Die Liebe kommt, die Liebe geht
"Denk ich an Deutschland in der Nacht, / So bin ich um den Schlaf gebracht." Heinrich Heine dichtete so, von Paris aus, wo er lebte. Er meinte aber gar nicht Deutschland als solches, sondern seine kranke Mutter dort. Heute möchte man die schönen Verse abwandeln und sagen: "Denk ich an Frankreich in der Nacht ..."
Und damit meine ich nun, von Deutschland aus gesehen, das Verhältnis zwischen unseren Ländern jetzt - im melancholischen Blick darauf, wie es einmal war. Es ist der Kummer vieler, die jetzt 60 oder 70 sind. Was ist geworden, politisch, aber auch allgemein kulturell, aus dem, was früher unser Denken und Fühlen so stark bestimmte?
Zunächst: Das kulturell eigentlich Interessante kam uns Deutschen damals, nach 45, aus Frankreich. Nicht aus den USA. Erst kürzlich hat der Literarhistoriker Karl-Heinz Bohrer emphatisch daran erinnert. Sartre, Camus, Gide, Valéry, Bernanos, Mauriac, Giraudoux, Anouilh ...
Dann die großen Filme, die unvergesslichen Schauspieler und Schauspielerinnen, und unter den Letzteren denke ich nicht zuerst an die - mon Dieu! - schon ziemlich hinreißende Brigitte Bardot ...
Und im Politischen wussten wir eines ganz sicher: Das Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich muss wieder in Ordnung kommen - ganz und gar. Es war für uns - und dies war es ja auch - der Kern des entstehenden Europas. Da konnten wir anknüpfen an die alte Liebe zu Frankreich, wie sie schon unsere Väter und Großväter bestimmte. Die brachten es allerdings fertig, diese Frankophilie mit der Meinung seltsam zu verbinden, man müsse eben von Zeit zu Zeit, da helfe nun einmal alles nichts, gegen das aufmüpfige Nachbarland einen Krieg führen.
Sogar die Kulturpolitik des Nazireichs im besetzten Frankreich war, jedenfalls fürs Erste und, was die nicht ungebildeten, also auch frankophilen, deutschen Exponenten dort anging, nicht einfach schlecht. Einer von ihnen war Friedrich Sieburg, dessen Buch "Gott in Frankreich" so viele kultivierte Deutsche geprägt hat, weil es schon vor ihm in ihnen war. André Gide notierte damals gar, zu Beginn der Besetzung in seinem Tagebuch: "Im Ganzen verhält sich das deutsche Militär ziemlich korrekt", "Somme toute, l’armée allemande est assez correcte". Ein Deutscher, der damals als sehr junger Offizier dabei war, sagte mir einmal, allerdings nach einigen Gläsern Rotwein, als ich dazu Fragen stellte: "Ach, Herr Gauger, ich will Ihnen was sagen - wir haben dieses Land behandelt wie eine Geliebte!" Und fiel in sinnierendes Schweigen. Meine Bemerkung "Das hat die Geliebte aber nicht immer gemerkt", erreichte ihn schon nicht mehr. Wer das sagte, war wirklich nun nicht irgendjemand. Es war der (längst verstorbene) hochverdiente Hans Paeschke, Herausgeber der noch immer glanzvollen Zeitschrift "Merkur" mit dem schönen und für die Zeit, als er sie gründete, 1947, kennzeichnenden Untertitel: "Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken".
Genau das war es: Wir wollten ein europäisches Deutschland, und dazu gehörte zuerst Frankreich. Und in Frankreich? Nun, da entsprach unserer Haltung die eher rationale, aber doch auch emotional getragene und jedenfalls ganz richtige Erkenntnis: Wir dürfen diesmal die Fehler, die wir 1918 gegenüber Deutschland gemacht haben, keinesfalls wiederholen. Und diese Stimmen kamen vor allem aus der vormaligen Résistance. Der sehr junge Alfred Grosser, mit seinen deutschen Eltern aus Frankfurt nach Frankreich geflohen, wo er irgendwie überlebte, gehörte zu ihnen. Es entstand rasch - der trocken visionäre französische Politiker Robert Schuman war hier überaus wichtig - die deutsch-französische Freundschaft. Einer ihrer deutschen Protagonisten, der große Rhetor Carlo Schmid, selbst halber Franzose, sagte damals schon sehr früh, sie sei "unumkehrbar" - aber er sagte es französisch: "Cette amitié est irréversible".
Und sie besteht ja auch noch, diese Freundschaft. Aber so, dass sie diejenigen, die sie von früher kennen, betrübt. Konrad Adenauer und Charles de Gaulle in der Kathedrale von Reims; Valéry Giscard d’Estaing und Helmut Schmidt, eine ganz persönliche enge Freundschaft, die durch beider Langlebigkeit bis heute andauert; dann François Mitterand und Helmut Kohl (nicht nur Franzosen erinnern sich noch gerührt an Kohls dicke Träne beim Trauerakt in Notre-Dame); auch noch Jacques Chirac und Gerhard Schröder - "Herr Doktor!" und "Jeune homme!", redete Chirac den Jüngeren freundlich ironisch an - verstanden sich schließlich gut und durchaus nicht nur gegen George W. Bush.
