Lesetipp:
Aufsätze, Reden und Vorlesungen von Klaus Heinrich sind unter dem Titel "Dahlemer Vorlesungen" in verschiedenen Büchern veröffentlicht worden. Der 1. Band ist 1981 erschienen.
Dahlemer Vorlesungen, Bd. 1: tertium datur. Eine religionsphilosophische Einführung in die Logik, hrsg. v. Wolfgang Albrecht u. a., Frankfurt am Main und Basel 1981.
Menschen schleppen, ohne Mühe, einen Schatten mit sich
Claudio Lange ist Religionswissenschaftler, Buchautor, Künstler und Fotograf. Nicht nur das Einreiseverbot in seine Heimat Chile nach dem Militärputsch 1973 hat ihn geprägt. Das bewegte Leben eines rastlosen Künstlers.
Die Malerei steht im Zentrum der Arbeit von Claudio Lange – gefolgt von der Religionswissenschaft. Beides lässt sich in dem griechischen Mythos der Arachne vereinen. Den machte Diego Velasquez, im 17. Jahrhundert zum Gegenstand seines letzten Bildes. Über vierzehn Jahre lang arbeitete er daran.
"Es gibt diesen Mythos, diesen griechischen Mythos der bei Ovid zu lesen ist. Das ist eine arme junge Frau, die webend malte und die unglaubliche Sachen herstellte. Und dann hört davon Athene, die für die Weberei unter anderem zuständig ist, für den Krieg für alles mögliche, die Hauptgöttin von Athen, und die besucht sie dann und sagte, sie soll nicht so angeben, sie sei zwar eine ganz gute Weberin, aber sie sei nicht mit den göttlichen Fähigkeiten ausgestattet und diese Frau sagt dann: Alte, lass mich in Ruhe, hau ab, lass mich meine Arbeit tun, meine Kunst ausüben. Da gab sich Athene als Göttin zu erkennen und schlug einen Wettkampf vor: Wer von beiden schönere Bilder malt. Und Athene malte mythologische Szenen von Situationen, in denen Menschen sich für Götter hielten und von den Göttern bestraft wurden. Und die Gegenspielerin Arachne malte Szenen, in denen die Götter und Göttinnen Menschen vergewaltigen, missbrauchen, verraten oder bestrafen."
Ovids Text über Arachne
In der Geschichte von Ovid sind die Bilder die Arachne die schöneren. Aber Athene lässt diese Niederlage nicht auf sich sitzen und verwandelt Arachne in eine Spinne, die auf ewig dazu verdammt ist, Fäden zu spinnen. Damit gilt sie als sie auch als Patronin der heidnischen Malerei. Darauf bezieht sich Diego Velasquez mit seinem Bild "Las Hilanderas", zu deutsch die "Spinnerinnen". Es hat Claudio Lange nicht nur als Religionswissenschaftler, sondern auch als Maler immer beschäftigt:
"Das Bild ist das erste Mal, dass da ein Rad gemalt wird, was sich dreht, sie spinnt den Faden, und das Rad dreht sich und man sieht die Speichen nicht.Und der Zeit-File geht nicht vom Hintergrund des Bildes nach vorne. Sozusagen, der Zuschauer ist die Gegenwart sondern umgekehrt: Er geht von vorne in die Tiefe, das heißt die Geschichte wird in zwei Etappen erzählt. Und die zweite Etappe chronologisch die zweite Etappe ist hinten im Bild und die erste ist vorn. Das heißt, du als Zuschauer bist das älteste Ding was da überhaupt rumsteht und dann kommt die Geschichte. Und ich glaube, Velasquez hat mit diesem Bild gesagt, dass wenn das Urteil der Athene nicht aufgehoben wird, wird es keine Zukunft geben."
