gut - weil es auch Menschen sind - und die Militärs sind auch nicht nur schlecht und böse, sie sind unfähig, das Land mit den nötigen Lebensmitteln, mit der Art einer Wirtschaft zu versorgen, die den einfachen Leuten ein erträgliches Leben verschafft. Es gibt zu wenig Pressefreiheit und vieles andere.

Aber wenn man das jetzt unter dem globalen Gesichtspunkt betrachtet, da hängen wir nun ein bisschen mit drin, weil nach '88, nach dem letzten Militärputsch, der gesamte Westen sämtliche Entwicklungshilfe für das Land eingestellt hat. Deutschland war der zweitgrößte Entwicklungshilfegeber, und plötzlich war von einem Tag auf den anderen Schluss, und auch die Leute, die nicht unbedingt mit dem Militär sympathisieren, sagten: Was ist denn das für eine Freundschaft, wenn ihr sie plötzlich einfach aufkündigt?