"Die Mendelssohns waren preußische Patrioten"

Julius Schoeps im Gespräch mit Frank Meyer |
In der Geschichte der Familie Mendelssohn gibt es laut dem Historiker Julius Schoeps ein über sechs Generationen verbindendes Element: das Eintreten für Toleranz und Humanität. Der Nachfahre der Mendelssohns hat in seinem Buch "Das Erbe der Mendelssohns" 250 Jahre Familiengeschichte untersucht.
Frank Meyer: Moses Mendelssohn kam 1743 nach Berlin. Als 14-Jähriger, als rechtloser, bitterarmer Jude. Mit ihm hat eine ganz erstaunliche Familiengeschichte begonnen: die der Mendelssohns, einer ganzen Dynastie von preußischen Patrioten, von Vermittlern zwischen Deutsch- und Judentum, von Künstlern, Unternehmern und Wissenschaftlern. Der Historiker Julius Schoeps kommt selbst aus dieser Familie. Er leitet das Potsdamer Moses-Mendelssohn-Zentrum und er hat jetzt ein fast 500 Seiten starkes Buch über diese außergewöhnliche Familie vorgelegt, "Das Erbe der Mendelssohns" heißt es. Julius Schoeps ist jetzt für uns im Studio. Herr Schoeps, Sie lassen Ihr Buch enden im Jahr 1938 mit der Arisierung des Bankhauses Mendelssohn & Co. Ist das denn für Sie das Ende der Familiengeschichte der Mendelssohns?

Julius H. Schoeps: In gewisser Weise ist es das Ende der Familiengeschichte, denn diese Geschichte dreht und wickelt sich, wenn man so will, um die Bank. Die verschiedenen Familienzweige waren in der Bank tätig, und als 1938 die Bank arisiert wurde, war das gewissermaßen das Ende einer Familiengeschichte.

Meyer: Aber es gehören heute immer noch über 300 Mitglieder zu dieser Familie, als es gibt die Familie schon noch?

Schoeps: Die Familie gibt’s oder sagen wir besser, es gibt die Nachkommen der Familie. Letzthin war in Berlin ein Treffen der Mendelssohns, und da kamen 300 Mendelssohns, wenn man so will, die haben meistens andere Namen, aus aller Welt nach Berlin, nur: Die Wenigsten kannten sich.

Meyer: Sie selbst wurden im Exil geboren, 1942 in Schweden, da waren die meisten Mendelssohns aus Nazideutschland geflohen, die Familie hatte sich verteilt in der ganzen Welt, so wie das heute ja im Prinzip auch noch ist. Sind Sie denn selbst in dem Bewusstsein erzogen worden: Du bist ein Mendelssohn, du gehörst zu dieser berühmten Familie?

Schoeps: In gewisser Weise ja. Mein Vater schenkte mir zur Bar-Mizwa, also dem Gegenstück zur Konfirmation, eine zweibändige Geschichte der Mendelssohns. Und diese zweibändige Geschichte der Mendelssohns hat mich mein Leben hindurch begleitet, es steht heute noch in meinem Bücherschrank. Und vieles an meinen Tätigkeiten in den letzten Jahrzehnten hatte zu tun mit dieser Geschichte, mit der Geschichte dieser Familie, mit der deutsch-jüdischen Beziehungsgeschichte, wenn man so will.

Meyer: Und mit Ihrem neuen Buch "Das Erbe der Mendelssohns", damit verbindet sich ein man muss schon sagen ehrgeiziges Projekt, Sie schreiben nämlich, Sie wollen den roten Faden in dieser Familiengeschichte finden, das heißt, über sechs Generationen hinweg schauen auf die Mendelssohns, 250 Jahre Familiengeschichte anschauen. Gibt es denn tatsächlich da einen roten Faden?

