Die Milchstraße ist ins Meer gefallen

08.04.2010
Deutschlandradio Kultur hat diese Woche zur "Woche des Wassers" erklärt. Denn schließlich alles dreht sich um das Elexier des Lebens. Da darf ein Blick auf den Grund der Ozeane nicht fehlen. "Tiefsee" von Dagmar Röhlich taucht ein in eine unbekannte Meereswelt.
"Es war, als ob die Milchstraße, so, wie man sie durch ein Fernglas sieht, ins Meer gefallen wäre und wir da durchsegelten."

Der Globus und der Mensch bestehen zu zwei Dritteln aus Wasser. Unter Wasser verschieben sich die Dimensionen weiter: der Lebensraum der Tiefsee, der bei 200 Metern beginnt, ist elf Mal größer als der an Land. "Die Tiefsee – ein fremder Planet auf unserer Erde", so kündigt der marebuchverlag denn auch den ersten Band seiner neuen Reihe namens "marewissen" an: "Tiefsee – Von schwarzen Rauchern und blinkenden Fischen". Geschrieben hat es Dagmar Röhrlich, Jahrgang 1956, Geologin und Wissenschaftsjournalistin, vielfach mit Preisen ausgezeichnet. Die Autorin verspricht im Vorwort ein Abenteuer – und hält ihr Versprechen.

"Tiefsee – Von schwarzen Rauchern und blinkenden Fischen" besteht aus zwei Hauptelementen. Im naturwissenschaftlichen Teil bietet Dagmar Röhrlich einen Blick in die Biologie der sagenhaften Fauna und Flora der Tiefsee, deren Spezies oft an Jurassic Park oder Star Wars erinnern. Außerdem bietet sie Orientierung, was hydrologische, chemische, geologische, tektonische, vulkanologische und erdgeschichtliche Rahmenbedingungen der Tiefsee betrifft: ein nie langweilendes Füllhorn an Informationen, die immer gut verständlich bleiben.

Diesem naturwissenschaftlichen Teil stellt Dagmar Röhrlich ein erzählerisches Element zur Seite, das sie zur treibenden Kraft des Buches macht: die Wissenschaftsgeschichte bzw. Entdeckungsgeschichte der Ozeanologie der letzten 150 Jahre, anhand von Erlebnis- und Reiseberichten, immer spannend und oft pittoresk. 1960 taucht Jacques Picard mit seinem U-Boot "Trieste" 10.910 Meter tief und erreicht den Boden des Marianengrabens im Pazifischen Ozean. Die für das Buch wichtigste Geschichte (irritierend, dass die Autorin hier ihre bibliographische Quelle nicht nennt) ist die der britischen "Challenger"-Expedition, die von 1872 bis 1876 die Erde umrundete, die Ozeane vermaß und damit die Grundlage für die moderne Ozeanologie legte. Dieser Reisebericht macht einen Gutteil des Buches aus, was dem Ganzen eine angenehme erzählerische Ruhe gibt.

Gemischt hat Dagmar Röhrlich die beiden Hauptelemente Naturwissenschaft und Entdeckungsgeschichte wie ein Kartenspiel: mal Hörsaal, mal Road-Movie. Einwände? Die Bilderklärungen und Texteinschübe sind ärgerlicherweise so klein gedruckt, dass selbst eine Lesebrille das nicht ganz ausgleichen kann. Marginal, aber peinlich für einen Verlag, der das Meer in seinem Namen trägt: Das Grundnahrungsmittel auf alten Segelschiffen waren nicht Kekse, wie es in Röhrlichs Buch heißt, sondern Zwieback.

Insgesamt aber begeistert diese "Tiefsee". Erfrischend Dagmar Röhrlichs lockerer, angelsächsischer Stil mit viel Sinn für Humor: ein äußerst gelungenes, zwischen Wissensvermittlung und Unterhaltung perfekt ausbalanciertes Sachbuch.

Besprochen von Lutz Bunk

Dagmar Röhrlich: Tiefsee – Von schwarzen Rauchern und blinkenden Fischen
marebuchverlag, Hamburg 2010
318 Seiten, 24 Euro