Die Lange Nacht über Thomas Bernhard

Schriftsteller, Theatermacher, Nationalheiliger

Thomas Bernhard im Gespräch auf seinem Vierkanthof in Ohlsdorf in Oberösterreich
Thomas Bernhard (1931-89): Sein Stück "Heldenplatz" wurde von vielen als Verunglimpfung Österreichs empfunden. © picture alliance / akg-images / Brigitte Hellgoth
Von Sabine Fringes · 09.02.2019
Kaum ein anderer deutschsprachiger Schriftsteller des 20. Jahrhunderts erhitzte die Gemüter so sehr wie er. Die Theaterstücke des Österreichers Thomas Bernhard verursachten Skandale, seine Romane zogen Gerichtsverhandlungen nach sich.
"Ich glaube, dass man an Bernhard studieren kann, was Schreiben ist. Die ganze Lebensenergie, das ganze Leben, mündet in die Literatur."
(Claus Peymann)
"Thomas Bernhard wurde am 10. Februar 1931 in Heerlen in Holland geboren. Er ist Salzburger. Immer wieder sucht er die Landschaft seiner Vorfahren, den Flachgau, auf. Die Zeit, die er in Wien verbrachte, betrachtet er als verloren, insofern er gezwungen war, in dieser bewunderungswürdigen Architektur mit ihren Bewohnern zusammenzutreffen. Die Wiener sieht er nicht liebenswürdig, sondern von der Unfähigkeit, sich selbst zu kritisieren, berauscht. (…) Die einzige deutschsprachige Dichterin von Rang, die er kennt, ist Christine Lavant. Einen lebenden deutschen Dichter der Weltliteratur hat er bis jetzt nicht gefunden. Er ist wütend über das Fehlen auch nur einer einzigen Kritikerpersönlichkeit in Österreich. Er findet Doderer langweilig, alle anderen eingebildet und ebenso wenig wert. Er hat sich damit abgefunden, in einem Land zu leben, das das schönste ist, das er kennt, und unter Kunst- und Literaturbetreibenden, die sechzig bis hundert Jahre zurück sind. Er schreibt, um nicht vor Langeweile und Missmut zu sterben. (...) Seine Arbeit aber verrichtet er mit Energie, mit Zähigkeit und mit Gleichgültigkeit gegenüber seinen Feinden."

Aus einem Selbstporträt von Thomas Bernhard, erschienen im Oktober 1959 in der Monatszeitschrift "Der Morgen".

Thomas Bernhard kommt am 9. Februar 1931 in Heerlen in Holland zur Welt. Die Mutter, Herta Bernhard aus Henndorf bei Salzburg, sucht ihren Eltern die Schande eines unehelichen Kindes zu ersparen und gibt den Säugling zu Pflegeeltern, während sie als Hausgehilfin arbeiten geht. Nach ein paar Monaten bringt sie das Kind dann doch zu ihren Eltern nach Wien. Der Großvater, der Heimatschriftsteller Johannes Freumbichler, wird für den Jungen die wichtigste Bezugsperson. Freumbichler drängt ihn zu einer künstlerischen Ausbildung. Der Junge erhält Geigen-, Zeichen- und Malunterricht. Die letzten Jahre des Zweiten Weltkriegs verbringt Thomas Bernhard in einem Salzburger Internat. 1947 beginnt der Sechzehnjährige eine Kaufmannslehre. Mit 18 erkrankt er lebensgefährlich an nasser Rippenfellentzündung und ein paar Wochen später an Tuberkulose.

"Thomas Bernhard ist ein Nationalheiliger geworden"