Und heute? Der leidenschaftlich aktive, etwas fahrig allgegenwärtige und ständig redende (und offenbar wenig zuhörende) Egozentriker Nicolas Sarkozy stellt dezidiert Frankreichs Interessen voran. Vielleicht ist er auch nicht ganz frei von antideutschen Ressentiments. Jedenfalls hat er sie, was seine Vorgänger nie taten, im Wahlkampf kräftig bedient. Und bei uns die, wenn nicht geheimnisvolle, so doch rätselhaft ungreifbare, kühl gerissene und fast wie herzlos wirkende Frau aus dem Osten, von welcher, außer vielleicht Professor Sauer, keiner weiß, was ihr wirklich wichtig ist. Frankreich jedenfalls scheint ihr so wichtig nicht zu sein. Und sie versteht auch nichts davon. Und zu konzedieren ist ja, dass die Zeiten und damit auch die Wichtigkeiten sich geändert haben.
Dass auch etwa Polen wichtig ist, wussten bereits Willy Brandt und Helmut Schmidt. Immerhin redeten, noch im Blick auf das letzte große Treffen kürzlich, etwa die spanischen Medien, was sie gerne tun, grimmig von der "Achse Paris-Berlin", von der man schon auch wissen muss, dass sie, im Süden Europas speziell, manche ärgert. Und was die Briten angeht, wussten wir immer, was seinerzeit de Gaulle so schön gesagt hatte: "Wenn es ernst wird, werden sie sich immer für den Atlantik, für Nordamerika, entscheiden." Französisch klingt das abstrakter und unübersetzbar viel schöner: "Dans le cas échéant, ils prendront toujours le large." Doch wie immer: Frankreich bleibt wichtig. Ich spreche zu Ihnen aus Freiburg im Breisgau. Der damalige Oberbürgermeister dieser Stadt, Rolf Böhme, sagte, als die Franzosen nach langer Zeit abzogen: "Wir müssen diese Freundschaft hüten wie unseren Augapfel!". Pathetisch gesagt, aber - genau so ist es.
Hans-Martin Gauger, Jahrgang 1935, war bis 2000 Inhaber eines Lehrstuhls für Romanistik an der Universität Freiburg. 1981/82 war er Stipendiat am Wissenschaftskolleg in Berlin. Er ist Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, deren Vizepräsident er war. Gauger war Prorektor der Uni Freiburg und Vorstandsvorsitzender des Frankreich-Zentrums. In Freudenstadt, also im württembergischen Teil des Schwarzwalds geboren, sagt er über Dichter, dass sie noch komplizierter als Professoren seien.
Zunächst: Das kulturell eigentlich Interessante kam uns Deutschen damals, nach 45, aus Frankreich. Nicht aus den USA. Erst kürzlich hat der Literarhistoriker Karl-Heinz Bohrer emphatisch daran erinnert. Sartre, Camus, Gide, Valéry, Bernanos, Mauriac, Giraudoux, Anouilh ...
Dann die großen Filme, die unvergesslichen Schauspieler und Schauspielerinnen, und unter den Letzteren denke ich nicht zuerst an die - mon Dieu! - schon ziemlich hinreißende Brigitte Bardot ...
Und im Politischen wussten wir eines ganz sicher: Das Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich muss wieder in Ordnung kommen - ganz und gar. Es war für uns - und dies war es ja auch - der Kern des entstehenden Europas. Da konnten wir anknüpfen an die alte Liebe zu Frankreich, wie sie schon unsere Väter und Großväter bestimmte. Die brachten es allerdings fertig, diese Frankophilie mit der Meinung seltsam zu verbinden, man müsse eben von Zeit zu Zeit, da helfe nun einmal alles nichts, gegen das aufmüpfige Nachbarland einen Krieg führen.
Sogar die Kulturpolitik des Nazireichs im besetzten Frankreich war, jedenfalls fürs Erste und, was die nicht ungebildeten, also auch frankophilen, deutschen Exponenten dort anging, nicht einfach schlecht. Einer von ihnen war Friedrich Sieburg, dessen Buch "Gott in Frankreich" so viele kultivierte Deutsche geprägt hat, weil es schon vor ihm in ihnen war. André Gide notierte damals gar, zu Beginn der Besetzung in seinem Tagebuch: "Im Ganzen verhält sich das deutsche Militär ziemlich korrekt", "Somme toute, l’armée allemande est assez correcte". Ein Deutscher, der damals als sehr junger Offizier dabei war, sagte mir einmal, allerdings nach einigen Gläsern Rotwein, als ich dazu Fragen stellte: "Ach, Herr Gauger, ich will Ihnen was sagen - wir haben dieses Land behandelt wie eine Geliebte!" Und fiel in sinnierendes Schweigen. Meine Bemerkung "Das hat die Geliebte aber nicht immer gemerkt", erreichte ihn schon nicht mehr. Wer das sagte, war wirklich nun nicht irgendjemand. Es war der (längst verstorbene) hochverdiente Hans Paeschke, Herausgeber der noch immer glanzvollen Zeitschrift "Merkur" mit dem schönen und für die Zeit, als er sie gründete, 1947, kennzeichnenden Untertitel: "Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken".
