"Die letzten Gigolos"

Das Kino entdeckt die Alten

MS Traumschiff Deutschland in Nordnorwegen.
Hier tummeln sich die "Bestager": Das "Traumschiff", die MS Deutschland. © picture-alliance / dpa / Hinrich Bäsemann
Wolfgang Martin Hamdorf im Gespräch mit Susanne Burg · 31.01.2015
"Die letzten Gigolos" kommt in die Kinos, ein Dokumentarfilm über Rentner, die sich als "Gentleman Hosts" auf Kreuzfahrtschiffen etwas hinzuverdienen, indem sie ältere Damen bespaßen. Der Streifen ist in guter Gesellschaft: Auf der Leinwand findet mit Macht ein Generationenwechsel statt.
"Meine Zeit sind so circa zwei Wochen im Jahr, die nur mir gehören. Und die tun mir auch sehr gut und das geniess ich in vollen Zügen. Einfach mal für zwei Wochen Single zu sein, tun und lassen zu können, was man will. Das ist ein sehr schönes Gefühl und das genieß ich, das ist ein Stück Freiheit."

Susanne Burg: "Die letzten Gigolos“ ist ein Dokumentarfilm, der gerade im Kino angelaufen ist – und der Regisseur Stephan Bergmann begleitet darin zwei alleinstehende Rentner, die auf dem Kreuzfahrtschiff als "Gentleman Host“ angeheuert haben. Unser Filmkritiker Wolfgang Martin Hamdorf ist jetzt im Studio. Herr Hamdorf, wer sind diese Gentlemen Hosts?
W. M. Hamdorf: Das sind ältere Herren, die den Bordalltag festlicher und unterhaltsamer gestalten sollen, "Gentlemen Host“ nennt man das auch. Gigolos, das sind ja vom ursprünglichen Wortsinn her Eintänzer, also Animateure, hier sind es zwei Rentner, die sich etwas Geld auf einem Kreuzfahrtschiff dazu verdienen und der Einsamkeit zu Hause entfliehen. Sie sollen die vergnügungsfreudigen Frauen ab 60 unterhalten, tanzen Tango und Cha Cha Cha und sind intelligente und anregende Gesprächspartner. Es wird getanzt, es wird geflirtet, aber mögliche Erotik bleibt im förmlichen, stilvollen Rahmen. Die Aufgabe der beiden Herren ist aufzupassen, dass sich niemand an Bord einsam fühlt. Darin sieht der 74-jährige Peter Nemela seinen eigentlichen Job:

O-Ton Film/ Peter Nemela: Grundsätzlich ist ja nichts verboten, nur manches ist nicht erlaubt. (lacht) Das ist ein Unterschied. Und sicherlich findet Sexualität bis ins hohe Alter statt. Aber nur dann, wenn man eben einen sympathischen Partner hat, der mit einem da auch gut kommuniziert. Aber ansonsten muss man jetzt nicht diesen Wahn verfolgen "Ich muss alles noch mitmachen!“ Man muss lernen, was demütiger zu werden und sich auf sein Alter eben abzustimmen.

Burg: Peter Nemela, einer der Gentlemen Hosts, die zu Wort kommen in dem Film "Die letzten Gigolos“. Stephan Bergmann hat sie begleitet. Was interessiert ihn an diesen Personen und ihrer Arbeit?
Liebenswert altmodisch
W. M. Hamdorf: Der Film hat etwas liebenswert altmodisches. Man beobachtet wie die beiden Herren sich für die festlichen Abende vorbereiten, mit verschiedenfarbigen Krawatten für unterschiedliche Anlässe, wie sie in ihrer ebenso heiteren wie höflichen Art über ihre Arbeit und ihr Leben reflektieren. Für den 34-jährigen Regisseur Stephan Bergmann hatte die ganze Kreuzfahrt auch etwas von einem Zeitsprung, zurück in ein Grandhotel der 20er Jahre.

O-Ton/ Stephan Bergmann: Ja, das Schiff ist natürlich auch großartig als Dokumentationsort, weil es ist ja so ein schwimmender Mikrokosmos, so eine kleine Stadt, so ein Dorf, das durch die Welt schippert und wo ja auch die Leute nicht runter können. Da freut man sich natürlich sowohl als Dokumentarist, als auch, glaube ich, als jemand, der jemanden kennen lernen will, weil es ja so ein kleiner Ort ist, wo man wie in einem Dorf eine Infrastruktur hat, weiß, wo was ist und das ist natürlich einfach an sich ein Kreuzfahrtschiff oder ein Schiff an sich ist ein ganz toller cineastischer Ort.