"Er wird hochgeschätzt, alle schätzen ihn. Es gibt überhaupt keine Kritik mehr an ihm in Österreich. Es gab mal einen Kunstminister, der hieß Moritz, der jedenfalls hat damals den Thomas Bernhard für einen Fall für die Wissenschaft erklärt und ihn für die Psychiatrie empfohlen und der hat später Beiträge über Bernhard geschrieben. Also Thomas Bernhard ist ein Nationalheiliger geworden."
"Ein merkwürdiger Nationalheiliger und weltberühmt dazu: In über 27 Sprachen ist sein Werk mittlerweile übersetzt. Auf allen großen Bühnen der Welt wird er gespielt – indes die Sekundärliteratur über ihn längst unüberschaubar geworden ist. Nahezu nichts von ihm bleibt unveröffentlicht, scheint es, wenn man die Herausgabeflut in jüngerer Zeit betrachtet: Frühe Zeitungsartikel und späte Leserbriefe, kryptische Dankesreden und geharnischte Absagen, Jugendgedichte und verschollen geglaubte Altersfragmente. Und all das folgt, kaum gedruckt, auch schon als Hörbuch."
"Thomas Bernhard ist sehr präsent, und es gibt nicht einen Rülpser seines Werkes, jedes halbgegorene Stück wird gebacken, weil es TB ist. Das ist schon ein Phänomen! Aber es hat sich von seinem Autor abgelöst und ist zu einer Art Widerspiegelung eines Mentalitätsproblems geworden."
"Ich fahr seit 15 Jahren auf dieselbe griechische Insel Urlaub machen. Und wir sind ein Freundeskreis und es gibt jeden Abend eine Lesung am Strand. Und es wird TB gelesen. Und diese Runde hat eine riesige Freude dabei, wenn Bernhard herzieht. Über die Jäger von Österreich, die österreichische Küche. Wer immer seine Angriffsobjekte waren: Im Grunde die gesamte katholisch-nationalsozialistische Bevölkerung Österreichs, wie er das zu sagen pflegte. Das sei für ihn alles ein Sumpf gewesen. ... Ich sehe das gar nicht so sehr unter einer spezifischen literarischen Größe, aber ganz offensichtlich trifft das sehr gut eine österreichische Qualität, in der wir uns wieder erkennen und die uns, weil sie ein Teil von uns ist, wieder erkennt."

(Josef Haslinger, österreichischer Schriftsteller)

Über Schauspieler

In gewisser Weise sind die Schauspieler Dummköpfe
Auch die größten
Auch die berühmtesten
Laufen ihrer Mittelmäßigkeit davon
Und werden von der Mittelmäßigkeit eingeholt
Ausnahmslos
Machen es sich zu leicht
B r i l l a n t sagen die Leute b r i l l a n t
Aber es ist doch nur der Dilettantismus
In ihrer Nähe ist alles abgeschmackt
Vorgegebenes
Oberflächliches
Selbst das Erhabenste fängt an zu stinken.

Thomas Bernhard

"Es gab einen österreichischen Burgschauspieler Kurt Sowinetz, der hat sich im Alter unter die Liedermacher gemischt und die Europahymne, Schillers Ode an die Freude auf wienerisch mit einem neuen Text versehen. Und da heißt es: 'Alle Menschen sann mer zwider, i kennt’s in die Goschn haun'. Und das war eine Hymne, die in Wien ubiquitär war. Jeder kannte das, das hat sofort gestimmt. Damit würde ich es ein bisschen vergleichen. Und dieses Gefühl, dass alles falsch ist und den falschen Weg geht, das kennt doch jeder. Und wenn sich das nicht in eine spezifische Kritik umsetzt, wo man mitmachen muss oder nicht mitmacht, sondern wenn das im Allgemeinen bleibt, des Angewidertseins, dann kann es schon sein, dass einem TB sehr nahe geht."
"Es ist schon ein Psychogramm eines bestimmten Typus des kulturellen Österreichertums. Da ist schon eine Mentalität gespiegelt. Das Paradoxe dabei ist, dass diese Mentalität sich in Bernhard mitspiegelt. Also der Gestus des pauschalen Aburteilens, das ist natürlich eine Geste, die gleichsam verschleiern will, dass sie sich auch selbst meint. Das ist im hohen Maße auch eine Selbstbespiegelung."
"Ich glaube, das hat auch damit zu tun, dass die Österreicher einen derartig tiefen Fall hinter sich haben von der Großmacht im Zentrum Europas in die völlige Bedeutungslosigkeit, dieser Fall hat sich im letzten Jahrhundert abgespielt – und ich denke, dass diese Form auf das Leben zu blicken, sich über die Fehler der anderen zu erheben, natürlich auch mit einer gewissen Ironie, dass das damit zu tun hat, mit einer gewissen Art von Lebenskunst, mit diesem Fall zurechtzukommen, vielleicht ist das ein Teil der Erklärung."

