Die Macht des Gläubigers

Von Inge Kloepfer |
"Wenn China erwacht, wird die Welt erbeben." Diesen Ausspruch tat einst Napoleon, als das riesige Reich der Mitte noch seinen ökonomischen Tiefschlaf hielt. Wahrscheinlich hat er nicht so sehr an die Wirtschaft, sondern eher an die Streitkräfte der künftigen Großmacht gedacht. Lang ist das her. China ist längst erwacht.
Das bevölkerungsreichste Land der Erde ist die neue Wirtschafts-Supermacht in einer Welt, in der sich die Kräfteverhältnisse geopolitisch immer weiter nach Osten verschieben. An diese Tatsache hat sich die westliche Welt inzwischen gewöhnt. Sie zittert nicht mehr. Aber sie stöhnt und ärgert sich beträchtlich, vor allem, wenn es wieder einmal um Chinas Währung geht. Warum?

Seit Jahren verfolgt die kommunistische Regierung in Peking eine Währungspolitik, die den Kurs des Yuan gegenüber dem Dollar niedrig hält. Nicht nur für die Vereinigten Staaten ist das mehr als ein Ärgernis. Denn ein künstlich niedrig gehaltener Wechselkurs ist nicht mehr und nicht weniger als eine massive Subventionierung des eigenen Exports. Dafür kauft China am Devisenmarkt Unmengen von Dollar gegen Yuan und hat inzwischen 2450 Milliarden Dollar an Reserven angehäuft. Durch den niedrigen Yuan-Kurs werden chinesische Produkte im Ausland – vor allem in Amerika – erschwinglich, ausländische Produkte hingegen für Chinesen teuer. China verschafft sich damit – zum Nachteil vieler anderer Länder – einen Preisvorteil auf den heiß umkämpften Weltmärkten. Das macht das ostasiatische Land trotz oder gerade wegen seiner schwachen Währung reich, stark und – zumindest auf den ersten Blick – ziemlich unabhängig.

Doch ist das noch nicht alles. Seine gigantischen Devisenreserven hat China vor allem in amerikanische Staatsanleihen investiert. Es finanziert damit zu einem beträchtlichen Teil das amerikanische Haushalts-Defizit und ist größter Gläubiger der USA.

Was hat dieses Spiel, das China nun schon seit Jahren treibt, für geostrategische Folgen? Verschieben sich die Machtverhältnisse weiter gen Osten – allein aufgrund der Währungspolitik des Riesenreiches? Sicher nicht. Denn in diesem Machtspiel ist längst nicht ausgemacht, wer der Schwache und wer der Starke ist – auch wenn die Chinesen rund ein Viertel der langfristigen amerikanischen Anleihen halten.

Die gegenläufige Entwicklung mit einer wachsenden Verschuldung im Westen und Vermögensaufbau im Osten ist die Folge klar verteilter Rollen, die sich über das letzte Jahrzehnt zu einem unlösbaren Abhängigkeitsverhältnis entwickelt haben. Denn nicht nur Amerika ist auf die Finanzierung seines Haushalts durch die Chinesen angewiesen. China seinerseits braucht den amerikanischen Konsumgütermarkt, der dem Land über die Exportschiene seit Jahren hohe Wachstumsraten beschert. Und genau auf diese hohen Wachstumsraten kann China nicht verzichten. Sonst droht dort eine Wirtschaftkrise mit Unternehmenszusammenbrüchen und hoher Arbeitslosigkeit.

Zudem wird es dann nicht mehr gelingen, den zig Millionen jungen, gut ausgebildeten Universitätsabgängern, die jährlich auf den Arbeitsmarkt strömen, eine Perspektive zu verschaffen. In diesem Fall kann es im Inland ziemlich unruhig werden. Nichts fürchtet Peking mehr als das. China ist zum wirtschaftlichen Erfolg verdammt, soll das Land regierbar bleiben.

Genau das schwächt den vermeintlich wuchtigen Hebel, den China durch seinen gigantischen Besitz an amerikanischen und anderen Staatsanleihen in der Hand hält. Geostrategisch kann es seine Gläubigerposition noch nicht einmal als Druckmittel wirklich einsetzen. Die Menge an Staatspapieren ist nicht verkäuflich, weil China damit nicht nur der westlichen Welt, sondern auch sich selber schaden würde. Die Währungspolitik des billigen Yuan wird auf Dauer nicht funktionieren.

Hat der niedrige Yuan-Kurs Chinas Aufstieg zum Exportweltmeister zweifelsohne auch beschleunigt, so ist die chinesische Währungspolitik von heute weniger das Ergebnis geostrategischer Überlegungen als vielmehr innenpolitischer Notwendigkeiten. Oder anders: Das Land ist ein Gefangener seiner eigenen Währungspolitik und damit international wieder abhängiger geworden. China spielt derzeit mit dem Feuer. Das wissen auch die Machthaber in Peking.

Inge Kloepfer, Jahrgang 1964, studierte Volkswirtschaftslehre und Sinologie. 1992 wurde sie Mitglied der Wirtschaftsredaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Seit 2001 schreibt sie für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Bei Hoffmann und Campe erschien 2005 ihr Bestseller über die Verlegerin Friede Springer, für den sie mit dem Preis "Wirtschaftsjournalistin des Jahres 2005" ausgezeichnet wurde und 2008 "Aufstand der Unterschicht – Was auf uns zukommt". Sie lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Berlin.
Inge Klöpfer
Inge Kloepfer© Daniel Biskup
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