Die Macht am Himmel

Von Axel Schröder · 28.09.2008
25 Jahre haben die Planungen für den Eurofighter gedauert. Nun löst er allmählich die alten Phantom-Jets der Bundeswehr ab. Zwar müssen noch einige Kinderkrankheiten bei dem Flugzeug bewältig werden, doch die Piloten auf dem Fliegerhorst in Neuburg an der Donau sind stolz auf ihre neuen Maschinen.
Drei Rentner haben ihre Kameras im Anschlag, stehen auf dem Acker. Die Objektive folgen den dunkelgrauen Eurofighter-Kampfjets im Landeanflug. Ein paar Schritte entfernt ragt der Zwei-Meter-Zaun der Luftwaffenbasis Zell in die Höhe. Von hier aus starten die Abfangjäger, wenn es Probleme im deutschen Luftraum gibt. Die Hitze der orangeglühenden Triebwerke lässt die Konturen verschwimmen: von Tower, Landebahn, olivgrünen Tankfahrzeugen und Flugzeughangars. Die Männer am Zaun sind Plane-Spotter: Sie fotografieren Flugzeuge, mit Leidenschaft:

Plane-Spotter: "So sammeln andere Briefmarken und Münzen – sammel ich zwar auch noch, in der Zeit, wo ich nicht am Flugplatz stehe – aber die Flieger, die gehen mir vor! Das war schon immer das Höchste. Von der F-84 Thunderstrike, über die Fiat G-91, Starfighter 104. Dann die Phantom, Eurofighter. Das ist: ein super Hobby ist das …"

Der etwas rundliche Bayer wohnt in Nachbarschaft zum Fliegerhorst, in Neuburg an der Donau. Er lauscht, hält inne und nimmt die nächste Maschine ins Visier.

Seit Sommer 2008 bekommen die Plane-Spotter in Zell regelmäßig ein neues Flugzeug vor ihre Linsen: den Eurofighter. Der Jet löst die alte Phantom ab - nach rund 30 Jahren Dienstzeit über den Wolken. Ab sofort fliegen die Abfangjäger, die sogenannte Alarmrotte, einen der modernsten Düsenjäger der Welt. - Hinter dem Maschendrahtzaun, im Briefing-Raum, bekommen die Piloten ihren Tagesbefehl, in der Fachsprache der Flieger:
Pilot: "Zum Flow selbst: alles soweit Standard. Ground: ohne Half-Quick. Take-off wird ebenfalls Standard sein, acht Sekunden. VFR hier raus, das heißt: 200 Fuß, links rum, Standardmäßig in die 202. Ansonsten: Weapon-System-Check, alles soweit Standard, Formation danach: mit mir auf der linken Seite, so cruisen wir dann hier rein."

In der vorderen von drei Stuhlreihen sitzen vier Piloten in grauen Overalls, nicken, machen sich Notizen in ihre Mappen. An der Wand hängen Karten: der deutsche Luftraum, aufgeteilt durch dünne schwarze Linien in feste Flugkorridore und -höhen. Zehn Minuten dauert das Briefing für das tägliche Training, Nachfragen gibt es keine. Für Abfangjagden und den Luftkampf mit feindlichen Jets werden die Piloten ausgebildet. Heute steht das Abfangen auf dem Plan. – Draußen vor dem Neubau erklärt Eurofighter-Pilot Major Tom Koller, was passiert, wenn sich ein Flugzeug im deutschen Luftraum verirrt.

Koller: "Wenn man feststellt, dass sich so eine Luftlage bietet, die so einen Abfangeinsatz notwendig macht, werden die Piloten am Boden alarmiert, mittels einer Hupe. Jetzt hat der Pilot 15 Minuten Zeit, bis er in die Luft kommt. Normalerweise ein Einsatz von zwei Flugzeugen. Irgendwann kommt er in die Phase, wo er mit dem bordeigenen Radar das Ziel auffassen kann. Und dann kann er sich auch diesem Ziel annähern und es identifizieren."