Schoeps: Es ist sehr schwierig, diesen roten Faden zu finden, zumal diese Familie verschiedene Flügel hat. Da gibt es die Mendelssohns ohne einen Beinamen, dann gibt es die Mendelssohns mit dem Beinamen Bartholdy, aber ohne Bindestrich. Dann gibt es die Mendelssohn-Bartholdys mit Bindestrich. Also das erst einmal einem Leser zu vermitteln, ist nicht ganz einfach. Ich habe bemüht, das in meinem Buch zu tun, aber Ihre Frage: Was verbindet denn nun diese Generation miteinander? Ich glaube, es gibt einen roten Faden, der bei Moses anfängt und im Nationalsozialismus, wenn man so will, endet. Es ist ein Faden, der vielleicht so beschrieben werden könnte: Wir haben es zu tun mit einer Familie, die dem Neuen gegenüber aufgeschlossen war, die für Toleranz eintrat, die für die Verständigung der Menschen untereinander warb. All das spielt bei den Mendelssohns eine große Rolle, durch die Generationen hindurch.

Meyer: Moses Mendelssohn haben Sie gerade angesprochen. Eine Familiengeschichte der Mendelssohns muss logischerweise bei ihm, beim Ahnherrn anfangen, bei dem Denker der jüdischen Aufklärung im 18. Jahrhundert, von seinen Zeitgenossen manchmal ein deutscher Sokrates genannt. Wie wichtig war denn für Moses Mendelssohn gerade auch das Deutsche oder das Preußische?

Schoeps: Moses Mendelssohn ist eine sehr vielschichtige Gestalt. Er ist nicht nur, sagen wir mal, der Vordenker der jüdischen Aufklärung, sondern der deutschen Aufklärung, wenn man so will. Wenn man seine Schriften heute liest, manche sind geradezu atemberaubend modern. Anfang der 80er-Jahre des 18. Jahrhunderts schrieb er ein Buch "Jerusalem oder über religiöse Macht und Judentum". Und hier tritt er ein für die Trennung von Staat und Kirche. Das sind Fragen, die er da aufwarf, die heute noch modern sind wie eh und je.

Meyer: Es heißt in einer Rezension zu Ihrem Buch in der Zeitung "Die Welt", Sie hätten eine Erfolgsgeschichte geschrieben mit dieser Familiengeschichte, und Sie würden das deutsch-jüdische Verhältnis am Fall der Mendelssohns ein symbiotisches Verhältnis nennen. Es gibt ja auch ganz andere Auffassungen dieser deutsch-jüdischen Tradition, gerade wenn man vom Ende, vom Holocaust ja darauf schaut. Was heißt das für die Mendelssohns, ein symbiotisches Leben als Juden und als Deutsche?

Schoeps: Die Mendelssohns sind im Deutschtum aufgegangen, im Preußentum aufgegangen, sie waren eine Berliner Familie und konnten dann … als die Nazis kamen, haben sie das gar nicht verstanden, was die Nazis wollten. Sie waren Deutsche, sie waren Berliner. Und das, was die Nazis dann taten, indem sie Felix Mendelssohn, den großen Komponisten, ächteten, ist im Grunde eine Ächtung der deutsch-jüdischen Geschichte.

Meyer: Deutschlandradio Kultur, wir sind im Gespräch mit dem Historiker und Mendelssohn-Nachfahren Julius Schoeps über sein Buch "Das Erbe der Mendelssohns". Was Sie gerade gesagt haben, die Mendelssohns haben gar nicht verstanden, was die Nazis wollten, hängt damit auch zusammen, dass einige der Mendelssohns ja in Deutschland geblieben sind, einige auch in der Wehrmacht gedient haben. Sie erwähnen einen, Franz Mendelssohn, der sogar Mitglied der NSDAP wurde?

Schoeps: Ja. Man sollte nicht meinen, dass eine Familie, die jüdische Wurzeln hatte, besser war als andere Familien. Auch manche Mendelssohns sind den Nazis aufgesessen und haben mehr oder weniger mitgemacht. Sicherlich nicht in der vordersten Linie, aber manche glaubten offensichtlich, dass mit Adolf Hitler und den Nazis Zeiten anbrechen würden, die für sie von Vorteil seien.

