Die Last des unbekannten Vaters

Sibylle Steidl im Gespräch mit Ulrike Timm · 02.04.2009
Sibylle Steidl erfuhr durch Zufall, dass sie ein sogenanntes Spenderkind ist. Die Schwangerschaft ihrer Mutter kam nur durch eine anonyme Samenspende eines fremden Mannes zustande. Nun ist sie auf der Suche nach ihrem leiblichen Vater und muss dabei erfahren, wie wenig Rechte sie als Spenderkind hat.
Ulrike Timm: Dass es Adoptivkinder schwer aus der Bahn werfen kann, wenn sie sehr spät oder gar von hinten herum erfahren, dass ihre sozialen Eltern nicht die leiblichen sind, das ist bekannt. Aber wie ist das bei Kindern, die halb leiblich sind, die ihre Existenz dem Labor verdanken, wo die Eizelle der Mutter mit der Samenspende eines fremden Mannes befruchtet wurde? Um solche Spenderkinder ist oft ein großes Geheimnis. Heute ist die erste Generation von ihnen erwachsen, und manche suchen nach ihren genetischen Wurzeln. Sibylle Steidl zum Beispiel, sie ist ein solches Spenderkind und will uns von ihren Erfahrungen erzählen. Schönen guten Tag!

Sibylle Steidl: Hallo!

Timm: Frau Steidl, wie haben Sie erfahren, dass Ihr Vater nicht Ihr biologischer Vater ist?

Steidl: Das war circa März 2005 in meiner Schwangerschaft, als ich den Mutterpass bekam mit der Blutgruppe, mit meiner eigenen, über die ich nie großartig nachgedacht habe, aber immer so im Hinterkopf hatte, da kommt ein B drin vor, hatte ich es dann schwarz auf weiß. Also ich hatte im Mutterpass dann AB als Blutgruppe und bin da stutzig geworden und habe zuerst gedacht, irgendwas kann nicht stimmen. Meine Mutter hat A, mein Vater hat 0. Das war der Zeitpunkt, ab dem unterschwellig das Gefühl da war, es ist jetzt was irgendwie in der Luft, so eine Bombe, die mal explodieren wird. Und dann dachte ich noch eine Zeit lang, okay, vielleicht habe ich mich verlesen, vielleicht hat doch einer B, und habe dann angerufen und wollte einfach die Blutgruppen wissen. Die haben sie mir nicht gesagt, haben ganz abweisend reagiert. Also wir hatten zu diesem Zeitpunkt auch keinen Kontakt. Es war immer schwierig, und vor allem mit meiner Mutter das Verhältnis immer sehr angespannt. Und seit mein Sohn auf der Welt ist, ist es noch schwieriger geworden.

Timm: Irgendwann haben Sie mit Ihren Eltern drüber gesprochen.

Steidl: Nein. Meine Eltern haben mir jegliches Gespräch verweigert, das war ganz, ganz schlimm. Ich habe wochenlang versucht, aus denen was rauszubekommen. Ich dachte die ganze Zeit, das wäre ein verdeckter Seitensprung, also auf diese donogene Insemination kam ich gar nicht, weil ich dachte, das ging erst viel später los, so Anfang der 80er-Jahre. Ich hab es mit der IVF-Methode verwechselt. Ich habe angerufen, und die haben gesagt, es gibt nichts zu besprechen, und haben aufgelegt. Das waren ganz schlimme Wochen, das kann ich gar nicht beschreiben. Dieses auf der einen Seite jetzt Wissen, es ist was, und auf der anderen Seite nicht mal dann ein Gespräch zu bekommen mit den Eltern. Dann bin ich zu einem Anwalt und wusste halt, dass ich einen gesetzlichen Anspruch auf Auskunftserteilung habe. Und der hat sie angeschrieben. Dann bekam ich einen Anwaltsbrief von der Gegenseite. Und da stand kurz und knapp: Hiermit teilen wir Ihnen mit, dass Herr Soundso tatsächlich nicht Ihr biologischer Vater ist. Aufgrund dessen, dass der Kinderwunsch unserer Mandantschaft auf natürlichem Wege nicht realisierbar war, entschlossen sich die Eheleute zu einer künstlichen Befruchtung mittels anonymer Samenspende. Dann kurz der Name des Arztes, München, und es existieren keine Unterlagen mehr und es kann nicht mal beurteilt werden, ob der Arzt überhaupt noch am Leben sei, und damit wäre die Mandantschaft umfassend dem Auskunftsanspruch nachgekommen.