In der Ferne rollen zwei der neuen Jets in Richtung Hangar, in die sogenannten Flugzeug-Shelter. Stückpreis der Maschinen: rund 86 Millionen Euro. Tom Koller, kurze braune Haare, dunkle Augen, ist auf dem Weg zur Fliegerärztin, zum alljährlichen Gesundheitscheck der Piloten. Früh am Morgen steht die Sonne noch niedrig über dem Flugplatz, über dem grauen Asphalt. Zwei Alarmrotten gibt es in der Bundesrepublik: eine im ostfriesischen Wittmund, zuständig für den Norden und Osten Deutschlands, die andere ist bei Neuburg an der Donau stationiert. Sie überwacht den Himmel über Süddeutschland. Die meisten Probleme in der Luft können schon per Funk geregelt werden. Wenn der aber ausfällt, müssen Koller und seine Kollegen nah ran an die verirrten Maschinen. Bei rund 900 Kilometern pro Stunde:

Koller: "Wenn man dem Piloten Handzeichen geben muss, dann geht man schon auf wenige Meter ran. Flügelspitze an Flügelspitze könnte das sein. Bis auf fünf Meter geht man ran. In aller Regel, wenn man das Flugzeug aber über eine andere Funkfrequenz kontaktieren könnte, dann würde es auch ausreichen, auf ein paar Hundert Meter an das Flugzeug heran zu fliegen. Das hängt vom Einzelfall ab."

Vier Eurofighter stehen rund um die Uhr bereit, erklärt Koller. Zwei steigen im Ernstfall auf, zwei dienen als Ersatz, bei technischen Problemen. Zwei Piloten sind dann jeweils "auf QRA", auf "Quick Reaction Alert". Übersetzt: in Luftverteidigungssofortbereitschaft. Bei besonderen Ereignissen wie Staatsbesuchen hochrangiger Politiker wird die Startzeit von fünfzehn auf bis zu zwei Minuten reduziert, nur ein paar Meter von den Eurofightern entfernt sind die Piloten untergebracht, erklärt Tom Koller und zieht mit kräftigem Schwung die Tür auf. Geht hinein in den modernen, anthrazitgrauen Flachbau. Hier arbeitet das medizinische Personal.

Koller: "Wir machen das jedes Jahr. Wir werden komplett untersucht. Dazu gehört natürlich auch ein Belastungs-EKG auf dem Fahrrad."

Und das steht für Koller heute Morgen auf dem Programm. Zwei Stunden hat er noch bis zum Trainingsflug. Mit kurzem Händedruck begrüßt er Dr. Anke Gottschalk, auch sie trägt den grauen Flieger-Overall. Dunkelbrauner Pferdeschwanz, leichte Bräune, eine schwere Uhr am Handgelenk. Koller verschwindet kurz im Nebenraum, zieht sich um und klettert mit Turnhose und nacktem Oberkörper aufs Ergometer. Das Verkabeln beginnt.

Gottschalk: "Wir fangen wieder wie gewohnt bei 100 Watt an. Alle drei Minuten 50 Watt Steigerung. Und wenn irgendwas ist, meldest Du Dich."

Weiße Kabel kleben auf Kollers Oberkörper, die Blutdruckmanschette am rechten Arm pumpt sich auf, liefert die Werte zum angeschlossenen Computer. – Koller tritt regelmäßig in die Pedalen. Körperlich und geistig fit mussten schon die Phantom-Jet-Flieger sein. Aber der Eurofighter stellt besondere Anforderungen an die Piloten: schneller und wendiger ist das neue Waffensystem und in engen Kurven wirkt ein Vielfaches der Erdanziehungskraft auf ihren Blutkreiskauf. Gemessen wird die Kraft in "G" für "Gravitation". Und wo in der alten Phantom bis zu 6 G herrschten, müssen die Eurofighter-Besatzungen das 9fache ihres Gewichts ertragen. Und extreme Nebenwirkungen aushalten, erklärt Anke Gottschalk:

Gottschalk: "Wenn es unter einem G-Manöver zu einem Versacken des Blutes nach unten kommt, hat man eine Minderdurchblutung der Netzhaut und damit einen Sauerstoffmangel. Und das führt dazu, dass eben die Leute Farben nicht mehr erkennen, also alles sich so schwarz-weiß verfärbt. Das ist der sogenannte Grey-Out. Das passiert halt kurz bevor es zum so genannten Black-Out kommt, wo nichts mehr gesehen wird. Kurz bevor es zur Bewusstlosigkeit kommt."