(Josef Haslinger)

Innenleben

Ein Interview mit Bernhard im üblichen Sinn ist nicht möglich. Er hat kein Telefon, beantwortet kaum Briefe, lässt sich ungern fotografieren, spricht selten vor Menschen.
"Ich bin am liebsten allein. Im Grunde ist es ein Idealzustand. Mein Haus ist auch wie ein riesiger Kerker. Ich hab das sehr gern; möglichst kahle Wände. Es ist kahl und kalt, das wirkt sich auf meine Arbeit sehr gut aus."
"Die Bücher oder das, was ich schreib, gleicht ganz dem, worin ich hause. Manchmal kommt mir vor, dass die einzelnen Kapitel in einem Buch so wie einzelne Räume in diesem Haus sind."
"Die Wände leben, die Seiten sind wie Wände und das genügt. Man muss sie nur intensiv anschauen. Wenn man eine weiße Wand anschaut, stellt man fest, dass sie ja nicht weiß, nicht kahl ist. Wenn man lang allein ist, sich an das Alleinsein gewähnt hat, im Alleinsein geschult ist, entdeckt man überall dort, wo für den normalen Menschen nichts ist, immer mehr. An einer Wand entdeckt man Risse, kleine Sprünge, Unebenheiten, Ungeziefer. Es ist eine ungeheure Bewegung an den Wänden. Tatsächlich gleicht Wand- und Buchseite sich fast vollkommen."
"Meine Lebensweise ist für den Außenstehenden eintönig. Jeder andere um mich herum lebt ein viel aufregenderes oder wenn schon nicht aufregenderes, so interessanteres Leben. Für mich ist das Leben meiner Nachbarn, die ganz einfachen handwerklichen Berufen nachgehen - mein Nachbar ist ein Bauer, schräg gegenüber wohnt ein Papierarbeiter, gleich daneben ein Zimmermann, in der weiteren Umgebung nur Papierarbeiter, Handwerker, Bauern-, das ist für mich interessant. Eine Beschäftigung, wie mir vorkommt, die, obwohl sie immer wieder in der gleichen Weise ausgeführt wird, vor sich geht, immer wieder neu ist. Mein eigenes Leben, meine eigene Beschäftigung, mein eigener Tag, kommen mir monoton, eintönig, inhaltslos vor."
(Thomas Bernhard)

Erste literarischer Erfolge

Nach drei kaum beachteten Gedichtbänden war Thomas Bernhard 1963 mit "Frost" der Durchbruch gelungen. Den raschen Erfolg seines Romans hat der damals 32-Jährige seinem prominenten Fürsprecher Carl Zuckmayer zu verdanken. Ihn hatte Bernhard gebeten, eine Rezension über seinen ersten Roman zu verfassen.
Zuckmayer schrieb, es werde "da etwas zum Anklang gebracht, was wir nicht kennen und wissen, was wir mit Erlebtem, Erfahrenem, auch mit literarischen Vorbildern, kaum vergleichen können."
Die Handlung von "Frost" ist so knapp wie der Titel des Romans: Ein Medizinstudent soll den als verrückt geltenden Kunstmaler Strauch beobachten. Dieser lebt vollkommen zurückgezogen im Gebirgsdorf Weng im Salzburger Land. In endlosen Monologen teilt Strauch ihm seine finsteren Gedanken mit. Nach Schwarzach zurückgekehrt, erfährt der Student, dass Strauch im Gebirge verschwunden ist.
Für "Frost" erhielt Bernhard seinen ersten Preis, den Bremer Literaturpreis, der mit 10.000 Mark dotiert war. Davon kaufte er sich 1965 einen alten Vierkanthof im oberösterreichischen Ohlsdorf. Er erfüllte sich damit einen Wunsch, den er in einem frühen Gedicht formuliert hatte:

Aufzuwachen und ein Haus zu haben
Dieses Irgendwo und Wie!
Unentwegt nach Frucht zu graben,
eine eigne Quelle haben
Du erreichst es nie.