Burg: Stephan Bergmann sagt, es ist ein Mikrokosmos – wie gut gelingt es ihm denn, diesen Mikrokosmos in seinem Film einzufangen?

W.M.Hamdorf: Es ist ein sehr schöner Dokumentarfilm, weil er eine sehr große Nähe zu seinen Protagonisten entwickelt und die plaudern auch sehr natürlich über Einsamkeit, Alter, aber auch Lebensfreude.

O-Ton/ Stephan Bergmann: Ja, das war natürlich auch das Glück, dass das auch Leute waren, oder Passagierinnen waren, die auch einfach so offen waren, da auch vor der Kamera einfach ihr Ding zu machen. Ich denke, man hätte natürlich auch Pech haben können, wenn man jetzt introvertierte Leute getroffen hätte, die jetzt nicht so viel von sich preisgeben und da gehört, glaube ich bei Dokumentationen einfach auch so das gewisse Quäntchen Glück dazu, dass man eben Protagonisten trifft, die einen da auch teilhaben lassen an ihrem Leben.

W. M. Hamdorf: Der Film hält sehr souverän die Balance zwischen Melancholie und Heiterkeit. Das Traumschiff wirkt aber auch wie die Metapher einer reichen überalterten Gesellschaft. Die Passagiere geniessen ihren Lebensabend, steuern exotische Küsten an, während in der Küche oder im Maschinenrum des Schiffs überwiegend Asiaten arbeiten.
Burg: "Die letzten Gigolos", ein Dokumentarfilm von Stephan Bergmann über Alter, Einsamkeit und Lebensfreude. Es kommen aber in letzter Zeit auch immer mehr Spielfilme in die Kinos, die sich mit dem Alter auseinandersetzen: etwa letztes Jahr Dustin Hoffmanns "Quartett" über ein hochkünstlerisches Altersheim oder im deutschen Film die sehr erfolgreiche Komödie um eine Rentner-WG von Ralf Westhoff, "Wir sind die Neuen", oder aber – aktuell – Til Schweigers Tragikomödie über Demenz, "Honig im Kopf". Passt sich das Kino mit solchen Filmen seinem alternden Publikum an?
Die Filme spiegeln den demographischen Wandel wider
W. M. Hamdorf: Man hat natürlich in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren auch versucht die so genannten "Bestager“, oder "Silverager“ für das Kino zu gewinnen. Im Boom der 90er Jahre setzte man auf die pubertierenden und spätpubertierenden Kinogänger, aber als das Marksegment um die Jahrtausendwende dann wegbrach, suchten die Marketingstrategen nach neuen Auswegen: Der vitale, vergnügungssüchtige Rentner wurde als Kinogänger der Zukunft angepeilt, die Herren und Damen im besten Alter, der Kinogänger 60+. Da wurden eben auch mehr altersgerechte Filmstoffe gefordert. Wenn heute immer mehr Geschichten über alte Menschen in die Kinos kommen, spiegelt das natürlich auch den demographischen Wandel wider.

Burg: Und manche Filme schaffen es sogar bis zum Oscar – wie Michael Hanekes Film "Liebe“. Haneke selbst ist 72 Jahre alt, aber viele andere Regisseure, bei denen Ältere im Zentrum stehen, sind viel jünger – wie Til Schweiger. Wie gut und differenziert bringen sie die Lebenswelt der Älteren auf die Leinwand?

W. M. Hamdorf: Wir haben die Tragödien des Alters von Krankheiten, Demenz, Alzheimer und wie damit auch das Umfeld umgeht, die Familie, die Freunde, das ist etwas in "Honig im Kopf" von Til Schweiger. Oder die Geschichten alternder Lebenskünstler, die noch einmal zum letzten Tanz aufspielen. Etwa Komödien, wie "Wir sind die Neuen" wo die Alt-68er-WGs den jungen Nachbarn von der Studenten-WG noch einmal so richtig zeigen, wo es langgeht. Oder die Geschichten, in denen sich Rentner an bösartigen Banken rächen: Ein Klassiker ist hier "Lina Braake oder Die Interessen der Bank können nicht die Interessen sein, die Lina Braake hat" aus dem Jahre 1975, den hat Leander Haussmann 2009, wenn auch mit wesentlich Klamauk, 2009 neuverfilmt unter dem Titel "Dinosaurier – Gegen uns seht ihr alt aus". Kaum ein Thema ist dagegen die Altersarmut, aber das wird sich sicherlich in nicht ferner Zukunft ändern.
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