Major Tom Koller nickt kurz, tritt gleichmäßig weiter. Er kennt den Grey-Out-Effekt aus der Flugpraxis und das Gefühl kurz vor dem Black-Out aus der Zentrifuge. Aber, so Koller, für alle Fälle – wenn auch der reine Sauerstoff nicht mehr hilft, den die Piloten in großen Höhen atmen – für alle Fälle bietet der Eurofighter noch den Direct-Recovery-Knopf:

Koller: "Ein Knopf, den ich drücken kann, sozusagen im letzten Moment. Als Sicherheitsfunktion. Dann würde das Flugzeug selbständig in eine Lage fliegen und sicher weiterfliegen. Und nicht sofort abstürzen."

… und dann haben die Piloten Zeit, das Bewusstsein wieder zu erlangen. Denn landen kann der Jet noch nicht alleine. – Oft kommen die Piloten mit Rückenschmerzen und Nackenverspannungen zu Anke Gottschall und manchmal auch mit kleinen roten Flecken auf der Haut: beim Kurvenflug mit knapper Schallgeschwindigkeit platzen die feinen Gefäße unter der Haut. Zurück bleiben die ungefährlichen so genannten G-Masern.

Gottschalk: "Das ist ein neues Problem, was wir in der Phantom oder auch im Tornado so eigentlich nicht gesehen haben. Weil die G-Belastung im Eurofighter doch sehr viel höher ist als wir es in der Phantom hatten."

Langsam bilden sich kleine Schweißtröpfchen auf Kollers Stirn, der Atem bleibt ruhig, der Antritt kräftig. Anfang der Achtziger Jahre - in Moskau löst gerade Juri Andropow den alten Leonid Breschnew ab – entsteht das Konzept des Eurofighters. Damals heißt das Flugzeug noch "Jäger 90". Der Feind sitzt im Osten und beeindruckt mit den fliegerischen Leistungen der MIG-29. Dieser Feind ist abhanden gekommen – trotzdem proben die Eurofighter-Piloten regelmäßig den Luftkampf, sind vorbereitet auf alle Eventualitäten. Eine global agierende Bundeswehr. - Nach zwanzig Minuten steigt Tom Koller vom Rad und Anke Gottschall ist zufrieden. Auch mit einem Kilo mehr als sonst auf den Rippen: Koller ist fit.

In einer Stunde ist der Trainingsstart angesetzt, der Pilot macht sich auf den Weg, muss sich noch umziehen. Gleich nebenan liegt die Ausrüstungskammer, die Flure sind frisch gestrichen, elektronische Zugangskontrollen verriegeln die Türen. In der Umkleide hängen aufgereiht die Helme der Piloten, mittelgrau mit braungetöntem Visier, darunter die "Anti-G-Hosen":

Koller: "Die funktioniert über Luftdruck. Luftkammern pumpen sich auf und drücken dann gegen die Beinmuskulatur im Ober- und Unterschenkelbereich und verhindern auch so das Absacken des Blutes in die Beine bei hohen G-Belastungen."

Koller hebt die fünf Kilo schwere Hose vom Bügel, streift sie über und schnürt seine Stiefel. Auch ins Oberteil sind Luftkammern und eine Schwimmweste integriert. Taschenmesser, Verbandszeug, eine Signalpistole, Notfunkgerät und Trillerpfeife trägt jeder Pilot am Mann. Falls er sich mit Schleudersitz retten und Hilfe holen muss. An der Seite hängt ein dicker Stecker am Anzug: die Schnittstelle Mensch-Maschine. –