Timm: Eine ganz bürokratische Antwort. Für Sie war das ein Schock. Haben Sie sich irgendwie erklärt, warum Ihre Eltern nicht mit Ihnen geredet haben?

Steidl: Also warum sie nie drüber gesprochen haben, ja. Ich denke, das war, um die Zeugungsunfähigkeit meines Vaters nicht publik zu machen. Die leben auf dem Land in einem kleinen Dorf. Mein sozialer Vater ist Jahrgang 38, der ist also 70 geworden neulich. Ich denke, das ganze Thema so unterhalb der Gürtellinie wurde überhaupt nicht thematisiert damals und da wurde nicht drüber gesprochen. Auch der behandelnde Arzt hat allen Paaren, die er behandelt hat, eindringlich immer wieder gesagt: Niemandem davon erzählen, das Kind ist Ihr eheliches, wächst so auf, das wird nie erfahren, was wirklich war, und Sie verdrängen das soweit wie möglich, und dann ist das Ganze kein Thema. Das ist Ihr Kind und fertig. Da gab’s keine psychologische Beratung wie heute, gar nichts.

Timm: Haben Sie denn Ihren biologischen Vater gesucht?

Steidl: Ja.

Timm: Haben Sie ihn gefunden?

Steidl: Nein. Und zwar, der behandelnde Arzt ist leider vor fünf Jahren verstorben, und der hatte wohl alle Unterlagen aufbewahrt und nicht nach zehn Jahren bereits vernichtet. Aber die Erben behaupten, es gab keine. Dann, was bei mir erschwerend hinzukommt, von Anfang an ist anscheinend – also ich selber sehe das nicht, aber das ist vielleicht normal, wenn man betroffen ist … Die halbe Familie des behandelnden Arztes sagt, ich würde dem so extrem ähnlich sehen, dass wahrscheinlich ein Verwandter des verstorbenen Arztes in meinem Fall gespendet hat.

Timm: Spenderväter werden natürlich auch anonymisiert, weil sie nach derzeitigem Recht unterhaltspflichtig werden könnten. Das ist deren Angst, unterhaltspflichtig zu werden für ihre künstlich erzeugten Kinder. Das ist eine Ebene, die an Ihrem persönlichen Erleben natürlich nichts ändert. Für Sie bleibt eine Leerstelle im Leben, wenn Sie Ihren biologischen Vater nicht finden – habe ich das richtig verstanden?

Steidl: Ja, ja, ja.

Timm: Gibt es eigentlich irgendwelche Ereignisse, Verhaltensweisen, die Sie jetzt mit dem Wissen darum anders beurteilen, jetzt wo Sie wissen, dass Sie ein Spenderkind sind?

Steidl: Absolut, ja, absolut.

Timm: Was zum Beispiel?

Steidl: Es war so, dass mein sozialer Vater, wenn es Probleme oder Streitigkeiten gab, hat er sich grundsätzlich auf die Seite meiner Mutter gestellt und nie hinter mich und hat mir immer permanent den Vorwurf gemacht, Du bist wie sie, Du bist wie deine Mutter. War zwar liebevoll zu mir, aber auch merkwürdig distanziert. Es war oft so, als ob ich gar nicht da sei, als ob er mich gar nicht richtig wahrnimmt.

