Die letzten beißen die Hunde

Von Franz Wille · 29.12.2010
Ob in Hamburg oder Leipzig, Bonn oder Altenburg-Gera, Halle oder Wuppertal, Karlsruhe, Castrop-Rauxel oder Detmold: Wer in den letzten Wochen und Monaten in ein deutsches Theater ging, konnte froh sein, wenn er nach dem Applaus ohne weitere Hiobsbotschaften entlassen wurde.
Wenn es nicht so glücklich lief, standen ein paar Schauspieler auf der Bühne, berichteten in wohlgesetzten Worten von drohenden Sparszenarien und riefen die Zuschauer wenn nicht zur Solidarität, so doch wenigstens zur Wachsamkeit für ihr Theater auf. "Sie sind das Schauspielhaus", hieß es für das Hamburger Publikum, wo nach dem überstürzten Abgang von Intendant Schirmer der Kultursenat die Gunst der Stunde nutzen wollte, um 1,5 Milliönchen einzusparen.

In Leipzig geht es um eine gute Million, die fehlt, wenn das Land das Sächsische Kulturraumgesetz geändert hat. In Bonn ging es erst um sieben Millionen, dann überraschenderweise um 3,5 Millionen, dann um die Existenz des Schauspiels, schließlich der Oper.
Jetzt nicht noch ein großes Krisenlamento: Jeder Fall liegt anders, nur die Ursache ist ähnlich. Kulturförderung ist in Deutschland eine Sache der Länder und Kommunen, und vor allem letztere sind klamm. Während ihre Sozialleistungen seit Jahren wachsen, brechen in wirtschaftlich schwierigen Zeiten ihre Gewerbesteuer-Einnahmen weg, und was dann noch bleibt, ist von Gesetzesnovellen der Bundesregierung bedroht. Der Regensburger Oberbürgermeister und stellvertretende Städtetags-Präsident Hans Schaidinger wähnt im Treiben des Bundes nur noch gemeinen Wirtshausbetrug: "Die kommunalen Sozialausgaben konnten nur deshalb so übermäßig anwachsen, weil Bund und Länder den Kommunen immer wieder kostenträchtige Aufgaben aufgebürdet und die Zeche dafür nicht selbst bezahlt haben."

Inzwischen hat auch der Bundesfinanzminister das Problem anerkannt. Wolfgang Schäuble hat die Absicht erklärt, die Kommunen bei den Sozialausgaben um vier Milliarden Euro zu entlasten, indem er auf dem föderalen Lasten-Verschiebebahnhof ein bisschen umrangiert. Mal sehen, ob er sich diesmal durchsetzen kann.

Einen anderen Ausweg gibt es nicht. Die Theater haben in den letzten anderthalb Jahrzehnten ihre Sparaufgaben erfüllt und die öffentlichen Kunstbetriebe nach allen Regeln der Betriebswirtschaft optimiert: erheblich an Personal gespart, viele feste Beschäftigungsverhältnisse flexibilisiert, den Produktionsausstoß deutlich erhöht, die Eigeneinnahmen gesteigert, die Auslastung erheblich verbessert, in Marketing investiert, nicht-künstlerische Bereiche ausgelagert. Es werden Inszenierungen koproduziert und ausgetauscht, dazu das Gastspielgeschäft angekurbelt. Jetzt sind die Rechtsträger der Bühnen in der Verantwortung und diejenigen, von denen diese Rechtsträger finanziell abhängen.

Wer einfachere Lösungen verspricht, ist entweder ahnungslos oder ein Scharlatan. Natürlich gibt es immer Leute, die das Blaue vom Himmel versprechen, um einmal im Leben den Job zu bekommen, den sie nie bekommen dürften. Gerade ist in Bremen die geprüfte Bilanz des letzten Jahres von Ex-Generalintendant Hans-Joachim Frey veröffentlicht worden, der einst mit forschen Versprechungen im besten Wirtschaftsberater-Jargon den leichtgläubigen Bremer Politikern die Quadratur des Kreises versprochen hatte: bei weniger Zuschuss und Personal mehr Publikum, Einnahme und Kunst. Herausgekommen ist ein Desaster. Ende Juli 2009 hatte Frey einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag von 3,81 Mio. Euro erwirtschaftet. Allein sein Hoffnungsträger, das Musical "Marie Antoinette", trägt 2,3 Mio. Verlust bei. Kunst kostet. Versagen kostet noch mehr.

Eine Alternative gibt es natürlich: Theaterschließungen. Wer das wirklich will unter unseren Finanz- und Kulturpolitikern, soll es laut sagen. Und nicht bis zum Abwürgen an der Sparschraube drehen.

Franz Wille, geb 1960 in München, Dr. phil., 1982 - 86 Dramaturg am Theater der freien Volksbühne Berlin (Intendant Kurt Hübner); danach Kritiker und Publizist, seit 1990 Redakteur der Zeitschrift "Theater heute"