Fünf Minuten später, auf der Kantinenterrasse: Koller trifft sich mit Staffelkapitän Jürgen Schönhöfer. Drinnen wird bei Kaffee und Kuchen der Abschied eines Kollegen gefeiert, draußen spielen Kinder auf den Sandhügeln vor dem gerade fertig gestellten Neubau. Rund 100 Millionen Euro kostet die Modernisierung des kleinsten deutschen NATO-Flughafens, allein 75 Millionen fließen in die neue Infrastruktur für den Eurofighter. Und noch läuft der Alltagsbetrieb nicht völlig rund, so Schönhöfer:

Schönhöfer: "In dieser Phase hatten wir die Umstellung F4-Eurofighter, wir haben noch nicht alle Leute umgeschult. Das dauert halt einfach. Das ist ein Prozess, der nicht von heute auf morgen geht. Und als Flyer wollen wir jeden Tag fliegen und haben aber nicht so viele Flugzeuge, wie wir haben wollen. Aber es ist ja auch normal, dass am Anfang nicht alles gleich klappt, dass nicht jedes Flugzeug jeden Tag flugklar ist. Auch da gibt es Wartungsintervalle und wie bei jeder Neueinführung – auch beim KFZ – ist es einfach so, dass mal was kaputtgeht. Auch da gibt es Rückrufaktionen. Und die gleichen Probleme haben wir derzeit beim Eurofighter."

Schönhöfer nippt am Cappuccino, kneift die Augen zusammen, die Sonne blendet. Von 34 Eurofightern, die einmal in Neuburg bereit stehen sollen, hat der Flugzeugbauer EADS erst elf geliefert. Fünf davon sind nicht einsatzbereit, es fehlt an schwer verfügbaren Ersatzteilen. Vier Maschinen sind rund um die Uhr in QRA-Bereitschaft, nur zwei bleiben übrig für das Training der Piloten. Trotzdem, so der große, sehr schlanke Schönhöfer, sei die Stimmung gut. Und der Eurofighter ein ganz besonderes Arbeitsgerät:

Schönhöfer: "Das Highlight des Eurofighters für mich sind die Leistungsdaten des Flugzeuges an sich: der Schub der Triebwerke, die Beschleunigung des Eurofighters, die Manövrierfähigkeit, die Agilität im Luftraum, das ist das, was mit persönlich am meisten gefällt."

Tom Koller nickt, rückt die Sonnenbrille zurecht, auch er schwärmt vom Eurofighter: liefert in der Phantom noch ein Waffensystemoffizier hinter dem Piloten alle wichtigen Informationen, stellt im neuen Jet modernste Computertechnik eine Daten-Flut bereit, die ein Mensch alleine gar nicht erfassen kann.

Koller: "Die Kunst besteht darin, dass man sich zum richtigen Zeitpunkt auch die richtigen Informationen im Cockpit aufruft. Und das erfordert eine ganz neue Art der Fliegerei, die mentale Organisation im Cockpit spielt jetzt viel mehr eine Rolle als das früher der Fall war."

Viel mehr können die Piloten nicht verarbeiten. Denn nebenbei müssen sie den Kampfjet noch lenken, die richtigen Raketen per Stimme aktivieren und abfeuern, den Funkverkehr abhören und den Überblick behalten. Dabei ab und zu die neunfache Erdanziehungskraft aushalten. Bei rund 2500 Kilometern pro Stunde. Schneller unterwegs als eine Gewehrkugel. – Koller und Schönhöfer stehen auf, die Helme unterm Arm, müssen los zum Trainingseinsatz. Der kommt früher als geplant, aus der Ferne hören sie die Sirene. Ein olivgrüner Bulli steht bereit, die Fahrt geht los, quer übers Gelände, mit Warnblinker.

Koller: "Wir fahren jetzt zu einem der Flugzeugschutzbauten, in denen die Eurofighter stehen. Das nennt sich Flugzeug-Shelter. Das sind im Endeffekt Bunker, halbe Röhren, die überirdisch sind, die mit Gras bewachsen sind. Die haben eine sehr dicke Betonschicht. Schützt die Flugzeuge vor Bombenangriffen."