"Die Mütze"

"Die Mütze" schrieb Bernhard kurz nach seinem Einzug in den Vierkanthof in Ohlsdorf, Mitte der 60er-Jahre, die als eines der Meisterwerke Bernhards gilt.
Ein Mann findet eine Mütze und versucht, den Verlierer der Kopfbedeckung, den er unter den in der Gegend ansässigen Fleischhauern, Holzfällern oder Bauern vermutet, ausfindig zu machen. In den beiden in Frage kommenden kleinen Dörfern am österreichischen Attersee, wo er sich im Hause seines in den USA weilenden Bruders aufhält, um nach stressigen, von ständigen Kopfschmerzen begleiteten Studientagen in Wien zu sich selbst zu finden, eilt er von Tür zu Tür und wird überall mit bis zur Aggression sich steigerndem Unverständnis abgewiesen. Schließlich gibt er, die Mütze behaltend und sich selbst auf den Kopf setzend, resigniert auf.
(Wilhelm Kesting)

Die Mütze. Gelesen von William Mang. Wien: Preiser Records 2011

Thomas Bernhard, der Schriftsteller

"Ich selbst sehe mich nicht als Außenseiter, aber was man nicht sieht, kann gesehen werden. Ich beschreibe das, was ich sehe, ob das die Außenwelt ist oder die innere. Stilistisch ist es wahrscheinlich mein Musikstudium, das eine große Rolle spielt, schon in den Gedichten gespielt hat, auch in der Prosa und das ich immer mehr zu perfektionieren, könnte man wohl sagen, wohin das führt, weiß ich nicht, habe."
"Vor allem interessiert mich die Finsternis und das ist für mich von allem Anfang so gewesen. Früher in den Gedichten, auch in der frühen Prosa, das war, was ich gemacht habe, durchaus experimentell wie das ganze Leben mir als Experiment erschienen ist, das Leben mir mehr oder weniger mir noch als Experiment erscheint, schließlich aber seit Jahren mir so vorkommt, dass aus dem Experiment wieder, wenn auch eine andere, eben durch das Experiment hervorgerufene Natur geworden ist."
"Ich weiß nicht, was sich die Leute unter einem Schriftsteller vorstellen. Aber jede Vorstellung ist sicher falsch, was mich betrifft, bin ich kein Schriftsteller, ich bin jemand, der schreibt."
"Ausstrahlen - und zwar nicht nur weltweit, sondern universell. Jedes Wort ein Treffer. Jedes Kapitel eine Weltanklage. Und alles zusammen eine totale Weltrevolution bis zur totalen Auslöschung."
(Thomas Bernhard über seinen Anspruch an sein Werk.)
"Ich gelte ja als sogenannter ernster Schriftsteller. Wie Béla Bartók als ernster Komponist. Und der Ruf verbreitet sich. Im Grunde ist das ein sehr schlechter Ruf ... Mir ist absolut unbehaglich dabei. Andererseits bin ich natürlich auch kein heiterer Autor, kein Geschichtenerzähler, Geschichten hasse ich im Grund. Ich bin ein Geschichtenzerstörer, ich bin der typische Geschichtenzerstörer. In meiner Arbeit, wenn ich nur in der Ferne irgendwo hinter einem Prosahügel die Andeutung einer Geschichte auftauchen sehe, schieße ich sie ab."
"Wohin gehört er, was will er, wo bleiben die Bezüge, in welches Gespräch mischt sich dieser Monolog, also in keines, was hat er zu sagen und wem?"
(Ingeborg Bachmann, Ende der 60er-Jahre)