In den letzten Jahren malte Claudio Lange eine ganze Serie von Faden-Bildern, er vermalte also Fäden und Farben auf Leinwände. Denn die wichtigen Mythen und Geschichten ziehen sich durch Claudio Langes Kunst und Leben und tauchen auch immer wieder in den Gesprächen auf:
"Ich habe das Gefühl, dass alle möglichen Leute, Länder, Institutionen, Regierungen, Parteien usw. weiter den Faden verloren haben. Und ich wollte damit etwas machen und habe auf dem Flohmarkt Fäden besorgt und damit Bilder hergestellt. Unter dem Motto ‚Faden verloren’."
Herkunft und Familie
Claudio Lange stammt aus Chile, er wurde im Dezember 1944 in der Hauptstadt Santiago geboren. Seine Großeltern kamen aus Europa: Um 1910 zog Claudios Großvater, der Arzt Felix Lange, mit seiner jüdischen Frau von St. Peterburg nach Deutschland. Claudio Langes Vater Klaus macht eine Lehre in Köln-Leverkusen bei Bayer. Zur Zeit der Weltwirtschaftskrise von 1929 wandert er nach Chile aus. In Santiago heiratet er Anita. Ihre deutschen Vorfahren hatten mit Salpeter aus dem chilenischen Norden ein Vermögen gemacht. Claudios Vater hat auch selbst Erfolge: Zunächst mit einer Toiletten-Fabrik, später gründet er eine Fabrik für Tierfutter. In den Jahren des 2. Weltkriegs kommen drei Kinder zur Welt, alle drei sind protestantisch getauft, aber Religion habe keine wichtige Rolle gespielt, erklärt Claudio Lange rückblickend.
"Mein Vater hatte eine jüdische Mutter und meine Mutter war Atheistin... Es war alles Show, es war alles Operette. Fürchterlich! Die Operette war nicht nötig. Wir durchblickten das ja, als Kids. Es war eine gemeinsame Lüge, das war nicht gefühltes Beten, oder gefühlter Glauben. Wahrscheinlich war ich es, der noch der am meisten glaubte von der ganzen Mischpoke."
Die Eltern mögen reich und erfolgreich gewesen sein, aber sie mochten sich nicht und dementsprechend wurde oft gestritten.
"Ich erinnere, dass wir uns wirklich regelmäßig trafen, wir drei Kinder, und einhellig friedlich diskutierten, was denn eigentlich jetzt unser Glück, unsere Lebensqualität erhöhen könnte. Da die Beiden nicht aufhörten, sich zu streiten und sich zu hintergehen. Meine Mutter hatte ja auch einen Lover, die beiden passten nicht zusammen. Und wir Kinder fanden dann Urteile: ‚jetzt zieht doch endlich mal auseinander, wir mögen dich und wir mögen dich und wir können euer Gezanke nicht mehr hören."
Als Claudio Langes Vater seinen Vater in Wuppertal besucht, stirbt er an einem Hirnschlag, Claudio ist elf Jahre alt.
"Ich bin ja noch bis vorgestern durch irgendwelche deutschen Städte gelaufen und dachte, ich begegne meinem Vater, weil ich ja im Grunde ja nie geglaubt hatte, dass er gestorben ist. Er ist ja, mit einer anderen Frau weg. Er war immer mit anderen Frauen weg und wenn meine Mutter, sagen wir "auf Kur ging", dann waren die Frauen auch zu Hause. Das waren die glücklichsten Zeiten mit meinem Vater. Dann spielten wir einhellig, also alle drei Kinder, mein Vater mit seinen Freundinnen, die dann wechselten."
Trotz der vielen Streitereien sei er in einem offenen Haus groß geworden. Zum Freundeskreis der Mutter gehörten viele Flüchtlinge: Sozialisten, die aus Spanien und Ungarn kamen, Überlebende der Shoah. Ein Ort multikultureller Begegnung. Auch Claudios Philosophie-Lehrer kam zu Besuch.
"Der legte sich aufs Sofa mit Schuhen im Haus meiner Mutter und meine Mutter traute sich nicht, ihm irgendwas zu sagen. Er brachte da eine Art von Männlichkeit rein, die meinem Vater nie gelungen war."