Kurz vor den Flugzeughallen hält der Bus auf einem Metallgitter, der Fahrer springt aus dem Bus, kontrolliert die Reifenprofile, sucht nach kleinen Steinchen. Die könnten ins Triebwerk eines vorbeirollenden Jets gesaugt werden und erheblichen Schaden anrichten. Zusätzlich dreht ein Straßensauger seine Runden, der Asphalt ist fast staubfrei. Rechts und links der Fahrbahn liegen die Shelter: die schweren Stahltore sind aufgeschwenkt: mit offenem Kabinendach stehen die mattgrauen Eurofighter bereit.

Tom Koller und Jürgen Schönhöfer laufen im Trab zu ihren Jets, zwei Techniker checken noch einmal alle Systeme, inspizieren geduckt die Unterseite des 6 Meter breiten und 16 Meter langen Fliegers. Im Ernstfall sind hier die Luft-Luft-Raketen eingeklinkt, sieben Tonnen kann der Jet tragen. Koller erklimmt die steile Leiter in die Kanzel, stützt sich rechts und links ab, gleitet in den Sitz.

Koller: "Wenn ich mich im Cockpit befinde, werde ich zunächst mal das Dach schließen, die APU, also das Stromaggregat hochlaufen lassen, danach sofort die Triebwerke starten. Während der Startvorgang läuft, schnalle ich mich im Cockpit an, setze meinen Helm auf. Und empfange dann kurz danach schon die ersten Befehle über Funk."

Tom Koller schaut hinunter zu den Fluggerätemechanikern, beide nicken und der Pilot schnallt sich an. Er drückt einen der unzähligen Schalter, mit dem Warnton schließt sich das Dach des Eurofighters, Koller setzt den Helm auf, stöpselt die Stecker an seinem Fliegeranzug in die Anschlüsse im Cockpit. Der Jet versorgt die Piloten mit Informationen und Sauerstoff und mit Druckluft für den Anzug. Vollautomatisch pumpt der Jet Hose und Weste auf, je nachdem wie hoch die Fliehkräfte werden. Behindert das Absacken des Blutes, schützt vor Grey-Out und Black-Out. - Fest verschlossen ist die Kabine, Koller drückt Knöpfe, dreht an Reglern, kontrolliert die Anzeigen. Hebt kurz die Hand, verabschiedet sich. Unten rollen die Mechaniker die Leiter zur Seite, heben die Hände, Daumen nach oben: Tom Koller schiebt den Schubhebel nach vorn.

Ganz sachte setzt sich der Jet in Bewegung, rollt aus dem Shelter, biegt links ab Richtung Rollfeld. Dicht gefolgt vom zweiten Jet, gesteuert von Jürgen Schönhöfer.

Zwei Minuten später sind beide in der Luft, je 16 Tonnen Hochtechnologie heben mit 350 Kilometern pro Stunde ab, gewinnen schnell an Höhe, sind kaum noch zu sehen. Zwei Stunden Training für den Ernstfall.

Am anderen Ende der Luftwaffenbasis steht der zweite Chef des Geschwaders Rede und Antwort: Oberstleutnant Hans Köck, stellvertretender Commodore. Ein trainierter Mittfünfziger in dunkelblauer Uniform, mit festem Händedruck. Grauer Bürstenhaarschnitt, wache Augen.

Köck: "Herzlich willkommen im Jagdgeschwader 74. Ich weiß: es ist für jemanden, der die Bundeswehr oder einen Einsatzverband nicht kennt, misslich oder hemmend in ihrer Arbeit …"

Hans Köck erklärt, warum ein paar Bereiche des Geschwaders der Geheimhaltung unterliegen: eine Vorgabe der NATO, seit Einführung des Eurofighters.

Wasser und Saft, Kaffee und Tee stehen auf dem blauen Plastiktisch im Innenhof des Offizierskasinos, junge Soldaten in weißen Hemden servieren Gebäck. Zusammen mit dem Geschwaderchef leitet Hans Köck alle Umbau- und Modernisierungsarbeiten auf dem Stützpunkt. Und er darf Stellung nehmen zu Themen, die in Interviews mit den Piloten tabu sind.