Genau das war es: Wir wollten ein europäisches Deutschland, und dazu gehörte zuerst Frankreich. Und in Frankreich? Nun, da entsprach unserer Haltung die eher rationale, aber doch auch emotional getragene und jedenfalls ganz richtige Erkenntnis: Wir dürfen diesmal die Fehler, die wir 1918 gegenüber Deutschland gemacht haben, keinesfalls wiederholen. Und diese Stimmen kamen vor allem aus der vormaligen Résistance. Der sehr junge Alfred Grosser, mit seinen deutschen Eltern aus Frankfurt nach Frankreich geflohen, wo er irgendwie überlebte, gehörte zu ihnen. Es entstand rasch - der trocken visionäre französische Politiker Robert Schuman war hier überaus wichtig - die deutsch-französische Freundschaft. Einer ihrer deutschen Protagonisten, der große Rhetor Carlo Schmid, selbst halber Franzose, sagte damals schon sehr früh, sie sei "unumkehrbar" - aber er sagte es französisch: "Cette amitié est irréversible".
Und sie besteht ja auch noch, diese Freundschaft. Aber so, dass sie diejenigen, die sie von früher kennen, betrübt. Konrad Adenauer und Charles de Gaulle in der Kathedrale von Reims; Valéry Giscard d’Estaing und Helmut Schmidt, eine ganz persönliche enge Freundschaft, die durch beider Langlebigkeit bis heute andauert; dann François Mitterand und Helmut Kohl (nicht nur Franzosen erinnern sich noch gerührt an Kohls dicke Träne beim Trauerakt in Notre-Dame); auch noch Jacques Chirac und Gerhard Schröder - "Herr Doktor!" und "Jeune homme!", redete Chirac den Jüngeren freundlich ironisch an - verstanden sich schließlich gut und durchaus nicht nur gegen George W. Bush.
Und heute? Der leidenschaftlich aktive, etwas fahrig allgegenwärtige und ständig redende (und offenbar wenig zuhörende) Egozentriker Nicolas Sarkozy stellt dezidiert Frankreichs Interessen voran. Vielleicht ist er auch nicht ganz frei von antideutschen Ressentiments. Jedenfalls hat er sie, was seine Vorgänger nie taten, im Wahlkampf kräftig bedient. Und bei uns die, wenn nicht geheimnisvolle, so doch rätselhaft ungreifbare, kühl gerissene und fast wie herzlos wirkende Frau aus dem Osten, von welcher, außer vielleicht Professor Sauer, keiner weiß, was ihr wirklich wichtig ist. Frankreich jedenfalls scheint ihr so wichtig nicht zu sein. Und sie versteht auch nichts davon. Und zu konzedieren ist ja, dass die Zeiten und damit auch die Wichtigkeiten sich geändert haben.
Dass auch etwa Polen wichtig ist, wussten bereits Willy Brandt und Helmut Schmidt. Immerhin redeten, noch im Blick auf das letzte große Treffen kürzlich, etwa die spanischen Medien, was sie gerne tun, grimmig von der "Achse Paris-Berlin", von der man schon auch wissen muss, dass sie, im Süden Europas speziell, manche ärgert. Und was die Briten angeht, wussten wir immer, was seinerzeit de Gaulle so schön gesagt hatte: "Wenn es ernst wird, werden sie sich immer für den Atlantik, für Nordamerika, entscheiden." Französisch klingt das abstrakter und unübersetzbar viel schöner: "Dans le cas échéant, ils prendront toujours le large." Doch wie immer: Frankreich bleibt wichtig. Ich spreche zu Ihnen aus Freiburg im Breisgau. Der damalige Oberbürgermeister dieser Stadt, Rolf Böhme, sagte, als die Franzosen nach langer Zeit abzogen: "Wir müssen diese Freundschaft hüten wie unseren Augapfel!". Pathetisch gesagt, aber - genau so ist es.
Hans-Martin Gauger, Jahrgang 1935, war bis 2000 Inhaber eines Lehrstuhls für Romanistik an der Universität Freiburg. 1981/82 war er Stipendiat am Wissenschaftskolleg in Berlin. Er ist Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, deren Vizepräsident er war. Gauger war Prorektor der Uni Freiburg und Vorstandsvorsitzender des Frankreich-Zentrums. In Freudenstadt, also im württembergischen Teil des Schwarzwalds geboren, sagt er über Dichter, dass sie noch komplizierter als Professoren seien.