Thomas Bernhard und die Bücher

In den 70er-Jahren beginnt Bernhard sein Werk selbst zu positionieren. Er sehe die Notwendigkeit, sagt er in einem Interview, "einen Beziehungspunkt zu setzen", damit seine Bücher nicht "in der Luft hängen". Fünf Autobiografien entstehen; und in dem Porträt "Drei Tage" erzählt Bernhard in einem langen Monolog vor der Kamera von seiner Lebensgeschichte als wichtigste Grundlage seines Schreibens:
"Zwei brauchbare Schulen natürlich: das Alleinsein, das Abgeschnittensein, das Nichtdabeisein einerseits, dann das fortgesetzte Misstrauen andererseits, aus dem Alleinsein, Abgeschnittensein, aus dem Nichtdabeisein heraus. Und das schon als Kind. Meine Mutter hat mich weggegeben. Ich bin im Holland, in Rotterdam, auf einem Fischkutter gelegen ein Jahr lang bei einer Frau. Meine Mutter hat mich alle drei, vier Wochen dort besucht. Ich glaub nicht, dass sie sehr viel für mich übrig gehabt hat damals. Das hat sich allerdings dann geändert. Ich war ein Jahr alt, wir sind nach Wien, aber doch das Misstrauen, das noch angehalten hat, wie ich zu meinem Großvater gekommen bin, der mich wirklich geliebt hat und umgekehrt. Dann die Spaziergänge mit ihm, das alles ist in den Büchern später und diese Figuren, Männerfiguren, das ist immer wieder mein Großvater mütterlicherseits. Aber neben dem Großvater immer wieder - man ist allein. Man kann sich nur allein entwickeln, man wird immer allein sein, das Bewusstsein, dass man aus sich nicht heraus kann. Alles andere ist Täuschung, Zweifel. Es ändert sich nicht. In der Studienzeit völlig allein. Man hat einen Banknachbarn in der Schule, man ist allein. Man redet mit Menschen, man ist allein."
"So bis 17, 18 Jahre habe ich im Grunde nichts so gehasst als Bücher. Ich hab bei meinem Großvater gelebt und der hat geschrieben und es war eine riesige Bibliothek da. Und immer mit diesen Büchern zusammen zu sein, durch diese Bibliothek gehen zu müssen, jeden Tag, war für mich grauenhaft. Warum bin ich zum Schreiben gekommen, warum schreibe ich Bücher? Aus Opposition gegen mich selbst, gegen diesen Zustand, weil mir Widerstände, wie ich schon einmal gesagt habe, alles bedeuten. Ich wollte eben diesen ungeheuren Widerstand und dadurch schreibe ich Prosa."
"Vielleicht ist es das, dass ich mit 18 Jahren einmal schon für ein Jahr in ein Spital gekommen bin und ich hab dort die – wie man das glaub ich auch heute noch sagt - letzte Ölung bekommen. Ich bin dann in ein Sanatorium, monatelang dort gelegen, im Hochgebirge, es war immer der gleiche Berg vor mir ... und ich bin Herbst, Winter im Freien dort Tag und Nacht gelegen und bin aus lauter Langeweile, weil man nicht ununterbrochen einem Berg gegenüberliegen kann, ohne irgendetwas zu tun, auf das Schreiben gekommen und das war wahrscheinlich der Anlass und die Ursache. Und aus dieser Langeweile heraus und mit dem Alleinsein mit diesen Berg, ... wenn man den Monate und Monate anschaut, dann wird man entweder verrückt oder man fängt zu schreiben an. Und dort habe ich einfach mir Papier und Bleistift genommen, mir Notizen gemacht und den Hass gegen Bücher und Schreiben und Bleistift und Feder überwunden. Und das ist sicher die Ursache allen Übels, mit dem ich jetzt fertig zu werden hab."
"Es ist alles lächerlich, wenn man an den Tod denkt"
In diesem Bewusstsein schreibt Thomas Bernhard fortan seine Texte. Zeit seines Lebens ist er von Krankheit gezeichnet. Nach seinem Sanatoriumsaufenthalt arbeitet Bernhard eine Weile lang als freier Mitarbeiter beim "Demokratischen Volksblatt" in Salzburg. Wiederum auf Empfehlung von Carl Zuckmayer. In dieser Zeit habe er "Blut geleckt am Schreiben", hier habe er das Übertreiben gelernt, wie er in einem Interview mit der Journalistin Christa Fleischmann erzählt:

"In meinen Büchern ist alles künstlich. Das heißt, alle Figuren, Ereignisse, Vorkommnisse, alle spielen sich auf einer Bühne ab. Und der Bühnenraum ist total finster. Auftreten die Figuren auf einem Bühnenraum, in einem Bühnenviereck, sind durch ihre Konturen deutlicher zu erkennen, als wenn sie in der natürlichen Beleuchtung erscheinen wie in der üblichen, uns bekannten Prosa. In der Finsternis wird alles deutlich. So ist es nicht nur mit den Erscheinungen, mit dem Bildhaften, es ist auch mit der Sprache so. Man muss sich die Seiten in den Büchern vollkommen finster vorstellen: Das Wort leuchtet auf, dadurch bekommt es eine Deutlichkeit oder Überdeutlichkeit."

Bernhard und die Musik

"Das Furchtbarste ist für mich Prosa schreiben. Überhaupt das Schwierigste. Und von dem Augenblick an, in dem ich das bemerkt habe, habe ich mir geschworen, nur noch Prosa zu schreiben. Ich hätte ja etwas ganz anderes machen können. Ich habe sehr viele andere Disziplinen gelernt, aber keine furchtbare. Das heißt, ich habe sehr früh Zeichenunterricht genommen und ich wäre wahrscheinlich ein mittelmäßiger Zeichner geworden und es wäre mir sehr leicht gefallen. Ich hab Musik studiert, es ist mir sehr leicht gefallen, Instrumente zu spielen, Musik zu machen, das heißt zu komponieren. Ich habe eine Zeit gehabt, wo ich gedacht habe, ich will unbedingt ein Kapellmeister werden. Ich hab Musikästhetik und ein Instrument nach dem anderen studiert und weil es mir aber zu leicht gefallen ist, und weil - hab ich das alles aufgegeben. Dann hätt ich Schauspieler werden können oder Regisseur oder Dramaturg. Es hat bei mir eine Zeit gegeben, da hat mich das sehr gefesselt, ich hab viel gespielt, Regie geführt, vor allem in komischen Rollen."
So Thomas Bernhard in seinem Filmmonolog, der ihn als virtuosen Tänzer auf dem Seil zwischen Wahrheit und Dichtung zeigt:
Tatsächlich hat er als Kind Mühe beim Geigespiel. Auch sein Wunsch, Sänger zu werden, scheitert. Am Mozarteum studiert Bernhard Mitte der 50er-Jahre Dramaturgie und Schauspielkunst, bevor er seinen Abschluss im Fach Regie macht. Am Mozarteum nimmt er auch Gesangsstunden, wozu ihm Hedwig Stavianicek ermuntert. Die 37 Jahre ältere Witwe hatte Bernhard während seines Aufenthalts im Sanatorium kennengelernt, ein Jahr bevor seine Mutter einem Krebsleiden erlag. Sie, die Bernhard neben dem Großvater zu den beiden wichtigsten Menschen seines Lebens, seinen Lebensmenschen zählt, glaubt in dieser Zeit mehr an Bernhards Gesangs- als an sein Schreibtalent. Bernhard studiert Mozart-Arien und Oratorien mit seinem wohlklingenden Bariton. Doch es reicht nicht. Bei zwei Vorsingen bekommt er eine Absage. Laut Autobiografie beschließt Thomas Bernhard im Sanatorium "die Musik zu dem höchsten Zeichen seiner Existenzberechtigung ..., zu seinem Lebenskomplex zu machen". Schreibend erfüllt er sich diesen Wunsch. In seinen Dramen und Romanen klingen Worte wie musikalische Motive an: Er wiederholt und verändert sie, stellt sie infrage, bestätigt sie, kombiniert sie mit immer neuen Motiven.

Georg-Büchner-Preis im Jahr 1970

1970 erhält Thomas Bernhard den Georg-Büchner-Preis – "Den unablässigen Vorgang der Zerstörung individuellen Lebens hat er in einer anscheinend beruhigten Prosa aufgespürt", so die Jury. In seiner Dankesrede führt Bernhard aus:
"Wir wissen nicht, handelt es sich um die Tragödie um der Komödie oder um die Komödie um der Tragödie willen. Aber alles handelt von Fürchterlichkeit, von Erbärmlichkeit, von Unzurechnungsfähigkeit. Wir denken, verschweigen aber: Wer denkt, löst auf, hebt auf, katastrophiert, demoliert, zersetzt, denn Denken ist folgerichtig die konsequente Auflösung aller Begriffe...
Wir sind: die Angst, die Körper- und die Geistesangst und die Todesangst als das Schöpferische. Was wir veröffentlichen, ist nicht identisch mit dem, was ist, die Erschütterung ist eine andere, die Existenz ist eine andere, wir sind anders, es ist nicht DIE Krankheit, er ist nicht DER Tod, es sind ganz andere Zustände.
Das Problem ist, mit der Arbeit fertig zu werden und das heißt mit dem inneren Widerwillen und mit dem äußeren Stumpfsinn."

Der Theatermacher

"Was hier in dieser muffigen Atmosphäre
Als ob ich es geahnt hätte."

Mit diesen Worten aus Thomas Bernhards Stück "Der Theatermacher" begann Claus Peymanns Ära am Burgtheater. Peymann, Jahrgang 1937, sechs Jahre jünger als Bernhard, hat die überwiegende Zahl seiner Stücke uraufgeführt. Erst als Schauspieldirektor in Stuttgart, dann als Intendant in Bochum und schließlich am Burgtheater in Wien. Mit an seiner Seite: der Dramaturg Hermann Beil. Bernhard bedankte sich bei Peymann und Beil mit drei Dramoletten, die den Gesamttitel tragen "Claus Peymann kauft sich eine Hose und geht mit mir essen."
"Man muss es erlebt haben, es war natürlich ein absolut privilegiertes Theater und fern der Wirklichkeit. Man ging ins BT, um schöne Stunden zu erleben, aber nicht, um die Wahrheit zu erfahren. Brecht durfte nicht gespielt werden. Woyzeck undenkbar. Bestimmte Themen gab es da nicht, es war immer eine Feierstunde. ... Das hatte alles in einem feierlichen Ernst, selbst bei Komödie und wenn ich wagte zu lachen, - bekam ich nur scheele, vorwurfsvolle Blicke. ... Das hat sich jetzt total geändert. ... Und daran hat auch TB Anteil genommen, weil er das begriffen hat, dass so ein Schlendrian: Das Haus ist voll, ist ja eh egal, also das geht ja heute schon lange nicht mehr. Und das haben damals auch ein paar Leute begriffen, dass das BT reformiert gehört. Und das ist ja auch von Peymann unter heftigsten Kämpfen durchgeboxt worden."
(Hermann Beil, Dramaturg)
"Es gibt vielleicht noch eine für Thomas Bernhard sehr bezeichnende Geschichte, die ich erlebt habe. Das war in den ersten Tagen Januar 1984. Peymann hat die Uraufführung eines Bernhard-Stücks geprobt, 'Der Schein trügt' mit Minetti und Buhre. Ich war der Dramaturg und habe Thomas Bernhard angerufen und gefragt, ob er einen Wunsch hat für den Programmhefttext, ob er etwas schreiben könne? - Nein habe er nicht, nein, er habe keine Wünsche. Das war ein freundliches, knappes Gespräch. (Von ihm aber auch sehr dezidiert: Er hat nichts, schreibt nichts.) Einige Tage später kam ein Expressbrief: 'Indem ich Ihnen nein sagte, habe ich ja zu mir gesagt. - Hier ist ein Text, vielleicht können Sie ihn verwenden.' Und er hat dann einen Text geschrieben mit dem Titel 'In Flammen aufgegangen' und am Schriftbild sah man, dass er ihn in die Maschine gedonnert hat. Es war ein Originalbeitrag für das Programmbuch. ... Und diese Formulierung: Indem ich ihnen nein sagte, hab ich ja zu mir gesagt. Das ist typisch Thomas Bernhard: Dass man in einem Augenblick von der Tragödie in die Komödie gehen kann und umgekehrt.

(Hermann Beil)
Claus Peymann posiert mit geballten Fäusten für die Kamera.
Claus Peymann blickt zu seinem 80. Geburtstag auf sein Theaterleben zurück© dpa picture alliance/ Jörg Carstensen

