Die Macht der Verse
Ernesto Cardenal ist einer der berühmtesten spanischsprachigen Dichter. Der nicaraguanische Autor, Geistliche und politische Aktivist reist derzeit durch Deutschland und stellt seinen neuen Gedichtband "Zyklus der Sterne" vor. Abseits der Bühne gibt sich der Dichter jedoch prosaisch.
Mittwochabend: Die sechs Musiker von Grupo Sal spielen im Kesselhaus der Berliner Kulturbrauerei. Die Halle ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Und das liegt nicht nur an der brillanten lateinamerikanischen Musik, sondern vor allem an der Anwesenheit eines der berühmtesten spanischsprachigen Dichter. Ernesto Cardenal sitzt hinter einem Tisch am Bühnenrand: Die Baskenmütze und das Sakko in Schwarz bilden mit dem Hemd, dem Bart und den Haaren in Weiß einen kontrastreichen Blickfang. Ernesto Cardenal krümmt die Finger seiner linken Hand und öffnet sie wieder, im Rhythmus der Musik. Bis er schließlich selbst an der Reihe ist und aus seinen Gedichten liest. Beginnend mit den Liebesgedichten seiner Jugend:
"Als ich dich verlor, haben wir beide verloren:
ich, weil du warst, was ich am meisten liebte,
und du, weil ich es war, der dich am meisten liebte,
aber dich wird niemand so lieben wie ich."
Die unerwiderte Liebe - ein Motiv, das der Leser auch in "Zyklus der Sterne" findet, dem neuen Gedichtband des nicaraguanischen Autors, Geistlichen und politischen Rebellen. "Zyklus der Sterne" ist die Fortsetzung der "Gesänge des Universums", Cardenals Opus magnum über den Kosmos und die Rolle, die der Mensch darin spielt.
"Die heutigen Wissenschaftler sagen, im Universum sei alles, wir Menschen eingeschlossen, miteinander verbunden. Und das hat mich sehr inspiriert, zumal das auch die Mystiker sagen."
Als er das sagt, ist Ernesto Cardenal alles andere als mystisch gestimmt. Er sitzt im Frühstücksraum eines Berliner Hotels, und zwar schlecht gelaunt. Das lässt er auch jeden spüren, der sich ihm nähert. Einen Fototermin hat er auf eine Minute eingestampft. Und das schon lange vereinbarte Interview muss plötzlich auch ganz schnell über die Bühne gebracht werden. Den Grund nennt der 82 Jahre alte Ernesto Cardenal ganz offen: Er will jetzt lieber frühstücken. Ohne den Fragenden anzusehen, beantwortet er die Fragen, die er auf seinen Wunsch vorher zugeschickt bekommen hat. Durch den Glauben sei er Kommunist geworden, hat Ernesto Cardenal einmal gesagt. Wie meint er das?
"Wenn ich vom Glauben spreche, meine ich den Glauben an die Botschaft Jesu, an das Evangelium, das vom Reich des Himmels auf die Erde gelangt ist. Der Kommunismus ist für mich – ich meine den Kommunismus im Sinne von Marx, nicht den real existierenden - eine wissenschaftliche Methode, um die Gesellschaft und die Welt zu verändern. Es gibt eine enge Beziehung zwischen der Methode und dem Ziel. Die wissenschaftliche Methode verändert die Gesellschaft und die Welt; und diese Verwandlung ist das Himmelreich."
Es ist auch diese Verquickung von Theologie und Kosmologie, die in Rom nicht gern gesehen wird. Nicht umsonst hat der Vatikan den nicaraguanischen Priester von seinem Amt suspendiert. Cardenal fand vor genau 50 Jahren in einem Kloster in den USA zu Gott und zu sich, gründete eine Glaubensgemeinschaft auf den Solentiname-Inseln im Großen See von Nicaragua und wurde bald auch politisch aktiv. Er bekämpfte den Diktator Somoza, mit Schmähgedichten. Aber können Gedichte einen Diktator besiegen? Ernesto Cardenal überprüft auf einem Zettel, ob er diese Frage auch wirklich vorab erhalten hat, um dann auf die Macht der Verse einzugehen:
"Sie können helfen. Zwar werden die Verse selbst keinen Diktator besiegen, aber sie können dabei mithelfen, ein dementsprechendes Klima zu schaffen, ein Bewusstsein. In Nicaragua hat der Dichter Ruben Dario ein soziales und politisches Bewusstsein geschaffen. Mit Hilfe von anderen Schriftstellern, die diesen Kampf mit Worten und Waffen weitergeführt haben. Mein Anteil daran war gering im Vergleich zu den anderen."
Einen großen Anteil hatte Cardenal hingegen an der Bekämpfung des Analphabetentums in Nicaragua. Als Minister für Kultur konnte er den Anteil erheblich senken. Jetzt senkt er nur noch seinen Kopf auf den Frühstückstisch. Eine letzte Frage lässt er noch zu. In seinem neuen Gedichtband "Zyklus der Sterne" redet sich das lyrische Ich die unglückliche Liebe von einst schön. Schließlich hänge ja alles auf der Welt zusammen. Also sei er nicht wirklich von ihr getrennt. Warum lässt ihn, Ernesto Cardenal, die unglückliche Liebe nicht los?
"Na ja, so oft kommt dieses Thema dann auch nicht im Buch vor. Nur einige Male. Ich spiele auf meine erste Liebe an, die nicht erwidert wurde. Deshalb muss ich immer wieder mal daran denken und mit Hilfe von Versen diese Erinnerung festigen. Andererseits habe ich verstanden, dass Gott meine Liebe sehr wohl erwidert hat. Gott hat dafür gesorgt, dass ich, anstatt eine Frau zu lieben und zu heiraten, mich in ihn verliebt und ihn geheiratet habe. Aber noch immer erinnere ich mich sehnsuchtsvoll an meine erste Liebe, die immer noch präsent ist."