Nach dem abgebrochenen Studium nach Deutschland
Claudio besuchte eine Militärschule, danach begann er Medizin zu studieren. In dieser Zeit kam neben dem Philosophielehrer auch der Dichter Nicanor Parra ins Haus der Langes. Seine Schwester Violeta wurde mit dem Stück "Gracias a la vida" bekannt. In der chilenischen Gesellschaft wurde damals leidenschaftliche über sozialistische Werte und die Gleichheit der Geschlechter gestritten.
"Ich glaube ich habe am meisten mit meinem Bruder nicht etwa über Ökonomie gestritten, sondern über männliche Identität. Wie das Verhältnis von Frau und Mann ist. Und für ihn war absolut klar, dass der Mann 1. Klasse fährt und die Frau 2. Klasse. Und für mich war absolut klar, dass es falsch ist. Insofern hatte er die Mehrheit, also die Chilenische Mehrheit hinter sich, aber ich war nicht alleine. In Chile gab es eine emanzipatorische Diskussion, also da musste man nicht nach Deutschland fahren, um sich das anzueignen."
Das Medizinstudium brach er ab, 1963 ging Claudio Lange nach Deutschland, um in Münster zu studieren, der Mutter zur Liebe.
"Ich wollte nicht nach Deutschland und studierte Hegel und Adorno, Philosophie, Soziologie, Rechtswissenschaften. Ich habe mich versucht zu orientieren, da es mit Medizin Schluss war."
In Münster hält es Claudio Lange nicht aus. Während einer Studienreise nach Mittelamerika lernt er die zukünftige Mutter seiner Kinder kennen und zieht zu ihr nach Berlin.
Durch einen Zufall nehmen die Jahre des Suchens für Claudio Lange ein Ende. Seine Frau Ingrid bringt eines Tages eine Seminararbeit über den Dominikaner-Mönch Bartholomé Las Casas mit nach Hause: Claudio schreibt an ihrer Stelle die Arbeit, er entdeckt für sich die Religionswissenschaft und Klaus Heinrich, der sein Doktorvater wird.
Antike, Psychoanalyse, geistige Unabhängigkeit, Ästhetik des Widerstands: In Klaus Heinrichs Welt ist Claudio Lange auch wissenschaftlich bei sich angekommen.
Der Papstkritiker Las Casas
"Daraufhin habe ich beschlossen wieder anzufangen zu studieren. Da waren also vier Jahre jetzt vorbei, wo ich gammelte. So hieß das damals in den Augen der Deutschen. Ich mache gar nichts. Ich gammele. Natürlich machte ich was, also ich schrieb Gedichte und malte. Aber ich hatte keine Ambition. Ich wusste nicht wo es langgeht, das weiß ich heute noch nicht genau. Und nach dieser Las Casas-Geschichte habe ich mich eingeschrieben in die FU. Mir ging auf, dass die Europäer ihre Geschichte tendenziös erzählen, das heißt die englische Version, die spanische Version, die französische Version, die deutsche Version und so weiter. Was mich gereizt hat, ist: was ist da eigentlich passiert, wer ist das eigentlich überhaupt?"
Im 16. Jahrhundert wird der Dominikaner-Mönch Bartholomé Las Casas zu einem bedingungslosen Gegner der Präsenz der Spanier in Lateinamerika. Er war nach Lateinamerika entsandt worden und hatte die Greuel-Taten an den Indios durch die Conquistadores aus eigener Anschauung erlebt. Der Vater von Bartolomé Las Casas war schon mit Kolumbus über die Meere gefahren. Ihm verdanken wir die Abschrift der Tagebücher von Kolumbus. Er bringt von einer dieser Reisen auch einen Indianerjungen mit nach Hause nach Sevilla.
"Ja, für den war es ganz klar: das sind keine Idioten, keine Sklaven, das sind Menschen wie du und ich. Es gibt ja nicht nur Las Casas, es gibt ja noch mehr Mönche die wissen, dass es überhaupt kein Recht gibt, die zu versklaven. Die Katholiken wollen davon nichts hören, die wollen nur die heroischen Teile der Eroberung, der sogenannten Eroberung Amerikas, und die Protestanten wollen halt nichts davon hören, weil sie ihren Luther als den großen Papst-Kritiker hinstellen. Las Casas war also gnadenlos mit dem Papsttum."
