Die Lübecker Märtyrer

Von Michael Hollenbach · 18.06.2011
Wegen ihres Widerstands gegen das Hitler-Regime sind die Kapläne Johannes Prassek, Eduard Müller und Hermann Lange hingerichtet worden. Am Samstag wurden sie selig gesprochen. Dem Vierten im Bunde, dem evangelischen Pastor Karl Friedrich Stellbrink, wird diese Ehre nicht zuteil.
Der Lübecker Historiker Peter Voswinckel ist überzeugt: wenn man die letzten Briefe von Johannes Prassek, Eduard Müller, Hermann Lange und Karl Friedrich Stellbrink liest, muss man sie wegen ihres Gottvertrauens als Märtyrer bezeichnen. Dieser Begriff wird seit dem 11. September vor allem mit Selbstmordattentätern und deren Verherrlichung durch radikale Muslime assoziiert. Hamburgs Erzbischof Werner Thissen erklärt die Bedeutung des Märtyrers im Christentum:

"Ein Märtyrer kann keine Gewalt anwenden, wo Gewalt angewandt wird, dann können wir nicht von Martyrium sprechen. Ein christlicher Märtyrer, der will auch nicht sterben, der will leben. Aber wichtiger als sein Leben ist Gott und das Sich-Verhalten nach den Geboten Gottes."

Doch ein Pfarrer wie Karl Friedrich Stellbrink hat sich nicht immer nach den Geboten Gottes verhalten. Der evangelische Theologe war lange ein glühender Nationalsozialist, der völkisch-rassistische Positionen vertrat. Kann so jemand ein Märtyrer sein, kann er als Vorbild dienen? Der frühere Lübecker Bischof Karl Ludwig Kohlwage:

"Das ist eine interessante Frage: Muss die Vorbildlichkeit makellos sein, darf sie nicht getrübt werden durch Häresien und ideologische Verfehlungen, wie sie bei Stellbrink zu beobachten sind? Am Beispiel Paulus: Paulus war ein Verfolger der Christen und hat sich gewandelt zu dem großen Apostel des Evangeliums. Also: Wandel gibt es, das ist grundsätzlich eine Möglichkeit der Menschen, und Stellbrink hat diese Option ergriffen, im entscheidenden Augenblick hat er nicht gewackelt. Und ist so Märtyrer und Zeuge geworden."

In den Augen von Karl Ludwig Kohlwage ist Stellbrink ein Märtyrer, der für seinen Glauben in den Tod ging. Doch ein Seliger nach katholischem Verständnis kann er nicht sein. Selig werden ab kommenden Sonnabend aber seine einstigen Mitstreiter Johannes Prassek, Hermann Lange und Eduard Müller sein: Selige der katholischen Kirche, weil sie wegen ihres Glaubens ein Martyrium durchlitten haben und weil sie lokal – in Lübeck und Hamburg – verehrt werden.

"Ja, was sind Selige?"

Fragt sich der katholische Lübecker Probst Franz Mecklenfeld.

"Seligkeit heißt, dass sie in den Gebeten, in den Gottesdiensten benannt werden, mit denen wir über den Tod hinaus verbunden sind, mit denen wir zusammen beten, von denen wir erhoffen dürfen, dass Gott sie verherrlicht."

Das bedeutet: in den Messen wird nicht für die Seligen gebetet, sondern mit ihnen und durch sie Fürsprache bei Gott gehalten. Auch die evangelische Kirche lehnt Selige und Heilige nicht grundsätzlich ab, betont Gerhard Ulrich, der leitende Bischof der Nordelbischen Kirche.

"Allerdings gibt es doch einen Unterschied: Wir glauben, dass die Kirche die Gemeinschaft der Heiligen ist, und dass nicht die Kirche selig spricht, sondern dass Gott der Handelnde ist. Deshalb brauchen wir keine eigene Form der Seligsprechung, das ist geschehen durch die Taufe. Die Seligsprechung ist dokumentiert in Matthäus 5 in der Bergpredigt."

Dort heißt es:

"Selig sind die, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie werden satt werden. Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Erbarmen finden. Selig sind die, die Frieden stiften; denn sie werden Kinder Gottes genannt werden. Selig sind die, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihnen gehört das Himmelreich."

Dazu Gerhard Ulrich:

"Das ist die Seligsprechung, die durch nichts zu überbieten ist."

Alt-Bischof Karl-Ludwig Kohlwage kann der katholischen Form der Seligsprechung aber durchaus etwas abgewinnen:

"Es ist eine sehr verbindliche Form der Erinnerung, die die katholische Kirche sich mit solchen Akten geschaffen hat, und die evangelische Kirche muss sich durchaus überlegen, ob wir mal einen Kalender von Menschen verbindlich schaffen, von Menschen, derer gedacht wird in regelmäßiger Form, wo es nicht dem Zufall überlassen bleibt, ob dieses Gedenken wach ist oder einschläft, sondern es hat einen offiziellen Rang in der Kirche. Mit dem Gedanken könnte ich mich durchaus anfreunden."

Doch noch werden nur die drei widerständigen Katholiken selig gesprochen – ein Wermutstropfen? Denn das Außergewöhnliche der vier Lübecker: sie handelten ökumenisch, als noch niemand von Ökumene sprach. Das Bemühen der katholischen Kirche, das ökumenische Band durch die Seligsprechung der drei katholischen Geistlichen nicht zu zerschneiden, ist unübersehbar. Wohl einmalig in der Geschichte der Seligsprechung: sie ist in Lübeck durch einen ökumenischen Arbeitskreis vorbereitet worden. Selbst der Vatikan sei bemüht, den evangelischen Pastor Karl Friedrich Stellbrink in die Feierlichkeiten mit einzubeziehen, sagt Gerhard Ulrich, der wohl als erster evangelischer Bischof an einer katholischen Seligsprechung beteiligt sein wird:

"Es wird am Vorabend der Seligsprechung in der Lutherkirche, in der ja Stellbrink gepredigt hat, einen Gottesdienst geben, in dessen Mittelpunkt das Gedenken an Pastor Stellbrink steht, und an diesem Gottesdienst werden die Kardinäle Amato und Walter Kasper teilnehmen, und Walter Kasper wird sich mit mir die Predigt teilen wie auch umgekehrt am Tag darauf zur Seligsprechung der drei Kapläne ich ein geistliches Wort sprechen werde, so dass die Brücke hergestellt wird und auch öffentlich sichtbar wird: Nein, die Vier gehören zusammen."