Köck: "Die Aufgaben der Abfangrotte, oder dieser Quick-Reaction-Alert, QRA-NATO, ist eben nun mal: abzufangen, identifizieren, abdrängen oder: bekämpfen. Es ist eine gewisse Eskalationsstufe, die wir uns vorbehalten, aufgrund gewisser Befehlslagen. Und die werden wir dann auch dementsprechend durchführen. Selbstverständlich sind wir am liebsten dabei, das Ding abzufangen, zu identifizieren und dann hört der Auftrag auf. Wir müssen aber trainieren und gewappnet sein, dass dieser Auftrag weitergeht."

Köcks Hände ruhen auf den Armlehnen, die Beine übereingeschlagen. Seit Ende 2007 ist es schwierig, mit Luftwaffenangehörigen über den Worst-Case zu sprechen. Damals erklärt Verteidigungsminister Franz-Josef Jung: Im Ernstfall will er den Piloten den Abschussbefehl geben. Seine Logik: Lieber Feuer frei auf voll besetzte Ferienflieger als Stillhalten und Zuschauen, beim Crash in dicht besiedelte Innenstädte. Jung weiß: das Bundesverfassungsgericht sieht das anders, aber er bleibt hart. Die Frage, ob Jungs Abschussbefehl verweigert werden soll oder nicht, ist unter den Piloten heiß diskutiert. Jeder, sagt Hans Köck und leert seine Kaffeetasse, hat hier eine Meinung zu dem Thema. Auf Befehl und Gehorsam, glaubt er, lässt sich die Frage nicht reduzieren:

Köck: "Ich glaube, so einfach ist es nicht: Befehl und Gehorsam. Es ist bestimmt ein Grundgerüst dieser ganzen Entscheidung. Aber wie wir am Anfang schon gesagt haben, ist jeder verantwortlich dafür, die Entscheidung zu treffen. Und selbstverständlich wird der Pilot nicht anfangen, wenn er gewisse Weisungen kriegt, sich dann erst Gedanken darüber zu machen. Die Jungs haben sich diese Gedanken schon gemacht. Das ist ein Zentralbereich unseres Berufes."

Aber die Frage, was er seinen Piloten im Ernstfall rät – den Abschussbefehl auszuführen oder verweigern – diese Frage lässt Köck unbeantwortet. Mit einer Hand streicht er sich durchs graue Haar, verweist auf die Unwägbarkeiten eines Terror-Szenarios am Himmel. Vor allem, so Köck, ist fraglich, wie schnell die Piloten an einen gekaperten Jet herankommen, wie schnell die NATO und der Verteidigungsminister reagieren:

Köck: "Es wird für keinen Fall eine 100-prozentige Garantie geben. Hier kommt es eben drauf an, wie schnell kann man mich an das Flugzeug heranführen. Und dann kommt es auf die Auftragslage drauf an. Eine Garantie für irgendetwas werden sie nie bekommen. Wir sind dort in Grenzbereichen des menschlichen Handelns. Der Entscheidungsträger muss auf viele Dinge Rücksicht nehmen, so dass auch diese Entscheidung eine gewisse Zeit braucht. Darum kann nie bestimmt werden, wie lange das dauert, wann es geschieht und ob es geschieht."

Köck zuckt mit den Schultern, zieht die Brauen hoch. Ein Beispiel: Der Passagierjet von Basel nach Zürich ändert auf Höhe Innsbruck plötzlich den Kurs, rast mit 900 Stundenkilometern auf München zu. Sechs Minuten später wäre er da. Sechs Minuten, in denen erst die zivile Luftraumüberwachung reagieren muss, dann die militärische, die NATO, die Neuburger Piloten und auch der Verteidigungsminister. Eine "Mission impossible", denkbar in etlichen Varianten am weiten Himmel über Deutschland. Der stellvertretende Commodore wirft einen Blick auf die Armbanduhr, die Zeit drängt, auch er muss noch fliegen. Nicht Eurofighter, sondern die betagte F-4-Phantom, draußen wartet sein Fahrer.