Claudio Lange: Kolonialismus. Zeugnis von Bartolomê de Las Casas
Dissertation Freie Universität Berlin 1972.
Das Ende eines Traums in Chile
Seine Doktorarbeit hat Lange mit Erfolg geschrieben, danach, im März 1973, ging er nach Chile zurück.
"Also, was unternehmen...was tun, damit etwas besser wird oder sich ändert? Weiß ich nicht! Ich weiß, was ich tun muss, aber es ändert nix. Also: ob ein Bild mehr oder weniger entsteht, ändert erst mal scheinbar wenigstens gar nichts. Oder ein Gedicht mehr oder weniger. Und dann fragte mich ein Däne: ‚Glaubst du an das, was da in Chile derzeit passiert?’ ‚Ich glaube nicht, dass wir gewinnen werden, aber ich werde alles dafür tun. Es ist die vernünftigste Regierung seit 150 Jahren. Ich möchte mir nicht vorwerfen, dass ich nicht alles dazu getan habe diese Regierung zu stützen.’ Das war Anfang 1973 und dann sagt mir dieser Däne: ‚Weißt du, ich glaube, die Probleme sind ganz andere. Ich glaube die Probleme, das Hauptproblem der Menschheit, ist der Rassismus’. Ich werde das nie vergessen!"
Schließlich kommt Claudio Lange im Süden Chiles an, wohin er schon immer wollte, nach Temuco. Seine Eindrücke hat er in dem Buch "Milch, Wein und Kupfer" festgehalten.
Claudio Lange: "Milch, Wein und Kupfer. In Memoriam Felix Huentelaf"
März, Frankfurt a. M. 1979.
"Ich kannte den Süden, auch den deutschsprechenden Süden ziemlich gut, von Trampfahrten, von Besuchen bei den Eltern von Schulkameraden der Deutschen Schule usw. Aus ein paar dieser deutschen Häuser warf man mich raus. Ich, der Sohn reicher Eltern, war aufsässig und frech, und mein Freund, mit dem ich trampte, eingeschworener Sozialist und Sohn eines der Gründer dieser Partei, fiel bei den Reichsdeutschen immer wegen guter Erziehung auf, und ich muss mit meinem Widerspruch alle bösen Geister der deutschen Indianerschänderseele des Südens heraufbeschworen haben. Einer meiner Freunde – als ich Kind war – neben dem Milchmann, der mir die ganze Straß überließ, um sie mit Milch zu versorgen, war der Hausgehilfe von gegenüber, ein hässlicher, dicker Indianer, der mich genauso liebte, wie ich ihn."
Claudio Lange engagiert sich im Süden Chiles für die Mapuche Indianer und Arbeiter. Aber alle Bemühungen scheitern. Er erlebt das Ende der Allende-Regierung und muss schnell das Land verlassen.
"Der Putsch hat gesiegt. Nur im Süden gab es also so’nen kleinen, bewaffneten Widerstand, aber der war sehr schnell zu Ende. Es gab also praktisch keinen bewaffneten Widerstand mehr. Da war ein Mapuche im Bus in Santiago. Der Bus war voll, und er hielt sich so an dem Gestänge und die Hand so auf dem mit Jackett und Hemd angezogen, so ganz zivil eigentlich. Und da kommt so’n eher Reicher, der fuhr zwar Bus, fuhr nicht Auto, also ein Mittelklasse-Typ, untere Mittelklasse aber mit ein bisschen Geld, mit einer guten Rente, sagen wir mal, so' n "Herr"... Und der sang da so: ‚Wir haben gewonnen, wir haben gewonnen, Wir sind frei jetzt...’. Da packt ihn dieser Typ, dieser Herr und rüttelt ihn so am Kinn und sagt: ‚Hey, wir haben gewonnen, wir sind frei jetzt.’ Und der Mapuche macht gar nichts und dann dachte ich: Das ist Widerstand! Vielleicht ist das ein falsche Revolutionstheorie, vielleicht ist es gar keine Revolutionstheorie, aber vielleicht ist das wahr. Es ist klar der Mapuche kann nicht für Pinochet sein. Es geht gar nicht. Er kann auch nie mitfeiern. Er kann nur traurig sein. Er hat verloren genauso wie ich."