Timm: Frau Steidl, lassen Sie uns mal einen Moment die Perspektive wechseln. Ein Paar, das den körperlich und finanziell belastenden Weg geht, mittels Samenspende ein Kind zu bekommen, wo also ein Kind so gewünscht ist, dass der Vater darauf verzichtet, der leibliche Vater zu sein – ein solches Kind kann sich auch ganz besonders willkommen fühlen. Kann dieses Wissen einem Spenderkind nicht vielleicht helfen, selbst wenn das Bekanntwerden ein später Schock ist wie bei Ihnen?

Steidl: Nein. Also zum Thema Wunschkind, das bekomme ich auch immer wieder zu hören – Du warst ein absolutes Wunschkind, wir wollten unbedingt ein Kind –, da denke ich mir immer wieder, warum seid Ihr dann nicht mit mir umgegangen wie mit einem Wunschkind? Der Umgang mit mir war immer distanziert, irgendwie kalt auch.

Timm: Welchen Kontakt haben Sie denn zu anderen Spenderkindern? Haben die sich irgendwie zusammengetan, um sich auszutauschen?

Steidl: Auch, und um Forderungen aufzustellen. Also was wir alle ganz, ganz wichtig fänden, dass endlich gesetzlich Klärung geschaffen wird, gerade über solche Punkte wie: Muss der Spender Unterhalt bezahlen? Das ist nämlich bis heute nicht klar, ob er es muss. Diese ganzen Dinge, die da offen sind und alles irgendwie rechtliche Grauzone, es bedarf da wirklich, dass man da Gesetze schafft, die alles soweit regeln, dass da keiner vor dem anderen mehr Angst haben muss und dann auch tatsächlich sagen kann, okay, ich gebe meine Daten preis, wenn ich spende, und dann kann mein so gezeugtes Kind mich finden, wenn es möchte und alt genug ist.

Timm: Sie sind jetzt Mitte 30. Wenn Sie Ihren biologischen Vater kennen würden, was möchten Sie eigentlich von ihm?

Steidl: Ich möchte eigentlich gar nichts von ihm. Was mir ganz viel bringen würde, wäre ein Foto bereits, so eine steckbriefliche kurze Beschreibung, seine Stimme vielleicht mal zu hören. Ich möchte sehen, was für ein Mensch er ist, ich möchte in den Spiegel gucken und möchte gucken, was ist da ähnlich, was nicht. Ist es der Mann, dem ich sehr ähnlich bin oder ist es jemand, der mir eigentlich auch sehr fremd ist?

Timm: Beschäftigen wird Sie, Frau Steidl, die Tatsache, ein Spenderkind zu sein, sicher Ihr ganzes Leben lang. Aber wollen Sie auch Ihr ganzes Leben lang hartnäckig nach Ihrem biologischen Vater suchen, oder haben Sie sich vielleicht einen Zeitpunkt gesetzt, wo Sie sagen, ich höre damit ganz bewusst auf? Diese Suche bindet ja auch viel Zeit und Kraft, die man in der Gegenwart braucht?

Steidl: Ja, genau. Also ich habe mir eine Frist bis Ende des Jahres gesetzt, vorerst. Ich glaube, man kann dann nicht sagen, ich höre jetzt endgültig auf. Das wäre merkwürdig, weil es begleitet einen ja jeden Tag. Und ich habe immer noch große Hoffnung, dass mein Spender, eben weil es bei dem behandelnden Arzt meiner Eltern so wenige waren – das war so ein harter Kern von zehn, zwölf Männern pro Jahr in München Anfang 74 –, ich habe immer noch große Hoffnung, dass mein Spender irgendwann auf mich aufmerksam wird. Und so hoffe ich sehr, dass er sich heute überlegt, Mensch, kann doch eigentlich nichts passieren, und es wäre ganz interessant rauszufinden, was für Kinder ich so gezeugt habe und vielleicht den Kontakt zu mir herstellt. Eine andere Möglichkeit oder Chance habe ich eigentlich kaum.

Timm: Sibylle Steidl über das Identitätsproblem, das entstehen kann, wenn man ein Spenderkind ist.