"Niemand ist mir so nahe" heißt ein Gedichtband von Ernesto Cardenal. "Niemand ist mir so nahe wie mein Frühstück" scheint er gerade zu denken. Denn er beendet das Interview abrupt, um sich seinem Butterbrot zu widmen. Das soll auf ihn ebenso belebend wirken, wie wenn jubelnd sein Name gerufen wird:
"Und unser ganz, ganz lieber Gast, Ernesto Cardenal!"
"Als ich dich verlor, haben wir beide verloren:
ich, weil du warst, was ich am meisten liebte,
und du, weil ich es war, der dich am meisten liebte,
aber dich wird niemand so lieben wie ich."
Die unerwiderte Liebe - ein Motiv, das der Leser auch in "Zyklus der Sterne" findet, dem neuen Gedichtband des nicaraguanischen Autors, Geistlichen und politischen Rebellen. "Zyklus der Sterne" ist die Fortsetzung der "Gesänge des Universums", Cardenals Opus magnum über den Kosmos und die Rolle, die der Mensch darin spielt.
"Die heutigen Wissenschaftler sagen, im Universum sei alles, wir Menschen eingeschlossen, miteinander verbunden. Und das hat mich sehr inspiriert, zumal das auch die Mystiker sagen."
Als er das sagt, ist Ernesto Cardenal alles andere als mystisch gestimmt. Er sitzt im Frühstücksraum eines Berliner Hotels, und zwar schlecht gelaunt. Das lässt er auch jeden spüren, der sich ihm nähert. Einen Fototermin hat er auf eine Minute eingestampft. Und das schon lange vereinbarte Interview muss plötzlich auch ganz schnell über die Bühne gebracht werden. Den Grund nennt der 82 Jahre alte Ernesto Cardenal ganz offen: Er will jetzt lieber frühstücken. Ohne den Fragenden anzusehen, beantwortet er die Fragen, die er auf seinen Wunsch vorher zugeschickt bekommen hat. Durch den Glauben sei er Kommunist geworden, hat Ernesto Cardenal einmal gesagt. Wie meint er das?
"Wenn ich vom Glauben spreche, meine ich den Glauben an die Botschaft Jesu, an das Evangelium, das vom Reich des Himmels auf die Erde gelangt ist. Der Kommunismus ist für mich – ich meine den Kommunismus im Sinne von Marx, nicht den real existierenden - eine wissenschaftliche Methode, um die Gesellschaft und die Welt zu verändern. Es gibt eine enge Beziehung zwischen der Methode und dem Ziel. Die wissenschaftliche Methode verändert die Gesellschaft und die Welt; und diese Verwandlung ist das Himmelreich."
Es ist auch diese Verquickung von Theologie und Kosmologie, die in Rom nicht gern gesehen wird. Nicht umsonst hat der Vatikan den nicaraguanischen Priester von seinem Amt suspendiert. Cardenal fand vor genau 50 Jahren in einem Kloster in den USA zu Gott und zu sich, gründete eine Glaubensgemeinschaft auf den Solentiname-Inseln im Großen See von Nicaragua und wurde bald auch politisch aktiv. Er bekämpfte den Diktator Somoza, mit Schmähgedichten. Aber können Gedichte einen Diktator besiegen? Ernesto Cardenal überprüft auf einem Zettel, ob er diese Frage auch wirklich vorab erhalten hat, um dann auf die Macht der Verse einzugehen:
"Sie können helfen. Zwar werden die Verse selbst keinen Diktator besiegen, aber sie können dabei mithelfen, ein dementsprechendes Klima zu schaffen, ein Bewusstsein. In Nicaragua hat der Dichter Ruben Dario ein soziales und politisches Bewusstsein geschaffen. Mit Hilfe von anderen Schriftstellern, die diesen Kampf mit Worten und Waffen weitergeführt haben. Mein Anteil daran war gering im Vergleich zu den anderen."
Einen großen Anteil hatte Cardenal hingegen an der Bekämpfung des Analphabetentums in Nicaragua. Als Minister für Kultur konnte er den Anteil erheblich senken. Jetzt senkt er nur noch seinen Kopf auf den Frühstückstisch. Eine letzte Frage lässt er noch zu. In seinem neuen Gedichtband "Zyklus der Sterne" redet sich das lyrische Ich die unglückliche Liebe von einst schön. Schließlich hänge ja alles auf der Welt zusammen. Also sei er nicht wirklich von ihr getrennt. Warum lässt ihn, Ernesto Cardenal, die unglückliche Liebe nicht los?
"Na ja, so oft kommt dieses Thema dann auch nicht im Buch vor. Nur einige Male. Ich spiele auf meine erste Liebe an, die nicht erwidert wurde. Deshalb muss ich immer wieder mal daran denken und mit Hilfe von Versen diese Erinnerung festigen. Andererseits habe ich verstanden, dass Gott meine Liebe sehr wohl erwidert hat. Gott hat dafür gesorgt, dass ich, anstatt eine Frau zu lieben und zu heiraten, mich in ihn verliebt und ihn geheiratet habe. Aber noch immer erinnere ich mich sehnsuchtsvoll an meine erste Liebe, die immer noch präsent ist."
"Niemand ist mir so nahe" heißt ein Gedichtband von Ernesto Cardenal. "Niemand ist mir so nahe wie mein Frühstück" scheint er gerade zu denken. Denn er beendet das Interview abrupt, um sich seinem Butterbrot zu widmen. Das soll auf ihn ebenso belebend wirken, wie wenn jubelnd sein Name gerufen wird:
"Und unser ganz, ganz lieber Gast, Ernesto Cardenal!"