Auch Violetta Parra beklagt in dem Lied "Arauco tiene una pena" das Ende der Allende-Regierung.
Nach dem sozialistischen Experiment
Claudio Lange kommt Ende 1973 nach acht Monaten wieder zurück nach Berlin, zu seiner Familie, seinen beiden Kindern...
"Naja, die sind dann vier und fünf Jahre. Die dachten ich wäre tot. Die hatten nichts nur nicht mehr gesehen, die hatten nichts mehr von mir gehört. Einerseits haben die mehr gelitten als ich, weil ich wusste ja irgendwie wie ich... Ich wusste nicht, aber ich wusste was ich tat. Wie ich der Suche dieser Leute entkommen würde. Und die wussten gar nicht ob ich lebe oder nicht. Die Hölle, in der die gewesen sind - hat mir mein Sohn nochmal gesagt. Wieso hast du mich verlassen, eigentlich? Da gibt's keine gute Erklärung. Einen Sohn verlässt man nicht. Basta! Nach der Rückkehr aus Chile? Ja, da habe ich Jobs übernommen und das erste Buch von 79 oder sowas. Die erste Ausstellung war so auch 79/80., d.h. da hatte ich eigentlich genug. Ich war auch nicht alleine. Ich weiß gar nicht wie viele Tausende von Chilenen hier in Berlin waren und ich hatte halt - ich hatte Heimatverbot. Die haben mich ausfliegen lassen und das war ein Geschenk."
Ende der 80er Jahre erzielt Claudio Lange mit seinen Projekten erstmals Erfolge, 1987 mit dem "Museum vom Überleben der Utopien", 1988 mit einem Festival der deutschen und solidarischen Literatur zum spanischen Bürgerkrieg und mit den ersten "Tagen der Arabischen Literatur" in Berlin. Gemeinsam mit dem Verleger und Freund Hans Schiler lud er unter anderen erstmals die algerische Schriftstellerin Assia Djebbar und die Marokkanerin Fatima Mernissi nach Deutschland ein. Er betont, dass andere Projekte eher "ein Schlag ins Wasser" waren. Für sein ‚Museum vom Überleben der Utopien’ bei der Berliner 750 Jahrfeier schlug er den Bogen in seine chilenische Heimat.
"Dann habe ich ein paar Utopien genommen, nämlich Karl Kraus und Schönberg auch, die hofften, dass sie in Berlin mehr Möglichkeiten hätte als in Wien. Und beide sind sie enttäuscht worden. In den Zwanziger Jahren, beim Kraus ein bisschen früher, waren sie enttäuscht und sind dann zurück nach Wien, von Berlin enttäuscht. Also Utopien des anders Lebens, die dann begraben wurden. Mir hat das sehr gut getan. Das heißt "Utopien vom Überleben". Chile war eine Utopie vom Überleben! Ich kenne einen Film, wo eine Frau sagt, dass waren die schönsten drei Jahre, die sie in Chile je erlebt hat, die drei Jahre von Allende sind die schönsten. Und du kommst mit dieser Meinung gegen die neoliberale Propaganda nicht an. Es ist wahr, es ist wahr! Weil du anders atmetest, und nicht nur du, die Hunde auf der Straße atmeten anders. Es war ein anderes Atmen zusammen, es gab keine atmosphärische Aggressivität, gab es nicht!"