Meyer: Es gab aber natürlich auch die ganz anderen Figuren, und Sie sagen, dass eine Schlüsselgeschichte für die späten Mendelssohns der Bankier und Mäzen Paul von Mendelssohn-Bartholdy gewesen sei, 1935 ist er gestorben. Warum war er so eine Schlüsselfigur?

Schoeps: Er war insofern eine Schlüsselfigur, weil zunächst einmal niemand von ihm sehr viel gewusst hat bis heute, und unsere Entdeckung oder meine Entdeckung ist die, dass Paul von Mendelssohn-Bartholdy ein bedeutender Kunstmäzen und -sammler gewesen ist. Das war bis heute oder bis vor Kurzem überhaupt nicht bekannt gewesen. Daneben war er natürlich auch ein Bankier, ein bedeutender Bankier, aber ich habe Wert drauf gelegt, insbesondere seine kulturmäzenatischen und sammlerischen Tätigkeiten herauszuarbeiten.

Meyer: Und Sie beschreiben dann auch sehr eingehend in Ihrem Buch, wie Paul von Mendelssohn-Bartholdy versucht hat, seine Kunstsammlung vor den Nazis zu retten, wie schwierig das war. Sie haben bis heute damit zu tun, weil Sie als Sprecher der Erbengemeinschaft der Mendelssohns mit der Restitution von Kunstwerken befasst sind, aus dem früheren Familienbesitz. Es gab nun im Februar einen Vergleich Ihrer Erbengemeinschaft mit zwei amerikanischen Museen, da ging es um zwei Picasso-Gemälde, die heute in diesen Museen hängen. Gibt es noch andere Restitutionsfälle, die noch ausstehen, die noch ungeklärt sind?

Schoeps: Es gibt insgesamt 16 Bilder, die in aller Welt verstreut sind, in den Museen hängen und wo wir in nächster Zeit uns kümmern müssen, wie damit umgegangen wird künftig.

Meyer: Betrifft das auch deutsche Museen?

Schoeps: Selbstverständlich.

Meyer: Können Sie uns sagen, wo da Bilder hängen?

Schoeps: Ach, das spielt jetzt im Moment keine so große Rolle, ich bitte da um Verständnis, dass ich nicht zu laufenden Verfahren mich äußere. Es geht hier um ein grundsätzliches Problem. Ich bin der Meinung, Kunstwerke von dieser Bedeutung müssen in den Museen hängen. Aber die Museen müssen auch aufgefordert werden, deutlich zu machen, wie sie an manche Bilder gekommen sind. Und da bleibt doch manches zu wünschen übrig.

Meyer: Dann zurück zu Ihrem Buch, Herr Schoeps, das heißt ja "Das Erbe der Mendelssohns". Zu diesem Erbe gehören natürlich auch im ganz unmittelbaren materiellen Sinne diese Bilder, über die wir gerade gesprochen haben, aber darüber hinaus: Was ist für Sie das Erbe dieser Familie Mendelssohn?

Schoeps: Das Erbe ist, dass diese Familie für etwas eingetreten ist, was heute nach wie vor nicht ganz akzeptiert wird: Toleranz, Humanität, wie gehe ich mit dem Nächsten um. Ist ja auch Patriotismus. Die Mendelssohns waren durchaus preußische Patrioten, das sollte man nicht vergessen, und bekannten sich zu Preußen und Deutschland. Das alles ist sehr in Vergessenheit geraten. Und das wieder ins Bewusstsein zu rufen, ist Anliegen meines Buches.

Meyer: "Das Erbe der Mendelssohns: Biographie einer Familie", so heißt dieses Buch von Julius Schoeps, erschienen im S. Fischer Verlag, 490 Seiten hat das Buch, es kostet 29,95 Euro. Herr Schoeps, vielen Dank für das Gespräch!

Schoeps: Bitte schön!