Die Leiden eines Vaters

03.05.2012
Gesetzentwürfe, Demonstrationen, Selbsthilfegruppen: Raoul Schrott hat mit seinem Buch "Das schweigende Kind" der Forderung nach mehr Rechten für Väter eine literarische Version hinzugefügt.
"Dir ein Vater sein zu wollen, ohne es zu dürfen, zerriss mich, während deine Mutter vollständig zu werden schien, ihre innere Leere endlich ausgefüllt durch die Mutterrolle."

Dieser Satz, bei dem es sich um ein Zitat aus Raoul Schrotts neuer Erzählung "Das schweigsame Kind" handelt, verdeutlicht das ganze Dilemma der Geschichte, die der 1964 geborene Autor erzählt.
Schrott, selbst Vater zweier Kinder, will auf die Lage der "entrechteten Väter" aufmerksam machen. In gleicher Sache hatte sich vor zwei Jahren bereits Thomas Hettche mit seinem Buch "Die Liebe der Väter" zum Anwalt der um ihre Vaterrechte Betrogenen gemacht. Es ist ehrenwert, für die Rechte der Entrechteten zu streiten – egal, ob es sich um Mütter, Väter oder Kinder handelt. Ein zum Himmel schreiendes Unrecht kann einer Erzählung zugrunde liegen, aber sie ist nicht notwendig gut, nur weil sie vom Unrecht handelt.

Andreas heißt der verratene Vater in Schrotts Erzählung und Isa lautet der Name der Tochter, die sich ins Schweigen zurückgezogen hat. Der Vorname "ist das einzige, was ich dir mitgeben konnte", klagt der Vater. Dem verbietet die Kindsmutter, ein Aktmodell, das er im Zeichensaal kennenlernte, den weiteren Kontakt mit der gemeinsamen Tochter, nachdem sich beide getrennt haben. An dem Verbot droht der Vater zu zerbrechen. Er will seiner Tochter die ganze Wahrheit erzählen, wozu seiner Meinung nach auch gehört, dass er "Zeugnis alles Falschen" ablegt. Der Text ist dieses Zeugnis. Nach dem Tod des Vaters, die Mutter ist bereits verstorben, werden die schriftlichen Aufzeichnungen der Tochter ausgehändigt.

Was der Vater seiner Tochter mitteilt, ist ein einziger Klagegesang und häufig hat man den Eindruck, besonders in den Passagen, in denen er über die mit der Mutter praktizierten Sexspiele berichtet, er verwechsle die angestrebte Rechtfertigung mit einer Beichte. Während hier Verschwiegenheit angebracht gewesen wäre, ist sie fehl am Platz, als er hätte aufklären müssen, ob er es war, der die Tötung von Isas Mutter in Auftrag gegeben hat. Um die Spannung Aufrecht zu halten, beantwortet Schrott diese Frage erst am Ende seines Textes, sodass sich Lebenszeugnis und Erzählung im Weg stehen. Ein "Satz" hätte alles aufklären können, aber den will und kann – man fragt sich warum – der Vater in seinem Bericht nicht wiederholen, obwohl die schonungslose "Wahrheit" versprochen war. Zu deutlich aber wird, dass Andreas vor allem sich schont.

Schrott spielt mit der Wahrheit, um den Nimbus des unschuldigen Vaters nicht zu zerstören, was eben so konstruiert wirkt wie die Figurenkonstellation. Auf der einen Seite der unschuldige, vor Liebe zu seiner Tochter vergehende Vater. Auf der anderen die sich selbst im Weg stehende Femme fatale, die kalt und berechnend ihre Macht ausspielt, wenn sie zwischen die Liebe des Vaters zu seiner Tochter einen Keil nach dem anderen treibt. Andreas ist der große Verlierer in diesem mutteranklagenden Vaterepos. Schrott hat aus ihm einen tragischen Helden gemacht, der am Schluss mit leeren Händen dasteht. Aber dieser Andreas geriet ihm eine Spur zu selbstgerecht und die Mutter eine Idee zu gewissenslos.

Besprochen von Michael Opitz

Raoul Schrott, Das schweigende Kind, Erzählung, Hanser Verlag, München 2012, 199 Seiten, 17,90 Euro.


Links auf dradio.de:

Zerrissen zwischen Mutter und Vater: Streit um das Umgangsrecht nach einer Scheidung

Offener Denkprozess: Raoul Schrott, Arthur Jacobs: "Gehirn und Gedicht"
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