Ansichten zur Kunst: Narbenbilder
"Ich habe eine Serie gemacht mit zerschnittenen Bildern und ich habe sie Narbenbilder genannt. Das ist eine große Serie von vielleicht von 38, 40 Bildern. Dahinter steht die Tatsache, dass Narbengewebe ist immer anders als das normale Gewebe, dass du also an sich vor der Laser-Zeit, wenn du Narben hattest, dann hattest du halt Narben und fühltest sie auch dein ganzes Leben, vielleicht 50 Bilder sind so entstanden und am Ende habe ich reingeschnitten. Das sind so Auto-Attentate, weil ich auch finde: da sind 80 Werke - von Aischylos sind acht oder neun, die überlebt haben. Das heißt, die Historiker, sagen dass zehn Prozent von den Sachen, die geschaffen worden sind, von der Menschheit überhaupt nur überleben. Das ist es, was ich in den Bildern drin haben möchte. Ob sie überleben oder nicht überleben. Und dann kommt ein Krieg und dann werden sie verkauft oder jemand klaut sie, du weißt nicht, was da passiert. Das würde ich gerne in diesen Bilder haben, diese Gefahr, dieses Risiko der Existenz. Auto-Attentat. Also ich greife meine eigenen Dinge an und sage: so wichtig ist das nicht was du machst, Lange. Das wird auch nicht halten, 90 Prozent davon geht sowieso verloren. Na ja, ich will nur sagen, dass ich merkte, dass mir das Schneiden Spaß machte. Das Verletzen der Leinwand, das macht Spaß. Weil das ist eine Tätigkeit ist, genauso wie viele andere auch, wie ein Bildhauer. Du nimmst ein Messer in die Hand und schneidest da rein. Manchmal geht das besser und manchmal schlechter, manchmal landest du auf dem Holz, manchmal landest du im Leeren."
Ansichten zur Kunst: Schatten
Claudio Lange lebt in Berlin und in Andalusien. Dort, im Castilio San Andrés von Carboneras, wurde 2017 eine Ausstellung mit seinen Schattenfotographien gezeigt.
"Das, was ich da herausgekriegt habe, ist, dass der Schatten Energien hat. Mich zusätzlich Informationen von Leuten die von Leuten die mit Schatten gearbeitet haben... Z. B. Hier: Claude Monet hat von sich selber ein Schatten-Selfie gemacht, das ist er. Siehst du den Hut, das ist er in Giverny. Das heißt, diese Selfies haben sie auch, Man Ray hat Schatten-Selfies gemacht. Dann hat ja der Giorgio de Chirico sich mit einem weißen Schatten gemalt, ist ja einer der Schattenspezialisten. Er sagt, im Schatten eines Fußgängers ist mehr Mysterium als in allen Regionen der Welt. Es gibt diese Schatten-Fanatiker, das ist ein Bild von Van Gogh, was verlorengegangen ist im Zweiten Weltkrieg, und da siehst Du auch das Selbstporträt von ihm. Wie er Konflikte hat. Als ob er seinen Schatten loswerden will. Das ist das zentrale. Dass der Petrus... Nur der konnte mit seinem Schatten heilen, und die anderen Heilen mit Berührung oder mit Sprache. Nur Petrus konnte mit dem Schatten heilen. Das ist gemalt worden, das ist der Moment, wo Petrus mit dem Schatten heilt. In Florenz ist das, von Masaccio, ein sehr berühmtes Bild."
"Offenbar war Schatten-Heilen das A und O, das war viel schwieriger, viel wichtiger, dann musstest du viel heiliger, viel purer sein, als um mit Sprache oder mit Berührung zu heilen. Und das Schattenheilen ist verloren gegangen. Die Idee, dass das überhaupt mal gegeben hat, ist verloren gegangen. Francis Bacon, der immer diese Schatten farbig malt, und der auch sagt, dass er im Grunde keinen Unterschied zwischen dem Körper und dem Schatten sieht. Das sei eine Einheit. Dieser Lucky Luke, der immer das Problem hat, sein Schatten erschießen zu müssen, weil er ihm beweisen muss, dass er schneller zieht als sein Schatten. Also Konflikte zwischen Schatten und Körper, Konflikte zwischen Mensch und Schatten. Und das ist es was ich sage: Wir sind Schatten! Warum benutzt man das denn nicht? Wir sind die Schatten der Maschinen. Wir sind die Schatten der Digitalität. Wir sind die Schatten des Kapitals. Wir sind die Schatten... Also das Militär versucht die Gesellschaft wie eine Kaserne zu organisieren. Die Millionäre versuchen die Gesellschaft wie einen Betrieb zu organisieren. Und wer sind wir? Schatten!! Nur noch Schatten - wir existieren gar nicht mehr, wir sind Nummern im Militär. Wir sind Nummern in der Kaserne oder in dem Betrieb. Wir sind nur noch Schatten. Und diese Idee, dass im Schatten Energie steckt, ist eigentlich eine sehr kostbare Idee."