Claus Peymann über Thomas Bernhard

"Es gibt diese seltsamen Paare im Theater - ... Tschechow und Stanislawski, Strindberg und Reinhard. So ähnlich war auch Bernhard-Peymann, eine Theaterlovestory, die daraus auch ihre Essenz bezog, aus ihrer gegenseitigen Abhängigkeit: Ohne meine Schauspieler, Bühnenbildner hätte er gar nicht mehr geschrieben, ich bin vermessen, das zu sagen."
"Ich habe ihn immer wieder verführt und bedrängt und das hat ihn entzündet. Sicher eine Art Love-Story. Und das wäre die Essenz, dieser gemeinsame Weg."
Der Heldenplatz in Wien mit dem Reiterstandbild Erzherzog Karls von A.D. Fernkorn.
Der Heldenplatz in Wien mit dem Reiterstandbild Erzherzog Karls von A.D. Fernkorn© Deutschlandradio / Ellen Wilke
"Dass es am Ende zu solch einer Zuspitzung kam – wie der Heldenplatz, der ja für mein Leben unüberbietbar sein wird, eine Aufführung, die von allen bekämpft wurde, vom Geheimdienst, von Protestlern, ich bin verprügelt worden. Und diese wahnwitzige Feindschaft und dieser Hass, dass der mit einem Sieg des Theaters endete, dass am Ende eine geradezu unbeschreibliche Freude anbrach, dass die Kunst gegenüber dieser Dunkelheit siegen konnte (dass dieses Österreich, das sich immer fein rausgehalten hat aus der Nazizeit, als hätte es nicht am Heldenplatz diese Hunderttausende von Österreichern gegeben, die froh waren). Dieses Österreich, das nach der Heldenplatz-Premiere verändert war: Die große Lüge, dass Österreich ein Opfer des Faschismus gewesen ist, die konnte niemand mehr begehen, weil alle wussten, die Österreicher waren Täter wie die Deutschen. Das hat diese Aufführung ausgelöst. Das war vielleicht der Kristallisationspunkt auch eines Teils meiner Arbeit in meinem Leben. Und dieser Moment des Beginns dieser Aufführung. Das war sicher die Essenz meiner Arbeit mit Bernhard."
"Dass er dann so bald gestorben ist, macht das Ganze zu einer beweinenswerten Pointe. Wenn es eine Essenz dieser Arbeit gibt, ist es das. Und wie ich schon am Anfang sagte, bin ich ja doch die Theaterwitwe von Bernhard. Mehr ist ja leider nicht der Fall."

(Claus Peymann)

Für die Zukunft

"Funchal, 2. Dezember 86

Lieber Claus Peymann,
nach einem Tee im Reids denke ich selbstverständlich mit größter Intensität, was mit uns in Zukunft zu geschehen hat.
Was mache ich mit meiner Theaterarbeit?
Bedenken Sie bitte, dass weder der Theatermacher noch Ritterdenevoss verloren gehen sollen für immer, wenn die Stücke nicht 'aufgezeichnet' werden.
Während Sie an Ihrem Richard arbeiten, gehe ich einen, wie immer grauenhaften Prosaweg, auf dem es die Prügel nur so hagelt, die ich mir selbst geworfen habe.
Ich bin ab 19. in Wien oder Ohlsdorf erreichbar. Sie sollten sich unbedingt melden, wenn Sie mich nicht an den Rand der Verzweiflung bringen wollen.
Alle Umwege führen in den Tod,

Ihr
Thomas B."

Und eine Geschichte...

"Aber ich habe Ihnen dann doch diese ganze Geschichte erzählt. Nicht die ganze Geschichte, sagte der Hutmacher. Die ganze Geschichte erzählen ist unmöglich, absolut unmöglich. Und auch dass, wenn man eine Geschichte erzählt, man in Wirklichkeit eine andere, eine ganz andere Geschichte erzählt. Man macht ein paar Andeutungen, aber man erzählt die Geschichte nicht. Aber auf jeden Fall eine ganz andere Geschichte. Die Geschichte ist in Wirklichkeit das, was man nicht erzählt, indem man die eigentliche Geschichte nicht erzählt."

Zur Erinnerung an Thomas Bernhard hat der Maler Erwin Wurm für den Residenz Verlag ein Buch mit Texten Thomas Bernhards gestaltet:
Thomas Bernhard: "Autobiographische Schriften in einem Band"
Mit Aquarellen von Erwin Wurm, Residenz Verlag 2019

Autorin und Regie: Sabine Fringes
SprecherInnen: Manuela Alphons, Thomas Lang, Matthias Haase, Josef Tratnik
Anlässlich des 30. Todestages von Thomas Bernhard am 12. Februar wird diese Sendung aus dem Jahre 2011 erneut ausgestrahlt.
(Wiederholung vom 5./6.2.2011)

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