Köck: "Es steht an: eine einzelne F-4. Wir gehen raus Richtung Norden, dann östlich von hier. Erwarten dort Ziele von einer anderen Basis, werden die übungsmäßig im unteren Luftband abfangen. Und nach einer Stunde vierzig circa werden wir am Flughafen Köln-Bonn landen. Hat auch einen militärischen Teil: dort ist das Luftwaffenführungskommando und ich gehe dort zu einer Besprechung. Und danach geht es wieder nach Hause mit einer ähnlichen Aufgabe. Spart Geld, Zeit und bringt auch noch Training."

Langsam rollt der dunkelblaue Bundeswehr-Kombi vor den Phantom-Shelter, Hans Köck greift sich seine Fliegermontur, verabschiedet sich in den Einsatz. Er steigt aus, geht mit schnellen Schritten in Richtung Flugzeug, die Techniker grüßen militärisch. – Noch bevor Köck startet, kehren Jürgen Schönhöfer und Tom Koller zurück. Lenken die Eurofighter in ruhigem Tempo über den Asphalt. Parken vor den Sheltern und öffnen das Cockpit. Koller streift den Helm und die weißen Handschuhe ab. Die nassgeschwitzten Haare kleben auf der Stirn, Druckstellen säumen sein Gesicht.

Koller: "Ja. Wir haben also ein Flugzeug angefangen. Dieses Flugzeug hat simuliert, dass es keinen Funkkontakt zur Bodenstation hat. Wir waren innerhalb von zwölf Minuten in der Luft. Wir haben uns diesem Flugzeug dann angenähert, haben mit dem eigenen Radar dann den Endanflug durchgeführt, haben dieses Flugzeug identifiziert. Wir haben ihn dann zurück nach Neuburg geführt. Und hätten ihn dann hier simuliert zu einer sicheren Landung gebracht."

Koller wischt sich mit dem Ärmel über die Stirn, fährt die Triebwerke herunter, klettert aus dem Jet, die Leiter hinunter.

Zwanzig Minuten später sind beide Piloten geduscht, haben wieder ihre grauen Overalls an, entspannen in der Nachmittagssonne, auf der Kantinenterrasse. Die körperlichen Strapazen und die ständige Grundanspannung beim QRA-Bereitschaftsdienst nehmen Koller und Schönhöfer gern in Kauf. Der Stolz und die Herausforderung sind einfach größer:

Schönhöfer: "Ich denke, jeder Pilot ist stolz auf das Jagdflugzeug, das er fliegt. Wenn sie die F-4-Jungs fragen, werden sie auch antworten, dass sie stolz auf ihre Waffe sind. Dieser Waffenstolz, der muss einfach da sein. Und natürlich bin ich stolz drauf, dass zu fliegen!"

Koller: "Natürlich gehört ein gewisser Stolz dazu, zu den ersten zu gehören, die das neue Waffensystem fliegen. Ich sag mal: man spürt eine völlig neue Dimension, man erfährt eine neue Welt, wenn es um die Leistungsfähigkeit des Flugzeugs geht."

Die beiden Piloten lehnen sich zurück, Koller massiert sich mit der rechten Hand den Nacken, Schönhöfer schwärmt von den Möglichkeiten des neuen Jets. Der kommt nach 25 Jahren Planungszeit langsam bei der Bundesluftwaffe an und muss seine Kinderkrankheiten und Ersatzteilprobleme erst noch bewältigen. Die Faszination bleibt, bei den Piloten in Neuburg und bei den Plane-Spottern auf dem Acker, hinter dem Maschendrahtzaun:

Plane-Spotter: "Gut: der Sinn dieser Kampfjets, den lassen wir mal dahingestellt. Aber die Technik fasziniert mich. Der Eurofighter, der braucht 250 Meter und da geht der senkrecht hoch. Und dann diese High-Performance-Take-Offs … Das ist schon gigantisch. Mit Afterburner dazu … Ja: da lacht das Spotter-Herz!"