Ansichten zur Kunst: Kargsteine
Claudio Lange ist Maler, Schriftsteller und Religionswissenschaftler. Feste Grenzen zieht er nicht, Erkenntnisse aus den verschiedenen Tätigkeitsfeldern beeinflussen sich oft gegenseitig. Seine Forschungen als Religionswissenschaftler wurden u.a. 2004 bei einer Ausstellung im Berliner Pergamon-Museum veröffentlicht. Dabei ging es um die Kragsteine, seine Thesen dazu dokumentierte er mit tausenden Fotographien, die er in verschiedenen Teilen Europas gemacht hatte. Ab 1989 hatte ihm der Hamburger Gründer der Kulturstiftung, Jan-Philip Reemstma, mehrere Jahre für seine Forschung ermöglicht.
Filmausschnitt "Der nackte Feind" über die Arbeit von Claudio Lange zu den Kargsteinen:
Gegen alle Widerstände und Anfeindungen aus jenen wissenschaftlichen Kreisen, die sich mit der Romanik befassen. Hier der Ausschnitt aus einem Text, den Claudio Lange anlässlich der Ausstellung unter dem Titel "Anti-Islam in der romanischen Kunst" veröffentlicht hat.
"Was bei der Betrachtung dieser Skulpturen an Kirchen des 11. Und 12. Jahrhunderts fragwürdig wird, ist die althergebrachte Idee, dass christliche Kunst vor allem die Illustration biblischer und anderer heiliger Texte und Heiligenlegenden sei. Die Vorstellung der Kirchenkunst als einer "Bibel der Armen", für Analphabeten, wird hier zu widerlegen sein. Außerdem wird deutlich, dass das überraschende und massive Auftauchen von figurativen Steinskulpturen an den so genannten romanischen Kirchen nichts mit Rom zu tun hat. Der Name Romanik stammt aus dem 19. Jahrhundert, als man die Architektur und Skulptur des christlichen 11. Und 12. Jahrhunderts als Renaissance der römischen Antike verstand. Dass es sich hier um eine Renaissance der Skulptur handelt, darüber besteht kein Zweifel; wieso aber plötzlich im 11. Jahrhundert an den Außenfassaden der Kirchen heftige, ja brutale Steinbilder auftauchen, die in ihrer künstlerische Konzeption und Gestaltung völlig neu sind und in ihrer wesentliche Bildausstattung auf keinen historischen Vorgaben zurückgreifen können, kann nicht mit einem Rekurs auf das Imperium Romanum erklärt werden. Der Begriff Romanik führt in die Irre. Der Sinn dieser Bilder ist die bildliche Agitation gegen den Islam. Diese künstlerische wie politisch einzigartige Entwicklung, verstehe ich als Auslöser einer umfassenden Medienrevolution, die beginnend mit dem 11. Jahrhundert alle Wissenschaften und Künste in ihren Bann schlug. In einem Zeitalter, das zu Recht "christlich-islamisch" (nicht romanisch) genannt werden sollte, beginnen sich die inneren Verhältnisse Europas grundlegend neu zu ordnen, wobei der Kampf gegen den Islam ... eine für alle politischen und kulturellen Belange zentrale, übergeordnet Rolle spielt."
Buch zur Ausstellung:
Claudio Lange: "Der nackte Feind. Anti-Islam in der romanischen Kunst"
Manuskripte zur Sendung zum Nachlesen: