Die Medien und der Tod
Es war die oft kritisierte Gesellschaft des Spektakels, die sich am Fernseher mit den Bildern vom Lebenskampf des Papstes und den scheinbar so unvereinbaren Bildern vom kommenden Hungertod der Terri Schiavo unterhalten ließ. Dennoch wäre eine bloße Schelte der Bildmedien und ihrer Nutzer unzureichend.
Ein Oster- und Auferstehungsfest liegt zurück, das von einer Karfreitags- und Golgatha-Frage überschattet wurde – der Frage nach dem würdigen oder unwürdigen Sterben und dessen öffentlicher Inszenierung.
Es war – natürlich – die oft kritisierte Gesellschaft des Spektakels, die sich am Fernseher mit den Bildern vom Lebenskampf des Papstes und den scheinbar so unvereinbaren Bildern vom kommenden Hungertod der Terri Schiavo versorgte und unterhalten ließ.
Dabei sei dahin gestellt, wie vielen Zuschauern beide Szenarien bloß noch als seltsamer Wurmfortsatz der Realität im ohnehin gewalt- und sterbensreichen Feiertagsprogramm erschienen sein mögen.
Fest steht indessen, dass der Papst als Oberhirte der Katholischen Kirche seinen Schafen und wohl der ganzen Menschheit das Leiden zeigen will. Er steht bei vollem Bewusstsein krank, abgemagert und schauderhaft röchelnd auf der medialen Bühne, um – kurz gesagt – Christus ähnlicher zu werden.
"Wer mir will nachfolgen", so heißt es im achten Kapitel des Markusevangeliums, "der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich." Es ist dieser Vers, den sich der Papst zur Maxime gesetzt hat. Dass die Welt seinem Leiden zuschaut, kann seine Würde offenbar nicht verletzen, im Gegenteil.
Im Falle des Papstes handelt es sich – um zwei widerspenstige Begriffe zusammenzuspannen – um christliche Selbstverwirklichung höchsten Grades, theologisch genauer: um die Imitatio Christi. Nie wurde sie massenwirksamer und vielleicht sogar glaubwürdiger inszeniert.
Papst Johannes Paul II. wird nicht nur als Schmerzensmann und christlicher Heros, sondern auch als Medienikone in die Geschichtsbücher eingehen, als Mann, der das Unmögliche wahr gemacht hat: Nämlich das nackte Leiden als Quotenbringer im Nachrichtenteil zu etablieren.
Terri Schiavo jedoch ist bereits vor "fünfzehn Jahren gestorben". So sieht es Michael Schiavo, ihr Ehemann und gesetzlicher Vertreter. Anders als vom Papst, geht von Schiavo keine bewusste Botschaft aus, schon gar keine Botschaft zugunsten eines würdigen Lebens auch als würdigem Leiden.
Vielmehr ist Schiavo im Streit zwischen dem Ehemann und den Eltern, zwischen Demokraten und Republikanern, zwischen Bürgerrechtlern und Lebensschützern zum bloßen Zuschreibungsobjekt und Faustpfand gegenteiliger Überzeugungen degradiert worden.
Die gleiche Pietät, für die der Papst noch eintreten kann, wird der untoten Schiavo im größtmöglichen Umfang vorenthalten ... und man hofft, dass wenigstens der banale Trost, sie merke von all dem nichts, keine Täuschung ist.
Gleichwohl wäre eine bloße Schelte zumal der Bildmedien und ihrer willfährigen Nutzer unzureichend. Denn der Fall der Komapatientin Terri Schiavo ist ein Drama der Unentscheidbarkeit, dem man sich kaum entziehen kann. Es spielt exakt auf der Grenze zwischen Leben und Tod, als wäre es geschrieben worden, um uns in den Strudel der letzten Fragen zu reißen.
Terri Schiavo macht noch Augen- und Mundbewegungen, die als Reaktionen auf die Fragen ihrer Mutter oder die Beschallung mit Musik aufgefasst werden können. Ein Großteil ihres Gehirns gilt als tot, aber eben nur ein großer Teil. Sie ist von keiner Maschine abhängig, sondern nur von der Ernährung durch eine Magensonde – und das heißt, ihr Tod wird durch Verhungern und Verdursten eintreten. Wer kann sich das ohne Qual vorstellen?
"I want to live" – "ich will leben" – soll sie vor entfernen der Sonde gesagt haben, was die Ärzte zu einem Stöhnen reduzierten, wie es bei Komapatienten üblich ist.
Ein Shakespearesches Moment kommt noch hinzu. Denn der Ehemann, längst wieder unter der Haube, weiß von Terris ausdrücklichem Verzicht auf lebenserhaltende Maßnahmen zu berichten, die Eltern natürlich vom Gegenteil. Und alles spielt ausgerechnet zu Ostern ausgerechnet in den USA, dem Gottesstaat des Westens, in dem das Leben heilig und die Todesstrafe genehm ist.
Schiavos Status umfasst eine beinahe unwirkliche Ballung von theologischen, politischen, juristischen, medizinischen und weltanschaulichen Problemen – wenn er der Welt gründlich vor Augen geführt wird, kann man es nicht bloß Zynismus nennen.
Der Papst kennt natürlich die Lösung. Er hat im März verfügt, dass auch unwiderruflich bewusstlose Menschen ernährt werden müssen. Aber der Papst kann im Namen der göttlichen Wahrheit sprechen, er hat es letztlich leicht. Der menschliche Makel ist jedoch die Fehlbarkeit.
Und deshalb muss die Frage gestellt werden: Würde Johannes Paul II. auch nach einem Gehirntod und mit einer Sonde im Magen noch der Papst sein? Oder würde man sagen, es gibt einen Punkt, an dem Krankheit und Leiden den Menschen schon verschlungen haben, bevor sein Herz stehenbleibt?
Eines wollen wir uns nicht vorstellen: Dass es genau so kommt und wir im Fernsehen zusehen müssen.
Es war – natürlich – die oft kritisierte Gesellschaft des Spektakels, die sich am Fernseher mit den Bildern vom Lebenskampf des Papstes und den scheinbar so unvereinbaren Bildern vom kommenden Hungertod der Terri Schiavo versorgte und unterhalten ließ.
Dabei sei dahin gestellt, wie vielen Zuschauern beide Szenarien bloß noch als seltsamer Wurmfortsatz der Realität im ohnehin gewalt- und sterbensreichen Feiertagsprogramm erschienen sein mögen.
Fest steht indessen, dass der Papst als Oberhirte der Katholischen Kirche seinen Schafen und wohl der ganzen Menschheit das Leiden zeigen will. Er steht bei vollem Bewusstsein krank, abgemagert und schauderhaft röchelnd auf der medialen Bühne, um – kurz gesagt – Christus ähnlicher zu werden.
"Wer mir will nachfolgen", so heißt es im achten Kapitel des Markusevangeliums, "der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich." Es ist dieser Vers, den sich der Papst zur Maxime gesetzt hat. Dass die Welt seinem Leiden zuschaut, kann seine Würde offenbar nicht verletzen, im Gegenteil.
Im Falle des Papstes handelt es sich – um zwei widerspenstige Begriffe zusammenzuspannen – um christliche Selbstverwirklichung höchsten Grades, theologisch genauer: um die Imitatio Christi. Nie wurde sie massenwirksamer und vielleicht sogar glaubwürdiger inszeniert.
Papst Johannes Paul II. wird nicht nur als Schmerzensmann und christlicher Heros, sondern auch als Medienikone in die Geschichtsbücher eingehen, als Mann, der das Unmögliche wahr gemacht hat: Nämlich das nackte Leiden als Quotenbringer im Nachrichtenteil zu etablieren.
Terri Schiavo jedoch ist bereits vor "fünfzehn Jahren gestorben". So sieht es Michael Schiavo, ihr Ehemann und gesetzlicher Vertreter. Anders als vom Papst, geht von Schiavo keine bewusste Botschaft aus, schon gar keine Botschaft zugunsten eines würdigen Lebens auch als würdigem Leiden.
Vielmehr ist Schiavo im Streit zwischen dem Ehemann und den Eltern, zwischen Demokraten und Republikanern, zwischen Bürgerrechtlern und Lebensschützern zum bloßen Zuschreibungsobjekt und Faustpfand gegenteiliger Überzeugungen degradiert worden.
Die gleiche Pietät, für die der Papst noch eintreten kann, wird der untoten Schiavo im größtmöglichen Umfang vorenthalten ... und man hofft, dass wenigstens der banale Trost, sie merke von all dem nichts, keine Täuschung ist.
Gleichwohl wäre eine bloße Schelte zumal der Bildmedien und ihrer willfährigen Nutzer unzureichend. Denn der Fall der Komapatientin Terri Schiavo ist ein Drama der Unentscheidbarkeit, dem man sich kaum entziehen kann. Es spielt exakt auf der Grenze zwischen Leben und Tod, als wäre es geschrieben worden, um uns in den Strudel der letzten Fragen zu reißen.
Terri Schiavo macht noch Augen- und Mundbewegungen, die als Reaktionen auf die Fragen ihrer Mutter oder die Beschallung mit Musik aufgefasst werden können. Ein Großteil ihres Gehirns gilt als tot, aber eben nur ein großer Teil. Sie ist von keiner Maschine abhängig, sondern nur von der Ernährung durch eine Magensonde – und das heißt, ihr Tod wird durch Verhungern und Verdursten eintreten. Wer kann sich das ohne Qual vorstellen?
"I want to live" – "ich will leben" – soll sie vor entfernen der Sonde gesagt haben, was die Ärzte zu einem Stöhnen reduzierten, wie es bei Komapatienten üblich ist.
Ein Shakespearesches Moment kommt noch hinzu. Denn der Ehemann, längst wieder unter der Haube, weiß von Terris ausdrücklichem Verzicht auf lebenserhaltende Maßnahmen zu berichten, die Eltern natürlich vom Gegenteil. Und alles spielt ausgerechnet zu Ostern ausgerechnet in den USA, dem Gottesstaat des Westens, in dem das Leben heilig und die Todesstrafe genehm ist.
Schiavos Status umfasst eine beinahe unwirkliche Ballung von theologischen, politischen, juristischen, medizinischen und weltanschaulichen Problemen – wenn er der Welt gründlich vor Augen geführt wird, kann man es nicht bloß Zynismus nennen.
Der Papst kennt natürlich die Lösung. Er hat im März verfügt, dass auch unwiderruflich bewusstlose Menschen ernährt werden müssen. Aber der Papst kann im Namen der göttlichen Wahrheit sprechen, er hat es letztlich leicht. Der menschliche Makel ist jedoch die Fehlbarkeit.
Und deshalb muss die Frage gestellt werden: Würde Johannes Paul II. auch nach einem Gehirntod und mit einer Sonde im Magen noch der Papst sein? Oder würde man sagen, es gibt einen Punkt, an dem Krankheit und Leiden den Menschen schon verschlungen haben, bevor sein Herz stehenbleibt?
Eines wollen wir uns nicht vorstellen: Dass es genau so kommt und wir im Fernsehen zusehen müssen.